Normen
AVG §39 Abs2;
AVG §40 Abs1;
AVG §67d;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VStG §51e;
VStG §9 Abs1;
VStG §9;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §39 Abs2;
AVG §40 Abs1;
AVG §67d;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VStG §51e;
VStG §9 Abs1;
VStG §9;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Mit Straferkenntnis vom 11. Oktober 1993 legte die Bundespolizeidirektion Wien der Beschwerdeführerin zur Last, sie habe am 16. Februar 1993 um 12.45 Uhr in einem namentlich bezeichneten Espresso in Wien als "Verantwortliche" einer namentlich genannten Gesellschaft mbH einen Münzgewinnspielapparat der Marke Admiral American Poker II betrieben, obwohl bei diesem Apparat zur Erzielung einer Gewinnmöglichkeit bei einem Spiel ein Einsatz von mehr als S 5,-- erforderlich gewesen sei, der Spielapparat somit unter das Glücksspielgesetz gefallen und außerhalb einer Spielbank betrieben worden sei. Die Beschwerdeführerin habe dadurch § 52 Abs. 1 Z. 5 des Glücksspielgesetzes verletzt. Über sie werde eine Geldstrafe in der Höhe von S 5.000,-- (fünf Tage Ersatzarreststrafe) gemäß § 52 Abs. 1 leg. cit. verhängt. Der angeführte Münzgewinnspielapparat werde gemäß § 52 Abs. 2 leg. cit. für verfallen erklärt. Nach der Begründung dieses Bescheides habe das Ermittlungsverfahren ergeben, daß der Apparat ein Würfelspiel und ein Kartenspiel zugelassen habe. Beim Würfelspiel alleine habe keine Gewinnchance bestanden, erst beim Kartenspiel habe eine solche bestanden. Um zum Kartenspiel und zur Erlangung einer Gewinnchance zu kommen, sei ein Einsatz von S 60,-- erforderlich gewesen, der bei einmaligem Halten der Spieltaste in Schritten zu S 5,-- abgebucht worden sei.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung machte darin "unrichtige Beweiswürdigung, mangelnde Sachkenntnis und völlige Mißachtung der aktenkundig gewordenen Tatsachen" geltend und verwies auf ihre Berufung vom 6. September 1993 gegen den Beschlagnahmebescheid vom 5. April 1993. Dort hatte sie vorgebracht, die Behörde übersehe, daß der Münzspielapparat zwei verschiedene Möglichkeiten biete, nämlich ein Würfelspiel und ein Kartenspiel. Das Würfelspiel werde durch Betätigen der Starttaste eingeleitet und durch Aufleuchten des Schriftzuges "Game over" abgeschlossen. Bei jedem Drücken der Starttaste werde ein Betrag von S 5,-- als Spieleinsatz vom allfälligen Guthaben "CREDIT" abgebucht. Unzutreffend sei, daß beim Würfelspiel selbst keine Gewinnchancen bestanden hätten und für das Kartenspiel ein Einsatz von S 60,-- erforderlich gewesen wäre.
1.2. Mit Bescheid vom 24. November 1993 gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien dieser Berufung keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Maßgabe, daß der in Klammer angeführte Zusatz "(je ein Tag Arrest wird gleich S 200,-- angerechnet)" zu entfallen habe. Nach der Begründung dieses Bescheides stütze sich die belangte Behörde auf eine anonyme telefonische Anzeige vom 15. Februar 1993, auf Erhebungen des Meldungslegers am Aufstellungsort vom 16. Februar 1993 einschließlich der Erprobung des Spielablaufes sowie eines Probespieles und einer Dokumentation des Spielablaufes auf Video vom 17. Februar 1993 im Beisein des Beschwerdevertreters und des Technikers der Herstellerfirma. Wenn es auch nicht restlos gelungen sei, alle technischen Details beim Probespiel zu klären, so gelte dennoch als gesichert, daß der dadurch abermals bestätigte Vorwurf eines Einsatzes von mehr als S 5,-- pro Spiel als erwiesen gelte.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Geltend gemacht wird insbesondere, daß entgegen den Voraussetzungen des § 51e VStG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterblieben sei. Hätte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben bzw. die erforderliche Verhandlung durchgeführt, dann hätte die Beschwerdeführerin einen Techniker der Herstellerfirma des Gerätes zum Beweis dafür namhaft gemacht, daß der Apparat auf Grund seiner Funktionsweise der Ausnahmebestimmung des § 4 Abs. 2 des Glücksspielgesetzes unterliege und daher dem Wiener Veranstaltungsgesetz in jeder Beziehung entspreche. Die Beschwerdeführerin hätte zu diesem Beweis auch vorsorglich die Zuziehung eines Sachverständigen beantragt. Gleichzeitig hätte sie die Durchführung eines Augenscheins verlangt. Durch das Fragerecht an den Sachverständigen und die Vorlage einer technischen Beschreibung hätte der richtige Sachverhalt ermittelt werden können, nämlich daß sowohl das Würfelspiel als auch das Kartenspiel jeweils als selbständiges Spiel und jeweils nur mit einem Spieleinsatz von nicht mehr als S 5,-- betrieben werden konnten und können.
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:
2.1. Gemäß § 44a Z. 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat zu bezeichnen, wozu jene Tatmerkmale gehören, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens erforderlich sind. Dies gilt, soweit die Strafbarkeit das Vorliegen bestimmter in der Person des Täters gelegener Merkmale voraussetzt, insbesondere auch hinsichtlich dieser Merkmale.
Die spruchgemäße Bezeichnung der Beschwerdeführerin mit den Worten "als Verantwortliche" einer näher bezeichneten GesmbH trägt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Konkretisierungsgebot des § 44a Z. 1 VStG nicht Rechnung (vgl. hiezu unter anderem die Erkenntnisse vom 27. Juni 1983, Slg. NF Nr. 11.100/A, vom 19. September 1983, Slg. NF Nr. 11.143/A, und vom 12. Mai 1989, Zl. 87/17/0152 = ZfVB 1990/3/1312).
Dadurch, daß die belangte Behörde die Fassung des Spruches des erstinstanzlichen Straferkenntnisses übernommen hat, belastete sie somit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
2.2.1. § 51e VStG lautet auszugsweise:
"(1) Wenn die Berufung nicht zurückzuweisen ist oder nicht bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, dann ist eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen. Zu dieser sind die Parteien und die anderen zu hörenden Personen, insbesondere Zeugen und Sachverständige, zu laden.
(2) Wenn in der Berufung ausdrücklich nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet, dann ist eine Verhandlung nur dann anzuberaumen, wenn dies in der Berufung ausdrücklich verlangt wurde.
(3) Von der Verhandlung kann abgesehen werden, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der Verhandlung erfolgen.
(4) ..."
2.2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Mai 1993, Zl. 93/11/0013, zur vergleichbaren Bestimmung des § 67d AVG dargetan hat, seien die unabhängigen Verwaltungssenate unter anderem gerade aus dem Grund eingerichtet worden, um eine Tatsacheninstanz zu schaffen, die grundsätzlich nach durchgeführter mündlicher Verhandlung entscheide. Der Umstand, daß die damals belangte Behörde die an sie gerichtete Beschwerde (der Rechtsmittelwerber hatte keinen Verzicht erklärt) auf Grund der Aktenlage für offenbar unbegründet gehalten habe, habe sie keineswegs berechtigt, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzusehen. Der in der Unterlassung liegende Verfahrensmangel könne auch nicht im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Oktober 1992, Zl. 92/02/0212, als unwesentlich qualifiziert werden. Der Beschwerdeführer - der darauf habe vertrauen dürfen, daß über seine (zulässige) Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat eine mündliche Verhandlung durchgeführt werde, sofern ihr nicht ohnedies ein Erfolg beschieden sei - tue in seiner Verwaltungsgerichtshofbeschwerde auch dar, daß er in der mündlichen Verhandlung ein bestimmtes Vorbringen erstattet, insbesondere Beweisanträge gestellt hätte, die nicht von vornherein als für den Ausgang des Verfahrens unerheblich angesehen werden könnten.
Im vorliegenden Beschwerdefall wurde in der Berufung nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht; vielmehr wurde das erstinstanzliche Straferkenntnis - durch die zulässige Verweisung auf eine frühere, im selben Verfahrenszusammenhang eingebrachte Berufung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1989, Zl. 89/17/0047) - auch im Tatsachenbereich bekämpft. Da auch ein anderer, das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung rechtfertigender Grund nach § 51e VStG nicht vorlag, wäre eine öffentliche Verhandlung durchzuführen gewesen.
Dieser Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 51e VStG stellt jedenfalls einen Verfahrensmangel dar, der, wie andere Verfahrensfehler auch, dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt, wenn die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG). Da nun die Beschwerdeführerin dem von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang aufgestellten Erfordernis, in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde die Relevanz des Verfahrensmangels (insbesondere durch Angabe dessen, was sie bei Durchführung der Verhandlung vorgebracht hätte) darzutun, entsprochen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid - jedenfalls auch - mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, da die belangte Behörde bei Vermeidung des in Rede stehenden Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
2.2.3. Bei diesem Ergebnis und vor dem Hintergrund der zu beurteilenden verfahrensrechtlichen Situation in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen vor dem Verwaltungsgerichtshof brauchte die Frage nicht erörtert zu werden, ob es mit dem im Art. 6 Abs. 1 MRK (insbesondere im Zusammenhalt mit Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK) verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer Verhandlung vereinbar ist, die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Verletzung dieses Rechtes und damit die Gewährleistung desselben davon abhängig zu machen, daß der Beschwerdeführer die Relevanz des Unterbleibens der Berufungsverhandlung in der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof dartut, bzw. welches Vorbringen hier als erforderlich und zumutbar erachtet werden kann, oder ob die den Bestimmungen des § 51e VStG widersprechende Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung nicht jedenfalls einen Aufhebungsgrund wegen Verletzung des fair trial darstellt (vgl.
- letzteres verneinend - etwa das hg. Erkenntnis vom 18. September 1991, Zl. 91/03/0165 = ZfVB 1992/5/1850 = Anw 1993, 374, mit kritischer Anm von Arnold).
2.3. Im Hinblick darauf, daß die inhaltliche Rechtswidrigkeit (vgl. oben Punkt 2.1.) gegenüber jener nach § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG (vgl. oben Punkt 2.2.3.) prävaliert, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Ersatz der Umsatzsteuer war nicht zuzusprechen, weil dieser bereits im Schriftsatzaufwandpauschale berücksichtigt ist.
2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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