VwGH 93/01/0285

VwGH93/01/028515.12.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Bernegger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1993, Zl. 4.298.981/4-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §21 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §21 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Jänner 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer - ein rumänischer Staatsangehöriger, der am 22. Februar 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 27. Februar 1990 den Asylantrag gestellt hat - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer "im gesamten Verwaltungsverfahren" keine Umstände glaubhaft gemacht habe, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, daß er sich - im Sinne des von ihr zitierten § 1 Abs. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) - aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und (vollständig: im Hinblick auf diese Furcht) nicht gewillt sei, "sich wieder unter dessen Schutz zu stellen". Zu dieser Ansicht ist sie nur deshalb gelangt, weil sie, ohne erkennbare Trennung, sowohl die niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Vernehmung am 7. November 1990 als auch sein Vorbringen in der Berufung und einer weiteren Eingabe vom 30. Jänner 1992 unter Beachtung der von ihm im Berufungsverfahren vorgelegten "Zeugenaussagen und Dokumente" einer rechtlichen Beurteilung unterzogen hat. Sie hat hiebei die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 übersehen, wonach sie ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hatte, das lediglich in den Angaben des Beschwerdeführers am 7. November 1990 bestand und denen die belangte Behörde nicht die Glaubwürdigkeit versagt hat. Daß einer der Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit. vorgelegen wäre, der die belangte Behörde verpflichtet hätte, eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wird in der Beschwerde - ebenso wie schon in der Berufung - nicht geltend gemacht und ergibt sich im übrigen auch nicht aus den vorgelegten Verwaltungsakten. Die belangte Behörde hatte daher auch nicht auf Sachverhaltsgrundlagen Bedacht zu nehmen, die aktenmäßig im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht bekannt waren. Das bedeutet, daß sämtliche Beschwerdeausführungen, die sich auf solche Sachverhaltsgrundlagen, die über die Angaben des Beschwerdeführers am 7. November 1990 hinausgehen, stützen, von vornherein nicht geeignet sind, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen, weshalb darauf nicht mehr näher einzugehen ist. Der Beschwerdeführer wäre aber überdies durch die nicht dem Gesetz entsprechende Vorgangsweise der belangten Behörde in seinen Rechten nicht verletzt worden, wenn, ausgehend vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz, daraus seine Flüchtlingseigenschaft nicht abgeleitet werden könnte. Dies trifft allerdings nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu.

Der Beschwerdeführer hat am 7. November 1990 hinsichtlich seiner Fluchtgründe im wesentlichen angegeben, seit dem Jahre 1968 Mitglied der pentikostalen Glaubensgemeinschaft zu sein, weswegen er am Arbeitsplatz - nach Punkt 12. der Niederschrift: bei den CFR-Rumänische Eisenbahnen - keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten gehabt habe und ihm immer wieder seine religiösen Aktivitäten zum Vorwurf gemacht worden seien. Im Juli 1988 sei er von einem namentlich genannten "Beamten der Securitate" aufgefordert worden, seine Glaubensbrüder zu verraten und auf seinen Glauben zu verzichten. Da er dies abgelehnt habe, seien ihm ein schlechterer Arbeitsplatz zugewiesen, sein Telefon überwacht und seine Briefe von der Securitate gelesen worden. Im Februar 1989 habe man einen Unfall arangiert, um ihn so von seinem Arbeitsplatz entlassen zu können. Da sich aber gleich danach seine Unschuld herausgestellt habe, sei es nicht zu seiner Entlassung gekommen. Auch seine Gattin und seine Kinder hätten unter seiner Religionszugehörigkeit zu leiden gehabt. So habe man seine Gattin anläßlich einer Augenoperation mit Absicht falsch behandelt, sodaß sie auf einem Auge erblindet sei, und seine Kinder hätten schlechtere Betragensnoten als ihre Mitschüler bekommen. Er selbst sei immer gezwungen worden, an Sonntagen zu arbeiten, um dadurch einen Kirchenbesuch zu verhindern, und er habe auch zu kirchlichen Feiertagen nie Urlaub bekommen. Nach der Revolution sei er weiterhin wegen seines Glaubens verfolgt worden. Als er es am 18. Jänner 1990 abgelehnt habe, eine Unterstützungserklärung für die Front der nationalen Rettung zu unterschreiben, sei er danach zu Fahrten auf einer bestimmten Strecke eingeteilt worden, wo zu dieser Zeit noch Terroristen die Züge beschossen hätten. Es sei auch immer wieder davon die Rede gewesen, daß ein Anschlag auf eine Eisenbahnbrücke beabsichtigt sei. So habe er sich stellenweise auf den Boden der Lokomotive legen müssen, um nicht von den Kugeln der Terroristen getötet zu werden. Ebenfalls im Jänner 1990 sei er damit bedroht worden, "mit der Armee" aus seinem Haus verjagt zu werden. Da er nun seines Lebens nicht mehr sicher gewesen sei, habe er sich dazu entschlossen, mit seiner Familie zu flüchten.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides stellten die Beeinträchtigungen, die der Beschwerdeführer im Beruf und in seinem Privatleben wegen seiner Zugehörigkeit zur pentikostalen Glaubensgemeinschaft habe hinnehmen müssen, keinen derart gravierenden Eingriff in seine Grundrechte dar, "um dem in der Flüchtlingskonvention angesprochenen Sachverhalt zugrunde gelegt werden zu können". Damit ist die belangte Behörde, die auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt, insofern im Recht, als selbst der Verlust des Arbeitsplatzes ohne massive Bedrohung der Lebensgrundlage (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 17. Juni 1992, Zl. 91/01/0207, und vom 7. Oktober 1993, Zl. 93/01/0616) und daher umso weniger der Ausschluß von Aufstiegschancen (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 20. Mai 1992, Zl. 91/01/0202, und vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0181) und eine Schlechterstellung am Arbeitsplatz (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 31. Mai 1989, Zl. 89/01/0091, und vom 18. März 1993, Zl. 92/01/0816), die Überwachung des Telefonanschlusses, aber auch die Zensurierung von Briefen (vgl. das Erkenntnis vom 16. September 1993, Zl. 92/01/0751), das Ansinnen, den Glauben aufzugeben und Glaubensbrüder zu verraten, sowie der berufliche Einsatz an Sonn- und Feiertagen (vgl. die Erkenntnisse vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0320, und vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0211) jeweils weder für sich allein noch in ihrer Gesamtheit für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft ausreichen. Es fehlt nämlich an der erforderlichen Intensität dieser Maßnahmen, die einen weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in seinem Heimatland für ihn unerträglich gemacht hätten, wobei hiebei ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0544, und vom 7. Oktober 1993, Zlen. 92/01/1015, 93/01/0929). Der gegenteiligen Ansicht des Beschwerdeführers vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen.

Der Beschwerdeführer beruft sich dafür, daß "nicht die objektive Furchttheorie, sondern eine gemäßigte subjektive Furchttheorie" dem Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, auf Kälin, Grundriß des Asylverfahrens, Seite 139, und zitiert hiebei einzelne Stellen aus dem "UNHCR-Handbuch" aus dem Jahre 1979 zum Begriff der "begründeten Furcht vor Verfolgung" (Seiten 12 f), aus denen (zwar sich nicht aus dem Wortlaut der genannten Bestimmung ergebend, aber ihrer Entstehungsgeschichte entsprechend) der Schluß zu ziehen sei, daß "man nicht den Nachweis von Verfolgung verlangen, sondern es für die Anerkennung als Flüchtling bewußt genügen lassen wollte, daß jemand gute Gründe nachweisen kann, warum er Verfolgung befürchtet". Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, daß die in Rede stehenden Ausführungen im "UNHCR-Handbuch" - abgesehen davon, daß es sich lediglich um Rechtsausführungen des Amtes des Hohen Komissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge handelt, die vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden müßten - in wesentlichen Teilen nicht wiedergegeben wurden und aus ihnen ausdrücklich hervorgeht (Punkt 38.), daß "neben dem Begriff der Furcht - Ausdruck seelischer Verfassung und subjektiven Empfindens - als Einschränkung das Wort "begründet" steht", "dies bedeutet, daß nicht nur die seelische Verfassung der betreffenden Person über ihre Flüchtlingseigenschaft entscheidet, sondern daß diese seelische Verfassung durch objektive Tatsachen begründet sein muß", "der Satz "begründete Furcht" folglich ein subjektives und ein objektives Element enthält, und bei der Entscheidung darüber, ob eine begründete Furcht besteht, beide Elemente berücksichtigt werden müssen". Eine bloß subjektiv empfundene Furcht des Asylwerbers ist zu wenig, um die von ihm angestrebte Flüchtlingseigenschaft glaubhaft zu machen; es müssen vielmehr objektive Umstände hinzukommen, die seine Furcht "begründet" erscheinen lassen. Ob dies der Fall ist, kann nur nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden, also auch danach, ob - wie dies die belangte Behörde formuliert hat - "eine mit Vernunft begabte Person" (d.h. nichts anderes als ein Durchschnittsmensch) in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Dabei können - worin dem Beschwerdeführer grundsätzlich beizupflichten ist - auch Vorfälle, die nicht den Asylwerber sondern seine nahen Angehörigen unmittelbar betreffen, beachtlich sein, sofern darin in Verbindung mit einem bereits individuell gegen ihn gerichteten, staatlichen Behörden seines Heimatlandes zuzurechnendem Verhalten eine auf ihn gezielte Verfolgung erkennbar ist, zumal dem die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegensteht, daß nur Nachteile, die der Asylwerber selbst erleidet, nicht aber Maßnahmen, die gegen seine Angehörigen gesetzt werden, als Grund für die Asylgewährung in Frage kommen können (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0821, und vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0777). Die Begründung des angefochtenen Bescheides, eventuelle Beeinträchtigungen, die die Gattin und die Kinder des Beschwerdeführers hätten hinnehmen müssen, seien für sein Verfahren nicht entscheidungsrelevant, ist daher in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend.

Entscheidend ist aber im vorliegenden Beschwerdefall, daß die belangte Behörde dem Vorfall vom 18. Jänner 1990 und den sich daraus für den Beschwerdeführer ergebenden nachteiligen Folgen nicht die ihnen zukommende Bedeutung beigemessen hat. Es bedarf keiner näheren Erörterung, daß die Weigerung des Beschwerdeführers, eine Unterstützungserklärung für die Front der nationalen Rettung zu unterzeichnen, auf seine politische Gesinnung hat schließen lassen, wobei auf sich beruhen kann, ob in Ansehung der daraufhin gegen ihn ergriffenen Maßnahmen dieser Verfolgungsgrund oder der seiner Religion, deretwegen er schon bisher Schwierigkeiten in Kauf nehmen mußte und die auch hiebei eine Rolle gespielt haben könnte, im Vordergrund gestanden ist, würde doch dies auf die rechtliche Beurteilung ohne Einfluß bleiben. Die belangte Behörde hat die Behauptung des Beschwerdeführers, man habe ihn aus diesem Anlaß für besonders gefährliche Transporte eingeteilt und damit sein Leben und die Existenz seiner Familie bedroht, mit dem Argument abgetan, daß es sich hiebei um eine Tätigkeit gehandelt habe, zu der er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit verpflichtet gewesen sei und die daher nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention gewertet werden könne, woran auch der Umstand nichts ändern könne, daß "eventuell privilegiertere Kollegen sich dieser Aufgabe entziehen konnten". Sie hat dabei verkannt, daß es nicht um den Ausschluß des Beschwerdeführers von Privilegien geht, die dem herrschenden Regime in seinen Heimatland genehmen Personen gewährt worden wären, sondern darum, daß er ausschließlich wegen seines Verhaltens mit Absicht zu derart riskanten, sein Leben in höchstem Maße gefährdenden Einsätzen beordert wurde, dies aber offenbar nicht auch bei Berufskollegen von ihm, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung oder religiösen Überzeugung, geschehen ist (vgl. zum Unterschied dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 1992, Zl. 92/01/0462). Wenn die belangte Behörde zusätzlich ins Treffen führt, daß die Genfer Konvention Verfolgungen verlange, die sich auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatlandes des Asylwerbers erstreckten, dies aber beim Beschwerdeführer nicht der Fall sei, da die von ihm befürchtete Gefährdung seiner Person ausschließlich auf seinen Arbeitsplatz beschränkt sei, so ist dies - wie der Beschwerdeführer mit Recht geltend macht - nicht nur aktenwidrig, weil die Verfolgung, ungeachtet dessen, daß sie von seinem Arbeitsplatz ausgegangen ist, auch in seinen privaten Bereich gereicht hat, sondern darüber hinaus mangels näherer Begründung dafür, wieso dem Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung gestanden wäre, nicht nachvollziehbar. Die belangte Behörde hat überhaupt auf Grund ihrer unrichtigen rechtlichen Beurteilung eine Begründung dahingehend unterlassen, wieso die zuletzt vor seiner Ausreise gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen, gegen die er vor dem Hintergrund der von ihm angesprochenen, auch nach der Revolution bestehenden Verhältnisse in Rumänien keinen wirksamen Schutz bei den staatlichen Behörden seines Heimatlandes hätte finden können, aus objektiver Sicht, entsprechend der von ihm geäußerten Befürchtung um sein Leben, im Zusammenhalt mit den übrigen von ihm geschilderten Vorfällen keine solche Situation geschaffen haben, daß die Furcht des Beschwerdeführers, wegen eines der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 angeführten Gründe verfolgt zu werden, wohlbegründet und dadurch ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland für ihn unerträglich gewesen sei.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil eine Kopie des angefochtenen Bescheides (mit den darauf entfallenden Stempelgebühren) nur einfach beizulegen war.

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