VwGH 92/05/0053

VwGH92/05/005310.11.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden der Gemeinde L, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichen Landesregierung vom 6. Februar 1992, Zl. R/1-V-90057/03, in der Fassung des Bescheides vom 14. Mai 1992, gleicher Zahl, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1) ON und 2) EN in L, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W,

3) LK, 4) JK, 5) HU und 6) IU, alle in L), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §41 Abs2;
AVG §42 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BauO NÖ 1976 §100 Abs1;
BauO NÖ 1976 §118 Abs8;
BauO NÖ 1976 §121 Abs1;
BauO NÖ 1976 §92;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §61;
AVG §41 Abs2;
AVG §42 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BauO NÖ 1976 §100 Abs1;
BauO NÖ 1976 §118 Abs8;
BauO NÖ 1976 §121 Abs1;
BauO NÖ 1976 §92;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §61;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 22.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 3. Mai 1977, eingelangt beim Gemeindeamt L am 20. Mai 1977, ersuchte ein Architekt namens des Dritt- und der Viertmitbeteiligten bei der nun beschwerdeführenden Gemeinde um die Erteilung der Baubewilligung für ein Siedlungshaus auf dem Grundstück Nr. nn/1, KG. L. Diesem Ansuchen waren ein Einreichplan, eine Baubeschreibung in jeweils fünffacher Ausfertigung sowie als Eigentumsnachweis ein Grundbuchsauszug angeschlossen. Der Bürgermeister beraumte daraufhin für 10. Juni 1977 eine Bauverhandlung an, in welcher das zu bewilligende Bauvorhaben als Einfamilienhaus bezeichnet wurde. Laut Zustellverfügung sollte diese Ladung auch an den Erst- und die Zweitmitbeteiligte per Adresse W, H-Gasse 42/3/17, gerichtet werden. Der im Akt erliegende Zustellnachweis ist an den Erstmitbeteiligten "und Mitbes." gerichtet und wurde am 2. Juni 1977 beim zuständigen Postamt Wien hinterlegt.

Bei der am 10. Juni 1977 durchgeführten Verhandlung nahmen nach der im Akt erliegenden Niederschrift als Verhandlungsleiter der damalige Vizebürgermeister der Gemeinde, als Bausachverständiger Dipl.-Ing. Arch. B, der Dritt- und die Viertmitbeteiligte, der Planverfasser, zwei Mitglieder des Gemeinderates und eine Schriftführerin teil. Der Erst- und die Zweitmitbeteiligte nahmen an dieser Verhandlung nicht teil. Das Bauvorhaben wurde eingangs der Verhandlung als Einfamilienhaus bezeichnet, das Projekt jedoch dann wie folgt beschrieben:

"Unter Einhaltung einer geringsten Vorgartentiefe von 3,5 m und eines Bauwichs von 3,0 m bezw. von 3,25 m gegen die beiden Anrainer soll ein Zweifamilienhaus mit einem Größenausmaß von 14,0 m x 14,75 m errichtet werden. Im Keller ist ein Einstellraum für zwei Pkw vorgesehen."

Die vom Planverfasser vorgelegte Baubeschreibung, in welcher das Bauvorhaben als Siedlungshaus bezeichnet ist, wurde zum Bestandteil der "Bauverhandlungsniederschrift" erklärt. Die Bausachverständige verwies auf bestimmte Erfordernisse hinsichtlich der Bauausführung, unter anderem auf die Einholung einer gesonderten Baubewilligung für die geplante Ölfeuerungsanlage, erachtete jedoch das Bauvorhaben offensichtlich als genehmigungsfähig. Zur Frage der Einhaltung der zulässigen Gebäudehöhe und zulässiger Abstände findet sich in dieser Niederschrift keine Aussage, wohl aber die Feststellung, daß "die vorgesehenen Wohnungen" der Bauordnung für Niederösterreich entsprechen. In diesem Zusammenhang wurde etwa auch festgehalten, daß für die innenliegenden WCs Entlüftungen über Dach vorzusehen sind. Diese Verhandlungsschrift enthält auch die Unterschrift der Teilnehmer, ausgenommen der Schriftführerin. (Schon an dieser Stelle sei festgehalten, daß sowohl in der Ladung zur Bauverhandlung als auch in der Niederschrift die Bezeichnung Einfamilienhaus vom Bürgermeister am 6. November 1980 auf Siedlungshaus und die Bezeichnung Zweifamilienhaus auf Siedlungshaus mit zwei Wohneinheiten korrigiert worden ist. Gleiches gilt für die Bezeichnung Einfamilienhaus im Baubewilligungsbescheid.)

Mit Bescheid vom 5. Juli 1977 erteilte der Vizebürgermeister dem Dritt- und der Viertmitbeteiligten die angestrebte Baubewilligung. Im Spruch des Bescheides wurde das Protokoll über die Bauverhandlung zu einem wesentlichen Bestandteil des Bescheides erklärt und darauf hingewiesen, daß die Ausführung des Vorhabens nach Maßgabe der Sachverhaltsdarstellung - und der Baubeschreibung - sowie der mit einer Bezugsklausel versehenen Planunterlagen zu erfolgen habe. Eine solche entsprechende Bezugsklausel unterfertigte der Vizebürgermeister auf dem Einreichplan am 5. Juli 1977, sodaß dieser Plan zum Bestandteil des Bescheides wurde. Nach der Darstellung des Projekts im Einreichplan war Gegenstand des Bauansuchens ein Siedlungshaus, welches sowohl im Erdgeschoß als auch im Obergeschoß eine Wohnung enthält, voll unterkellert ist und dessen Dach nicht ausgebaut werden sollte (Ausziehtreppe). Gegenüber der westlich angrenzenden Liegenschaft des Erst- und der Zweitmitbeteiligten ist im Lageplan ein Mindestabstand von 3,25 m kotiert. Die Gebäudehöhe ist der Schnittdarstellung zu entnehmen. Die Wohnung im Erdgeschoß ist mit 118,80 m2, die im Obergeschoß mit 106,50 m2 ausgewiesen. Zur Zustellverfügung des Bescheides ist zu bemerken, daß trotz eines entsprechenden Vordruckes eine Zustellung an Anrainer nicht verfügt wurde.

Mit einem an das Gemeindeamt gerichteten Schreiben vom 4. Juli 1978 erklärte ein Baumeister, mit der Bauführung zu beginnen. Am 20. Juni 1980 teilte sodann ein anderer Baumeister der Gemeinde mit, die Bauführung zur Fertigstellung des Siedlungshauses zu übernehmen.

Bei einer Beschau am 23. Oktober 1980 wurde festgestellt, daß zur Zeit Wände aufgestellt würden (Außenwände bis Dachgleiche), sodaß eine Bestätigung nach § 12 des Wohnungseigentumsgesetzes erst nach erfolgter Rohbaubeschau auszustellen sei.

Mit einem an den Dritt- und die Viertmitbeteiligte gerichteten Schreiben vom 6. November 1980 informierte der Bürgermeister die Bauwerber darüber, daß er die schon genannten Berichtigungen betreffend die Bezeichnung des Vorhabens vorgenommen habe. Der Dritt- und die Viertmitbeteiligte wurden ersucht, die Abschrift der Niederschrift sowie den dazugehörigen Bescheid ehestens bei der Gemeindebehörde korrigieren zu lassen.

In einem Aktenvermerk vom 17. Dezember 1980 verfügte ein Amtsorgan das Schreiben eines Briefes an den Drittmitbeteiligten "Da die Gebäudehöhe wesentlich überschritten ist". (Aus welchen Gründen eine wesentliche Überschreitung der Gebäude angenommen und wie dies festgestellt wurde, kann dem Aktenvermerk nicht entnommen werden.) Mit einem formlosen Schreiben vom 18. Dezember 1980 forderte der Bürgermeister den Dritt- und die Viertmitbeteiligte auf, die Bauarbeiten sofort einzustellen, da die erlaubte Gebäudehöhe wesentlich überschritten werde. (Ein Zustellnachweis kann den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden.) In einem Schreiben vom 13. Jänner 1981 gab der mit der Bauausführung betraute Baumeister bekannt, daß die Messung der Gebäudehöhe eine Traufenhöhe von 7,14 m ergeben habe, wobei die geringfügige Differenz (von 14 cm) zum Einreichplan aus dem Wunsch resultiere, eine Bodenheizung einzubauen, wodurch tragfähigere und daher jeweils 7 cm stärkere Decken als geplant zu verwenden gewesen seien. (Anzumerken ist, daß hier wohl irrtümlich auf Grund einer bestimmten Kotierung im Bauplan von einer bewilligten Traufenhöhe von 7,00 m ausgegangen worden ist.) Diesbezüglich habe der Drittmitbeteiligte mit Dipl.-Ing. B ein Gespräch geführt und auf Grund dieses Gespräches sei kein spezielles Ansuchen um Bewilligung gestellt worden.

Bei einer Beschau am 16. April 1981 anläßlich der Vorlage eines vorläufigen Bestandsplanes (Ergänzungsplanes) wurde festgestellt, daß die Geschoßdecke über dem ersten Stock nicht zur Gänze durchgezogen worden sei, sondern über dem Wohnraum eine Galerie gebildet werde. Ausdrücklich wurde festgehalten, daß der verbleibende Dachbodenraum nicht ausgebaut werden dürfe. Weiters wurde protokolliert, daß die zum Hauseingang führende Stiege nicht der Bauordnung für Niederösterreich entspreche, weil sie mehr als die halbe Vorgartentiefe beanspruche. Sie sei daher zu entfernen und durch einen seitlichen Ausgang zu ersetzen. Bis zur Erteilung der Benützungsbewilligung seien richtige, vorschriftsmäßige Bestandspläne vorzulegen.

In einer "Baufortschrittsbestätigung" vom 7. Mai 1981 wurde das Vorliegen eines Rohbaues mit Dachstuhl inklusive Eindeckung festgestellt.

In einem Schreiben vom 16. November 1982 ersuchte der Fünftmitbeteiligte um die Erteilung der Benützungsbewilligung für die Wohnung top Nr. 2 (Obergeschoß). Daraufhin beraumte der Bürgermeister für 25. November 1982 eine Verhandlung an, wobei den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden kann, ob diese Verhandlung durchgeführt und welches Verhandlungsergebnis festgestellt wurde.

Im Akt erliegt sodann ein an den Dritt- und die Viertmitbeteiligte gerichteter Bescheid vom 8. Juli 1985, in welchem der Bürgermeister feststellte, daß die Baubewilligung vom 5. Juli 1977 erloschen sei, da das Vorhaben gemäß § 103 Abs. 1 der NÖ. Bauordnung nicht rechtzeitig vollendet worden sei. (Den Verwaltungsakten kann nicht entommen werden, auf Grund welcher konkreten Sachverhaltsermittlungen diese Feststellung getroffen worden ist.) Dieser Bescheid wurde offensichtlich vom Drittmitbeteiligten am 8. Juli 1985 übernommen. Eine Zustellung an die Viertmitbeteiligte unterblieb offensichtlich. Ob dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist, kann nach der Aktenlage nicht festgestellt werden. Bei den Verwaltungsakten erliegt ein beim Gemeindeamt am 29. Juli 1985 eingelangter Antrag auf Verlängerung der Baubewilligung, der offensichtlich in der Folge nicht behandelt wurde.

Mit Eingabe vom 9. Juni 1987 ersuchten der Dritt- und der Fünftmitbeteiligte um die Vornahme einer Endbeschau. Am 24. Juni 1987 wurde eine solche Endbeschau vorgenommen, wobei in der Niederschrift als Ergebnis des Lokalaugenscheines festgehalten wurde, daß das Erd- und Obergeschoß des Gebäudes genau nach dem vorliegenden Einreichplan errichtet worden seien. Im Keller seien Änderungen vorgenommen worden und es sei daher für den Keller ein richtiggestellter Bestandsplan nachzureichen. Soweit ersichtlich, sei das ganze Gebäude ordnungsgemäß errichtet worden. Der Dachboden sei entsprechend dem vorliegenden, nachgereichten Ergänzungsplan ausgeführt worden. Nach weiteren Feststellungen wurde die Erteilung der Bewohnungs- und Benützungsbewilligung als zulässig erachtet. Hinsichtlich der am gleichen Tage durchgeführten Bauverhandlung über die Errichtung einer vollautomatischen Ölfeuerungsanlage erging sodann der Bescheid des Bürgermeisters vom 26. Juni 1987, mit dem für die Errichtung einer vollautomatischen Ölfeuerungsanlage die nachträgliche Baubewilligung erteilt wurde.

Mit Bescheid vom 9. Juli 1987 erteilte der Bürgermeister die Benützungsbewilligung für das errichtete Zweifamilienhaus samt vollautomatischer Ölfeuerungsanlage. Nach dem verwendeten Vordruck wurden "die geringfügigen, in der Niederschrift angeführten Abweichungen" nachträglich genehmigt. Das Protokoll über die Endbeschau wurde zu einem wesentlichen Bestandteil des Bescheides erklärt. Diesem Verfahren waren der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte nicht beigezogen worden.

In einer Eingabe vom 21. November 1989 ersuchte der Erstmitbeteiligte um eine sofortige Überprüfung des Wohnhauses der Dritt- bis Sechstmitbeteiligten, weil seiner Meinung nach der Bauplan und das Objekt gänzlich verschieden seien. Der Dachboden sei nach dem Plan ohne Fenster und nicht benützbar eingezeichnet, tatsächlich seien Fenster vorhanden und der Dachboden werde als Kinderzimmer oder Büro benützt. Fenster, Bauhöhe und Dachbodenausbau müßten den Baugesetzen entsprechend geändert werden. Durch die Veränderung des Bauvorhabens erwirke er wieder einen "Rechtseinspruch" als Nachbar. Bei einem eventuellen Verkauf seines Grundstückes wäre eine Wertminderung gegeben. Als "Gemeinderat" und "Mitglied im Bauausschuß" verlange er eine nicht angemeldete Baubegehung.

Bei einer Beschau am 30. November 1989 wurde festgestellt, daß die Fenster im Dachgeschoß gemäß dem vorliegenden Bestandsplan vom 28. April 1981 zur Kenntnis genommen worden seien. Auf diesem Plan sei allerdings das Dachgeschoß als nicht ausgebaut "verzeichnet" worden. Tatsächlich sei die in dem Plan "verzeichnete Zwischenwand" nicht zur Ausführung gekommen, es sei ein Duschraum mit WC in diesem Bereich installiert worden und der restliche Teil des Dachgeschoßes bestehe aus einem Dachboden mit dem im Plan verzeichneten Doppelfenster, der Rest sei Luftraum über dem Wohnzimmer bzw. Stiegenaufgang und Galerie. In dem großen Raum (Kinderzimmer) sei noch in der Dachschräge ein Dachflächenfenster ausgeführt worden.

In der Folge stellte der Bürgermeister mit Bescheid vom 22. Dezember 1989 fest, daß die Bewilligung vom 28. April 1989, AZ. 030/81-22/B, erloschen sei, da die Errichtung eines Dachgeschoßes nicht zulässig sei. Auf Grund der dagegen erhobenen Berufungen änderte der Gemeinderat den Spruch dieses Bescheides ab, die Berufungserledigung wurde sodann mit Bescheid der NÖ. Landesregierung vom 8. März 1991 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen. Eine dagegen vom Erstmitbeteiligten erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Oktober 1991, Zl. 91/05/0084, ab. Der Verwaltungsgerichtshof teilte die Rechtsanschauung der Gemeindeaufsichtsbehörde, daß ein Feststellungsbescheid, wonach ein Dachgeschoßausbau nicht zulässig sei, in der Rechtslage keine Deckung finde. Auf Grund der Feststellungen im Bescheid der Gemeindeaufsichtsbehörde, wonach der Baubewilligungsbescheid vom 5. Juli 1977 dem Erstmitbeteiligten nicht zugestellt worden ist, verfügte der Bürgermeister in der Folge die Zustellung dieses Bescheides an den Erst- und die Zweitmitbeteiligte.

In ihrer Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid vom 5. Juli 1977 führten der Erst- und die Zweitmitbeteiligte zunächst aus, daß in der Bauverhandlung vom 10. Juni 1977 von der Errichtung eines Einfamilienhauses die Rede gewesen sei. Zu dieser Verhandlung seien sie geladen worden, wobei auch in der Ladung als Verhandlungszweck lediglich die Errichtung eines Einfamilienhauses angegeben gewesen sei. Auch im Baubewilligungsbescheid sei vom Neubau eines Einfamilienhauses die Rede. Nach Ausführungen über die vorgenommenen, erwähnten Korrekturen wird vorgebracht, daß dann, wenn der im Bauakt befindliche Einreichplan sich bereits im Jahre 1977 anläßlich der Bauverhandlung im Bauakt befunden habe, es unverständlich bleibe, warum bei der Bauverhandlung und im bekämpften Bescheid immer von einem Einfamilienhaus und nicht von einem Siedlungshaus mit zwei Wohneinheiten die Rede gewesen sei. Die Nachbarn mutmaßen sodann, daß zum Zeitpunkt der Abfassung der Niederschrift offensichtlich ein Plan vorhanden gewesen sein müsse, der nur eine Wohneinheit aufgewiesen habe. Der Erstmitbeteiligte könne sich auf Grund einer Akteneinsicht beim Amt der NÖ. Landesregierung im Februar 1991 daran erinnern, daß sich im Bauakt ursprünglich ein Plan zur Errichtung eines Einfamilienhauses und nicht zur Errichtung eines Siedlungshauses mit zwei Wohneinheiten befunden habe. Weiters sei laut dem Plan, den er seinerzeit im Bauakt eingesehen habe, eine Gebäudehöhe vorne von 4,75 + 1 m und hinten von 6,65 m vorgesehen; dieser Plan sei dem Baubewilligungsbescheid vom 5. Juli 1977 zugrunde gelegen. Inhaltlich behaupten die Nachbarn, daß bei dem bewilligten Bauprojekt die nach der Bauordnung zulässige Gebäudehöhe und der Bauwich nicht eingehalten worden seien. Sie seien daher in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden. Das tatsächlich errichtete Objekt weise wesentliche Abweichungen von dem mit Bescheid vom 5. Juli 1977 bewilligten Objekt auf und widerspreche zudem dem rechtswirksamen Bebauungsplan der Gemeinde bezüglich Bebauungshöhe und Bauwich. Auf die Einhaltung der Festlegungen im Bebauungsplan hätten die Anrainer einen Rechtsanspruch. Zudem beeinträchtige der konsenslose Bau das Orts- und Landschaftsbild im entsprechenden Siedlungsteil der Gemeinde. Geltend gemacht wurde auch eine Befangenheit der mit der Durchführung des Bauverfahrens befaßten Verwaltungsorgane. Die Nachbarn stellten den Antrag, infolge Erlöschens des Bewilligungsbescheides vom 5. Juli 1977 das Ansuchen der Bauwerber abzuweisen und den Bauwerbern bescheidmäßig den baupolizeilichen Auftrag zu erteilen, das konsenslos errichtete Gebäude abtragen zu lassen, in eventu infolge Erlöschens des Bewilligungsbescheides der Baubehörde erster Instanz die Neudurchführung des Bauverfahrens aufzutragen, in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und der Baubehörde erster Instanz die Anberaumung einer neuen Bauverhandlung aufzutragen, in eventu den baupolizeilichen Auftrag zu erteilen, das Bauvorhaben so herzustellen, daß der ursprünglich bewilligte Plan zum Neubau eines Einfamilienhauses, der gesetzliche Bauwich und die gesetzliche Gebäudehöhe entsprechend dem Bebauungsplan der Gemeinde eingehalten werden.

In einem Schreiben vom 7. Mai 1991 teilte der planende Architekt dem Bürgermeister mit, daß der Erstmitbeteiligte ihn in seinem Büro aufgesucht habe und die Echtheit einer seiner Unterschriften bezweifelt habe. Das Auftreten des Erstmitbeteiligten habe den Eindruck einer offiziellen Untersuchung der Gemeinde L in einer Fälschungsaffäre vermittelt.

In einem Schriftsatz vom 6. Juni 1991 nahmen der Fünft- und die Sechstmitbeteiligte zur Berufung der Nachbarn als Vertreter der seinerzeitigen Bauwerber Stellung und wiesen ihre Mutmaßungen über eine Manipulation zurück. Die vom seinerzeitigen Bürgermeister amtswegig vorgenommene Korrektur sei für das Bauvorhaben und die der Baubewilligung zugrunde liegenden Pläne und Unterlagen ohne Bedeutung gewesen. Der Aufforderung, die Korrekturen in dem den Mitbeteiligten zugestellten Bewilligungsbescheid vornehmen zu lassen, seien sie nicht nachgekommen. Entgegen den Ausführungen in der Berufung sei von der NÖ. Landesregierung die Förderung für zwei Wohneinheiten zugesichert worden. Für das Bauvorhaben sei eine rechtswirksame Baubewilligung gegeben und der Bau sei entsprechend dem eingereichten Plan ausgeführt worden. Die später erfolgte Änderung der inneren Raumeinteilung und Nutzung beeinträchtige nicht Rechte der Nachbarn. Mängel im Verfahren würden sich auf die Nichtzustellung des Baubewilligungsbescheides beschränken, wobei auch den Einschreitern die Bewilligungsbescheide der Anrainer nicht zugegangen seien. Die Nachbarn seien zur seinerzeitigen Bauverhandlung geladen worden und hätten von ihrem Einspruchsrecht nicht Gebrauch gemacht. Nach einem jahrelang problemlosen Anrainerverhältnis hätten Veränderungen im Dachboden zu dem nunmehrigen Verfahren geführt. Tatsächlich hätten ja die Nachbarn bereits von der Existenz des Zweifamilienhauses durch mehr als 14 Jahre Kenntnis gehabt. In einer ergänzenden Äußerung vom 20. August 1991 nahmen der Erst- und die Zweitmitbeteiligte zu diesem Schriftsatz Stellung. Insbesondere wurde behauptet, der damalige Bürgermeister hätte dem Erstmitbeteiligten am 23. April 1991 in einem Gespräch mitgeteilt, daß ursprünglich ein Plan für ein Einfamilienhaus vorgelegen sei und dieser Plan gegen den nunmehr im Akt befindlichen Plan ausgetauscht worden sei. Hätten die Bauwerber die Bestimmungen der NÖ. Bauordnung und die von der Gemeinde erlassenen Bescheide eingehalten, so wäre das gegenständliche Verfahren nicht notwendig gewesen.

Mit Bescheid vom 25. September 1991 wies der Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde die Berufung des Erstmitbeteiligten und der Zweitmitbeteiligten als unbegründet ab. In der Begründung wurde die Auffassung vertreten, daß die Anrainer zur mündlichen Bauverhandlung für 10. Juni 1977 nachweislich unter Hinweis auf die Rechtsfolgen der Präklusion geladen worden seien. Der Rückschein vom 2. Juni 1977 ergebe, daß die Ladung an diesem Tag bei der Post hinterlegt worden sei. Zur Bauverhandlung am 10. Juni 1977 seien die Anrainer nicht erschienen, sodaß die nunmehr erhobenen Einwendungen als verspätet von der Berufungsbehörde nicht mehr zu berücksichtigen seien.

In ihrer dagegen erhobenen Vorstellung bringen der Erst- und die Zweitmitbeteiligte vor, es treffe zwar zu, daß bei Einwendungen, die in einer Berufung gegen die Baubewilligung vorgebracht werden, die Verschweigung dieser Einwendungen in Betracht kommen könne. Die Gemeindeaufsichtsbehörde habe aber im Bescheid vom 8. März 1991 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei der Bewilligung von Abweichungen vom ursprünglich bewilligten Projekt die Anrainer wieder Parteistellung hätten, wenn dadurch ihre in baurechtlichen Vorschriften begründeten Rechte verletzt würden. Dies sei nach Ansicht der Aufsichtsbehörde beispielsweise dann der Fall, wenn ein Gebäude höher ausgeführt werden soll oder worden sei, als dies ursprünglich bewilligt worden wäre; dies gelte auch dann, wenn eine nachträgliche Bewilligung erteilt oder eine Abweichung vom ursprünglich bewilligten Projekt mit der Benützungsbewilligung verbunden werde. Mit dem Baubewilligungsbescheid vom 5. Juli 1977 sei den Bauwerbern lediglich die Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses erteilt worden. Hinsichtlich der vom Bürgermeister am 10. November 1980 vorgenommenen Korrektur auf Siedlungshaus mit zwei Wohneinheiten habe keine für die Genehmigung dieser Abweichung erforderliche Bauverhandlung stattgefunden. Auch die weiteren Abweichungen seien nicht Gegenstand von Bauverhandlungen gewesen, obwohl es sich hiebei um Abänderungen und Abweichungen vom ursprünglich bewilligten Projekt gehandelt habe. Nach weiteren Ausführungen beantragten die Nachbarn die Aufhebung des Berufungsbescheides.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 6. Februar 1992 gab die NÖ. Landesregierung der Vorstellung des Erstmitbeteiligten Folge, behob den Berufungsbescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat. Nach kurzer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens stellte die Gemeindeaufsichtsbehörde fest, daß es sich bei jedem Baubewilligungsverfahren um ein Projektgenehmigungsverfahren handle. Das bedeute, daß in einem solchen Verfahren stets von dem in den Einreichplänen dargestellten Projekt auszugehen sei, nicht aber von dem in der Natur allenfalls bereits vorhandenen Baubestand. Die Vorstellungswerber hätten in ihrer Berufung vom 10. April 1991 im wesentlichen behauptet, daß der Ladung zur Bauverhandlung vom 27. Mai 1977, der Bauverhandlung vom 10. Juni 1977 wie (möglicherweise auch) der Baubewilligung vom 5. Juli 1977 in Wahrheit nicht jener Einreichplan zugrunde gelegen sei, der sich im Bauakt der Gemeinde befinde. Dies hätten sie auch näher begründet und dafür in ihrer Stellungnahme vom 20. August 1991 Beweise angeboten (Zeugeneinvernahme des ehemaligen Bürgermeisters). Auf Grund dieses Vorbringens sei der Gemeinderat verpflichtet gewesen, klarzustellen, ob dem Baubewilligungsverfahren im Jahre 1977 tatsächlich jener Einreichplan zugrunde gelegen sei, der sich in den Verwaltungsakten befinde. Dies hätte beispielsweise durch die Einvernahme der am damaligen Verfahren beteiligten Organwalter der Gemeinde erfolgen können. Da der Gemeinderat sich im angefochtenen Bescheid mit diesem Berufungsvorbringen nicht auseinandergesetzt habe, sei er seiner Verpflichtung, sich mit dem Berufungsvorbringen auseinanderzusetzen und seine Berufungsentscheidung ausreichend zu begründen (§ 60 AVG), nicht nachgekommen. Schon in dieser Hinsicht sei das Recht der Vorstellungswerber auf ausreichende Begründung eines Berufungsbescheides verletzt worden, sodaß der Bescheid aufzuheben gewesen sei. Der Gemeinderat sei aber auch zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Baubewilligungsbescheid den Bauwerbern gegenüber nicht in Rechtskraft erwachsen sei, gehöre eine Baubewilligung in einem Mehrparteienverfahren doch bereits ab dem Zeitpunkt der Zustellung an eine der Parteien des Verfahrens dem Rechtsbestand an. Zur Frage der Präklusion sei darauf hinzuweisen, daß die Ladung zur Bauverhandlung am 10. Juni 1977 an die Vorstellungswerber adressiert und diesen nach den vorgelegten Aktenunterlagen nur in einer Ausfertigung zugestellt worden sei. Im Bauakt der Gemeinde finde sich der Zustellnachweis mit der Adressierung "ON und Mitbes."; diese Sendung sei am 2. Juni 1977 beim zuständigen Postamt hinterlegt worden. Der Eintritt der Präklusionsfolgen im Sinne des § 42 AVG setze nun aber u.a. voraus, daß eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt sei. Eine Zustellung an Ehegatten mittels eines Rückscheines entspreche aber nicht den damals für Zustellungen geltenden Bestimmungen des § 23 AVG. Zur Beurteilung, ob nun tatsächlich Präklusion eingetreten sei, wäre zu klären gewesen, welcher Einreichplan (über ein Siedlungshaus mit zwei Wohneinheiten oder über ein Einfamilienhaus) zwischen dem 1. Juni 1977 und dem 10. Juni 1977 (zwischen Kundmachung und Termin der Bauverhandlung) beim Gemeindeamt der Gemeinde zur Einsichtnahme aufgelegen sei. Durch die Hinterlegung einer Ladung zur Bauverhandlung an zwei Miteigentümer eines Grundstückes in nur einer Ausfertigung könne bei keinem der beiden Nachbarn von einer ordnungsgemäßen Ladung zur Bauverhandlung ausgegangen werden, da in einem solchen Fall auch nur eine Hinterlegungsanzeige durch das Zustellorgan der Post am Zustellort zurückgelassen worden wäre. Es wäre dem Zufall überlassen geblieben, wer von beiden von dieser Hinterlegungsanzeige Kenntnis erhalten bzw. wer "als erster" beim Postamt die hinterlegte Sendung abgeholt hätte; für den zweiten Adressaten wäre nämlich im Falle der Behebung der Sendung durch den "Erstabholenden" kein Schriftstück mehr zu beheben gewesen. Nach einem hier nicht wesentlichen Vorbringen zu dem Antrag auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages vertrat die Gemeindeaufsichtsbehörde weiters die Ansicht, daß im fortgesetzten Verfahren der Gemeinderat vorerst klarzustellen haben werde, was Gegenstand der Baubewilligung vom 5. Juli 1977 gewesen sei (Einfamilienhaus - Siedlungshaus mit zwei Wohneinheiten). Sodann werde er sich in einer neuerlichen Entscheidung mit dem Vorbringen in der Berufung vom 10. April 1991 und in der Stellungnahme vom 20. August 1991 auseinanderzusetzen haben. Die Abweichungen von der Baubewilligung vom 5. Juli 1977 (deren Inhalt noch klarzustellen sei) seien Gegenstand eines anderen noch bei der Gemeinde anhängigen Verfahrens.

Mit Bescheid vom 14. Mai 1992 berichtigte die NÖ. Landesregierung den Bescheid vom 6. Februar 1992 dahingehend, daß im Einleitungssatz des Bescheides nunmehr zum Ausdruck kommt, daß auch über die Vorstellung der Zweitmitbeteiligten entschieden worden ist.

Gegen den Bescheid vom 6. Februar 1992 erhob die Gemeinde - als Beschwerdeführer wird irrtümlich der Gemeinderat der Gemeinde L angeführt - Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welche zur Zl. 92/05/0053 protokolliert wurde. Gegen diesen Bescheid in der Fassung des Richtigstellungsbescheides vom 14. Mai 1992 und gegen den Richtigstellungsbescheid erhob die Gemeinde weitere Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, die zu den Zlen. 92/05/0137, 0138 protokolliert wurden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zunächst beschlossen, die Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden. Inhaltlich hat der Gerichtshof über diese Beschwerden, die Gegenschriften der belangten Behörde und der mitbeteiligten Parteien wie folgt erwogen:

Die belangte Behörde hat zunächst beantragt, die zur hg. Zl. 92/05/0053 erhobene Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen, weil im Vorstellungsverfahren gemäß § 61 der NÖ. Gemeindeordnung 1973 nur die Gemeinde Parteistellung besitze, nicht aber der die Beschwerde erhebende Gemeinderat. Der Gemeinderat sei nicht Partei des Vorstellungsverfahrens gewesen und daher zur Erhebung der Beschwerde nicht legitimiert. Ausdrücklich wurde beantragt, die Beschwerde des Gemeinderates mangels Berechtigung des Gemeinderates zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag der Auffassung der belangten Behörde schon deshalb nicht zu folgen, weil es sich bei der Einbringung der Beschwerde um eine Organhandlung des Gemeinderates handelt, die dem Rechtsträger Gemeinde zuzurechnen ist. Die Beschwerde war daher zulässig.

Der Beschwerde kommt auch inhaltlich Berechtigung zu.

In ihrer Vorstellung an die belangte Behörde behaupteten der Erst- und die Zweitmitbeteiligte als Nachbarn in einem Baubewilligungsverfahren durch den bekämpften Berufungsbescheid in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden zu sein. Die Gemeindeaufsichtsbehörde ist nun nur dann befugt, einen bei ihr angefochtenen Bescheid der Gemeinde aufzuheben, wenn die Vorstellungswerber in einem Recht verletzt worden sind. Nach § 118 Abs. 8 der NÖ. Bauordnung 1976 (BO) genießen als Anrainer alle Grundstückseigentümer Parteistellung gemäß § 8 AVG, wenn sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. In den Verfahren nach § 10, § 108 und § 110 kommt Anrainern jedoch keine Parteistellung zu. Die Zustellung einer Bescheidausfertigung hat an alle Parteien zu erfolgen, selbst wenn sie trotz Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen sind.

Nach § 118 Abs. 9 BO werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über

  1. 1. den Brandschutz;
  2. 2. den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf Anrainergrundstücke ausdehnen können;

    3. die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflusses auf die Umgebung;

    4. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

    Im baubehördlichen Bewilligungsverfahren ist weiters zu beachten, daß Nachbarn dann, wenn sie ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 42 AVG zur Bauverhandlung geladen worden sind, Einwendungen spätestens bei der mündlichen Verhandlung vorbringen müssen, ansonsten sie keine Berücksichtigung finden und angenommen wird, daß die Nachbarn dem Bauvorhaben, das den Gegenstand der Verhandlung bildet, zustimmen (§ 42 Abs. 1 und 2 AVG).

    Im Hinblick auf die beschränkte Parteistellung von Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde und auch der Vorstellungsbehörde auf jenen Themenkreis eingeschränkt, in dem der Nachbar mitzuwirken berechtigt ist (vgl. etwa das Erkenntnis des verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Slg. N. F. Nr. 10.317/A, und die ständige Rechtsprechung seither).

    Unter den aufgezeigten Gesichtspunkten hatte der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Gemeinde als Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten verletzt worden ist.

    Zunächst hat nun die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt, daß ein Baubewilligungsverfahren ein Projektgenehmigungsverfahren darstellt, sodaß Gegenstand des Verfahrens das in den Einreichplänen (und sonstigen Unterlagen) dargestellte Projekt ist, nicht aber ein von diesem Projekt abweichender tatsächlicher Baubestand (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1978, Slg. N. F. Nr. 9513/A, u.a.).

    Auf Grund des Vorbringens des Erst- und der Zweitmitbeteiligten hat die belangte Behörde es als erforderlich erachtet, klarzustellen, was Gegenstand des Baubewilligungsbescheides vom 5. Juli 1977 war. Zu einer solchen Vorgangsweise bestand jedoch nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes keine Veranlassung. Wie der Sachverhaltsdarstellung zu entnehmen ist, ist sowohl im Antrag um Erteilung der Baubewilligung, in der Baubeschreibung und auch im Einreichplan stets nur von einem Siedlungshaus die Rede, sodaß es unverständlich scheint, aus welchen Gründen in der Ladung zur Bauverhandlung, in der Verhandlungsschrift und auch im Baubewilligungsbescheid von einem Einfamilienhaus die Rede war. Daß der der Baubewilligung zugrunde gelegte Einreichplan auch Gegenstand der Bauverhandlung war, ergibt sich für den Verwaltungsgerichtshof klar aus der Verhandlungsschrift. So war in der Verhandlungsschrift ausdrücklich von einem Zweifamilienhaus die Rede, wobei das Größenausmaß mit 10,0 m x 14,75 m umschrieben worden war, also genau mit jenen Maßen, die der Grundrißdarstellung des Erdgeschoßes und des Obergeschoßes im Bauplan zu entnehmen sind. Ausdrücklich wurde in dieser Verhandlungsschrift auch festgehalten, daß die vorgesehenen Wohnungen der Bauordnung für Niederösterreich entsprechen, sodaß die Bedenken der Nachbarn, der genannte Einreichplan sei der Bauverhandlung nicht zugrunde gelegen, sondern ein Plan für ein Einfamilienhaus, in der Sachverhaltsdarstellung keine Berechtigung finden. Tatsächlich hat der die Bauverhandlung leitende Vizebürgermeister den Baubewilligungsbescheid und den Einreichplan unterfertigt, sodaß auch aus diesem Grund kein Anhaltspunkt für eine Manipulation mit dem ursprünglichen Einreichplan gegeben ist, wie sie die Nachbarn als möglich hinstellen. Die irrtümliche Bezeichnung des eingereichten Projektes als Einfamilienhaus durch die Behörde rechtfertigt daher nicht den Verdacht, daß die Bauwerber, der Planverfasser und Organwalter der Gemeinde zu Lasten der Nachbarn Rechtswidrigkeiten begangen hätten. Ein ergänzendes Ermittlungsverfahren, wie es die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides als erforderlich erachtete, ob dem Baubewilligungsverfahren im Jahre 1977 der Einreichplan vom Mai 1977 (über ein Gebäude mit zwei Wohneinheiten) oder ein anderer Plan (über ein Einfamilienhaus) zugrunde gelegen sei, war daher entbehrlich. In dieser Beziehung sind daher die Nachbarn durch den Berufungsbescheid entgegen der Meinung der belangten Behörde in keinem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt worden.

    Zutreffend hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt, daß die vom Gemeinderat im Berufungsbescheid vertretene Auffassung, die Baubeginnsfrist habe schon deshalb nicht zu laufen begonnen, weil der Baubewilligungsbescheid den Anrainern nicht zugestellt worden ist, jedenfalls im Beschwerdefall nicht geteilt werden kann, doch kann daraus nach den dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Akten nicht zu Recht der Schluß gezogen werden, der Baubewilligungsbescheid vom 5. Juli 1977 sei gar nicht mehr Gegenstand der Rechtsordnung. In dem dem Bürgermeister zuzurechnenden Bescheid der Gemeinde vom 8. Juli 1985 wurde zwar, wie in der Sachverhaltsdarstellung erwähnt, die Auffassung vertreten, daß die Baubewilligung erloschen sei, da das Bauvorhaben gemäß § 103 Abs. 1 BO nicht rechtzeitig vollendet worden sei, allein dieser Bescheid ist den Viert- bis Sechstmitbeteiligten gegenüber überhaupt nicht ergangen, sodaß ihm schon aus diesem Grunde im Beschwerdefall keine Bedeutung zukommt. Die Gemeindebehörden selbst und auch die belangte Behörde sind im übrigen von einem Erlöschen des Baubewilligungsbescheides nicht ausgegangen.

    Zur Frage, ob das Vorbringen der Nachbarn als präkludiert zu beurteilen ist, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, daß nach dem im Akt befindlichen Zustellnachweis nicht eindeutig angenommen werden kann, daß Präklusionsfolgen überhaupt eingetreten sind. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang aber übersehen, daß nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung Gegenstand des Bauvorhabens ein Einfamilienhaus war, sodaß im Hinblick auf diese Bezeichnung in der Ladung einem Projekt gegenüber, welches als Zweifamilienhaus zu beurteilen ist, Präklusionsfolgen gar nicht eingetreten sein können. Wenn ein Bauvorhaben, welches in der Folge bewilligt wird, in der Ladung zur mündlichen Verhandlung gar nicht genannt wurde, dann kann eine Zustimmung zu diesem Bauvorhaben schon nach § 42 Abs. 1 und 2 AVG nicht angenommen werden (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1986, Zl. 86/05/0002, BauSlg. Nr. 690). Schon im Hinblick auf die Adressierung des Zustellnachweises hätte aber keinesfalls der Zweitmitbeteiligten gegenüber eine Präklusion angenommen werden dürfen. Der belangten Behörde ist daher durchaus zuzustimmen, daß der Gemeinderat als Berufungsbehörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, es könnte von einer Präklusion die Rede sein. Diese rechtsirrige Ansicht des Gemeinderates berechtigte aber noch nicht die belangte Behörde, mit einer Aufhebung des bei ihr angefochtenen Bescheides vorzugehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß die einer Partei eingeräumten prozessualen Rechte nicht weiter reichen als die ihr durch das Gesetz gewährleistete Sphäre materieller Rechte (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 1988, Zl. 88/05/0003, BauSlg. Nr. 1101, u.a.). Als materielle Rechtsverletzung haben aber die Nachbarn in ihrer Berufung und auch im ergänzenden Ermittlungsverfahren auf Gemeindeebene nur eine Verletzung der maximal zulässigen Gebäudehöhe und der ihnen gegenüber einzuhaltenden Abstandsvorschrift geltend gemacht. In diesem Zusammenhang stellten sie die Behauptung auf, das Bauvorhaben widerspreche dem rechtswirksamen Bebauungsplan der Gemeinde bezüglich der Bebauungshöhe und des Bauwiches. Da die Vorstellungsbehörde von der Sachlage im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides durch den Gemeinderat auszugehen hatte und nach § 121 Abs. 1 Satz 2 BO von der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheides, mag sich auch diese in der Zwischenzeit geändert haben (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. September 1986, Zl. 85/05/0036, BauSlg. Nr. 767), hätte sie nur dann den bei ihr bekämpften Gemeindebescheid aufheben dürfen, wenn die Nachbarn in den geltend gemachten subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden wären. Daß nämlich die Nachbarn in Fragen des Orts- und Landschaftsbildes im Baubewilligungsverfahren kein Mitspracherecht besitzen, ist nach den hier maßgeblichen Bestimmungen der NÖ. Bauordnung 1976 und der hiezu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes klargestellt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Juni 1986, Zl. 86/05/0023, BauSlg. Nr. 708, u.a.).

    Die Frage, ob die Nachbarn durch das mit der Baubewilligung vom 5. Juli 1977 bewilligte Bauvorhaben in ihrem Recht auf Einhaltung der zulässigen Gebäudehöhe und des ihnen gegenüber maßgeblichen Bauwiches verletzt worden seien, hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage im aufsichtsbehördlichen Verfahren überhaupt nicht geprüft. Eine solche Prüfung hätte ergeben, daß eine Rechtsverletzung der Nachbarn nicht vorliegt. Wie dem bewilligten Lageplan zu entnehmen ist, hält das Bauvorhaben einen Bauwich von 3,25 m zur Grundgrenze der Nachbarn ein. An der ihnen zugekehrten Seite ist nach der Schnittdarstellung im Bauplan eine Gebäudehöhe, berechnet von der Oberkante Gehsteig von 5,50 m kotiert (4,25 +/- 1,25). Es ist nun nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, im vorliegenden Fall über die Frage der Einhaltung der maximal zulässigen Gebäudehöhe und des einzuhaltenden Bauwiches nähere Feststellungen zu treffen, doch scheint sich hinreichend klar zu ergeben, daß den Bestimmungen des § 21 Abs. 4 BO hinsichtlich des einzuhaltenden Bauwiches in gleicher Weise Rechnung getragen worden ist, wie den Bestimmungen über die maximal zulässige Gebäudehöhe nach § 22 Abs. 1 und 6 im Zusammenhalt mit § 5 Abs. 3 BO und dem hier maßgeblichen Bebauungsplan der Gemeinde. Nach dem Bebauungsplan der Gemeinde ist nämlich für diesen Bereich die Bauklasse "I, II" vorgesehen, nicht aber wurden Fluchtlinien gegenüber den seitlichen Nachbargrenzen festgesetzt.

    Auf Grund der dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, wobei anzumerken ist, daß der Bescheid vom 14. Mai 1992 jedenfalls das rechtliche Schicksal des Bescheides vom 6. Februar 1992 teilen mußte, gleichgültig, ob in ihm die Erlassung eines neuen Bescheides oder ein Berichtigungsbescheid im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG zu erblicken ist.

    Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG sowie auf die Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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