VwGH 91/01/0216

VwGH91/01/021620.5.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des Z in R, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in O, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Juni 1991, Zl. 4.315.863/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AVG §13a;
AVG §37;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwRallg;
AsylG 1968 §1;
AVG §13a;
AVG §37;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer (ein rumänischer Staatsangehöriger) reiste am 30. Mai 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am folgenden Tag einen Asylantrag. Bei der niederschriftlichen Befragung gab er unter anderem an, wegen seiner ungarischen Abstammung sei er sowohl vor als auch nach der Revolution in seinem Heimatland diskriminiert, benachteiligt, beschimpft und geschlagen worden ("von der Bevölkerung"). Weil er ungarisch gesprochen habe, sei er von Rumänen auf der Straße niedergeschlagen worden. Anfang Mai 1991 sei er wegen seiner ungarischen Abstammung aus dem Gymnasium "exmatrikuliert" worden. Das jetzige Regime "stifte die Rumänen gegen die ungarische Minderheit an". Eine Parlamentspartei drohe den Ungarn mit der Vernichtung.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 3. Juni 1991 ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Begründend vertrat die belangte Behörde nach Darlegung der Rechtslage die Auffassung, der Beschwerdeführer habe keine Umstände glaubhaft gemacht, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Er sei - obwohl er behauptet habe, in seiner Heimat Verfolgungen ausgesetzt gewesen zu sein - wieder nach Rumänien zurückgekehrt. Seine "Verfolgungsbehauptungen" erschienen daher nicht glaubhaft. Die Nachteile, die er seinen Angaben zufolge wegen seiner Zugehörigkeit zur ungarischen Minderheit zu tragen gehabt habe, stellten keinen derart gravierenden Eingriff in seine Grundrechte dar, "um dem in der Flüchtlingskonvention angesprochenen Sachverhalt zugrunde gelegt werden zu können". Die Abhaltung freier Wahlen in Rumänien am 20. Mai 1990 sei wesentliches Indiz für den Demokratisierungsprozeß; somit seien die für die Ära Ceausescu typischen Verfolgungshandlungen weggefallen. Wenn der Beschwerdeführer "derartige Rechtseingriffe" behaupte, seien diese Angaben gemessen an den Verhältnissen in seinem Heimatland unglaubwürdig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muß die Begründung eines Bescheides erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangt ist, daß gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet hat. Des weiteren muß aus der Begründung des Bescheides hervorgehen, ob die Behörde die Grundlage ihrer Entscheidung in einem einwandfreien Verfahren gewonnen hat und ob die von der Behörde gezogenen Schlüsse den Gesetzen folgerichtigen Denkens entsprechen (vgl. z. B. das Erkenntnis vom 18. September 1991, Zlen. 91/01/0099, 0100).

Die Begründung des angefochtenen Bescheides entspricht diesen Anforderungen nicht. Zwar kann dem Bescheid noch entnommen werden, daß die belangte Behörde die Behauptungen des Beschwerdeführers über die ihm widerfahrene Verfolgung als nicht glaubwürdig ansah; die von der belangten Behörde zur Begründung dieser Auffassung herangezogenen Argumente stellen jedoch keine schlüssige Begründung der Beweiswürdigung dar.

Die belangte Behörde erachtet die "Verfolgungsbehauptungen" des Beschwerdeführers zunächst deshalb nicht als glaubwürdig, weil er "wieder nach Rumänien zurückgekehrt" sei. Damit nimmt die belangte Behörde offenbar auf die Angaben des Beschwerdeführers im Zuge seiner niederschriftlichen Befragung Bezug, er habe sich im Jahre 1990 im Zuge eines Ausfluges einen Tag lang in Ungarn aufgehalten. Die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Rumänien von einem Auslandsaufenthalt spräche jedoch nur dann gegen die Annahme wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung, wenn der Beschwerdeführer nach dem Zeitpunkt der behaupteten Verfolgungshandlungen wieder nach Rumänien zurückgekehrt wäre. Die belangte Behörde hat jedoch weder den genauen Zeitpunkt des Auslandsaufenthaltes des Beschwerdeführers festgestellt noch kann dessen Angaben über die behaupteten Verfolgungshandlungen entnommen werden, daß diese vor dem Auslandsaufenthalt erfolgt wären. Nach den in der Niederschrift festgehaltenen Angaben des Beschwerdeführers kann vielmehr nicht ausgeschlossen werden, daß dieser erst nach dem Zeitpunkt seines Auslandsaufenthaltes gelegene Verfolgungshandlungen zum Anlaß für seine Ausreise nahm.

Auch die Argumentation der belangten Behörde, die Angaben des Beschwerdeführers seien "gemessen an den Verhältnissen in seinem Heimatstaat" unglaubwürdig, weil die Abhaltung freier Wahlen am 20. Mai 1990 wesentliches Indiz für den Demokratisierungsprozeß sei und "somit" die für die Ära Ceausescu typischen Verfolgungshandlungen weggefallen seien, erscheint nicht schlüssig, weil weder aus der Abhaltung (mehr oder weniger) freier Wahlen ein zwingender Schluß auf den allgemeinen Wegfall von zuvor als "typisch" anzusehenden Verfolgungshandlungen bestimmten Personen oder Personengruppen gegenüber gezogen werden kann noch ersichtlich ist, auf welchen Ermittlungen die in diesem Zusammenhang offenbar vertretene Auffassung der belangten Behörde beruht, die Verhältnisse in Rumänien seien derart, daß Angaben von Asylwerbern über Verfolgungshandlungen von vornherein als unglaubwürdig angesehen werden könnten.

Die aufgezeigte Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung stellt einen im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle aufzugreifenden Verfahrensmangel dar. Dieser ist auch relevant, weil im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalt nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der Auffassung der belangten Behörde, die Nachteile, die der Beschwerdeführer seinen Behauptungen zufolge wegen seiner Zugehörigkeit zur ungarischen Minderheit zu tragen gehabt hätte, stellten keinen Fluchtgrund im Sinne der Flüchtlingskonvention dar, ist entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer unter anderem behauptet hat, wegen seiner Zugehörigkeit zur ungarischen Volksgruppe "angegriffen" bzw. auf der Straße niedergeschlagen worden zu sein. Körperliche Mißhandlungen können, wenn sie mit einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genannten Gründe im Zusammenhang stehen, eine Verfolgung im Sinne der zitierten Konventionsbestimmung darstellen und somit zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes im Sinne der Konvention geeignet sein; dies allerdings unter der Voraussetzung, daß die Verfolgung von staatlichen Stellen ausgeht oder der jeweilige Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Verfolgung des Asylwerbers hintanzuhalten (vgl. z. B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. November 1990, Zl. 90/01/0154). Der Beschwerdeführer hat zwar nicht ausdrücklich behauptet, sich um Hilfe gegen die von ihm behaupteten Verfolgungshandlungen an die staatlichen Behörden gewendet zu haben; in seiner Behauptung, das jetzige Regime "stifte die Rumänen gegen die Ungarn an", liegt jedoch ein hinreichend deutlicher Hinweis in der Richtung, daß die staatlichen Behörden Verfolgungshandlungen wie die von ihm behaupteten tolerierten.

Zwar obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0146); die Asylbehörden sind nicht verhalten, den Asylwerbern Unterweisungen darüber zu erteilen, wie sie ihr Vorbringen auszuführen und welche Fluchtgründe sie anzugeben haben, damit ihrem Verlangen auf Anerkennung als Konventionsflüchtling entsprochen werden kann (vgl. z. B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. September 1991, Zl. 91/01/0038). Enthält jedoch - wie im Beschwerdefall - das Vorbringen eines Asylwerbers einen hinreichend deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention in Betracht kommt, so entspricht die Asylbehörde der ihr gemäß § 37 AVG obliegenden Verpflichtung, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben, nur dann, wenn sie allenfalls vorhandene Zweifel über den Inhalt und die Bedeutung des Vorbringens des Asylwerbers durch entsprechende Erhebungen, insbesondere ergänzende Befragung beseitigt. Der oben aufgezeigte Verfahrensmangel ist somit auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei seiner Vermeidung zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Aufwand für die Postgebühren, dessen Ersatz vom Beschwerdeführer gesondert begehrt wird, schon durch den Ersatz des Schriftsatzaufwandes abgegolten wird (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 683 Abs. 8 referierte Rechtsprechung).

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