VfGH B537/98

VfGHB537/9821.6.2000

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Entziehung des Vertretungsrechtes des beschwerdeführenden Rechtsanwaltes in Strafsachen mit einstweiliger Maßnahme infolge Anklageerhebung wegen Sittlichkeitsdelikten; keine Bedenken gegen diese Regelung; kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot, das Legalitätsprinzip, die Unschuldsvermutung; keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren sowie auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs2
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 litb
DSt 1990 §19 Abs4
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs2
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 litb
DSt 1990 §19 Abs4

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Beschluß des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Disziplinarrat) vom 4. September 1996 wurde dem Beschwerdeführer mit einstweiliger Maßnahme gemäß §19 Abs3 Z1 litb Disziplinarstatut 1990, BGBl. 1990/474 (im folgenden:

DSt 1990; auch die in weiterer Folge vorgenommenen Bezugnahmen auf das DSt 1990 beziehen sich auf die hier maßgebliche Stammfassung), das Vertretungsrecht in Strafsachen vor dem Landesgericht Leoben entzogen. Diesem Verfahren lag eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Leoben vom 29. August 1996 zugrunde, daß gegen den Beschwerdeführer gerichtliche Vorerhebungen bzw. Voruntersuchungen wegen des Verdachtes der Begehung strafbarer Handlungen nach den §§202 und 207 StGB anhängig waren.

1.2. Am 28. November 1996 erhob die Staatsanwaltschaft Leoben gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §201 Abs2 StGB, des Vergehens der teils versuchten, teils vollendeten geschlechtlichen Nötigung nach den §§202 Abs1 iVm. 15 StGB, des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach §207 Abs1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach §105 Abs1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach §83 Abs1 StGB, des Vergehens der Sachbeschädigung nach §125 StGB und des Vergehens des versuchten Hausfriedensbruches nach den §§109 Abs1 iVm. 15 StGB. Mit Beschluß vom 3. Dezember 1996 verhängte der Disziplinarrat über den Beschwerdeführer gemäß §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990 die einstweilige Maßnahme der Entziehung des Vertretungsrechts vor allen Gerichten in Strafsachen im Bundesgebiet der Republik Österreich.

1.3. Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 31. Juli 1997 wurde der Beschwerdeführer wegen teils versuchter, teils vollendeter geschlechtlicher Nötigung nach den §§202 Abs1 iVm. 15 StGB sowie wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach §207 Abs1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (davon vier Monate unbedingt) verurteilt. Dieses Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof am 22. April 1998, 13 Os 17/98, sowohl hinsichtlich des Schuldspruches als auch hinsichtlich des Ausspruches über die Strafe bestätigt. Mit Beschluß des Landesgerichtes Leoben vom 2. September 1999 wurde gemäß §31a Abs1 StGB die über den Beschwerdeführer verhängte teilbedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten auf zehn Monate gemildert, wobei ihm ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten für eine Probezeit von drei Jahren gemäß §43a Abs3 StGB bedingt nachgesehen wurde.

1.4. Dem Antrag des Beschwerdeführers vom 25. September 1997 (in Verbindung mit einem weiteren Schreiben vom 13. Oktober 1997) auf Aufhebung der mit Beschluß vom 3. Dezember 1996 verhängten einstweiligen Maßnahme wurde mit Beschluß des Disziplinarrates vom 22. Oktober 1997 keine Folge gegeben.

In der Begründung führte der Disziplinarrat aus, daß die Tathandlungen, auf die sich die (zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht rechtskräftige) strafgerichtliche Verurteilung stützt - auch ohne Berücksichtigung der Medienberichte in steirischen Tageszeitungen -, einer Vielzahl von Personen, also der Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangt sei, was eine krasse Gefährdung der Wertschätzung und des Ansehens nicht nur des Beschwerdeführers, sondern auch des gesamten Rechtsanwaltsstandes nach sich ziehe. Es sei auch unter Berücksichtigung der nunmehr erhöhten Sensibilität der Allgemeinheit bei Sittlichkeitsdelikten mit teils unmündigen und damit besonders schutzbedürftigen, teils minderjährigen Personen weiblichen Geschlechts objektiv und subjektiv keinem Klienten zumutbar, sich von einem zu vier Monaten unbedingter Haft verurteilten Rechtsanwalt vor einem Strafgericht verteidigen zu lassen. Es sei anzunehmen, daß ein Rechtsanwalt in dieser Situation nicht mehr unbefangen vor einem Strafgericht verteidigen könne. Es sei zu besorgen, daß der Disziplinarbeschuldigte - im Hinblick auf wahrzunehmende Interessen in eigener Sache - der ihm obliegenden Verpflichtung, in der Sache des Klienten alles Erforderliche unumwunden vorzubringen, nicht uneingeschränkt nachkommen werde. Nur durch die Aufrechterhaltung der einstweiligen Maßnahme vom 3. Dezember 1996 könnten bis zur rechtskräftigen Beendigung des gegen den Disziplinarbeschuldigten anhängigen Strafverfahrens und bei gleichzeitiger Berücksichtigung der sich aus dem Strafurteil ergebenden Art und des Gewichtes der disziplinären Verfehlung zu besorgende Nachteile, besonders für die rechtsuchende Bevölkerung, hintangehalten werden. Auch wäre eine Einschränkung der einstweiligen Maßnahme auf Entziehung des Vertretungsrechts des Disziplinarbeschuldigten in Strafsachen vor dem Landesgericht Leoben bzw. vor Strafgerichten im Sprengel des Landesgerichtes Leoben nicht als ausreichend anzusehen, weil der überwiegende Teil der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten strafbaren Handlungen außerhalb dieses Gerichtssprengels begangen worden sei. Auch im Hinblick auf die Publizitätswirkung des gegenständlichen Verfahrens könne die Entziehung des Vertretungsrechts des Beschwerdeführers in Strafsachen keinesfalls nur auf einen Landesgerichtssprengel beschränkt werden.

2. Der Beschwerde gegen diesen Beschluß gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) keine Folge und bestätigte die Entscheidung des Disziplinarrates.

3. Gegen diesen als Bescheid zu wertenden Beschluß der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, sowie die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, sowie eine Verletzung des Art6 Abs1 und 2 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

Zu den aufgeworfenen Normbedenken:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, §19 Abs1 Z1 iVm. Abs3 Z1 litb DSt 1990 verstoße deshalb gegen das auch den Gesetzgeber bindende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit, weil mangels näherer Bestimmungen ein Rechtsanwalt bei jedweder Einleitung gerichtlicher Vorerhebungen mit der gegenständlichen Disziplinarmaßnahme "bestraft" werden könne. Es sei jedoch nicht verhältnismäßig, wenn bei vorgeworfenen Straftatbeständen, die mit der beruflichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts nicht in Verbindung zu bringen seien, derartige einstweilige Maßnahmen verhängt werden könnten. Des weiteren verstoße §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990 gegen das Legalitätsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz.

1.2.1. Die Bestimmung des §19 DSt 1990 verstößt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes weder gegen das Legalitätsprinzip (vgl. zur Vorläuferbestimmung des §19 DSt 1990 - §17 DSt 1872 idF des BG BGBl. 1933/346 - VfSlg. 7440/1974; zu §19 DSt 1990 vgl. VfSlg. 13148/1992, VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98) noch gegen das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes (vgl. VfSlg. 13148/1992, VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98).

1.2.2. §19 Abs1 iVm. Abs3 Z1 litb DSt 1990, der als einstweilige Maßnahme die Entziehung des Vertretungsrechts vor bestimmten oder allen Gerichten oder Verwaltungsbehörden vorsieht, greift in das durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Gesetzgeber gemäß Art6 StGG ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt und unter bestimmten Voraussetzungen verboten ist, sofern die gesetzliche Regelung, die die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkt, durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist (vgl. etwa VfSlg. 11276/1987, 12098/1989, 12379/1990, 12677/1991, 14611/1996). Auch gesetzliche Regelungen, die die Berufsausübung (bloß) beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Erwerbsausübungsfreiheit zu prüfen und müssen demnach durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein. Die Ausübungsregeln müssen bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein. Es steht dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern (vgl. etwa VfSlg. 11558/1987, 11853/1988, 12379/1990, 12481/1990, 14259/1995).

Bei Rechtsanwälten handelt es sich um einen Berufsstand, an dessen Angehörige im Hinblick auf die Aufgaben, die von ihnen in Ausübung ihres Mandates wahrzunehmen sind, im öffentlichen Interesse besondere Anforderungen hinsichtlich der korrekten Einhaltung von Rechtsvorschriften zu stellen sind. Bestehen aufgrund eines gerichtlich anhängigen Strafverfahrens begründete Bedenken, daß ein Rechtsanwalt sich nicht an Rechtsvorschriften gehalten hat, steht der Disziplinarbehörde ein - hinsichtlich der Schwere der Auswirkungen auf die weitere Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit - abgestuftes Instrumentarium an einstweiligen Maßnahmen zur Verfügung, das von der Überwachung der Kanzleiführung oder der Entziehung des Vertretungsrechts vor bestimmten oder allen Gerichten oder Verwaltungsbehörden über das vorläufige Verbot der Aufnahme von Rechtsanwaltsanwärtern bis zur vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft reicht (§19 Abs3 Z1 DSt 1990). Um eine regelmäßige Überprüfung der einstweiligen Maßnahme durch den Disziplinarrat sicherzustellen, wird in §19 Abs4 DSt 1990 normiert, daß einstweilige Maßnahmen aufzuheben, zu ändern oder durch eine andere zu ersetzen sind, wenn sich ergibt, daß die Voraussetzungen für die Anordnung nicht oder nicht mehr vorliegen oder sich die Umstände wesentlich geändert haben.

Wird ein Rechtsanwalt etwa wegen des Sittlichkeitsdeliktes der Unzucht mit Unmündigen in erster Instanz verurteilt, liegt es zum Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung im öffentlichen Interesse, dem Rechtsanwalt die Vertretung vor Strafgerichten vorläufig zu untersagen. Es ist zu besorgen, daß ein mit einem solchen Urteil belasteter Rechtsanwalt nicht mehr mit dem nötigen Einsatz und der notwendigen Konzentration auf die Wahrnehmung der Interessen seiner Mandanten bedacht ist. Der Umstand der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen teils versuchter, teils vollendeter geschlechtlicher Nötigung nach den §§202 Abs1 iVm. 15 StGB sowie wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach §207 Abs1 StGB läßt zudem befürchten, daß er nicht mehr unbefangen vor einem Strafgericht verteidigen kann. Ebenso besteht ein öffentliches Interesse an einem gut funktionierenden Rechtsanwaltsstand. Rechtsanwälte sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit der rechtsfreundlichen Vertretung besonders auf das Vertrauen ihrer Mandanten angewiesen. Dieses besondere Vertrauen wäre in der Bevölkerung schwer erschüttert, wenn etwa wegen des Sittlichkeitsdeliktes der Unzucht mit Unmündigen verurteilte Rechtsanwälte weiterhin ihrer Vertretungstätigkeit vor Strafgerichten nachgehen. Diesbezüglich kommt es - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt ein Delikt gegen Leib und Leben, gegen fremdes Vermögen oder etwa gegen die Sittlichkeit verwirklicht.

In Fällen wie dem vorliegenden stellt die einstweilige Maßnahme der Entziehung des Vertretungsrechts vor (Straf-)Gerichten ein notwendiges und adäquates Mittel zur Erreichung des öffentlichen Zieles dar. Angesichts des besonderen Gewichts dieses Zieles kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er im Rahmen des ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums auch die Möglichkeit einer derartigen Maßnahme vorsieht (vgl. in diesem Zusammenhang auch VfSlg. 13148/1992, VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98).

Die Bestimmung des §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990 iVm. §19 Abs1 Z1 DSt 1990 verstößt sohin nicht gegen Art6 StGG.

1.3. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.1. Der Beschwerdeführer sieht sich zunächst im durch Art6 Abs2 EMRK garantierten Recht, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet wird, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist, verletzt, weil über ihn eine existenzbedrohende Disziplinarmaßnahme verhängt wurde, obwohl das dieser Maßnahme zugrundeliegende Urteil noch nicht rechtskräftig war. Es könne nicht sein, daß im Verfahren über die gerichtlich strafbare Tat die Unschuldsvermutung bis zur Rechtskraft des Urteils gelte, währenddessen aber eine Disziplinarmaßnahme verhängt werde, die noch größere Auswirkungen als das Strafurteil selbst habe. Sollte sich im nachhinein die strafrechtliche Unschuld des Beschwerdeführers herausstellen, so wäre sein sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Stand innerhalb der Anwaltschaft durch diese Maßnahme bereits ruiniert. Die konkret verhängte Maßnahme komme in der Schwere des Übels einer Freiheitsstrafe gleich.

2.2. Der Vorwurf des Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung setzt voraus, daß mit der vorläufigen Ausübung der Untersagung der Rechtsanwaltschaft über eine strafrechtliche Anklage im Sinn des Art6 EMRK entschieden worden ist (vgl. EGMR 25.8.1987, Lutz gegen Bundesrepublik Deutschland, EuGrZ 1987, 399 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar² (1996) 280, VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98). Bereits im Erk. VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98 hat sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage auseinandergesetzt, ob einstweilige Maßnahmen unter den Begriff der "strafrechtlichen Anklage" iSd. Art6 EMRK fallen. Der Verfassungsgerichtshof verneinte dies und begründete diese Rechtsauffassung wie folgt:

"Der Intention des Gesetzgebers entsprechend handelt es sich bei den einstweiligen Maßnahmen gemäß §19 Abs3 DSt 1990 um im öffentlichen Interesse gelegene sichernde Maßnahmen. So wird in den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu §19 DSt 1990 (RV 1188 BlgNR XVII. GP) ausgeführt:

'Die bisher im §17 DSt geregelten einstweiligen Maßnahmen werden in einem eigenen Vierten Abschnitt (§19) zusammengefaßt, um auch systematisch zu unterstreichen, daß es sich hier nicht um Strafen, sondern um sichernde Maßnahmen handelt.'

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11506/1987 (in Übereinstimmung mit der Judikatur des EGMR, etwa im Fall Öztürk, EuGrZ 1985, 62) dargetan hat, ist grundlegende Voraussetzung dafür, daß einer Norm strafrechtlicher Charakter zukommt, der sowohl präventive als auch repressive Zweck der Sanktion sowie der ihr innewohnende Tadel und das dem sanktionierten Verhalten gegenüber ausgesprochene Unwerturteil (VfSlg. 11937/1988). Im vorliegenden Fall war die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft zwar die Folge einer von einem Strafgericht (einem Tribunal iS des Art6 EMRK) ausgesprochenen Verurteilung, die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung zielte jedoch nicht selbst auf eine Bestrafung ab. Sie bezweckte die Hintanhaltung von zu besorgenden schweren Nachteilen, insbesondere für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung sowie für das Ansehen des Standes: Wenn im vorliegenden Fall bei einem Rechtsanwalt eine Verurteilung wegen schweren Betruges ausgesprochen wird und daher zu besorgen ist, daß er nicht mit dem gleichen Einsatz und Nachdruck für die Interessen seiner Mandantschaft eintreten wird, kommt der Maßnahme nicht der Zweck zu, dem Beschwerdeführer den Unrechtsgehalt seiner Handlung vorzuwerfen und ihn dafür zu tadeln. Das gleiche gilt für die Voraussetzung der zu befürchtenden Nachteile für das Ansehen des Standes. Diesbezüglich wird allein darauf abgestellt, ob die weitere Ausübung der Rechtsanwaltschaft bei Rechtsanwälten, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsanwaltsstand nachhaltig zu schädigen. Das Gesetz verlangt keine Prüfung, ob der Schuldvorwurf tatsächlich zutrifft.

Die Verhängung dieser Maßnahme verfolgt sohin allein das Ziel, den Rechtsanwalt aufgrund des entgegenstehenden öffentlichen Interesses von der weiteren Ausübung seines Berufes fernzuhalten. Auch wenn diese Maßnahme in ihrer tatsächlichen Auswirkung für den einzelnen einer Strafe gleichkommen kann, ändert dies nichts an ihrer Qualifikation als sichernde Maßnahme (vgl. etwa VfSlg. 12652/1991 - zur Suspendierung eines Richters vom Dienst und VfSlg. 11937/1988 - zum Entzug der Apothekenkonzession wegen mangelnder Verläßlichkeit).

Da es sich bei der vorläufigen Untersagung der Rechtsanwaltschaft ihrem Wesen nach um eine sichernde Maßnahme handelt, die bei Vorliegen der angeführten gesetzlichen Voraussetzungen getroffen werden kann und vor allem keine endgültige Lösung darstellt, braucht auch durch rechtskräftiges Strafurteil nicht nachgewiesen zu werden, daß der Rechtsanwalt das ihm durch Strafurteil zur Last gelegte und in der Folge standeswidrige Verhalten tatsächlich begangen hat. Es wird die Vermutung der Unschuld nicht in Frage gestellt."

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich anläßlich der vorliegenden Beschwerde nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen; das zur einstweiligen Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Rechtsanwaltschaft Gesagte gilt auch für die einstweiligen Maßnahmen nach §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990. Der Beschwerdeführer wurde sohin nicht in der durch Art6 Abs2 EMRK garantierten Unschuldsvermutung verletzt.

3.1. Unter dem Titel des Art6 EMRK bringt der Beschwerdeführer weiters vor, daß das Disziplinarverfahren nicht nach den Grundsätzen des fair trial durchgeführt worden sei. "Es kam zu keinem fair hearing, es wurde nicht verhandelt, es wurde verabsäumt, gesetzeskonform zu ermitteln, das Recht des Beschwerdeführers auf persönliche Anwesenheit wurde völlig ignoriert ...".

3.2. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Ansicht des Beschwerdeführers, daß Art6 EMRK im vorliegenden Verfahren anzuwenden ist, weil einstweilige Maßnahmen, die die Berufsausübung eines Rechtsanwaltes beschränken, ein civil right - wenngleich auch nicht in dessen Kernbereich (vgl. dazu grundlegend VfSlg. 11500/1987, zum Entzug der Apothekenkonzession vgl. VfSlg. 11937/1988) - des Beschwerdeführers betreffen (vgl. auch EGMR 30.11.1987, Fall H gegen Belgien, ÖJZ 1988, 220). Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung war jedoch im konkreten Fall nicht geboten:

Tatbestandsmerkmal für die Verhängung der vorläufigen Maßnahme war im konkreten Fall das Strafurteil (und nicht unmittelbar die diesem zugrundeliegende Tat; vgl. zu §19 DSt 1872 - der Vorläuferbestimmung des heutigen §16 DSt 1990 - bereits Lohsing 1925, S 386, Lohsing/Braun 1950, S 369; VfSlg. 11284/1987). Als weitere Tatbestandselemente normiert §19 Abs1 DSt 1990 die Besorgung schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes.

Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdeführer hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Sittlichkeitsdelikte vor dem Landesgericht Leoben ausreichend Gelegenheit geboten, seine Verteidigungsstandpunkte in einer (aufgrund der Art der ihm vorgeworfenen Delikte - nichtöffentlichen) mündlichen Verhandlung darzulegen. Es kann aufgrund der Zielsetzung des §19 DSt 1990 nicht Aufgabe der Disziplinarbehörden sein, durch eigene Erhebungen und Feststellungen erneut das Strafverfahren zu wiederholen oder gleichsam weiterzuführen (VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98). Auch für die Annahme des Vorliegens der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des §19 Abs1 DSt 1990 bedurfte es aus verfassungsrechtlicher Sicht keiner (öffentlichen) mündlichen Verhandlung: Das Vorliegen der Nachteile für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder für das Ansehen des Standes ergab sich zum einen bereits aus dem den Disziplinarbehörden vorliegenden Strafurteil. Anderseits war die große Publizitätswirkung dieses Strafprozesses, welche im (Verwaltungs-)Akt an Hand zahlreicher Medienberichte dokumentiert ist, amtsbekannt. Im übrigen wird auf die Verantwortung der Disziplinarbehörden hingewiesen, möglichst rasch auf gerichtliche Vorerhebungen, Voruntersuchungen und Strafurteile zu reagieren. Dieser Intention trägt auch der Wortlaut des §19 Abs2 DSt 1990 Rechnung, indem er vorsieht, daß vor der Beschlußfassung über eine einstweilige Maßnahme dem Rechtsanwalt Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden müsse. Eine Einladung zur schriftlichen Stellungnahme ist bereits ausreichend. Von der Einladung zur Stellungnahme im Zeitraum vor der Beschlußfassung könne bei Gefahr in Verzug auch Abstand genommen werden, doch sei in diesem Fall dem Rechtsanwalt nach der Beschlußfassung unverzüglich Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen.

Dem Beschwerdeführer wurde aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichend Gelegenheit geboten, seinen Standpunkt darzulegen. Es ist nichts hervorgekommen, was das Verfahren insgesamt nicht als fair hätte erscheinen lassen.

Der Beschwerdeführer ist somit in seinem Recht auf Abhaltung einer (öffentlichen) mündlichen Verhandlung sowie im Recht auf ein faires Verfahren nicht verletzt worden.

4.1. In der Beschwerde wird weiters die Verletzung des Rechts auf Erwerbsausübungsfreiheit und des Rechts auf Gleichheit vor dem Gesetz behauptet, die der Vollziehung anzulasten sei:

4.2. Wenn sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt erachtet, könnte er angesichts der Unbedenklichkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften in diesem Recht nur dann verletzt sein, wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides die maßgeblichen Rechtsvorschriften in denkunmöglicher Weise angewendet hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985).

Dem angefochtenen Bescheid liegt ein zum Zeitpunkt seiner Erlassung noch nicht rechtskräftiges Strafurteil des Landesgerichtes Leoben zugrunde. Daß die Entziehung des Vertretungsrechts vor Strafgerichten im gesamten Bundesgebiet gemäß §19 Abs1 Z1 DSt 1990 mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Rechtsanwalt zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes erforderlich ist, wurde im Beschluß des Disziplinarrates ausreichend dargetan und von der OBDK bestätigt. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der belangten Behörde kein Vorwurf einer denkunmöglichen Anwendung der maßgeblichen Rechtsvorschriften gemacht werden.

4.3. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987).

All dies liegt nicht vor. Daß der belangten Behörde der Vorwurf einer in die Verfassungssphäre reichenden Verkennung der Rechtslage nicht gemacht werden kann, wurde bereits vorstehend unter Punkt II.4.2. dargetan.

Es liegt daher auch keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vor.

5.1. Der Beschwerdeführer behauptet schließlich eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil aufgrund der gebotenen Unschuldsvermutung die Rechtskraft des Strafurteils hätte abgewartet werden müssen. Erst danach könne eine einstweilige Maßnahme iS des §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990 verhängt werden.

5.2. Daß Art6 Abs2 EMRK bei der Verhängung der einstweiligen Maßnahme nicht zum Tragen kommt, wurde bereits unter Punkt II.2.2. ausführlich dargetan. Im übrigen stehen Wortlaut und Intention des §19 Abs1 DSt 1990 der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers entgegen (vgl. Punkt II.3.2.).

6. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996, VfGH 8.6.1999, B788/99).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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