Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art6 Abs2
EMRK Art7
VfGG §17 Abs2
DSt 1990 §19
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 litd
ZPO §28
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art6 Abs2
EMRK Art7
VfGG §17 Abs2
DSt 1990 §19
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 litd
ZPO §28
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Beschluß des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Disziplinarrat) vom 21. März 1997 wurde dem Beschwerdeführer mit einstweiliger Maßnahme gemäß §19 Abs3 Z1 litd Disziplinarstatut 1990, BGBl. 1990/474 (im folgenden: DSt 1990; auch die in weiterer Folge getätigten Bezugnahmen auf das DSt 1990 beziehen sich auf die hier maßgebliche Stammfassung), die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorläufig untersagt.
Begründet wurde dies damit, daß der Beschwerdeführer in einem Strafverfahren beim Landesgericht Innsbruck wegen schweren Betruges mit einer Schadenssumme von ca. 80 Millionen Schilling zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil habe der Beschwerdeführer Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet, sodaß das Urteil noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Ein Rechtsanwalt, der mit einem solchen, wenn auch nicht rechtskräftigen Urteil, belastet sei, könne nicht mit dem notwendigen Einsatz und mit dem notwendigen, unbefangenen Nachdruck für die Interessen seiner Mandantschaft vor Gericht oder Behörden eintreten. Zu berücksichtigen sei auch die ihm vorgeworfene, sehr erhebliche Schadenssumme. Es wäre auch mit dem Ansehen des Standes in keiner Weise zu vereinbaren, daß ein zu 6 Jahren Freiheitsstrafe verurteilter Rechtsanwalt weiterhin als Rechtsanwalt in der Öffentlichkeit auftreten dürfe. So habe auch die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) in 3 Bkd 6/95 entschieden, daß bereits der Verdacht krimineller Bankrotthandlungen im privaten Bereich eines Rechtsanwaltes keine andere einstweilige Maßnahme zulasse als die vorläufige Untersagung der Rechtsanwaltschaft. Eine geringere, weniger einschränkende einstweilige Maßnahme sei im Hinblick auf diese Umstände ausgeschlossen.
Der Beschwerde gegen diesen Beschluß gab die OBDK mit Bescheid vom 25. August 1997 keine Folge (B2598/97).
2. Mit weiterem Beschluß des Disziplinarrates wurde die am 21. März 1997 über den Beschwerdeführer verhängte Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Rechtsanwaltschaft gemäß §19 Abs4 DSt 1990 verlängert, da das Urteil im Strafverfahren vor dem Landesgericht Innsbruck inzwischen noch nicht rechtskräftig geworden war.
Der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen diesen Beschluß gab die OBDK mit Bescheid vom 9. März 1998 keine Folge (B997/98).
3. Gegen die beiden Bescheide der OBDK richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten (und beinahe wortgleichen) Beschwerden, mit denen die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung, ferner eine Verletzung des Art6 Abs2 EMRK und des Art7 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt wird.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete jedoch (in beiden Fällen) auf die Erstattung einer Gegenschrift.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfahren über die beiden Beschwerden in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. §35 VerfGG zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden.
III. Der Verfassungsgerichtshof
hat über die Beschwerden erwogen:
A. Zur Zulässigkeit:
1. Obwohl dem Beschwerdeführer die Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß §19 DSt 1990 vorläufig untersagt wurde, waren die beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Beschwerden nur vom Beschwerdeführer selbst und - im Hinblick auf §17 Abs2 VerfGG 1953 - nicht von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben.
2. Nach §28 Abs1 ZPO bedürfen Rechtsanwälte, wenn sie in einem Rechtsstreit als Partei einschreiten, nicht der Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Nach §28 Abs2 ZPO ist in einem Verfahren, in dem die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, ein Rechtsanwalt zu bestellen, wenn gegen einen Rechtsanwalt während der Dauer des Prozesses die "Disziplinarstrafe der Streichung von der Rechtsanwaltsliste, der Entsetzung vom Amte, der Versetzung in den Ruhestand oder der Dienstentlassung verhängt" wurde. Dies gilt auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren gemäß §28 ZPO iVm. §35 VerfGG 1953 insbesondere auch für die Fälle, in denen der Beschwerdeführer schon im Zeitpunkt der Einbringung der in eigener Sache erhobenen Beschwerde von der Rechtsanwaltsliste gestrichen war (vgl. VfSlg. 1651/1948).
Wenn jedoch die Rechtsanwaltschaft bloß "nach §17 DSt (1872) eingestellt ist", hat der als Partei auftretende Rechtsanwalt "noch die Fähigkeit, in eigener Sache selbst im Anwaltsprozeß aufzutreten" (vgl. OGH 12.10.1982, 5 Ob 741/82; weiters OGH 27.10.1931, 1 Ob 1026/31, AnwZ. 1932, 100; Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen II (1962), 256; Fucik in Rechberger, Kommentar zur ZPO (1994), Rz 5 zu §28 ZPO; da es sich beim §19 DSt 1990 um die Nachfolgebestimmung zu §17 DSt 1872 handelt, gilt das Gesagte auch für die vorläufige Untersagung der Rechtsanwaltschaft nach §19 DSt 1990). Die vom Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerden wurden daher im Hinblick darauf, daß sie vom Beschwerdeführer selbst unterschrieben waren, gemäß §28 ZPO iVm. §35 VerfGG 1953 rechtmäßig eingebracht.
3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Beschwerdeverfahren zulässig.
B. Der Verfassungsgerichtshof hat daher in der Sache zu entscheiden.
1.1. Der Beschwerdeführer sieht sich zunächst im durch Art6 Abs2 EMRK garantierten Recht, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet wird, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist, verletzt. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verbiete es dieser "Verfassungsbefehl", jedwede Rechtsfolge außerhalb des Strafprozeßrechts an ein nicht rechtskräftiges Urteil zu knüpfen, weil dies in allen Fällen der Unschuldsvermutung widerstreite; die ausschließlich aus der Tatsache dieser nicht rechtskräftigen Verurteilung getroffene Ableitung einer Gefährlichkeit einer nicht rechtskräftig verurteilten Person für die rechtsuchende Bevölkerung setze jedoch zwingend die Vermutung der Schuld des Betroffenen voraus.
Darüber hinaus verbiete die Norm des Art6 Abs2 EMRK grundsätzlich (so auch für das Disziplinarverfahren, zumindest soweit eine zeitliche oder dauernde Entziehung der Berufsausübungsbefugnis vorgesehen ist), die Frage nach der Verwirklichung auch nur des objektiven Tatbestands durch einen Beschuldigten zur Gänze oder auch nur zum Teil mit der Verweisung auf eine - auch allenfalls rechtskräftige - Entscheidung einer anderen Behörde zu beantworten. Der Verstoß gegen die Unschuldsvermutung "liege nicht in der Verhängung einstweiliger Maßnahmen an sich, sondern in deren vorliegender Begründung ausschließlich durch ein nicht rechtskräftiges Urteil eines Strafgerichts anstelle jeglicher eigener Bewertung und Würdigung des entscheidenden Sachverhaltes durch die Disziplinarbehörden selbst."
Es dürfe nicht übersehen werden, daß die Auswirkungen der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft sich in keiner Weise von denen der Strafe der zumindest zeitlichen Entziehung der Berufsausübungsbefugnis unterscheiden. Es könne daher nicht dieselbe Sanktion als Strafe die Anwendung der Verfahrensgarantien des Art6 EMRK erzwingen, als einstweilige Maßnahme verhängt dagegen nicht.
1.2. Des weiteren sieht sich der Beschwerdeführer in dem aus Art7 EMRK abzuleitenden Gebot ausreichender inhaltlicher Bestimmtheit strafrechtlicher Regelungen verletzt.
Die Prämisse für die Anwendbarkeit des Art7 EMRK, nämlich daß es sich bei §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 in Wahrheit um eine Strafnorm handle, begründet der Beschwerdeführer wie folgt:
Zum einen unterscheide sich die "höchst gravierende Auswirkung auf die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen" in keiner Weise von einer Strafe gemäß §16 Abs1 Z3 bzw. 4 DSt 1990. Andererseits seien die Auswirkungen dieser einstweiligen Verfügung de facto aufgrund der unvermeidlich langen Dauer eines Gerichtsverfahrens nicht einstweilig, sondern - wie bei einer Strafe - dauerhaft.
Im Hinblick auf die wegen des Strafcharakters auch auf die Maßnahmen nach §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 anzuwendende Norm des Art7 EMRK bewirke die Verhängung eines solchen Übels ohne Feststellung einer bestimmten Verletzung von konkreten Berufspflichten oder von Ehre und Ansehen des Standes durch die belangte Behörde Willkür.
2.1. Der Vorwurf des Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung setzt voraus, daß mit der vorläufigen Ausübung der Untersagung der Rechtsanwaltschaft über eine strafrechtliche Anklage im Sinn des Art6 EMRK entschieden worden ist (vgl. EGMR 25.8.1987, Lutz gegen Bundesrepublik Deutschland, EuGrZ 1987, 399 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2 (1996) 280).
Dies ist jedoch nicht der Fall:
Nach §19 Abs1 DSt 1990 kann der Disziplinarrat gegen einen Rechtsanwalt einstweilige Maßnahmen beschließen, wenn gegen ihn ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist und die einstweilige Maßnahme mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Rechtsanwalt zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes, erforderlich ist.
Der Intention des Gesetzgebers entsprechend handelt es sich bei den einstweiligen Maßnahmen gemäß §19 Abs3 DSt 1990 um im öffentlichen Interesse gelegene sichernde Maßnahmen. So wird in den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu §19 DSt 1990 (RV 1188 BlgNR XVII. GP) ausgeführt:
"Die bisher im §17 DSt geregelten einstweiligen Maßnahmen werden in einem eigenen Vierten Abschnitt (§19) zusammengefaßt, um auch systematisch zu unterstreichen, daß es sich hier nicht um Strafen, sondern um sichernde Maßnahmen handelt."
Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11506/1987 (in Übereinstimmung mit der Judikatur des EGMR, etwa im Fall Öztürk, EuGrZ 1985, 62) dargetan hat, ist grundlegende Voraussetzung dafür, daß einer Norm strafrechtlicher Charakter zukommt, der sowohl präventive als auch repressive Zweck der Sanktion sowie der ihr innewohnende Tadel und das dem sanktionierten Verhalten gegenüber ausgesprochene Unwerturteil (VfSlg. 11937/1988). Im vorliegenden Fall war die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft zwar die Folge einer von einem Strafgericht (einem Tribunal iS des Art6 EMRK) ausgesprochenen Verurteilung, die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung zielte jedoch nicht selbst auf eine Bestrafung ab. Sie bezweckte die Hintanhaltung von zu besorgenden schweren Nachteilen, insbesondere für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung sowie für das Ansehen des Standes:
Wenn im vorliegenden Fall bei einem Rechtsanwalt eine Verurteilung wegen schweren Betruges ausgesprochen wird und daher zu besorgen ist, daß er nicht mit dem gleichen Einsatz und Nachdruck für die Interessen seiner Mandantschaft eintreten wird, kommt der Maßnahme nicht der Zweck zu, dem Beschwerdeführer den Unrechtsgehalt seiner Handlung vorzuwerfen und ihn dafür zu tadeln. Das gleiche gilt für die Voraussetzung der zu befürchtenden Nachteile für das Ansehen des Standes. Diesbezüglich wird allein darauf abgestellt, ob die weitere Ausübung der Rechtsanwaltschaft bei Rechtsanwälten, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsanwaltsstand nachhaltig zu schädigen. Das Gesetz verlangt keine Prüfung, ob der Schuldvorwurf tatsächlich zutrifft.
Die Verhängung dieser Maßnahme verfolgt sohin allein das Ziel, den Rechtsanwalt aufgrund des entgegenstehenden öffentlichen Interesses von der weiteren Ausübung seines Berufes fernzuhalten. Auch wenn diese Maßnahme in ihrer tatsächlichen Auswirkung für den einzelnen einer Strafe gleichkommen kann, ändert dies nichts an ihrer Qualifikation als sichernde Maßnahme (vgl. etwa VfSlg. 12652/1991 - zur Suspendierung eines Richters vom Dienst und VfSlg. 11937/1988 - zum Entzug der Apothekenkonzession wegen mangelnder Verläßlichkeit).
Da es sich bei der vorläufigen Untersagung der Rechtsanwaltschaft ihrem Wesen nach um eine sichernde Maßnahme handelt, die bei Vorliegen der angeführten gesetzlichen Voraussetzungen getroffen werden kann und vor allem keine endgültige Lösung darstellt, braucht auch durch rechtskräftiges Strafurteil nicht nachgewiesen zu werden, daß der Rechtsanwalt das ihm durch Strafurteil zur Last gelegte und in der Folge standeswidrige Verhalten tatsächlich begangen hat. Es wird die Vermutung der Unschuld nicht in Frage gestellt.
Der Beschwerdeführer wurde mithin nicht in der in Art6 Abs2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung verletzt.
2.2. Der Umstand, daß der vorläufigen Untersagung der Rechtsanwaltschaft der Charakter einer Strafe mangelt, entzieht dem Beschwerdevorwurf, der Beschwerdeführer sei in dem in Art7 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt, den Boden (vgl. VfSlg. 12652/1991).
3.1. In den Beschwerden wird weiters eine Verletzung des Rechts auf Erwerbsausübungsfreiheit behauptet, die sowohl dem Gesetz als auch der Vollziehung anzulasten sei.
Der Beschwerdeführer bringt vor, einstweilige Maßnahmen nach §19 DSt 1990 stellen einen mehr oder minder massiven Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar. Die belangte Behörde habe es unterlassen, das Interesse des Beschwerdeführers an der ungestörten Ausübung seiner Tätigkeit und der vollen Erfüllung seiner Verpflichtungen, die ihm die RAO gegenüber seinen Auftraggebern auferlege, mit dem Interesse an der Vermeidung konkret zu benennender, tatsächlich drohender Nachteile abzuwägen. Die belangte Behörde gehe mit keinem Wort auf Art, Größe und Wahrscheinlichkeit des befürchteten Schadens ein. Ebensowenig enthalte die bekämpfte Entscheidung Überlegungen, aus welchen Gründen und für wen aus seiner weiteren Tätigkeit Nachteile drohen würden. Die Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft entziehe dagegen dem Beschwerdeführer jede Einnahmequelle, verbiete ihm in Hinblick auf die Gefahr eines Suspensionsbruches im Sinne des §17 DSt 1990 im Ergebnis jede anderweitige Verwertung seines Wissens und vernichte durch die Zerstörung des Klientenstockes seine wirtschaftliche Existenz.
Eine solche Güterabwägung könne nur in den Fällen des §19 Abs1 Z2 DSt 1990 - wo jedenfalls eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung vorausgesetzt werde - oder des §19 Abs1 Z3 DSt 1990 - wo jedenfalls nach einem an den Verfahrensgarantien der Art6 und 7 EMRK zu messenden Verfahren eine zumindest vorläufige Entscheidung über ein Verschulden des Disziplinarbeschuldigten vorliege - denkmöglich dazu führen, daß die Interessen der Allgemeinheit in hinreichendem Maße überwiegen, um den Eingriff in die Rechte des Disziplinarbeschuldigten zu rechtfertigen. Im Falle des §19 Abs1 Z1 DSt 1990 jedoch, wo überhaupt keine verwertbare Entscheidung über Schuld und Unschuld des Disziplinarbeschuldigten vorliegt, könne eine solche Güterabwägung nicht dazu führen, es als gerechtfertigt anzusehen, selbst die Existenzvernichtung eines Unschuldigen in Kauf zu nehmen und diesen sohin wie einen Beschuldigten zu behandeln. Es vermögen daher die Interessen an der Vermeidung allfälliger Nachteile für die rechtsuchende Bevölkerung im Falle des §19 Abs1 Z1 DSt 1990 und in Ansehung der Maßnahme gemäß §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 keinesfalls - auch für den Fall tatsächlich durchgeführter Güterabwägung - eine sachliche Grundlage für die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft im konkreten Fall zu bieten.
3.2. In diesem Unterbleiben der Güterabwägung ortet der Beschwerdeführer gleichzeitig ein willkürliches Verhalten der Behörde. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG) erblickt der Beschwerdeführer weiters darin, daß er - obwohl noch nicht rechtskräftig verurteilt - hinsichtlich der Auswirkungen dieser Maßnahme gleich behandelt werde wie ein erwiesen Schuldiger, über den die Strafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß §16 Abs1 Z3 DSt 1990 ausgesprochen werde. Damit werde Ungleiches gleich behandelt. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß es sich im Fall des §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 nur um eine höchstens mit sechs Monaten befristete einstweilige Maßnahme handle, denn die einstweilige Maßnahme sei gemäß §19 Abs4 DSt 1990 beliebig oft verlängerbar. Aus diesem Grund sei auch die Bestimmung des §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 mit Verfassungswidrigkeit belastet.
3.3. Nach Auffassung des Beschwerdeführers verstoße §19 DSt 1990 zudem gegen das Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG, weil die Bestimmung nicht die Voraussetzungen für die Verhängung der Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Rechtsanwaltschaft entsprechend dem Verfassungsgebot des Art18 B-VG konkretisiere.
4. All diese Vorwürfe sind unzutreffend:
4.1.1. Zu den in den Beschwerden aufgeworfenen Normbedenken:
4.1.2. Die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft greift in das durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit ein.
Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß der Gesetzgeber gemäß Art6 StGG ermächtigt ist, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt und unter bestimmten Voraussetzungen verboten ist, sofern die gesetzliche Regelung, die die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkt, durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, diese adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist (vgl. etwa VfSlg. 11276/1987, 12098/1989, 12379/1990, 12677/1991, 14611/1996). Auch gesetzliche Regelungen, die die Berufsausübung (bloß) beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Erwerbsausübungsfreiheit zu prüfen und müssen demnach durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein. Die Ausübungsregeln müssen bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein. Es steht dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern (vgl. etwa VfSlg. 11558/1987, 11853/1988, 12379/1990, 12481/1990, 14259/1995).
Bei Rechtsanwälten handelt es sich um einen Berufsstand, an dessen Angehörige im Hinblick auf die Aufgaben, die von ihnen in Ausübung ihres Mandates wahrzunehmen sind, im öffentlichen Interesse besondere Anforderungen hinsichtlich der korrekten Einhaltung von Rechtsvorschriften zu stellen sind. Bestehen aufgrund eines gerichtlich anhängigen Strafverfahrens begründete Zweifel daran, daß ein Rechtsanwalt sich an Rechtsvorschriften gehalten hat, steht der Disziplinarbehörde ein - hinsichtlich der Schwere der Auswirkungen auf die weitere Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit - abgestuftes Instrumentarium an einstweiligen Maßnahmen zur Verfügung, das von der Überwachung der Kanzleiführung oder der Entziehung des Vertretungsrechts vor bestimmten oder allen Gerichten oder Verwaltungsbehörden über das vorläufige Verbot der Aufnahme von Rechtsanwaltsanwärtern bis zur vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft reicht (§19 Abs3 Z1 DSt 1990). Um eine regelmäßige Überprüfung der einstweiligen Maßnahme durch den Disziplinarrat sicherzustellen, wird in §19 Abs4 DSt 1990 normiert, daß einstweilige Maßnahmen aufzuheben, zu ändern oder durch eine andere zu ersetzen sind, wenn sich ergibt, daß die Voraussetzungen für die Anordnung nicht oder nicht mehr vorliegen oder sich die Umstände wesentlich geändert haben. Die wegen eines gegen einen Rechtsanwalt anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens beschlossene einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft tritt spätestens nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann aber mit Beschluß des Disziplinarrates verlängert werden, wenn dies zur Vermeidung von schweren Nachteilen für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung unbedingt erforderlich ist und tritt auch in diesem Fall jeweils spätestens nach weiteren sechs Monaten außer Kraft.
Wird ein Rechtsanwalt etwa wegen eines schweren Verbrechens (im vorliegenden Fall wegen schweren Betruges mit einer angenommenen Schadenssumme von ca. 80 Millionen Schilling) in erster Instanz verurteilt, liegt es ohne Zweifel zum Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung im öffentlichen Interesse, dem Rechtsanwalt die weitere Ausübung seiner Tätigkeit vorläufig zu untersagen. Es ist zu besorgen, daß ein mit solchem Urteil belasteter Rechtsanwalt nicht mehr mit dem nötigen Einsatz und der notwendigen Konzentration auf die Wahrnehmung der Interessen seiner Mandanten bedacht ist. Ebenso besteht ein öffentliches Interesse an einem gut funktionierenden Rechtsanwaltsstand. Rechtsanwälte sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit der rechtsfreundlichen Vertretung besonders auf das Vertrauen ihrer Mandanten angewiesen. Dieses besondere Vertrauen wäre in der Bevölkerung sehr schwer erschüttert, wenn etwa wegen schweren Betruges verurteilte Rechtsanwälte - ohne Wissen des Rechtsuchenden von der Verurteilung - weiterhin ihrem Beruf nachgehen.
In Fällen wie dem vorliegenden stellt die Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Rechtsanwaltschaft ein geradezu unverzichtbares, aber auch adäquates Mittel zur Erreichung des öffentlichen Zieles dar. Angesichts des besonderen Gewichts dieses Zieles kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er im Rahmen des ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums auch die Möglichkeit einer vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorsieht (vgl. VfSlg. 13148/1992).
Die Bestimmung des §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 iVm. §19 Abs1 Z1 DSt 1990 verstößt sohin nicht gegen Art6 StGG.
4.1.3. Die Regelung des §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 iVm.
§19 Abs1 Z1 DSt 1990 ist auch nicht mit Gleichheitswidrigkeit belastet.
Es kann hinsichtlich der in den Beschwerden geltend gemachten Gleichheitswidrigkeit des §19 Abs3 Z1 litd iVm. §19 Abs1 Z1 DSt 1990 nicht gefunden werden, daß Ungleiches gleich behandelt wird. Die diesbezügliche Argumentation des Beschwerdeführers fußt auf der Annahme, die einstweilige Maßnahme sei mit einer Disziplinarstrafe gleichzusetzen. Diese Ausgangsposition ist - wie oben in Punkt III.B.2.1. dargetan - verfehlt.
Im übrigen genügt es in diesem Zusammenhang, auf das Erkenntnis VfSlg. 13148/1992 zu verweisen, in dem der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis kam, daß die Regelung des §19 DSt 1990 sachlich gerechtfertigt ist.
4.1.4. Was den Vorwurf der mangelnden Determiniertheit des §19 DSt 1990 anbelangt, so ist darauf zu verweisen, daß der Verfassungsgerichtshof bereits dessen sehr viel weiter gefaßte Vorläuferbestimmung, nämlich den §17 DSt 1872 idF BGBl. 1933/346 unter dem Gesichtspunkt ihrer Vereinbarkeit mit Art18 Abs1 B-VG als unbedenklich erachtet hat (VfSlg. 7440/1974). Wenn §19 DSt 1990 die Arten der einstweiligen Maßnahmen genau festlegt und das Verhalten der Behörde hinsichtlich der Verfügung eben solcher Maßnahmen sehr viel näher bestimmt als es der - unbedenkliche - §17 DSt 1872 idF BGBl. 1933/346 getan hat, ist der Vorwurf der mangelnden Determiniertheit des §19 DSt 1990 jedenfalls unbegründet (ebenso VfSlg. 13148/1992).
4.1.5. Der Beschwerdeführer wurde nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
4.2.1. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:
4.2.2. Wenn sich der Beschwerdeführer durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt erachtet, könnte er angesichts der Unbedenklichkeit der den Bescheiden zugrundeliegenden Rechtsvorschriften in diesem Recht nur dann verletzt sein, wenn die Behörde bei der Erlassung der Bescheide die maßgeblichen Rechtsvorschriften in denkunmöglicher Weise angewendet hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985).
Den angefochtenen Bescheiden liegt ein zum Zeitpunkt ihrer Erlassung noch nicht rechtskräftiges Strafurteil des Landesgerichtes Innsbruck zugrunde. Die Bescheide des Disziplinarrates, die von der OBDK vollinhaltlich bestätigt wurden, stützen sich in ihrer Begründung im wesentlichen auf die Tatsache, daß der Beschwerdeführer wegen schweren Betruges mit einer Schadenssumme von ca. 80 Millionen Schilling strafgerichtlich verurteilt wurde und daß deswegen bei einer weiteren Ausübung der Rechtsanwaltschaft schwere Nachteile für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung und des Ansehens des Standes zu besorgen wären. Wenn nun der Disziplinarrat alle diese zu befürchtenden Nachteile nicht im Detail näher ausführt (weil es wegen der Schwere des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verbrechens und der Höhe der Schadenssumme bereits auf der Hand liegt, daß die im Gesetz genannten Nachteile zu besorgen sind) und die OBDK dies in der Folge nicht aufgreift, kann der OBDK im konkreten Fall nicht der Vorwurf einer denkunmöglichen Anwendung der Rechtsvorschriften gemacht werden (vgl. auch VfSlg. 14567/1996).
Der Beschwerdeführer wurde durch die angefochtenen Bescheide mithin auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt.
4.2.3. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).
All dies liegt nicht vor.
So wurde etwa dem Beschwerdeführer in beiden Verfahren ausreichend Gelegenheit geboten, seinen Standpunkt darzulegen. Es bedarf aufgrund der gesetzlich normierten Voraussetzungen für die Verhängung der einstweiligen Maßnahme keines darüber hinausreichenden Ermittlungsverfahrens. Es ist daher der belangten Behörde zuzustimmen, wenn sie in ihrem Bescheid vom 9. März 1998 (Seite 4) die Auffassung vertritt, daß für die Beurteilung der Notwendigkeit und der Art der einstweiligen Maßnahme schon das verurteilende Erkenntnis erster Instanz solange von "bestimmender Bedeutung" sei, als eine allfällige sachliche Unhaltbarkeit "nicht sinnfällig auf der Hand liege". Es sei daher nicht Aufgabe der Disziplinarbehörde, durch eigene Erhebungen und Feststellungen das Strafverfahren quasi weiterzuführen, um für die Verhängung der einstweiligen Maßnahme abschätzen zu können, ob es in der Folge zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung kommen werde.
Daß der belangten Behörde der Vorwurf einer in die Verfassungssphäre reichenden Verkennung der Rechtslage nicht gemacht werden kann, wurde bereits vorstehend unter Punkt III.B.4.2.2. dargetan.
Es liegt daher auch keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vor.
5. Die geltend gemachte Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat also ebensowenig stattgefunden wie die behauptete Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Bestimmungen des DSt 1990.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer anderen rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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