European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00050.25Y.0930.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die (nunmehrige) W* AG (FN *; in der Folge: Emittentin) begab im Jahr 2017 eine Unternehmensanleihe mit einem Gesamtvolumen von (bis zu) 5 Mio EUR, einer Verzinsung von 5,25 % und einer Stückelung von 1.000 EUR je Teilschuldverschreibung. Es handelte sich um eine Fixzinsanleihe ohne Sicherstellung der Anleihegläubiger. Am 31. 10. 2017 zeichnete die Klägerin 30 Stück dieser Anleihe um 29.700 EUR.
[2] Die beklagte Unternehmensberaterin war in die Begebung der Anleihe, die Erstellung der entsprechenden Prospekte oder in die Gestaltung und Festlegung des Inhalts der Werbemaßnahmen der Emittentin nicht involviert. Siewurde am 6. 4. 2016 von der Muttergesellschaft der Emittentin, der (nunmehrigen) W* Holding AG (FN *; in der Folge: Holding), beauftragt, eine Bewertung deren Marke „W*“ zum Stichtag 31. 12. 2015 vorzunehmen. Diesem Auftrag lagen das Auftragsschreiben, in dem der Arbeitsumfang definiert wurde, und die Allgemeinen Auftragsbedingungen der Beklagten vom 6. 4. 2011 (in der Folge: AAB) zugrunde.
[3] Die Beklagte bezifferte in ihrem an den Vorstand der Holding adressierten Markenwertgutachten vom 7. 6. 2016, das sowohl am Deckblatt als auch am Ende einer jeden Seite den Vermerk „persönlich und streng vertraulich“ trägt, den Wert der Marke „W*“ zum Stichtag 31. 12. 2015 mit ca 3,158 Mio EUR (ohne Steuervorteil; Bandbreite 2,741 Mio EUR bis 3,339 Mio EUR) bis zu ca 3,958 Mio EUR (mit Steuervorteil; Bandbreite 3,436 Mio EUR bis 4,186 Mio EUR).
[4] Auf der gleichen vertraglichen Grundlage führte die Beklagte im Auftrag der Holding zum Stichtag 29. 11. 2016 eine neuerliche Überprüfung der Markenbewertung durch und bestätigte mit Schreiben vom 30. 11. 2016 an denVorstand der Holding – wiederum „persönlich und streng vertraulich“ – die am 7. 6. 2016 zum Stichtag 31. 12. 2015 ermittelten Markenwerte auch zum 29. 11. 2016.
[5] Die Holding brachte die Marke im Zuge einer Kapitalerhöhung mit Generalversammlungsbeschluss vom 7. 12. 2016 mit einem Wert von 3,12 Mio EUR in Form einer Sacheinlage in die Emittentin ein. Die Werthaltigkeit der Sacheinlage wurde von der (damaligen) R* GmbH (FN *) als gerichtlich bestellte Sacheinlagenprüferin mit Prüfbericht vom 9. 12. 2016 bestätigt, wobei sie den Ansatz der Beklagten übernahm.
[6] Im Juni 2016 erstellte die Beklagte einen mit „Unterstützung bei der Überschuldungsprüfung im Sinne des Insolvenzrechts“ titulierten Bericht für die Holding; auch diesem gesonderten Auftrag lagen die AAB zugrunde. Die Beklagte kam darin zum Ergebnis, dass auf Basis des Liquidationskonzeptes das Vorliegen einer insolvenz‑rechtlichen Überschuldung zu verneinen sei. Der an den Vorstand der Holding adressierte Bericht enthielt erneut den Vermerk „persönlich und streng vertraulich“ und im Anschreiben an den Vorstand sowie im Text unter anderem einen „Disclaimer“ mit folgendem auszugsweisen Wortlaut (Hervorhebungen im Original): „[…] Dieser Bericht ist ausschließlich für den Auftraggeber ('Empfänger') bzw zur Einsicht an den Abschlussprüfer der [Holding] bestimmt, bzw für Parteien die unsere Freigabeerklärung ('Release Letter') unterschrieben und uns ausgehändigt haben. Wir übernehmen keine Haftung gegenüber nicht berechtigten Empfängern unseres Berichts. […]“
[7] Im Oktober 2016 erstellte die Beklagte einen weiteren mit „Unterstützung bei der Überschuldungsprüfung im Sinne des Insolvenzrechts“ titulierten Berichtsentwurf, der jedoch mangels Unterlagen nie finalisiert wurde. Auch dieser Entwurf enthielt im Anschreiben an den Vorstand der Holding sowie im Text gleichlautende Erklärungen bzw „Disclaimer“ wie der Bericht vom Juni 2016.
[8] Im Auftrag der Holding erstellte die Beklagte am 26. 7. 2017 schließlich einen – wiederum „persönlichen und streng vertraulichen“ – Bericht mit dem Titel „Unterstützung bei der Erarbeitung und Plausibilisierung einer Fortbestehensprognose für die [Holding] und die [Emittentin]“, welcher gleichlautende „Disclaimer“ wie der Bericht vom Juni 2016 und der Berichtsentwurf vom Oktober 2016 enthielt. Die Beklagte kam darin zum Schluss, dass per 31. 12. 2015 sowohl für die Holding als auch die Emittentin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer positiven Fortbestehensprognose auszugehen sei.
[9] Der Jahresabschluss der Emittentin zum 31. 12. 2016 wurde am 9. 5. 2017 von der E* Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H. (FN *) als Abschlussprüferin mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen.
[10] Die Prüfung des Jahresabschlusses der Holding erfolgte durch die (damalige) S* Wirtschaftsprüfung GmbH (FN *); diese versah am 29. 8. 2017 den Jahresabschluss der Holding für das Geschäftsjahr 2016 aufgrund wesentlicher Unsicherheiten in Bezug auf die Unternehmensfortführung mit einem eingeschränkten Bestätigungsvermerk.
[11] Die Emittentin bewarb die gegenständlichen Anleihen unter anderem mit ihrem Eigenkapital laut testiertem Jahresabschluss von ca 4,74 Mio EUR und einer Eigenkapitalquote von ca 96 %. Der Emissionserlös solle in großvolumige Grundstücksakquisitionen in Wiener Stadtentwicklungsgebieten investiert werden. Weiters wurde eine langfristige Kooperation mit einem staatlichen Pensionsfonds ins Treffen geführt.
[12] Die Klägerin ist als Personalverrechnerin tätig, hat beruflich immer wieder mit Bilanzen zu tun, kann diese lesen und muss sie für die Personalverrechnung erläutern. Auf die Möglichkeit des gegenständlichen Investments wurde sie durch Fernseh- und Plakatwerbung aufmerksam, worin ihr besonders die kurze Laufzeit und die Verzinsung mit 5,25 % auffielen.
[13] Anfang/Mitte Oktober 2017 telefonierte sie mit R*, dem mit dem Vertrieb der Anleihen der Emittentin befassten Mitarbeiter der W*-Gruppe, der nie Kontakt zur Beklagten gehabt hatte. Er erläuterte ihr als Zweck der Anleihe die Aufbringung von 5 Mio EUR für weitere Immobilienprojekte insbesondere im 21. Wiener Gemeindebezirk, wobei die Emittentin aber auch ihr Eigenkapital von 5 Mio EUR einsetze. Er übermittelte ihr den geprüften Jahresabschluss der Emittentin zum 31. 12. 2016, den Zeichnungsschein, ein Fact Sheet, Werbeprospekte und die AGB; den Emissionsprospekt erhielt die Klägerin nicht. Das von der Beklagten erstellte Markenbewertungsgutachten und die Berichte zur Überschuldungsprüfung waren nie Thema bei Gesprächen zwischen R* und der Klägerin. Die Markenwertgutachten, die mit „Unterstützung bei der Überschuldungsprüfung im Sinne des Insolvenzrechts“ titulierten Berichte der Beklagten und der Bericht betreffend die „Unterstützung bei der Erarbeitung und Plausibilisierung einer Fortbestehensprognose“ sowie der Umstand, dass es für die Holding und die Emittentin eine positive Fortbestehensprognose gab, waren der Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Bei Durchsicht insbesondere von Jahresabschluss und Bilanz sah die Klägerin die Angaben von R* bestätigt und vertraute insbesondere auf die ihr bekannte Prüferin des Jahresabschlusses der Emittentin sowie darauf, dass die Immobilien, in die investiert werden sollte, schon deshalb werthaltig wären, weil die Emittentin auch ihr Eigenkapital investieren würde. Sie entschloss sich daher am 31. 10. 2017, 29.700 EUR in die gegenständliche Anleihe zu investieren, was sie nicht getan hätte, wenn die Emittentin nicht über Eigenkapital verfügt hätte.
[14] Die Klägerin wurde im Jänner 2018 vom Vorstand der Emittentin über deren Insolvenz und den Verlust des investierten Kapitals informiert. Im März 2018 eröffnete das Erstgericht über das Vermögen der Emittentin das Insolvenzverfahren (AZ *). Bereits im Februar war vom Erstgericht über das Vermögen der Holding das Insolvenzverfahren eröffnet worden (AZ *).
[15] Mit ihrer Klage vom 21. 9. 2021 begehrt die Klägerin 32.350,67 EUR sA (nämlich die von ihr investierten 29.700 EUR zuzüglich 2.650,67 EUR an entgangenen Zinsen aus einem Alternativinvestment unter Anrechnung der tatsächlich noch vor Insolvenzeröffnung erhaltenen Zinsen) Zug um Zug gegen Rückstellung von 30 Stück der Anleihe, in eventu die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Die Beklagte habe das Markenbewertungsgutachten im Juni 2016 wissentlich falsch, jedenfalls aber nicht lege artis erstellt und den Markenwert völlig überhöht angesetzt. Dass die Marken in die Emittentin eingebracht werden sollten, sei der Beklagten ebenso bekannt gewesen wie der Umstand, dass es nur dadurch möglich gewesen sei, beträchtliches, aber tatsächlich gar nicht vorhandenes Eigenkapital bilanzmäßig darzustellen. Auch die Überschuldungsprüfungen seien nicht lege artis, sondern wissentlich falsch erstellt worden; die Beklagte habe seit Juni 2016 gewusst, dass keine Unternehmensfortführung vorgesehen gewesen sei. Wäre die Bewertung der Markenrechte von Anfang an methodisch richtig erfolgt, hätte letztlich gar kein Markenwert ermittelt und im Eigenkapital der Emittentin ausgewiesen werden können und deren Jahresabschluss zum 31. 12. 2016 hätte letztlich keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erhalten. Die gesamte W*-Gruppe sei tatsächlich bereits seit längerer Zeit insolvenzrechtlich überschuldet und materiell insolvent gewesen. Die Beklagte sei ab Ende 2015 faktische Geschäftsführerin der W*-Gruppe gewesen und habe es billigend in Kauf genommen, dass die Bilanzwerte falsch seien und Anleger dadurch einen Schaden erleiden könnten. Zudem habe die Beklagte es schuldhaft unterlassen, auf die Stellung eines Insolvenzantrags hinzuwirken, und mit ihren wissentlich falschen Expertisen zum Markenwert, zum Nichtvorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung, aber auch zur positiven Fortbestehensprognose sämtliche Grundlagen dafür geschaffen, dass die Geschäftsleitung den Betrieb fortführen und weitere Anleihegelder am Kapitalmarkt einsammeln habe können.Bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens wäre es zu keiner Begebung von Anleihen durch eine Gesellschaft der W*-Gruppe mehr gekommen. Die Klägerin habe auf die von der Emittentin veröffentlichten wirtschaftlichen Daten zu ihrer Bonität und ihrem Vermögen sowie zur Solvenz der Gesellschaft vertraut. Bei Kenntnis der bereits vorliegenden materiellen Insolvenz der Holding bzw der unrichtigen Darstellung der Bilanzkennzahlen der Emittentin, unter anderem des vorhandenen Eigenkapitals, und des Umstands, dass der darauf aufbauende uneingeschränkte Bestätigungsvermerk letztlich zu Unrecht erteilt worden sei, hätte die Klägerin die Anleihen nicht erworben, sondern stattdessen in seriöse Emittenten mit guter Bonität investiert und zumindest Zinsen von 2,5 % pa lukriert. Die Beklagte hafte nicht nur aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bzw wegen Verletzung objektiv-rechtlicher Schutzpflichten sowie auf Grundlage von § 1300 ABGB, § 874 ABGB und § 1295 Abs 2 ABGB, sondern auch wegen Beteiligung an einer Schutzgesetzverletzung nach § 1311 ABGB in Verbindung mit § 163a StGB und der Verschleppung der Insolvenz nach § 69 IO. Die in den AAB vorgesehene Verkürzung der Verjährungsfrist sei auf deliktischen Schadenersatz nicht anzuwenden und wäre zudem nach § 864a ABGB ungewöhnlich und unbeachtlich sowie wegen Verstoßes gegen § 879 Abs 3 ABGB sittenwidrig.
[16] Die Beklagtehält dem entgegen, die Kausalitätsargumentation der Klägerin sei unschlüssig, weil sie nicht darlege, aus welchem Grund die „Arbeitsprodukte“ der Beklagten kausal für ihre Anlageentscheidung gewesen sein sollten, und auch nicht behaupte, im Vertrauen darauf gezeichnet zu haben; sie habe die Arbeitsprodukte der Beklagten weder gekannt noch zur Grundlage ihrer schadensauslösenden Disposition gemacht. Die Beklagte sei von der Holding nur zur Erstellung einzelner, in ihrem jeweiligen Auftragsumfang stark limitierter, Leistungen auf Basis der von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellten Informationen und Unterlagen beauftragt worden, habe aber weder einen umfassenden Einblick in die Geschäftstätigkeit der Holding oder der Emittentin noch Einfluss auf deren Geschäftsführung gehabt. Ihre lege artis erstellten Arbeitsprodukte seien für den ausschließlichen Gebrauch der Auftraggeberin bestimmt gewesen; eine Haftung gegenüber Dritten sei explizit ausgeschlossen worden; eine Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter scheide daher aus. Die Beklagte habe konkret auch nicht damit rechnen können, dass ihre Arbeitsprodukte Grundlage für eine Entscheidung zur Anleihezeichnung sein würden. Mittelbaren Rat an Anleihezeichner habe sie nicht gegeben. Haftung wegen Insolvenzverschleppung scheitere schon daran, dass eine Delegierung der entsprechenden Verantwortung der Organe von Gesellschaften auf dritte Berater nicht in Betracht komme. Schließlich seien weder der objektive noch der subjektive Tatbestand des § 163a StGB erfüllt. Ansprüche der Klägerin seien verjährt, da die AAB der Beklagten eine Verjährungsfrist von sechs Monaten ab Kenntnis von Schaden und Schädiger und jedenfalls drei Jahren ab dem anspruchsbegründenden Ereignis vorsähen; zudem sei auch die allgemeine schadenersatzrechtliche Verjährungsfrist von drei Jahren verstrichen.
[17] Das Erstgerichtwies die Klage ab. Die Leistungen der Beklagten seien ausschließlich für den internen Gebrauch der Auftraggeberin bestimmt gewesen. Deshalb scheide die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkungen bzw des Bestehens objektiv-rechtlicher Sorgfaltspflichten zugunsten der Klägerin aus, zumal die Beklagte unter den gegebenen Umständen nicht davon ausgehen habe müssen, dass ihre Arbeitsprodukte auch Dritten als Entscheidungsgrundlage für deren Vermögensdispositionen dienen würden. Im Übrigen setze die Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten letztlich voraus, dass diese auch tatsächlich auf das Gutachten vertraut und auf dieser Grundlage Vertrauensdispositionen getätigt hätten. Das sei bei der Veranlagungsentscheidung der Klägerin nicht der Fall, womit mangels Kausalitätjede Haftung für eine allenfalls unrichtige Gutachtenserstellung scheitere. Eine Haftung wegen Schutzgesetzverletzung nach § 69 IO scheide für juristische Personen aus. Entsprechendes gelte für § 163a StGB: Unmittelbarer Täter dieses Sonderdelikts könne nur ein Entscheidungsträger der Gesellschaft oder ein von diesem mit der Informationsdarstellung Beauftragter sein. Zudem seien die Leistungen der Beklagten nicht unter die in § 163a Abs 1 Z 1 bis 5 StGB aufgezählten Darstellungsmedien zu subsumieren; es fehle auch in diesem Zusammenhang an der Kausalität der Tätigkeit der Beklagten für den Anlageentschluss. Die Ansprüche der Klägerin seien verjährt; für Sittenwidrigkeit oder gröbliche Benachteiligung durch die AAB der Beklagten bestehe kein Anhaltspunkt. Die Klägerin habe keine konkreten Behauptungen zu einer hypothetischen Alternativveranlagung und deren Zinsen erstattet.
[18] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Für die Frage der Haftung eines Sachverständigen gegenüber Dritten müssten die Voraussetzungen für die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder für eine Haftung wegen Verletzung objektiv-rechtlicher Sorgfaltspflichten vorliegen. Die Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten setze zudem voraus, dass der Dritte auch tatsächlich auf das Gutachten und dessen Richtigkeit vertraut und auf dieser Grundlage Vermögensdispositionen getätigt habe. Hierhabe die Beklagte ihre Leistungen ausschließlich gegenüber ihrer Auftraggeberin erbracht und nicht davon ausgehen müssen, dass sie auch Dritten (wie der Klägerin) als Grundlage für ihre Vermögensdispositionen dienen würden. Die Klägerin wiederum habe ihre Veranlagungsentscheidung auf Grundlage der ihr übermittelten Unterlagen und der Informationen von R* getroffen. Weder dieser noch die Klägerin hätten aber von der gutachterlichen Tätigkeit der Beklagten gewusst; dass die Klägerin ihre Anlageentscheidung im Vertrauen daraufgetroffen habe, hätte sie zu beweisen gehabt, was ihr nicht gelungen sei. Ihr Schaden stehe nicht mehr im Kausalzusammenhang mit dem Verhalten der Beklagten. Schadenersatzansprüche für bloße Vermögensschäden seien im Anwendungsbereich spezieller Bestimmungen (wie § 874 und § 1300 Satz 2 ABGB), wenn eine sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 1295 ABGB vorliege, oder dann denkbar, wenn Schutzgesetze verletzt worden seien; für Letztere führe die Klägerin § 163a Abs 1 StGB, § 69 IO und § 10 Abs 3 GmbHG ins Treffen und wolle die Haftung der Beklagten auch auf eine Beteiligung an einer Schutzgesetzverletzung im Sinne des § 1301 ABGB stützen. Soweit die Auskunftserteilung nicht in Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung erfolge, sei gemäß § 1300 Satz 2 ABGB nur für eine wissentlich unrichtige (im Sinne eines bedingten Vorsatzes) Auskunft dem dadurch Geschädigten gegenüber einzustehen, was hier aber nicht vorliege. Soweit die Klägerin Ansprüche aus einem behaupteten dolosen Zusammenwirken der Beklagten mit der Emittentin ableiten wolle, stehe dies nicht mehr im Kausalzusammenhang mit ihrem Schaden. Eine Haftung nach § 1300 Satz 2, § 1295 ABGB oder § 874 ABGB in Verbindung mit § 1301 ABGB scheide damit aus. Die Strafbestimmung des § 163a StGB sei ein Schutzgesetz zugunsten der Gläubiger der Gesellschaft; Täter könnten nur Entscheidungsträger im Sinne von § 2 Abs 1 VbVG eines in § 163c StGB angeführten Verbands oder sonst ein von einem Entscheidungsträger Beauftragter sein. Die Beklagte als juristische Person sei kein solcher Entscheidungsträger. Für die Beurteilung, ob die als Tatbestandsmerkmal des § 163a StGB geforderte Wesentlichkeit einer Information vorliege, sei darauf abzustellen, ob vernünftigerweise zu erwarten wäre, dass die Adressaten durch die Information in ihren Entscheidungen beeinflusst würden. Die von der Beklagten erbrachten Leistungen hätten sich aber gerade nicht an die (Anleihe-)Gläubiger gerichtet. Doloses Zusammenwirken der Beklagten mit dem Sacheinlageprüfer oder dem Abschlussprüfer sei von der Klägerin ebenso wenig behauptet worden wie eine Beteiligung an der Erstellung des Jahresabschlusses oder an einer Anmeldung zum Firmenbuch. Damit scheide aber auch eine Haftung nach § 1301 in Verbindung mit § 1311 ABGB und § 163a Abs 1 Z 1 und 5 StGB aus. Adressaten der Antragspflicht nach § 69 IO seien natürliche Personen, die unbeschränkt haften würden, somit die Gesellschafter und Liquidatoren einer eingetragenen Personengesellschaft und die organschaftlichen Vertreter juristischer Personen. Die Beklagte gehöre weder zu diesem Personenkreis noch sei sie faktischer Geschäftsführer gewesen, sodass sie keine Pflicht zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens getroffen habe. Eine Beteiligung an einer durch den Vorstand der Emittentin begangenen Verletzung des § 69 IO könnte allenfalls auch nur dann vorliegen, wenn die Beklagte Sorgfaltspflichten verletzt hätte und von der Beklagten eingesetzte Personen die Geschäfte der Emittentin in maßgebenden Umständen tatsächlich geführt hätten, wozu kein konkretes und substanziiertes Klagsvorbringen vorliege. Aus § 10 Abs 3 GmbHG ergebe sich keine Haftung der Beklagten, weil sich diese Bestimmung ausdrücklich auf Kreditinstitute bzw Notare als Treuhänder beziehe.
[19] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird Aufhebung beantragt.
[20] Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[21] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[22] A. Der Oberste Gerichtshof hat sich jüngst mit sich aus deckungsgleichen Sachverhalten zur selben Anleihe aufgrund von gleichgerichteten Klagen anderer Anleger gegen dieselbe Beklagte stellenden Rechtsfragen eingehend auseinandergesetzt und zusammengefasst wie folgt Stellung genommen (10 Ob 17/25k Rz 22–50 und 7 Ob 69/25k Rz 22–48):
1. Haftung gemäß §§ 1299, 1300 Satz 1 ABGB
[23] 1.1. Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach den §§ 1299 f ABGB für reine Vermögensschäden aus einem fahrlässig falsch erstellten Gutachten beschränkt sich grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten, also regelmäßig den Auftraggeber (RS0026234 [T7, T10]; RS0026645 ua; 8 Ob 51/08w; 8 Ob 96/19d ErwGr 1.1.).
[24] Eine Haftung gegenüber einem Dritten kommt allerdings dann in Betracht, wenn objektiv-rechtliche Schutzwirkungen auf ihn zu erstrecken sind (RS0026234 [T13]; 10 Ob 34/21d Rz 2). Eine – in Rechtsprechung und Lehre anerkannte – objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht zugunsten eines Dritten trifft den Sachverständigen dann, wenn er damit rechnen musste, dass sein Gutachten (seine Tätigkeit) die Grundlage für die Disposition des Dritten bilden wird (RS0106433; RS0026645 [T5]; RS0026234 [T4]). Der Dritte ist demnach geschützt, wenn ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage bilden soll. Ob dies der Fall ist, richtet sich vor allem nach der Verkehrsübung und dem Zweck des Gutachtens (RS0106433 [T2, T12]; RS0017178 [T10, T13]; RS0026558 [T2]). Ausschlaggebend ist, wie ein verständiger Informationsempfänger die Expertise auffassen durfte (RS0026645 [T15]; Karner, Haftung für Rat und Auskunft zwischen Vertrag und Delikt, in FS Koziol [2010] 695 [713] mwN).
[25] Dass der Auskunftgeber abstrakt damit rechnen muss, die Information werde irgendwie – auch durch Weitergabe durch den Besteller – an Außenstehende gelangen, reicht zu einer Haftung gegenüber dem Dritten hingegen noch nicht aus (RS0026569). Nicht in Frage kommt eine Verantwortlichkeit gegenüber beliebigen Personen, im Zweifel auch dann nicht, wenn der Gutachter weiß, dass seine Stellungnahme verbreitet werden soll (RS0026558 [T3]; 8 Ob 667/87 = RS0026564).
[26] Haftungsgrund ist nämlichgerade der geschaffene Vertrauenstatbestand in Form der Abgabe einer – nach dem objektiven Erklärungswert – erkennbar drittgerichteten Erklärung, die Dritten als Vertrauensbasis für etwaige Vermögensdispositionen dienen sollte (vgl 3 Ob 67/05g; 7 Ob 60/21f Rz 5). Nur wenn sich also der Dritte ausgehend vom Inhalt und vom ersichtlichen Zweck der gutachterlichen Stellungnahme als Informationsadressat angesprochen fühlen durfte und dies für den Sachverständigen auch erkennbar war, kommt eine Ersatzpflicht in Frage (vgl auch Kletečka, Die Haftung von Gutachtern gegenüber Dritten, in FS Reischauer [2010] 287 [306 f]).
[27] Die Haftung setzt neben der Schaffung der erkennbaren Vertrauensbasis aber auch die konkrete Inanspruchnahme des Vertrauens des Dritten voraus (vgl Karner in FS Koziol [2010] 713 ff mwN). Es muss zu einer Enttäuschung eben dieser (trügerischen) Vertrauensbasis gekommen sein, indem der Geschädigte die schadensauslösende Disposition im konkreten Vertrauen auf die (auch) an ihn gerichtete Information gesetzt hat (vgl zur Haftung des Abschlussprüfers 5 Ob 262/01t; 10 Ob 48/13a ErwGr 2.; 8 Ob 105/13v ErwGr 3.3.; RS0116077; RS0129123; vglweiters 3 Ob 67/05g; 8 Ob 51/08w).
[28] Es reicht somit in diesem Zusammenhang nicht aus, dass das falsche Gutachten – im Sinn einer conditio sine qua non – auf irgendeine Weise kausal für die Vermögensdisposition des geschädigten Dritten war, diese Disposition also bei pflichtgemäßer Gutachtenserstellung unterblieben wäre (vgl zu fehlerhaften Bestätigungsvermerken des Abschlussprüfers 4 Ob 145/21h Rz 33; 6 Ob 126/23g Rz 13 f).
[29] Durch das Abstellen auf jene Dritte, die auf die falsche Expertise des Sachverständigen nicht nur vertrauen durften, sondern auch tatsächlich vertraut haben, wird der geschützte Personenkreis durch die Rechtsprechung – im Sinn einer Begrenzung der Zurechnung zur Vermeidung einer uferlosen Haftung für bloße Vermögensschäden gegenüber beliebigen Personen (vgl RS0026558 [T3]; RS0026564) – bewusst eng gezogen (vgl nochmals 4 Ob 145/21h Rz 33; näher dazu W. Doralt, Kausalität, Konkretes Vertrauen und Verjährung, ZFR 2022/109, 216 ff; Pock, Anm zu 4 Ob 145/21h, EvBl 2022/94; zur Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vgl RS0022814).
[30] 1.2. Diese Erwägungen, insbesondere auch zur notwendigen Begrenzung der Haftung gegenüber Dritten, gelten nicht nur für die Haftung des Abschlussprüfers (oder des Sacheinlageprüfers: vgl RS0017178 [T11]), sondern im besonderen Maße auch für die Ersatzpflicht von im Vorfeld beigezogenen Sachverständigen, die mit ihren Vorarbeiten die Grundlagen für diese externen Prüfer aufbereiten (näher dazu 10 Ob 17/25k Rz 29–31 mwN).
[31] Mit diesen Erwägungen zur Reichweite und zu den Voraussetzungen der Dritthaftung von Sachverständigen, deren Expertisen erkennbar Abschluss- bzw Sacheinlagenprüfern als Arbeitsgrundlage dienen sollen, steht auch die Entscheidung 10 Ob 57/03k in Einklang. Dort vertrat der Oberste Gerichtshof die – von der Lehre gebilligte (vgl statt vieler Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.09 § 1299 [2023] Rz 49) – Auffassung, dass grundsätzlich keine Haftung des den Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft erstellenden Steuerberaters für fahrlässig verursachte Vermögensschäden Dritter besteht, weil der erstellte Jahresabschluss zunächst nicht nach außen gerichtet ist und regelmäßig auch nicht angenommen werden kann, dass der Steuerberater bereit ist, einer unbekannten Vielzahl von Gläubigern und Aktionären sowie potentiellen Aktienerwerbern und deren Geldgebern für die Richtigkeit des Jahresabschlusses einzustehen.
[32] 1.3. Vor dem Hintergrund dieser Leitlinien hat das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten nach §§ 1299 f ABGB für fahrlässig verursachte (reine) Vermögensschäden der Klägerin auf Basis der vorliegenden (gesicherten) Tatsachengrundlage mit Recht von vornherein verneint: Ausgehend vom Inhalt der gegenständlichen gutachterlichen Stellungnahmen der Beklagten musste einem verständigen Informationsempfänger unzweifelhaft klar sein, dass diese Expertisen schon nach deren Natur und Zweck nicht als neutral gehaltene Informationsschreiben (auch) an potenzielle Gläubiger der späteren Emittentin gerichtet, sondern jeweils nur für die interne Verwendung im W*‑Konzern freigegeben worden waren (vgl auch 8 Ob 96/19d ErwGr 2.3.; weiters 4 Ob 249/14t). Die Beklagte hat damit keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, aufgrund dessen sie mit entsprechenden (Vertrauens-)Dispositionen Dritter zu rechnen hatte. Abgesehen davon ist es aber ausgehend vom Urteilssachverhalt auch zu keiner konkreten Enttäuschung eines Vertrauens der Klägerin gerade auf die Richtigkeit der Expertisen der Beklagten gekommen. Auch aus 9 Ob 7/23d ergibt sich nichts Gegenteiliges, zumal diese Entscheidung keine Aussage darüber enthält, unter welchen konkreten Voraussetzungen die Erstellerin des Markenwertgutachtens dem Anleger für seinen (reinen) Vermögensschaden zu haften hätte.
2. Haftung gemäß § 1295 Abs 2, § 1300 Satz 2 ABGB
[33] 2.1. Die Klägerin stützt sich im Verfahren nicht nur auf eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten durch das Schaffen einer (trügerischen) Vertrauensbasis für künftige Anleihegläubiger. Sie lastet der Beklagten sinngemäß an, ihre Expertisen für die Muttergesellschaft der Emittentin wissentlich falsch erstellt zu haben, damit diese darauf aufbauend ihre Anleihe mit vordergründig hervorragenden Bilanzkennzahlen bewerben habe können. Die Schädigung künftiger Anleger habe sie dabei billigend in Kauf genommen.
[34] In der Sache beruft sich die Klägerin damit auf eine sittenwidrige Schädigung der Anleihegläubiger der Emittentin durch bewusste Fehldarstellung des Markenwerts und der wirtschaftlichen Situation des Konzerns in ihren Gutachten, mit denen letztlich mittelbar auf den späteren Investitionsentschluss der Anleger Einfluss genommen worden sei.
[35] 2.2. Soweit die Vorinstanzen auch in diesem Zusammenhang erkennbar auf eintatsächliches Vertrauen der Klägerin gerade auf die konkreten gutachterlichen Stellungnahmen der Beklagten als Entscheidungsgrundlage für den schadensauslösenden Investitionsentschluss abstellten, bedarf diese Rechtsansicht der Korrektur:
[36] Die zuvor angeführten Erwägungen, die eine entsprechende Begrenzung der Zurechnung bei fahrlässig verursachten (reinen) Vermögensschäden Dritter durch falsche Gutachten notwendig erscheinen lassen (insbesondere die angesprochene Streuwirkung von Informationen, die – zur Vermeidung der Uferlosigkeit der Haftung und zur Ermöglichung einer Vorabeinschätzung des Haftungsrisikos durch den Gutachter – eine möglichst klare Abgrenzung des geschützten Personenkreises erforderlich macht), kommen hier nämlich nicht zum Tragen: Es besteht keine Veranlassung, einen Gutachter, der – nach den Prozessbehauptungen der Klägerin – wissentlich unrichtige Expertisen erstellt und dabei zugleich die Schädigung einer vorweg nicht näher eingrenzbaren Zahl von dritten Anlegern in seinen Vorsatz aufgenommen hat, vor einer Haftungsausuferung zu schützen.
[37] Nach allgemeinen Grundsätzen der Deliktshaftung genießt bloßes Vermögen Schutz vor vorsätzlicher Schädigung im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB (RS0016754; RS0023122; RS0022813 [T4, T5]). Nichts Anderes gilt im hier in Rede stehenden Bereich der Sachverständigenhaftung bei wissentlicher Unrichtigkeit der erteilten Information im Sinne des § 1300 Satz 2 ABGB im Fall der (zumindest bedingt) vorsätzlichen Schädigung dritter Personen (vgl Kletečka in FS Reischauer [2010] 295 mwN). So wird auch in der Rechtsprechung auf die ausnahmsweise deliktische Verantwortlichkeit des Sachverständigen gegenüber beliebigen Dritten – unabhängig von der Verletzung spezifischer Sorgfaltspflichten aus einer (vertraglichen oder gesetzlichen) Sonderbeziehung – bei absichtlicher, sittenwidriger Schadenszufügung hingewiesen (vgl RS0026234 [T1, T2]) und zugleich betont, dass eine deliktische Haftung gegenüber Dritten für reine Vermögensschäden bei (zumindest bedingtem) Vorsatz des Beklagten in Betracht kommt (in diesem Sinne RS0026234 [T7]).
[38] Auf die zur Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bzw wegen Verletzung objektiv-rechtlicher Schutzpflichten entwickelten Grundsätze, insbesondere zu den Haftungsvoraussetzungen der Schaffung einer Vertrauensbasis und der im konkreten Vertrauen darauf (also auf das Gutachten) getätigten Vermögensdisposition des Geschädigten, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl 8 Ob 51/08w; 8 Ob 96/19d ErwGr 1.1. und 2.1.; 6 Ob 205/19v ErwGr 1.4.). Es reicht vielmehr eine schlichte Kausalität des inkriminierten Verhaltens für den Eintritt des Schadens.
[39] 2.3. Damit erweist sich die Rechtssache schon in diesem Punkt als nicht spruchreif. Die gesicherte Feststellungsgrundlage reicht zur Beurteilung des erhobenen Vorwurfs der (bedingt) vorsätzlichen Schädigung potenzieller Anleihegläubiger durch wissentlich falsche Gutachten der Beklagten nicht aus.
[40] Das Erstgericht hat keine hinreichenden Feststellungen zu den näheren Umständen des Zustandekommens sowie der Abwicklung der fraglichen Gutachtensaufträge und namentlich zu den damit einhergehenden Vorstellungen des mit der Gutachtenserstellung befassten Geschäftsführers der Beklagten, aber auch zu den Fragen getroffen, ob die erstellten Gutachten unrichtig und zudem insoweit auf irgendeine Weise ursächlich für den Investitionsentschluss der Klägerin dahin gewesen sind, dass deren Disposition bei pflichtgemäßer Gutachtenserstellung unterblieben wäre.
3. Haftung gemäß § 69 IO iVm § 1301 ABGB
[41] 3.1. Der im Klagsvorbringens erhobene Fehlverhaltensvorwurf der Verletzung der Bestimmung des § 69 IO würde, träfe er zu, zu einer Ersatzpflicht der Beklagten führen, zumal es auch insoweit auf ein konkretes Vertrauen der Klägerin auf die erstellten Gutachten jeweils nicht ankommt. Auch insofern bedarf der Urteilssachverhalt einer Ergänzung:
[42] Die Klägerin hält auch noch im Revisionsverfahren ihren Vorwurf aufrecht, die Beklagte habe zur Verletzung der Insolvenzantragspflicht im Sinne des § 1301 ABGB beigetragen, indem sie – im Wissen um die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaften – mit ihren wissentlich falschen Expertisen sämtliche Grundlagen dafür geschaffen hätte, dass die Geschäftsleitung von der tatsächlich erforderlichen Antragstellung absehen und weitere Anleihegelder auf dem Kapitalmarkt einsammeln gekonnt habe.
[43] 3.2. Die Auffassung, die angesprochene Beteiligung an einer Verletzung des § 69 IO würde unter anderem die Führung der Geschäfte der Gesellschaft durch von der Beklagten eingesetzte Personen voraussetzen, was die Klägerin jedoch nicht einmal behauptet habe, hält einer Überprüfung nicht stand:
[44] Das Prozessvorbringen der Klägerin in Zusammenhang mit der vor Begebung der Anleihen unterbliebenen Insolvenzantragstellung läuft auf den Vorwurf der Bewirkung einer Vermögensschädigung durchbewusstes Verleiten, zumindest aber durch bewusstes Fördern der Begehung des in Rede stehenden Insolvenzdelikts durch den unmittelbaren Täter hinaus. Mehr ist aber zu einer Haftung als „Gehilfe“ im Sinne des § 1301 ABGB nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich: Der Gehilfe muss – wie es § 12 StGB und § 7 VStG formulieren – zur Ausführung der Tat beitragen oder diese erleichtern (4 Ob 194/05s mwN; RS0031329 [T7]). Adäquate Verursachung reicht für die Haftung nicht aus. Wer selbst nicht tatbestandsmäßig handelt, sondern nur einen sonstigen Tatbeitrag leistet, haftet daher nur dann, wenn er den Täter bewusst fördert. Dies setzt voraus, dass ihm die Tatumstände, die den Gesetzesverstoß begründen, bekannt sind oder er eine diesbezügliche Prüfpflicht verletzt, die auf grobe und auffallende Verstöße beschränkt ist (10 Ob 86/14s ErwGr 5.2.; RS0026577 [T7–T9]; RS0031329 [T8, T10]). Auch juristische Personen können sich – aufgrund des ihnen zuzurechnenden Verhaltens ihrer Organe und Repräsentanten – als Mittäter an einer Schutzgesetzverletzung beteiligen (vgl 10 Ob 86/14s ErwGr 5.5.; RS0079765 [T12, T14]; RS0009113 [T25, T33]).
[45] 3.3. Ausgehend davon wäre auch der hinreichend substanziierte Vorwurf der Mittäterschaft der Beklagten bei der Verletzung des § 69 IO zu klären.
4. Andere Haftungstatbestände
[46] 4.1. Auf die von der Klägerin relevierte Frage, ob der Beklagten (neben einer vorsätzlichen Schädigung) deshalb eine Schutzgesetzverletzung anzulasten sei, weil der Geschäftsführer der Beklagten zum Vergehen der unvertretbaren Darstellung wesentlicher Informationen über bestimmte Verbände nach § 163a Abs 1 StGB beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB) habe, muss hier nicht näher eingegangen werden.
[47] Träfe nämlich der (auch) in diesem Zusammenhang erhobene Fehlverhaltensvorwurf zu, der Geschäftsführer der Beklagten habe sein wissentlich falsches Markenwertgutachten (und dessen nachfolgende Bestätigung) mit dem Vorsatz erstellt, damit in der Bilanz der späteren Emittentin „künstlich“ Eigenkapital zu schaffen und in der Folge der Emittentin zu ermöglichen, mit (vordergründig) hervorragenden Bilanzkennzahlen Anleger zu werben, wobei er die Schädigung dieser Anleger billigend in Kauf genommen habe, wäre die Beklagte der Klägerin nach den vorangegangenen Ausführungen ohnedies bereits nach § 1295 Abs 2 ABGB ersatzpflichtig.
[48] 4.2. Der Vollständigkeit halber sei überdies darauf verwiesen, dass eine von der Klägerin noch ins Treffen geführte Ersatzpflicht der Beklagten wegen der Beteiligung an Pflichtverletzungen in Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung der Emittentin im Dezember 2016 auf Grundlage der im Klagevortrag relevierten gesetzlichen Haftungstatbestände schon deshalb ausscheidet, weil die Haftung wegen Verletzung von Grundsätzen der Kapitalaufbringung nach den in Frage kommenden gesetzlichen Tatbeständen jeweils als Innenhaftung bloß gegenüber der Gesellschaft ausgestaltet ist (vgl statt vieler van Husen in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 10 [2021] Rz 447 ff undKraus/Spendel in Napokoj/Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG Praxiskommentar [2019] § 40 Rz 2, jeweils mwN).
[49] B. Der Senat teilt diese zu 10 Ob 17/25k und 7 Ob 69/25k überzeugend begründete Rechtsansicht.
[50] Davon ausgehend erweist sich die Klagsabweisung zwar insbesondere in Ansehung der auf §§ 1299, 1300 Satz 1 ABGB gestützten Ansprüche berechtigt, die Haftungstatbestände nach § 1295 Abs 2, § 1300 Satz 2 ABGB sowie § 69 IO können jedoch nicht von vornherein als nicht stichhältig abgetan werden. Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen ist zur Klärung der Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher Schädigung sowie wegen Beteiligung an einer Verletzung des § 69 IO erforderlich. Die Rechtssache ist aus diesem Grund zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
[51] C. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Mängelrüge inhaltlich unbehandelt ließ und die in der Beweisrüge der Berufung angefochtenen Feststellungen pauschal nicht übernahm.
1. Zur Verjährung
[52] Nach den Feststellungen hat die Klägerin im Jänner 2018 von der Insolvenz der Emittentin und dem Verlust des eingesetzten Kapitals erfahren; ihre Klage erhob sie am 21. 9. 2021.
[53] Soweit die Beklagten ihren Verjährungseinwand auf die zwischen ihr und ihrer Auftraggeberin vereinbarte Verkürzung der Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche gründet, ist ihr entgegenzuhalten:
[54] 1.1. Die Erstreckung von vertraglichen Regelungen – hier in den AAB – auf die Klägerin, welche die Verjährung einschränken (bzw hier die Verjährungsfrist verkürzen), wäre nur bei Vorliegen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter überhaupt denkbar. Nur dort ist nämlich anerkannt, dass der Schuldner dem geschützten Dritten auch alle Einwendungen aus dem Vertrag mit seinem Gläubiger entgegenhalten kann, da der Anspruch nie weiter als der vertragliche Ersatzanspruch des Gläubigers reicht (RS0013961; vgl Koziol, Haftpflichtrecht II3 A/2 [2018] Rz 370). Ein näheres Eingehen erübrigt sich hier aber, weil eine Haftung der Beklagten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter verneint wurde. Die Dritthaftung aufgrund der Verletzung objektiv‑rechtlicher Sorgfaltspflichten durch den Sachverständigen gründet auf eigenständige gesetzliche Pflichten, die zulasten der durch diese Pflichten geschützten Personen vertraglich nicht ausgeschlossen werden können (vgl nur Koziol, Haftpflichtrecht I4 F/ [2020] Rz 51 sowie II3 A/6/ [2018] Rz 38). Für die von der Beklagten gewünschte Erstreckung der vertraglichen Einschränkung der Verjährungsfristen bleibt schon deshalb kein Platz. Gleiches gilt für deliktische Ansprüche nach § 1295 ABGB.
[55] 1.2. Nach allgemeinen Grundsätzen beginnt die kurze Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB mit dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden sind (RS0034951). Diese Kenntnis wird durch verschuldete Unkenntnis oder die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht ersetzt (RS0034686 [insb T6, T7]). Allerdings genügt die Kenntnis von Umständen, aufgrund welcher der Geschädigte die einem bestimmten Ersatzpflichtigen zurechenbare Schadensursache ohne nennenswerte Mühe – und demnach zumutbarerweise – in Erfahrung bringen gekonnt hätte. Unter dieser Voraussetzung gilt die Kenntnis des Schadens in dem Zeitpunkt als erlangt, in dem sie dem Geschädigten bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034366 [T20], RS0034686 [T2], RS0034524 [T21]).
[56] Wer die Verjährung einwendet, hat die dafür maßgeblichen Tatsachen – einschließlich einer Verletzung von Erkundigungsobliegenheiten – deutlich vorzubringen und zu beweisen (RS0034198 [T1, T2, T4]; RS0034326 [T3, T7, T9]; RS0034456 [T3–T5]).
[57] 1.3. Die hier Beklagte hat primär zu Fragen der Verjährung von von ihr so bezeichneten „quasi-vertraglichen“ Ansprüchen Stellung bezogen und sich zu allgemeinen Verjährungsfragen nur unsubstanziiert in ihrer Klagebeantwortung geäußert.
[58] Die Klägerin hat dagegen auf die einschlägige Rechtslage und Rechtsprechung sowie das Fehlen von konkretem Vorbringen der Beklagten zu dieser Frage ausdrücklich hingewiesen, ohne dass die Beklagte dem in der Folge mehr als die Wiederholung ihrer Argumente betreffend die zufolge der AAB angeblich eingetretene Verjährung „behaupteter (quasi-)vertraglicher Ansprüche“ entgegensetzte.
[59] Es wäre daher Sache der Beklagten gewesen, ihren diesbezüglichen Prozessstandpunkt zu überdenken und daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen, ohne dass es hierzu einer richterlichen Erörterung oder Anleitung bedurft hätte (vgl RS0122365).
[60] 1.4. Für einen Beginn der eingewandten allgemeinen Verjährungsfrist nach § 1489 erster Fall ABGB mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung kann bereits jetzt gesagt werden, dass dieser Verjährungseinwand der Beklagten nicht stichhältig ist; es handelt sich hierbei um einen abschließend erledigten Streitpunkt, der im fortgesetzten Verfahren somit nicht mehr aufgerollt werden kann und keiner weiteren Feststellungen bedarf (RS0042031).
2. Zum Schaden
[61] 2.1. Zu Schaden und Alternativinvestment brachte die Klägerin vor, neben dem Kapital stünden ihr auch entgangene Zinsen aus einem Alternativinvestment zu. Sie hätte in Finanzinstrumente seriöser Emittenten investiert und einen Zinssatz von 2,5 % pa ab Investitionszeitpunkt erhalten.
[62] Das Erstgericht traf Negativfeststellungen dahin, wie die Klägerin das Geld anderweitig veranlagt hätte, wie sich eine alternative Veranlagung entwickelt hätte, ob dabei das investierte Kapital erhalten geblieben wäre und ob bzw in welcher Höhe die Klägerin Zinsen lukriert hätte. Rechtlich vertrat es, die Klägerin habe trotz Rüge der Beklagten und Erörterung kein ausreichendes Vorbringen zum Alternativinvestment erstattet und es lägen hierzu keine ausreichenden Beweisergebnisse vor.
[63] Diese Negativfeststellungen wurden vom Berufungsgericht ausdrücklich nicht übernommen, weil es sie für irrelevant erachtete.
[64] Unabhängig vom Bestand dieser Negativfeststellungen ist der Sachverhalt aber jedenfalls ergänzungsbedürftig.
[65] 2.2. Nach der Rechtsprechung trifft den Geschädigten beim Anlegerschaden die Behauptungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass er bei korrekter Information die tatsächlich gezeichneten Wertpapiere nicht erworben hätte, sondern auch für die Wahl einer hypothetischen Alternativanlage bei korrekter Information und deren Entwicklung (RS0030153 [T25]). Die Begründung dafür liegt darin, dass nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass der Anleger bei richtiger Beratung eine völlig risikolose Veranlagung vorgenommen hätte (vgl 4 Ob 19/12s ErwGr 1); der Anleger, der bei korrekter Information zwar etwa von einem Aktienkauf Abstand genommen, jedoch ein anderes Wertpapier erworben hätte, bei dem es inzwischen auch zu Wertverlusten gekommen wäre, würde durch die Rückerstattung des vollen Kaufpreises gegen Rückgabe der erworbenen Papiere insofern einen Vorteil gegenüber der hypothetischen Entwicklung erlangen, als die bei den hypothetischen Käufen sonst entstandenen Verluste nicht berücksichtigt würden. Anders wäre die Lage nur dann, wenn der Anleger ausnahmsweise bei korrekter Information keine Wertpapiere erworben, sondern das Geld auf ein Sparbuch gelegt und jedenfalls keine Kursverluste erlitten hätte; allein bei Zutreffen dieser Umstände wäre also der volle Erwerbspreis an den Anleger zurückzuerstatten (vgl 7 Ob 77/10i ErwGr II.3.1.2.).
[66] 2.3. So wurde bereits judiziert, dass dann, wenn zwar zu einer konkreten Alternativveranlagung eine Negativfeststellung getroffen wurde, aber andererseits feststeht, dass sich der Anleger (zusammengefasst) für eine sichere Anlageart entschieden hätte, nicht der Schluss gezogen werden kann, er hätte gar keinen Schaden nachweisen können (vgl 1 Ob 73/18v ErwGr 2.4 unter Hinweis auf 1 Ob 112/17b). Der Anleger muss daher die reale Schädigung nur plausibel machen und überwiegende Gründe dafür aufzeigen, die für ein Herbeiführen des Schadens durch das Verhalten des Beklagten sprechen; dem Beklagten steht dann seinerseits der Nachweis offen, dass ein anderer Verlauf doch wahrscheinlicher wäre (vgl 8 Ob 2/17b ErwGr 2 mwN).
[67] 2.4. Geht man von diesen Grundsätzen aus, so ist schon die Ansicht des Erstgerichts, die Klägerin habe trotz Erörterung kein ausreichendes Vorbringen erstattet, als nicht tragfähig anzusehen, zumal sie nach ihren Behauptungen erkennbar bestimmte Anlagegattungen (Finanzinstrumente seriöser Emittenten mit guter Bonität) in Betracht zog, wozu Feststellungen fehlen. Selbst aber unter Zugrundelegung der Feststellungen, wonach die Klägerin nicht die Anleihe gezeichnet hätte, wenn die Emittentin nicht über Eigenkapital verfügt hätte, und sie (weitgehend) kapitalerhaltend, aber dennoch ertragreich veranlagen wollte, könnte nicht der Schluss gezogen werden, dass der Klägerin schon der Beweis jedweden Schadens misslungen wäre.
[68] Unabhängig von in diesem Zusammenhang unterbliebener Behandlung der Beweisrügen kann aufgrund der unklar gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts nicht abschließend beurteilt werden, ob die Klägerin im Sinne der soeben dargelegten Grundsätze kapitalerhaltend oder in eine andere Anlageform investiert hätte. Nach den derzeitigen Feststellungen hätte die Klägerin die gegenständliche Investition nicht getätigt, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob bzw welche Alternativinvestition sie vorgenommen hätte. Eine unterbliebene Investition könnte aber mit kapitalerhaltendem Vorgehen gleichgesetzt werden (vgl 3 Ob 109/19d). Selbst die Berücksichtigung der Negativfeststellungen würde daher die (gänzliche) Klagsabweisung nicht tragen, sodass – trotz Nichtbehandlung der Beweisrüge – die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen ist.
3. Zusammenfassung
[69] Verfahren und Sachverhaltsfeststellungen bedürfen somit unabhängig von der nicht vollständigen Erledigung der Berufung durch das zweitinstanzliche Gericht jedenfalls einer Ergänzung bzw Verbreiterung, sodass es bei der Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zu bleiben hat.
[70] D. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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