OGH 10Ob41/24p

OGH10Ob41/24p17.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Schober als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Steger, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A*, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen (zuletzt) 9.300 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 11. Juli 2024, GZ 53 R 186/24w‑55, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 19. April 2024, GZ 11 C 128/21y‑51, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00041.24P.1217.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 745,65 EUR (darin 119,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 1. April 2017 einen Audi A6 Allroad als Gebrauchtwagen (Kilometerstand ca 94.500) um 31.000 EUR. Das Fahrzeug ist mit dem Motortyp EA897 ausgestattet. Dass das im Kaufzeitpunkt vorhandene „Thermofenster“ eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung darstellt und die Beklagte demgemäß zu Schadenersatz verpflichtet ist, ist im Revisionsverfahren nicht strittig.

[2] Wenn man einem Käufer sagen würde, dass er ein Fahrzeug erwerbe, welches eine unzulässige Abschalteinrichtung habe, dieses Problem allerdings binnen einer Frist von ein oder zwei Jahren mit einem Software‑Update behoben werde, dann ist die „fiktive Wertminderung“ bzw der „Abschlag, damit beide Fahrzeuge gleich gekauft werden“ (eines mit zulässiger und eines mit unzulässiger Software) etwa 10 %. Wenn die Zusage, dass ein Software-Update binnen ein oder zwei Jahren angeboten werde, nicht abgegeben werden kann, dann ist der „Abschlag“ mit etwa 30 % zu bewerten und zwar im Hinblick darauf, dass dann ein Restrisiko besteht, dass es eventuell zu einem Zulassungsentzug kommen kann. Wenn ein Käufer gleich ein nicht typengenehmigungsfähiges Fahrzeug erwerben will, dann müsste dieser „Abschlag“ auf zumindest 50 % erhöht werden, weil das Fahrzeug nur als Teileträger verwendet werden könnte oder überhaupt „sehr ferne auslandsverkauft werden müsste“.

[3] Das Erstgericht gab dem auf Zahlung von 9.300 EUR (30 % des Kaufpreises) gerichteten Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 3.100 EUR (10 % des Kaufpreises) statt und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren ab. Der Kläger hätte das Fahrzeug bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung zwar nicht gekauft, verwende dieses jedoch seit dem Ankauf 2017 uneingeschränkt (auch ohne Software‑Update) so weiter, als gebe es diesen Umstand nicht. Unter Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO sei ein Schadenersatzbetrag von 10 % des Kaufpreises angemessen.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Pauschalbemessung innerhalb einer Bandbreite von 5 % bis 15 % des vom Kläger gezahlten Kaufpreises aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben schließe zwar nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt werde und der Käufer Ersatz derselben verlangen könne, zu einer allfälligen Wertdifferenz habe das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen. Die allgemein gehaltenen Feststellungen zur fiktiven Wertminderung genügten nicht, um daraus auf die Marktwerte des konkreten Fahrzeugs im mangelhaften und im mangelfreien Zustand zu schließen.

[5] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil es durch die dargestellte Ermessensentscheidung nach § 273 Abs 1 ZPO zu einer gewissen „dogmatischen Vermischung zwischen der objektiv abstrakten und subjektiv konkreten Schadensberechnung“ komme.

[6] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Stattgabe des Klagebegehrens, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[9] 1.1. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90, 93), ist jedenfalls ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren. Wie bereits vom Obersten Gerichtshof wiederholt entschieden, kann der zu ersetzende Betrag in Übereinstimmung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO vom Gericht nach freier Überzeugung – selbst unter Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen‑)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festgesetzt werden (RS0134498).

[10] 1.2. Dies schließt nach der Rechtsprechung aber nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangen kann (RS0134498 [T6]). Dies würde allerdings das Vorliegen solcher exakter Feststellungen voraussetzen, was das Berufungsgericht verneinte.

[11] 2.1. Die Entscheidung des Gerichts darüber, ob es § 273 ZPO anwenden darf, ist eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung. Wurde zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 273 ZPO bejaht oder verneint, muss dies mit Mängelrüge bekämpft werden (RS0040282). Hat das Berufungsgericht – wie hier – verneint, dass das Erstgericht zu Unrecht § 273 ZPO anwendete, kommt demnach eine Anfechtung in diesem Punkt in der Revision als vermeintlicher Verfahrensmangel nicht mehr in Betracht (RS0040364 [T3]; RS0040282 [T8, T15]). Die übereinstimmende Anwendung des § 273 ZPO durch die Vorinstanzen ist daher nicht revisibel.

[12] 2.2. Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (RS0042963 [T58]). Nur wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat, läge ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor (RS0040597 [T3, T4]; RS0043086).

[13] Hier ging das Berufungsgericht davon aus, dass die allgemein gehaltenen Feststellungen über ein fiktives Käuferverhalten bei Offenlegung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausreichten, um daraus auf die (tatsächlich erzielten) Marktwerte solcher Fahrzeuge im mangelhaften und im mangelfreien Zustand im Ankaufszeitpunkt zu schließen (in diesem Sinn auch 5 Ob 33/24z Rz 25; 10 Ob 46/23x Rz 19; vgl auch 10 Ob 7/24p Rz 26 und 10 Ob 13/24w Rz 47). Diese – einzelfallbezogene und regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufwerfende (RS0118891) – Auslegung der Urteilsfeststellungen ist schon deswegen nicht korrekturbedürftig, weil sich den getroffenen Feststellungen (oder auch nur den vorhandenen Beweisergebnissen) nicht entnehmen lässt, ob im maßgeblichen Zeitpunkt des Ankaufs derartige oder vergleichbar mangelhafte Fahrzeuge tatsächlich gehandelt wurden. Auch das Erstgericht selbst ging von einem (bloß) grundsätzlichen Bestehen eines Minderwerts aus und lehnte eine (exakte) Feststellung durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens ausdrücklich ab.

[14] Entgegen dem Standpunkt des Klägers ging das Berufungsgericht daher von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts nicht (unter Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz) ab und es verwarf die – gegen die Anwendung des § 273 ZPO gerichtete – Mängelrüge des Klägers folglich auch nicht mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung.

[15] 3. Soweit sich der Kläger in seiner Rechtsrüge gegen das Ergebnis der Schadensschätzung durch das Berufungsgericht wendet, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dem Gericht bei Anwendung des § 273 ZPO die Befugnis zukommt, die Höhe des Anspruchs nach freier Überzeugung festzusetzen (RS0040459 [T1]). Für die Ausübung des richterlichen Ermessens sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl RS0121220 [T1]; RS0111576 [T2]). Es können daher nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung auch noch in dritter Instanz an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0007104 [insb T1, T5]).

[16] Soweit sich der Kläger gegen die Rechtsprechung wendet, die bei der Festsetzung des Ersatzbetrags in der genannten Bandbreite unter anderem berücksichtigt, ob der Erwerber das Fahrzeug auch in Kenntnis des umweltschädlichen Mangels erwerben hätte wollen, es auch nach Aufdeckung behält und weiter so verwendet, als würde das Problem nicht bestehen (RS0134498 [T3]), befürchtet er, dass es zu einer „dogmatischen Vermischung“ zwischen der objektiv‑abstrakten und subjektiv-konkreten Schadensberechnung komme, weil nach dem Schadenseintritt (Zeitpunkt des Ankaufs des Fahrzeugs) eingetretene Umstände berücksichtigt würden. Darauf muss aber nicht eingegangen werden, weil der Kläger in der Revision nicht darlegt, inwiefern gegen die Ermittlung des Schadenersatzbetrags im Bereich von 10 % des Kaufpreises vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Bedenken bestünden (vgl 10 Ob 46/23x Rz 20, 22), selbst wenn solche Umstände im vorliegenden Fall in die Festsetzung des Ersatzbetrags nach § 273 Abs 1 ZPO nicht einfließen würden.

[17] Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung thematisiert, die den Ersatzbetrag bei Weiterveräußerung im Rahmen der Bandbreite des zu bemessenden Betrags reduziert (vgl RS0134498 [T10]), ist er daran zu erinnern, dass eine Weiterveräußerung im vorliegenden Fall nicht erfolgte und von den Vorinstanzen auch nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt wurde. Ein Benützungsentgelt für gefahrene Kilometer, gegen das der Kläger in der Revision eintritt, ist hier ebensowenig gegenständlich.

[18] Dass das Ergebnis der Ausmittlung der zu ersetzenden Wertminderung durch die Vorinstanzen die Grenzen des gebundenen Ermessens überschritten hätte, zeigt die – sich auf die Kritik an der Berücksichtigung der genannten Umstände beschränkende – Revision somit nicht auf.

[19] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte