European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00093.24V.1216.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – I* Im* mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie in Y* gegen ihre während des Großteils des Tatzeitraums unmündigen Kinder eine längere Zeit hindurch, nämlich jeweils länger als ein Jahr, fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar
I/ von 2013 bis zum 25. Juli 2022 gegenüber ihrem 2007 geborenen Sohn C* Im*, indem sie ihn mehrfach monatlich dadurch zum Teil schwer verletzte und misshandelte, dass sie ihn an einer Sprossenwand festband, ihn mit einem Gürtel und seinen Kopf gegen ein Gitterbett schlug, sodass er eine Rissquetschwunde an der linken Augenbraue davontrug, ihm mit einem Messer eine Stichverletzung im Gesäß zufügte, durch besonders gewaltsames Verdrehen des Armes den rechten Oberarm brach, ihn gegen die Kante eines Möbelstücks stieß, wodurch er einen Bruch im Bereich der Front des Unterkiefers erlitt, die eine Reposition samt Schienung der Unterkieferfront erforderlich machte, seinen Kopf gegen einen Heizkörper stieß, sodass er eine Wunde im Bereich der Augenbrauen davontrug, ihm die Spitze eines Kugelschreibers an eine „Stelle im Fußbereich“ drückte, ihn wiederholt im Bereich der Füße biss, längere Zeit auf ungekochten Reiskörnern, die am Boden ausgelegt waren, knien ließ, ihm vielfach Ohrfeigen ins Gesicht versetzte, ihn mit ihren Füßen trat, und mit Kochlöffeln und anderen Gegenständen auf sein Gesäß oder andere Körperstellen schlug;
II/ von 2014 bis zum 25. Juli 2022 gegenüber ihrem 2008 geborenen Sohn O* Im*, indem sie ihn mehrfach monatlich dadurch zum Teil schwer verletzte und misshandelte sowie gefährlich mit der Zufügung von Körperverletzungen bedrohte, dass sie ihm unter Anwendung erheblicher Körperkraft einen Bruch am unteren Ende des Oberarmknochens zufügte, ihm mit einem Messer einmal in den linken Oberschenkel und ein weiteres Mal ins linke Schienbein stach, ihm in zahlreichen Fällen mit Gegenständen wie Kochlöffeln, Schnüren und Gürteln Schläge gegen das Gesäß versetzte, während sie ihm zur Unterbindung von Schreien gewaltsam ein Tuch den Mund stopfte, ihm ein weiteres Mal einen Bruch des linken Oberarmknochens durch gewaltsames Verdrehen des Oberarms zufügte, ihm vielfach Faustschläge gegen den Körper und Ohrfeigen ins Gesicht versetzte, ihn wiederholt mit einem um den Hals angelegten Tuch würgte, sodass er nur mehr schwer atmen konnte, ihm in unterschiedlichste Körperstellen biss, wiederholt mit großer Brutalität an den Ohren zog, mit einem Holzstock oder ähnlichem schlug, wiederholt mit seinem Kopf gegen Heizkörper, Wand oder Tisch stieß, einmal eine Schere nach ihm warf, sodass er am Oberkörper eine kleine Stichwunde davontrug, ihn wiederholt für einen längeren Zeitraum auf ungekochten Reiskörnern, die auf dem Boden ausgelegt waren, knien ließ, sowie mehrmals mit einem vorgehaltenen Messer mit der Zufügung einer Verletzung am Körper bedrohte und ihm dadurch vermittelte, dass sie ihm eine Stichwunde zufügen könne;
III/ von 2015 bis zum 25. Juli 2022 gegenüber ihrer 2009 geborenen Tochter A* Im*, indem sie sie mehrfach monatlich dadurch zum Teil schwer verletzte und misshandelte, dass sie ihr mit einer kleinen Schere eine blutende Schnittverletzung im Bereich der Zunge zufügte, ihr kochendes Wasser über die Füße goss, sodass sie Rötungen davontrug, sie oft mit Gegenständen wie Gürtel oder Stock am Körper schlug, wodurch sie fallweise Hämatome und Rötungen mit erheblichen Schmerzen davontrug, sie wiederholt mit einem Kochlöffel gegen das Gesäß und den Kopf schlug, in einem Fall ihre Hand und den Unterarm an einer Küchenreibe rieb, wodurch sie Kratzwunden am Unterarm davontrug, sie wiederholt an den Ohren und an der Unterlippe zog, ihr oft Ohrfeigen und Tritte versetzte, sie wiederholt mit den Händen würgte, mehrmals in den Finger biss und über einen längeren Zeitraum auf ungekochten Reiskörnern, die auf dem Boden ausgelegt waren, knien ließ.
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3 und 5a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten I* Im* ist nicht im Recht.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert, es sei zu Unrecht ein „Abwesenheitsurteil“ (vgl § 427 StPO) ergangen, weil die (im Übrigen jeweils durch einen Verteidiger vertretene [vgl § 61 Abs 1 Z 5a StPO]) Beschwerdeführerin während der kontradiktorischen Vernehmungen der drei Opfer nicht anwesend gewesen sei (vgl ON 28, 2; ON 29, 2; vgl aber ON 30, 2). Das Vorbringen ist schon im Ansatz verfehlt, weil die kontradiktorische Vernehmung – ungeachtet einer Vorführung der dort angefertigten Ton- und Bildaufnahme (vgl § 252 Abs 1 Z 2a StPO) – kein „integraler Bestandteil der Hauptverhandlung“ ist (vgl RIS‑Justiz RS0129161, RS0097569; Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 165 Rz 14/1). Dass die Hauptverhandlung – abgesehen von der Vernehmung des Mitangeklagten (vgl § 250 Abs 1 StPO [ON 46.2, 3 und 18]) – (zumindest teilweise) in ihrer Abwesenheit durchgeführt worden sei (vgl Bauer, WK‑StPO § 427 Rz 2), behauptet die Beschwerdeführerin indes zu Recht (vgl ON 46.1 und 65.1) nicht.
[5] Aus Z 3 wird weiters der Ausschluss der Öffentlichkeit, insbesondere dessen Dauer (vom Beginn der Vernehmung des Mitangeklagten bis nach der Vernehmung des Zeugen C* Im* [ON 46.2, 3 und 48]) moniert, weil der vom Erstgericht angenommene Ausschlussgrund des § 229 Abs 1 Z 2 StPO in der Regel nur temporär wirke (vgl Danek/Mann, WK‑StPO § 229 Rz 5). Die Rechtmäßigkeit der kritisierten Maßnahme ist anhand der Verfahrenssituation im Entscheidungszeitpunkt zu beurteilen. Dass eine Erörterung des persönlichen Lebensbereichs der Opfer (vgl ON 46.2, 3) ex ante zu erwarten war, ergibt sich zwanglos bereits aus dem Verhandlungsgegenstand (vgl 14 Os 119/14b, 120/14z). Weshalb dies nicht auch für die Vernehmung der Angeklagten gelte, erklärt die Rüge nicht. Ob es während der unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführten Verfahrensschritte tatsächlich zu Erörterungen im obigen Sinn kam, ist unter dem Aspekt der Verfahrensnichtigkeit ohne Bedeutung (RIS‑Justiz RS0098875, RS0098868; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 256).
[6] Mit dem bloßen Hinweis, es liege „eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ vor, weil es – neben den Opfern – „weder objektivierte Beweise noch einen einzigen weiteren Zeugen“ gebe (vgl aber US 16 f [zu objektivierten Verletzungsfolgen]) und die Beschwerdeführerin „durchgehend und vehement während des gesamten Verfahrens stringent die ihr zur Last gelegten Taten“ bestritten habe, weckt die Tatsachenrüge (Z 5a) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.
[7] Gleiches gilt, soweit die Rüge aus dem im Urteil ausführlich erörterten (US 22 ff) aussagepsychologischen Gutachten (ON 57) andere Schlüsse zieht als das Erstgericht (vgl RIS‑Justiz RS0099674).
[8] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird ein aus Z 5a beachtlicher Mangel nicht behauptet (RIS‑Justiz RS0102162).
[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der General-prokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[10] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
[11] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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