OGH 1Ob142/24z

OGH1Ob142/24z19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R*, geboren * 1941, emeritierter Rechtsanwalt, *, vertreten durch *, Rechtsanwältin *, gegen die beklagte Partei I*, geboren * 1966, Angestellte, *, vertreten durch die * Rechtsanwalts GmbH *, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts * vom 10. Juni 2024, GZ 2 R 43/24v-184, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts * vom 29. Dezember 2023, GZ 264 C 18/22b-173, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00142.24Z.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil, das im Übrigen in Rechtskraft erwuchs, in seinem Punkt II.2. (Abweisung des Antrags der beklagten Partei auf Ausspruch des alleinigen oder überwiegenden Verschuldens der klagenden Partei an der Zerrüttung der Ehe) sowie in Punkt II.3. (Kostenentscheidung) wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.095,12 EUR (darin 182,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.296,90 EUR (darin 125,30 EUR USt und 545 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Parteien heirateten am 17. 5. 1996. Es war für den Mann die dritte und für die (25 Jahre jüngere) Frau die erste Ehe. Die Parteien haben zwei erwachsene Kinder, der Kläger hat drei weitere erwachsene Kinder aus seinen vorangegangenen Ehen. Die häusliche Lebensgemeinschaft der Parteien ist seit mehr als drei Jahren aufgehoben. Die Parteien wohnten gemeinsam in *.

[2] Der mittlerweile emeritierte Kläger war während der Ehe als Rechtsanwalt tätig. Über mehrere ihm zuzurechnende Gesellschaften war er außerdem mit diversen Immobilienprojekten befasst. Er erklärte der Frau vor der Hochzeit, „ein Workaholic zu sein, wogegen es kein Rezept gebe“. Dies habe zu Problemen in seinen früheren Ehen geführt.

[3] Die Beklagte arbeitete bis zur Geburt des ersten Kindes und absolvierte parallel dazu eine Ausbildung. Danach blieb sie zunächst – im Einvernehmen mit dem Kläger – zu Hause. Sie schloss ein Studium ab, das ihr der Mann – ebenso wie Fort- und Weiterbildungen – finanziert hatte. Nach Studienabschluss absolvierte sie ein Praktikum in einem Gesundheitsinstitut, wo sie sich finanziell beteiligen hätte können, was der Mann aufgrund der Höhe der Investition ablehnte. Sie arbeitete in der Folge in einer Immobiliengesellschaft des Mannes, wo sie jedoch wenig Akzeptanz durch ihre Kollegen erfuhr. Der Kläger mischte sich in diese Konflikte (auch mit Vorgesetzten) nicht ein, weil er der Ansicht war, sie müsse „ihren eigenen Weg finden“. Als die Frau wegen eines Erschöpfungszustands für drei Wochen im Spital war, besuchte er sie nicht.

[4] Zu Beginn der Ehe bemühte sich der Kläger, gemeinsame Freizeit mit seiner Frau zu verbringen. Sie besuchten etwa Konzerte in Wien, wo sie öfter auch das Wochenende verbrachten. Im Laufe der Ehe wurden diese Aufenthalte weniger, wodurch es zu Streitigkeiten kam. Es bestanden auch Differenzen, was gemeinsame Lokalbesuche betraf, weil sich der Kläger mit weniger luxuriösen Restaurants (teilweise auch mit einem Würstelstand) zufrieden gab als die Beklagte. Zu Beginn der Beziehung gingen die Parteien auch noch gemeinsam reiten, was der Mann im Laufe der Zeit aus gesundheitlichen Gründen einschränkte. Sie verbrachten zunächst auch zahlreiche gemeinsame Urlaube. Der Mann vermied aber Flugreisen, weil er ungern flog. Er nahm daher an zwei Amerika-Reisen seiner Familie nicht teil. Im Verlauf der Beziehung wurden auch die gemeinsamen Urlaube weniger. Wenn es solche zuletzt gab, arbeitete der Kläger regelmäßig auch im Urlaub. Anlässlich eines Urlaubs fuhr er vorzeitig nach Hause, nachdem sich die Beklagte darüber beklagt hatte, dass sie nur Prosecco bekomme, wo doch der Ehegatte eines befreundeten Paares für seine Frau Champagner bestellt habe. Andererseits erklärte sie im Zuge eines Streits, dass der Kläger nicht auf einen bereits gebuchten Urlaub mitzufahren brauche. Er reiste dann verspätet nach, um den Geburtstag des gemeinsamen Sohnes zu feiern. Die Beklagte schlief in diesem Urlaub in einem eigenen Zimmer, weil sie „mit ihm in einem Zimmer keine Luft zum Atmen habe“.

[5] Generell nahmen die Streitigkeiten während der Ehe zu, wobei es zu immer längeren Phasen kam, in denen die Parteien – was primär von der Frau ausging – nicht miteinander sprachen, wobei die Frau dann teilweise auch aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszog. Auch Zärtlichkeiten wurden seltener. Der Mann ging Konfrontationen tendenziell aus dem Weg, wohingegen sich die Frau emotional und temperamentvoll verhielt und ihre Gefühle lautstark zum Ausdruck brachte, was die Beziehung der Parteien von Anfang an belastete. Oft reichten schon Kleinigkeiten oder unbedachte Äußerungen des Mannes für heftige Gemütsausbrüche der Frau. Im Streit zerstörte sie teilweise verschiedene (eigene oder dem Mann gehörende) Gegenstände, sperrte den Mann einmal aus dem gemeinsamen Haus aus oder versuchte im Urlaub, ihn aus dem Hotelzimmer auszusperren. In der Öffentlichkeit beherrschte sie sich jedoch.

[6] Je angespannter die Beziehung wurde, umso mehr vertiefte sich der Kläger in seine Arbeit und umso vehementer äußerte die Frau ihre Unzufriedenheit. Dies führte wiederum zu einem weiteren Rückzug des Mannes in seine Arbeit. Vereinzelt kam es allerdings auch zu Kränkungen der Frau durch den Mann, wobei er sich aber im Freundeskreis nie schlecht über sie äußerte, sondern sie vor Dritten vielmehr lobte.

[7] Letztlich führte ein Streit und die dabei erfolgte Äußerung der Beklagten „ich stehe zu meinen Anfällen“ dazu, dass der Kläger am 13. 4. 2015 aus der Ehewohnung auszog. Die Beklagte wollte zunächst noch an der Ehe festhalten. Nachdem sie am 30. 12. 2015 einen anderen Mann kennengelernt hatte, mit dem sie in der Folge eine Beziehung einging, hatte auch sie keinen Willen mehr, die Ehe fortzusetzen.

[8] Bis zu seinem Auszug stellte der Mann der Frau monatlich 3.500 EUR zur Verfügung, ab 2012 verfügte sie auch über eine über sein Konto laufende Kreditkarte. Der Mann trug sämtliche Kosten für das Haus und den Haushalt und bezahlte alle Rechnungen der Familienmitglieder. Finanziell „größere“ Wünsche der Frau erfüllte er ihr in Form von Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenken. Vor seinem Auszug forderte die Frau von ihm keinen (höheren) Unterhalt. Sie befürchtete jedoch, durch eine vom Mann gegründete Privatstiftung, in die er seine Unternehmen eingebracht hatte, im Vergleich zu seinen Kindern aus den vorangegangenen Ehen benachteiligt zu werden. Der Mann finanzierte ihr daher mehrere „Kurse zum Stiftungswesen“ und organisierte für sie einen Termin bei einem Rechtsanwalt zur Besprechung „allfälliger Fragen zur Stiftung“.

[9] Der Mann begehrte die Scheidung gemäß § 55 Abs 1 EheG wegen unheilbarer tiefgreifender Zerrüttung. In Erwiderung des Verschuldenseinwands der Frau stellte er einen „Mitverschuldensantrag“. Die Frau habe ihn finanziell ausgenutzt; vor allem aber habe sie durch ihre häufigen Wutausbrüche und ihr aggressives Verhalten aus nichtigen Gründen maßgeblich zur Zerrüttung beigetragen und ihn dadurch zum Auszug aus der Ehewohnung bewegt. Sie habe ihn auch herabgewürdigt, ihm keine Wertschätzung entgegengebracht, sich lieb- und interesselos verhalten und sei inzwischen eine ehewidrige Beziehung mit einem anderen Mann eingegangen. Seine intensive Arbeitstätigkeit – aus der auch der von der Frau genossene hohe Lebensstandard resultiert habe – habe die Frau von Beginn der Ehe an akzeptiert.

[10] Die Frau strebte die Abweisung der Klage, hilfsweise den Ausspruch des alleinigen, jedenfalls überwiegenden Verschuldens des Mannes an der Zerrüttung der Ehe an.

[11] Er habe (zusammengefasst) immer weniger Zeit für das gemeinsame Ehe- und Familienleben aufgebracht, sei „der Arbeitswut verfallen“ und habe die Beklagte zunehmend allein gelassen, sich ihr gegenüber lieb- und interesselos verhalten, herabwürdigende Bemerkungen über sie gemacht, sei rechthaberisch gewesen und habe sie vor Dritten bloßgestellt. Der Mann habe sie während eines Spitalaufenthalts nicht besucht und sei ungerechtfertigt aus der Ehewohnung ausgezogen. Er habe seine gesetzliche Unterhaltspflicht verletzt, Vermögen vor ihr verheimlicht und sie beruflich nicht unterstützt, sondern mit ihren Problemen allein gelassen.

[12] Das Erstgericht schied die Ehe gemäß § 55 EheG und wies den Antrag auf Ausspruch des zumindest überwiegenden Verschuldens des Mannes an der Zerrüttung der Ehe ab.

[13] Aufgrund der eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen ging es davon aus, dass das Zerrüttungsverschulden keines Ehegatten das des anderen erheblich überwogen habe. Während die Frau von Beginn an zu „Temperamentsausbrüchen“ geneigt habe, habe sich der Mann eher zurückgezogen. Im Alltag hätten sich diese Eigenschaften verstärkt, wobei das Verhalten des einen Teils jeweils das des anderen bedingt habe. Je mehr der Mann gearbeitet habe, umso unzufriedener und ungehaltener sei die Frau gewesen und umgekehrt. Dies habe im gleichen Ausmaß zur Ehezerrüttung beigetragen. Die unterschiedlichen Charaktereigenschaften der Parteien hätten sich auf verschiedenen Ebenen – im Alltag, bei der gemeinsamen Freizeit oder im Urlaub – gezeigt und auch zu abnehmenden Zärtlichkeiten geführt. Dem Mann sei zwar vorzuwerfen, dass er die Frau nicht im Spital besucht habe, allerdings sei das Verhältnis der Ehegatten zu diesem Zeitpunkt bereits sehr angespannt gewesen. Dass er die Frau bei ihrer Ausbildung sowie beruflich nicht unterstützt hätte, habe sich nicht bewahrheitet. Dass er berufliche Konflikte seiner Frau in seiner Gesellschaft nicht nach ihren Wünschen „geregelt“ habe, sei ihm nicht vorzuwerfen. Auch die unterbliebene Investition in das Gesundheitsinstitut sei als seine wirtschaftliche Entscheidung zu akzeptieren. Der endgültige Auszug des Mannes aus der Ehewohnung könne ihm nicht als schweres Verschulden an der Zerrüttung der Ehe vorgeworfen werden, weil diese bereits weitgehend zerrüttet gewesen sei. Auf Eheverfehlungen nach dem Auszug des Mannes komme es nicht maßgeblich an. Zusammengefasst habe sich das Zusammenleben als zunehmend schwierig herausgestellt, woran aber keinen Teil ein überwiegendes Verschulden getroffen habe.

[14] Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Abweisung des Antrags auf Ausspruch des alleinigen oder überwiegenden Verschuldens des Mannes gerichteten Berufung der Frau Folge, sprach aus, dass der Mann die Zerrüttung überwiegend verschuldet habe, und ließ die Revision aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Beurteilung nicht zu.

[15] Es komme nicht nur auf Anzahl und Schwere der Eheverfehlungen, sondern vor allem darauf an, inwieweit sie zur Ehezerrüttung beigetragen hätten. Da der Mann die Eheprobleme überwiegend durch seine „Arbeitswut“ ausgelöst habe, trete die Verletzung der Pflicht zur anständigen Begegnung durch die Frau („Temperamentsausbrüche“; Anschweigen; Auszug aus dem Schlafzimmer) in den Hintergrund. Der Mann habe sich auch zunehmend vor der Frau zurückgezogen, ihr gegenüber ein interesseloses Verhalten an den Tag gelegt, sie lieb- und respektlos behandelt und sei seiner Beistandspflicht während ihrer beruflichen und psychischen Krise nicht nachgekommen. Er habe mit seinem ungerechtfertigten Auszug aus der Ehewohnung auch den wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Zerrüttung letztlich eine unheilbare geworden sei.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts zulässig und berechtigt, weil diesem bei der Verschuldensabwägung ein korrekturbedürftiger Fehler unterlief.

[17] 1. Die Rechtsmittelgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie der Aktenwidrigkeit wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[18] 2. Der Rechtsrüge kommt jedoch Berechtigung zu:

[19] 2.1. Wird die Ehe – wie hier – nach § 55 EheG geschieden und hat der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet, so ist dies gemäß § 61 Abs 3 EheG auf Antrag der Beklagten im Urteil auszusprechen.

[20] 2.2. § 61 Abs 3 EheG stellt nicht darauf ab, ob der Kläger einen Scheidungsgrund verwirklicht hat. Entscheidend ist nur, ob ihn eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe trifft und ob, falls dies beiden Teilen vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt (RS0057256). Dabei ist das Gesamtverhalten der Parteien maßgeblich und auch zu berücksichtigen, wer mit dem Verhalten, das später zur Ehezerrüttung führte, begonnen und wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RS0056755). Der Ausspruch, dass die Schuld eines Ehegatten überwiegt, ist nur dann zulässig, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer wiegt als dasjenige des anderen Teils (RS0057057 [T2]; vgl auch RS0057858 [T1]). Auch Aussprüche nach § 61 Abs 3 EheG sind nur zu treffen, wenn der Unterschied der jeweiligen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057251).

[21] 2.3. Im vorliegenden Fall war der Mann für die ursprünglichen Eheprobleme (also den Beginn der Ehezerrüttung) nicht überwiegend verantwortlich:

[22] Der Mann versuchte am Anfang der Ehe, ausreichend Zeit mit der Familie zu verbringen. Es erfolgten gemeinsame Besuche von Kulturveranstaltungen, gemeinsamer Sport (Reiten) sowie gemeinsame Urlaube. Dass dies in der Folge weniger wurde und es zwischen den Ehegatten zu vermehrten Streitigkeiten kam, lag zwar zum Teil an der intensiven Berufstätigkeit des Mannes, wobei die Frau bei Eheschließung nicht nur wusste, dass der Mann ein „unverbesserlicher Workaholic“ sei, sondern sie den ihr dadurch ermöglichten Lebensstil auch genoss und diesen einforderte (vgl etwa den Streit, weil die Frau nur Prosecco statt Champagner erhielt; ebenso die Auseinandersetzungen wegen des „Niveaus“ von Abendessen anlässlich der Konzerte). Nach den erstinstanzlichen Feststellungen belasteten – neben der intensiven Berufstätigkeit des Mannes – allerdings auch die häufigen und lautstarken „emotionalen Gemütsausbrüche“ der Frau (die sich teilweise im Zerstören von Gegenständen, dem Aussperren des Mannes sowie einem längerem „Anschweigen“ äußerten) die Beziehung der Ehegatten von Anfang an. Beides – also die „Arbeitswut“ des Mannes einerseits und die „Temperamentausbrüche“ der Frau andererseits – wirkte sich von Beginn der Ehe an gleichermaßen negativ auf ein harmonisches Zusammenleben der Parteien aus.

[23] 2.4. Auch im Verlauf der Ehe kann keinem Teil ein deutlich schwereres Verschulden an der fortschreitenden Entfremdung der Parteien vorgeworfen werden:

[24] Je angespannter die Beziehung war, umso mehr zog sich der Kläger in seine Arbeit zurück und umso unzufriedener und ungehaltener wurde die Beklagte und umgekehrt. Damit war das kontinuierliche ehezerrüttende Verhalten beider Ehegatten (zur übermäßigen Berufstätigkeit als Eheverfehlung vgl RS0056053; zur Verpflichtung, dem anderen Teil das Zusammenleben erträglich zu machen und kein Verhalten an den Tag zu legen, das diesen kränkt oder ihm Aufregung bereitet, vgl RS0055998) wechselweise durch das jeweilige Verhalten des anderen Teils bedingt, ohne dass einem Teil daran ein schwereres Verschulden anzulasten wäre als dem anderen. Vielmehr trugen beide Parteien gleichermaßen die Verantwortung für ihr Auseinanderleben, womit auch eine Abnahme von Zärtlichkeiten einherging. Auch die (weit überwiegenden) Überreaktionen der Frau sowie (vereinzelt) des Mannes sind in diesem Zusammenhang zu sehen; ebenso die fortschreitende Lieb- und Interesselosigkeit beider Parteien. Dass der Mann die Frau nicht im Spital besuchte, begründet zwar eine Eheverfehlung, der aber zumindest gleich schwer zu gewichtende Verfehlungen der Beklagten (insbesondere ihre häufigen Zornesausbrüche) gegenüberstehen, die das Verhalten des Klägers (zumindest mit-)bedingten.

[25] 2.5. Die unheilbare Zerrüttung der Ehe trat zwar entgegen dem Standpunkt des Revisionswerbers erst zu dem Zeitpunkt ein, als er endgültig die Ehewohnung verließ. Seitdem war die Ehegemeinschaft für ihn subjektiv beendet und die unheilbare Zerrüttung durch die getrennte Lebensführung auch objektiv erkennbar (RS0056832). Daraus ist für die Frau aber nichts gewonnen, weil dem Mann sein endgültiger Auszug jedenfalls nicht als schweres Verschulden an der zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschrittenen Ehezerrüttung vorgeworfen werden kann.

[26] Zwar rechtfertigen im Allgemeinen nur besonders schwere Verfehlungen eines Teils die eigenmächtige Aufgabe der Ehegemeinschaft durch den anderen (RS0009503). Schon die häufigen und intensiven „Temperamentausbrüche“ der Frau, die bereits durch Kleinigkeiten oder unbedachte Äußerungen des Mannes ausgelöst wurden (und sich bis zu einer „Zerstörungswut“ der Frau steigerten), legen nahe, den Auszug des Mannes nicht als gravierende Eheverfehlung zu werten. Dafür spricht vor allem aber, dass die Frau bei dem dem Auszug des Mannes unmittelbar vorangegangenen Streit unmissverständlich erklärt hatte, an ihrem Verhalten nichts ändern zu wollen („ich stehe zu meinen Anfällen“). Ihre damit zum Ausdruck gebrachte Uneinsichtigkeit hinsichtlich ihres eigenen Zerrüttungsverhaltens lässt die Reaktion des Mannes insgesamt – bei gebotener Gesamtbetrachtung des Verhaltens beider Ehegatten – wenn schon nicht als gerechtfertigt, so zumindest als nicht (mehr) entscheidend ins Gewicht fallende Reaktion erscheinen.

[27] 2.6. Nach dem Auszug des Mannes aus der Ehewohnung und der dadurch eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der ehelichen Lebensgemeinschaft begangenen Eheverfehlungen der Parteien kommt für die Abwägung des Zerrüttungsverschuldens keine entscheidende Rolle (mehr) zu.

[28] 2.7. Zusammengefasst ergibt sich aufgrund des festgestellten Gesamtverhaltens beider Ehegatten im Verlauf der Ehegemeinschaft, dass der Beitrag des Mannes zur Zerrüttung der Ehe im Vergleich zu jenem der Frau wertungsmäßig nicht derart überwog, dass letzterer fast völlig in den Hintergrund getreten wäre. Vielmehr bedingten einander die wechselseitigen Eheverfehlungen und entwickelten sich die bereits bei Eheschließung unterschiedlichen Charaktere im Verlauf der Ehe noch weiter auseinander, sodass letztlich kaum mehr Gemeinsamkeiten verblieben. Auch wenn es deshalb auf der einen oder anderen Seite zu Überreaktionen kam, kann letztlich keiner Partei ein (deutlich) überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe vorgeworfen werden.

3. Ergebnis

[29] Die angefochtene Entscheidung, in der das Berufungsgericht davon ausging, dass der Mann die Zerrüttung der Ehe weit überwiegend verschuldet habe, ist somit dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts, das den Antrag der Frau auf Ausspruch des alleinigen oder überwiegenden Verschuldens des Mannes abwies, wiederhergestellt wird.

4. Kostenentscheidung

[30] Aufgrund der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts war die Entscheidung über die Kosten zweiter Instanz neu zu fassen. Diese sowie die Entscheidung über die Kosten dritter Instanz beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

[31] Bei einer Scheidung aus beiderseitigem Verschulden – oder wie hier nach § 55 EheG, wenn kein Ausspruch des alleinigen oder überwiegenden Verschuldens nach § 61 Abs 3 EheG erfolgt – sind die Kosten gemäß § 45a ZPO zwar grundsätzlich gegeneinander aufzuheben. Ist Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens aber – wie hier – nur die Verschuldensfrage, weil der Scheidungsausspruch mangels Anfechtung in Rechtskraft erwuchs, kommt eine kostenmäßige Privilegierung der beklagten Partei nicht in Betracht. Der Verfahrenserfolg ist dann an der Entscheidung über die Verschuldensfrage im Verhältnis zum dazu gestellten Begehren zu bemessen (vgl 6 Ob 197/20v; siehe auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ § 45a ZPO Rz 7; Obermaier, Kostenhandbuch4 Rz 1.233). Da der Kläger mit seinen ausschließlich den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG betreffenden Rechtsmittelanträgen im Berufungs- und Revisionsverfahren erfolgreich war, sind ihm die Kosten beider Rechtsmittelverfahren zuzusprechen. Für die Revision steht ihm jedoch nur der niedrigere ERV-Zuschlag nach § 23a RATG zu (8 Ob 88/24k).

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