OGH 4Ob100/24w

OGH4Ob100/24w22.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden, sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten sowie den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. * Inc., *, und 2. * Gesellschaft m.b.H., *, beide vertreten durch die e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. * Inc., *, und 2. * S.A., *, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 124.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 29. April 2024, GZ 1 R 56/24y‑25.1, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 14. März 2024, GZ 11 Cg 22/24h‑13, teils abgeändert, teils aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00100.24W.1022.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und hinsichtlich der zweitbeklagten Partei die Abweisung des Sicherungsantrags zu den markenrechtlichen Unterlassungsbegehren des Erstgerichts wiederhergestellt, sodass Spruchpunkt 3 des erstgerichtlichen Beschlusses nun wieder lautet:

3. Der Sicherungsantrag, der zweitbeklagten Partei werde aufgetragen, es mit sofortiger Wirkung im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, zu jeder unmittelbaren oder mittelbaren Verletzung der Marke AT * durch die erstbeklagte Partei in Österreich beizutragen, einschließlich, aber nicht beschränkt auf das Bewerben, Anbieten, Inverkehrbringen und Verkaufen jeglicher kreisförmiger Produkte zur kontinuierlichen Glukoseüberwachung, die mit der Marke AT * identisch oder ähnlich sind, insbesondere des Produkts * mit folgendem Design

 

insbesondere durch die Tätigkeit als einziger Bevollmächtigter gemäß Art. 11 Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 für das Produkt *, wird abgewiesen.

Die klagenden Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der zweitbeklagten Partei ihre mit 3.430,48 EUR (darin 431,86 EUR USt und 839,30 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten ihres Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Kosten des Sicherungsverfahrens erster und zweiter Instanz sind weitere Kosten des Sicherungsverfahrens.

 

Begründung:

[1] Die Erstklägerin und die Erstbeklagte erzeugen jeweils Systeme zur kontinuierlichen Blutzuckerüberwachung für Diabetiker. Sie beinhalten jeweils ein am Körper (zB am Oberarm) getragenes Messgerät (sog „On-Body-Unit“ = OBU), das mit einem Anzeigegerät (zB Lesegerät oder Smartphone mit entsprechender Software) Verbindung aufnimmt.

[2] Die Zweitklägerin vertreibt das System der Erstklägerin in Österreich, die Zweitbeklagte jenes der Erstbeklagten. Die Zweitbeklagte ist auch Bevollmächtigte der Erstbeklagten gemäß Art 11 Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745.

[3] Die Erstklägerin ist seit 2021 Inhaberin folgender österreichischen Formmarke in Farbe, die unter anderem für kontinuierliche Glukoseüberwachungsysteme (Klasse 10) geschützt ist:

 

[4] Das runde Design der Formmarke hat keine technische Funktion und keinen wirtschaftlichen Vorteil.

[5] Die OBU der Beklagten sieht so aus:

 

[6] Die OBUs der Klägerinnen und der Beklagten sind mit 35 mm bzw 32 mm Durchmesser sowie mit 5 mm bzw 5,7 mm Stärke annähernd gleich groß. Aus einer Entfernung von rund 3 m sind die OBUs mit bloßem Auge nicht unterscheidbar.

[7] Andere Hersteller von funktionsgleichen Produkten haben ihre OBUs nicht kreisförmig, sondern etwa rechteckig mit deutlich abgerundeten Ecken oder einseitig schmal zulaufend und nur an den Enden halbkreisförmig rund gestaltet.

[8] Die Klägerinnen begehrten wegen Markenverletzung nach MSchG und wegen Imitationsmarketing nach UWG Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung.

[9] Zugleich beantragten die Klägerinnen, den Beklagten den Vertrieb wegen (Beitrag zu) Verletzungen des MSchG und des UWG mit einstweiliger Verfügung zu untersagen.

[10] Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das von den Beklagten vertriebene Produkt sei schon nach dem Vorbringen weder mit der Marke der Klägerinnen noch mit ihren Produkten verwechslungsfähig; die Oberflächengestaltung oben und an den Seiten, die Form und die Platzierung des Kontaktpunkts sowie die Farbe seien nämlich deutlich unterschiedlich.

[11] Das Rekursgericht erließ die einstweilige Verfügung für die Unterlassungsansprüche nach MSchG ohne Anhörung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 50.000 EUR. Hinsichtlich der Ansprüche nach UWG hob das Rekursgericht die Entscheidung auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Formmarke der Erstklägerin und die OBU der Beklagten würden sich zwar durch die Gestaltung des Bereichs mit kleinen Öffnungen und der stärkeren Abrundung an Ober- und Unterkante unterscheiden. Weitere Unterschiede bei den Öffnungen entlang der Kante seien bei Betrachtung von oben aber nicht sichtbar. Auch wenn eine weiße, kreisrunde Scheibe mit abgerundeter Kante nur ein schwaches Zeichen sei, wäre aufgrund der vorliegenden Warenidentität ein deutlicherer Abstand der OBU vom Zeichen erforderlich, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.

[12] Der Revisionsrekurs der Zweitbeklagtenstrebt (erkennbar) die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Abweisung der auf MSchG gestützten Sicherungsanträge an. Zugleich erhob die Zweitbeklagte einen Widerspruch, den sie dem (Revisions‑)Rekurs jedoch ausdrücklich nachreihte.

[13] Die Klägerinnen beantragen, den Revisionsrekurs zurück- bzw abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Revisionsrekurs ist wegen korrekturbedürftiger Überschreitung des dem Rekursgericht eingeräumten Ermessensspielraums zulässig und daher auch berechtigt.

[15] 1. Die Zweitbeklagte rügt, dass das Rekursgericht fälschlich davon ausgegangen sei, dass es die Rechtsbeständigkeit der Marke der Klägerin nicht prüfen dürfe, obwohl es sich nicht um eine Unionsmarke, sondern um eine österreichische Marke handle. Tatsächlich sei die Formmarke der Erstklägerin nach § 4 Abs 1 Z 3 MSchG wegen fehlender Unterscheidungskraft nicht eintragungsfähig, weil die Form technisch bedingt sei.

[16] 1.1. Der Zweitbeklagten ist beizupflichten, dass bei nationalen Marken eine Eintragung im Markenregister die Zivilgerichte nicht bindet (RS0066845; so auch Plasser in Kucsko/Schumacher, marken.schutz³ [2020] § 10 MSchG Rz 243 zur aktuellen Rechtslage idF BGBl I Nr 91/2018 mit Ausführungen zu einer möglichen Stärkung der Prüfbefugnis der Zivilgerichte durch EuGH C‑217/13 und C‑218/13 , Oberbank Rz 70). Die Zivilgerichte können auch einer registrierten Marke daher den Schutz versagen, wenn sie im Gegensatz zur Markenbehörde ein absolutes Eintragungshindernis annehmen (RS0066845 [T5]).

[17] 1.2. Nach § 1 Abs 1 MSchG kann eine Marke auch in der Form einer Ware bestehen (Formmarke). Für dreidimensionale Zeichen besteht das besondere und auch durch den Erwerb von Verkehrsgeltung nicht überwindbare Eintragungshindernis des § 4 Abs 1 Z 6 MSchG, wonach Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen sind, die ausschließlich aus der Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist, oder aus der Form der Ware, die zur Herstellung einer technischen Wirkung erforderlich ist, oder aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht (vgl 4 Ob 222/03f, Vöslauer; so zB auch Grünzweig, Markenrecht: Praxiskommentar [14. Lfg 2023] § 4 MSchG Rz 124).

[18] 1.3. Ein dreidimensionales Zeichen muss zusätzlich den allgemeinen Eintragungsvoraussetzungen entsprechen; es muss daher insbesondere unterscheidungskräftig sein, also von den angesprochenen Verkehrskreisen als Herkunftshinweis verstanden werden (4 Ob 222/03f, Vöslauer). Diese Unterscheidungskraft fehlt, wenn die mit der Marke identische oder ihr ähnliche Form in einer Gesamtgestaltung so untergeht oder mit ihr verschmilzt, dass sie darin vom Verkehr nicht mehr als gedanklich herauslösbares Zeichen erkannt wird (RS0118394). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Durchschnittsverbraucher aus der Form der Waren oder aus der Form ihrer Verpackung, wenn grafische oder Wortelemente fehlen, gewöhnlich nicht auf die Herkunft dieser Waren schließen (EuGH C‑25/05 , Storck/HABM Rz 28; Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz³ [2020] § 4 Rz 141).

[19] Für die Unterscheidungskraft kommt es also auf die Üblichkeit der von den Konsumenten erwarteten Form an, Varianten von üblichen Formen der jeweiligen Warengattung wird die Unterscheidungskraft fehlen (Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz³ [2020] § 4 Rz 139). Auch ein bloßes Abweichen einer Produktgestaltung von der Norm und Branchenüblichkeit genügt nicht, die Abweichung muss erheblich sein (Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz³ [2020] § 4 Rz 143 mwN). Selbst ein sogenanntes „Qualitätsdesign“ stattet eine dreidimensionale Marke nicht zwangsläufig mit Unterscheidungskraft aus (EuGH C‑136/02 , Mag Lite Rz 68). Vielmehr kann die besonders überlegte Gestaltung des Produkts den Markenschutz sogar ausschließen, wenn die dreidimensionale Marke die Form einer Ware schützen soll, die funktionell vorteilhaft ist oder ihr unabhängig von anderen Merkmalen einen wesentlichen Wert verleiht. Die Formmarke soll nämlich nicht dazu verwendet werden können, andere Rechte zu verewigen, für die der Gesetzgeber bewusst eine begrenzte Schutzdauer vorsehen wollte – etwa Urheberrechte, Patente und Geschmacksmuster (vgl ErläutRV 294 BlgNR 26. GP 2; vgl EuG T‑508/08 , Bang & Olufsen insb Rz 65; vgl auch Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz³ [2020] § 4 Rz 139 mwN; Grünzweig, Markenrecht: Praxiskommentar [14. Lfg 2023] § 4 MSchG Rz 25).

[20] 1.4. Auf dieser Grundlage vermitteln die meisten Aspekte der Formmarke der Erstklägerin im Gesamteindruck keine Unterscheidungskraft:

[21] Der Verwendungszweck als ständig am Körper zu tragendes Medizinprodukt erfordert eine möglichst kleine, flache Form ohne Ecken, Kanten oder Zacken. Die OBU soll nämlich ihren Träger möglichst wenig in seiner Bewegungsfreiheit einschränken; ausreichend Klebefläche zur verlässlichen Befestigung auf der Haut bieten; sich bei einem Kleidungswechsel nicht im Textil verfangen; und den Träger sowie andere Personen bei Körperkontakt nicht durch scharfkantige oder spitze Stellen verletzen. Dies alles ist nur durch eine flache und rundliche (oder zumindest abgerundete) Form zu erreichen, die von den beteiligten Verkehrskreisen deshalb nicht als Hinweis auf eine betriebliche Herkunft aufgefasst wird. Der von den Klägerinnen gewählte Diskus – also ein flacher Zylinder mit kreisförmiger Grundfläche – ist dabei die allereinfachste Form, die die genannten Voraussetzungen erfüllt. Eine so grundlegende geometrische Figur wie eine runde Scheibe kann nicht als Formmarke monopolisiert werden.

[22] Die Farbe Weiß ist für Medizinprodukte besonders üblich, sie wird allgemein mit Ärzten, Krankenhäusern und medizinischen Geräten assoziiert. Auch darin sehen die beteiligten Verkehrskreise daher keinen Hinweis auf eine bestimmte Herstellerin einer OBU.

[23] 1.5. Die Klägerinnen verweisen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Bescheinigungsergebnisse des Berufungsgerichts, wonach das „runde Design keine technische Funktion und keinen wirtschaftlichen Vorteil“ habe, sowie die Ausführungen in der Beweiswürdigung, dass „die kreisrunde Form keiner technischen Notwendigkeit entspringe“ (Zitat aus der eidesstättigen Erklärung Beilage ./A).

[24] Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof auch im Provisorialverfahren nicht Tatsacheninstanz ist und daher Tatsachen, die das Rekursgericht als nicht bescheinigt annimmt, nicht in die rechtliche Betrachtung einbeziehen kann (RS0002192). Dagegen ist die Auslegung der Bescheinigungsergebnisse der Vorinstanzen ebenso eine Rechtsfrage (vgl RS0118891) wie die Beurteilung der Verwechslungsgefahr (RS0043640).

[25] Im vorliegenden Fall wird „technisch“ sowohl von den Parteien als auch dem Rekursgericht offenbar als „zur Messung des Blutzuckerwerts erforderlich“ verstanden. Dies ergibt sich auch aus der dem bescheinigten Sachverhalt zugrundeliegenden Urkunde Beilage ./A: „Die kreisförmige Form des Gehäuses für den Sensor erleichtert nicht die Unterbringung der Schaltkreise und anderer Mechanismen des Sensors. Die kreisförmige Form des Gehäuses des [klägerischen] Sensors hat auch keinen Einfluss auf die Fähigkeit des Sensors, Analysemessungen durchzuführen (d.h. den Glukosespiegel im Patienten zu überwachen) und beeinträchtigt auch nicht die drahtlose Kommunikation zwischen dem Sensor und einem begleitenden Datenleser. Die Form des Sensors kann für diese Vorgänge beliebig gewählt werden.

[26] Bescheinigungsergebnisse zu Benutzerfreundlichkeit und Tragekomfort hat das Rekursgericht dagegen nicht dargetan. Dass die Form einer OBU dagegen sehr wohl Auswirkungen in diesen Bereichen und damit den Nutzen der OBU hat, ist auch für einen Laien offensichtlich: Ein flacher, rundlicher Körper wie die Diskusform der Streitparteien ist dabei etwa einem (eventuell gar dreidimensionalen) Stern oder einer Pyramide mit dreieckiger Grundfläche weit überlegen, weil er Verletzungen und unerwünschtes Verheddern vermeidet.

[27] Die äußere Form einer OBU als runde Scheibe wird daher als besonders zweckmäßige Gestaltung und nicht als Herkunftshinweis aufgefasst.

[28] 1.6. Ob die Anordnung und Form der Oberflächenöffnungen von den beteiligten Verkehrskreisen als Herkunftshinweis aufgefasst wird und somit eine Eintragungsfähigkeit bzw nunmehr Rechtsbeständigkeit bewirkt, oder ob es sich um rein funktionale Elemente, etwa Kontaktpunkte für die Lesegeräte handelt, kann nach den Bescheinigungsergebnissen im Provisorialverfahren nicht abschließend beurteilt werden.

[29] 1.7. Die Bescheinigungsergebnisse des Provisorialverfahrens reichen damit insgesamt nicht aus, um die Eintragungsfähigkeit der Formmarke zu beurteilen. Sie kann in diesem Fall jedoch dahinstehen, weil die Formmarke der Erstklägerin nur ein schwaches Zeichen ist und damit jedenfalls die Verwechslungsgefahr mit dem Eingriffsgegenstand zu verneinen und der auf MSchG gestützte Provisorialantrag abzuweisen ist:

[30] 2. Richtig zeigt die Zweitbeklagte nämlich auf, dass bei schwachen Zeichen bereits geringe Abweichungen genügen, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen.

[31] 2.1. Für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr gelten bei Formmarken die gleichen Grundsätze wie bei anderen Marken (RS0119660):

[32] Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr als Tatbestandselement eines Markeneingriffs ist stets der Gesamteindruck maßgeblich, den ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise bei flüchtiger Wahrnehmung empfängt (RS0117324 [T1]). Beim Ähnlichkeitsvergleich sind deshalb die einzelnen Zeichenbestandteile nicht isoliert zu betrachten oder nur die nicht übereinstimmenden Zeichenteile zu vergleichen. Jedoch ist zu beachten, dass das charakteristische Merkmal eines Zeichens grundsätzlich nicht auf einem schutzunfähigen oder nur schwachen Zeichenbestandteil liegt, sondern die Aufmerksamkeit des Käufers zwangsläufig auf die übrigen Zeichenelemente gelenkt wird (vgl RS0066753). Schutzunfähige oder schwache Teile tragen im Allgemeinen, wenn überhaupt, so nur wenig zum Gesamteindruck des Zeichens bei, dass schon relativ geringe Abweichungen in den restlichen Bestandteilen ausreichen, um die Gefahr von Verwechslungen zu beseitigen (RS0066749).

[33] Wie bereits oben dargestellt, werden die beteiligten Verkehrskreise weder die Grundform der Formmarke bzw der OBU als kleinem Diskus oder sehr flachem Zylinder noch die Klebefläche an der Unterseite als Herstellerhinweis, sondern als dem Verwendungszweck geschuldete Merkmale auffassen. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall auch vom Sachverhalt der von den Klägerinnen wiederholt zitierten Entscheidung 4 Ob 239/04g, Goldhase.

[34] Nach den Ergebnissen des Provisorialverfahrens möglicherweise nicht funktionale Elemente sind die Gestaltung der Öffnungen in der Deckfläche und dem Mantel der Formmarke/OBU. Ihre Ausgestaltung und Anordnung ist jedoch völlig verschieden:

[35] Am stärksten sticht wohl die Gestaltung der Deckflächen ins Auge, die grundverschiedene Elemente aufweisen. Die Formmarke der Erstklägerin zeigt genau im Zentrum eine runde Öffnung mit einem zahnradähnlichen Einsatz. Dagegen wird die Deckfläche der OBU der Beklagten von einer avocadoförmigen Stanzung dominiert, in der sich nahe am Mittelpunkt der Deckfläche drei kleine, rechteckige Löcher und nahe beim Rand der Deckfläche eine etwas größere, rechteckige Öffnung befinden.

[36] Auch von der Seite ist die Gestaltung jeweils unterschiedlich: Die Formmarke der Erstklägerin scheint in Schrägansicht einen durchgängig perforierten Mantel aufzuweisen, in der Seitenansicht sieht man einen langen Schlitz im Mantel. Dagegen weist die OBU der Beklagten vier kurze, breite Schlitze im Mantel auf, die wie die vier Himmelsrichtungen auf einem Kompass angeordnet sind. Zumindest bei einem davon liegt darunter eine quadratische Öffnung.

[37] Die weiße Farbe ist für Medizinprodukte im Allgemeinen ohnehin nicht zur Kennzeichnung des Produzenten geeignet. Im konkreten Fall unterscheiden sich außerdem die Weißtöne: ein sehr reines Weiß für die Formmarke der Erstklägerin, ein stark gebrochenes Weiß für die OBU der Beklagten.

[38] 2.3. Da Form und Farbe von den beteiligten Verkehrskreisen nicht als Herkunftshinweis aufgefasst werden, ist auch eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinn zu verneinen, bei der die beteiligten Verkehrskreise zwar unterschiedliche Hersteller vermuten, aber annehmen, dass diese in Beziehungen wirtschaftlicher oder organisatorischer Art stehen (vgl RS0078978; RS0078840).

[39] 2.4. Irrelevant ist die sehr ähnliche Größe der beiden OBUs, weil die Markenregistrierung keine Größenangabe enthält.

[40] Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist nämlich auch bei einer Formmarke die Ähnlichkeit des Eingriffsgegenstands mit der geschützten Form und nicht mit dem Gegenstand maßgebend, den der Markeninhaber unter Verwendung der Formmarke in Verkehr bringt (RS0118395).

[41] 2.5. Richtig weist die Zweitbeklagte auch darauf hin, dass die in der Rekursentscheidung thematisierte fehlende Unterscheidbarkeit aus Abstand von 3 m nicht dazu führt, die Verwechslungsgefahr zu begründen.

[42] Aus dieser Entfernung sind Details an Gegenständen von nur 5 cm Durchmesser (also in der Größe der OBUs) nämlich generell nicht leicht auszumachen. Auch verschiedene Geldmünzen können aus dieser Distanz nicht unbedingt eindeutig benannt werden, ohne dass die beteiligten Verkehrskreise sie bei bestimmungsgemäßer Verwendung verwechseln würden.

[43] 2.6. Ob beide Seiten ihre Produkte durch ähnliche Lichtbilder bewarben, die zufriedene Nutzer mit einer OBU am Körper aus je rund 3 m Entfernung bei aktiver und offenkundig unbeeinträchtigter Teilhabe am Leben zeigen, kann für den Vorwurf des Imitationsmarketings eine Rolle spielen. Für die Beurteilung einer Markenrechtsverletzung ist eine solche Werbekampagne dagegen irrelevant.

[44] 3. Zusammengefasst ist die Unterscheidungskraft der Formmarke der Erstklägerin zweifelhaft, eine Verwechslungsgefahr mit der OBU der Beklagten aber jedenfalls zu verneinen. Die auf das MSchG gestützten Sicherungsanträge gegen die Zweitbeklagte waren daher in Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses abzuweisen.

[45] 4. Die Entscheidung über die Kosten der klagenden Parteien beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der beklagten Parteien auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

[46] Der Revisionsrekurs betraf nur das auf das MSchG gestützte Unterlassungsbegehren gegen die zweitbeklagte Partei, sodass von einer Bemessungsgrundlage von nur 31.000 EUR auszugehen ist.

[47] Der Kostenvorbehalt für die übrigen Kosten im Sicherungsverfahren gründet sich auf § 393a Abs 1 EO iVm § 52 ZPO.

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