OGH 9Ob67/24d

OGH9Ob67/24d19.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH & Co KG, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 1.) Aufhebung eines Kaufvertrags und 2.) 12.910,80 EUR, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 6.680,08 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom 25. April 2024, GZ 1 R 41/24h‑49, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 27. Februar 2024, GZ 13 C 535/18x‑45, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00067.24D.0919.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Teile wie folgt zu lauten hat:

„1. Der zwischen der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom 11. August 2010 über den Kauf des Skoda Fabia Ambiente Elegance-Paket TDI CR, FahrgestellNr: *, um 15.900 EUR wird aufgehoben.

2. Die Klageforderung besteht mit 12.910,80 EUR zu Recht.

3. Die Gegenforderung besteht mit 1.062,12 EUR zu Recht.

4. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen einen Betrag in Höhe von 11.848,68 EUR, die zweitbeklagte Partei samt 4 % Zinsen seit 24. 8. 2018, die erstbeklagte Partei samt 4 % Zinsen aus 15.900 EUR vom 13. 10. 2010 bis 8. 7. 2018, aus 12.910,80 EUR vom 9. 7. 2018 bis 4. 7. 2019 und aus 11.848,68 EUR ab 5. 7. 2019 Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs Skoda Fabia Ambiente Elegance‑Paket TDI CR, Fahrgestellnummer: * zu zahlen.

5. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien darüber hinaus schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 1.062,12 EUR samt Zinsen zu zahlen, wird abgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 10.537,98 EUR (darin 1.185,14 EUR USt und 3.427,14 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“

Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.874,22 EUR (darin 200,72 EUR USt und  669,90 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.665 EUR (darin 137,80 EUR USt und 838,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin erwarb am 11. 8. 2010 von der erstbeklagten Fahrzeughändlerin einen Neuwagen („Tageszulassung“) der Marke Skoda Fabia Ambiente Elegance-Paket TDI CR um 15.900 EUR. Im Fahrzeug ist ein von der Zweitbeklagten entwickelter Dieselmotor des Typs EA189 (mit Umschaltlogik) verbaut gewesen, der auch nach einem Software‑Update mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Thermofenster) nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ausgestattet ist.

[2] Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (12. 1. 2024) hatte die Klägerin mit diesem Fahrzeug 63.700 km zurückgelegt.

[3] Mit ihrer, unter anderem auf Gewährleistung gestützten Klage begehrt die Klägerin mit ihrem Hauptbegehren die Aufhebung des Kaufvertrags sowie die Zahlung von letztlich 12.910,80 EUR sA (Kaufpreis minus 2.989,20 EUR an Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

[4] Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wendeten eine Gegenforderung von 10.500 EUR an Benützungsentgelt ein.

[5] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag auf und erkannte die Klageforderung mit 12.910,80 EUR, die eingewandte Gegenforderung mit 7.742,20 EUR als zu Recht bestehend an und verpflichtete die Beklagten, dem Kläger 5.168,60 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu zahlen. Die Wandlung sei berechtigt. Die Berechnung des Benützungsentgelts, das sich die Klägerin auf ihren Geldanspruch anrechnen lassen müsse, sei nach der Rechtsprechung grundsätzlich nach der „linearen Berechnungsmethode“ zu errechnen. Diese Berechnungsmethode führe aber dann nicht zu einem dem verschafften Nutzen angemessenen Ergebnis, wenn – wie hier – ein Fahrzeugkäufer nur vergleichsweise wenige Kilometer im Jahr fahre. Dann sei der lineare Berechnungsweg im Sinne des § 273 ZPO anzupassen. Beim Fahrzeug der Klägerin sei von einer realistischen Behaltedauer von 20 Jahren auszugehen. Bei der zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorhandenen Laufleistung von 63.700 km nach 13,5 Jahren errechne sich eine jährliche Laufleistung von 4.719 km. Multipliziere man diese jährliche Kilometerleistung mit der möglichen Behaltezeit von 20 Jahren, errechneten sich 94.380 km. Setze man nun diese Gesamtlaufleistung in die übliche Berechnungsformel Kaufpreis 15.900 EUR x tatsächliche Kilometerleistung von 63.700 km : (durch) die Gesamtlaufleistung von 94.380 km ein, errechneten sich 10.731,40 EUR an Benützungsentgelt bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung. Da sich die Klägerin bereits 2.989,20 EUR an Benützungsentgelt in der Klage angerechnet habe, bestehe die von der Beklagten eingewendete Gegenforderung noch mit 7.742,20 EUR zu Recht.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die sich ausschließlich gegen das vom Erstgericht berechnete Benützungsentgelt richtete, nicht Folge. Das Erstgericht habe das Benützungsentgelt im Sinne der Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz zu 2 R 102/23t richtig errechnet. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage der Berechnung des Benützungsentgelts bei einer geringen jährlichen Laufleistung des Klagsfahrzeuges für eine Vielzahl an ähnlichen Parallelfällen noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[7] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne eines weiteren Zuspruchs von 6.680,08 EUR.

[8] Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

[10] 1. Die vom Oberlandesgericht Linz in seinem Urteil zu 2 R 102/23t vertretene Rechtsauffassung, auf das die Vorinstanzen ihre von der herrschenden Rechtsprechung zur linearen Berechnung des Benützungsentgelts abweichende rechtliche Beurteilung stützen, wurde im Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 16. 4. 2024 zu 10 Ob 41/23m, nicht geteilt. Dazu wurde in den Rz 23 ff ausgeführt:

„2. Seit der Entscheidung zu 10 Ob 2/23a vom 21. Februar 2023 entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Fahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen ist. Der Nutzen ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer zu bestimmen (lineare Berechnungsmethode; RS0134263 [insb T2]; 8 Ob 42/23v Rz 31 ua).

3. Zwar kann im Einzelfall auch § 273 ZPO zur Ausmittlung herangezogen werden (6 Ob 84/23f Rz 35; 3 Ob 146/22z vom 6. September 2023 Rz 30 ua), was vor allem dann angezeigt ist, wenn der Käufer nach der linearen Berechnungsmethode nur einen Betrag erhielte, der deutlich unter dem aktuellen Zeitwert liegt (4 Ob 171/23k Rz 48; RS0134263 [T3]).

3.1. Der Oberste Gerichtshof hat aber schon wiederholt betont, dass der Gebrauchsvorteil pro gefahrenem Kilometer unabhängig davon zu bemessen ist, ob der konkrete Nutzer eine schonende oder beanspruchende Fahrweise an den Tag gelegt hat und das Fahrzeug daher im Einzelfall eine höhere als die übliche Gesamtlaufleistung erreichen kann (8 Ob 42/23v Rz 32; 10 Ob 2/23a vom 21. Februar 2023 Rz 114 ua). Ebenso wenig gibt eine vergleichsweise geringe Nutzung des Fahrzeugs Anlass dazu, von der grundsätzlich als sachgerecht erachteten linearen Berechnungsmethode abzugehen (2 Ob 108/23f Rz 12; 2 Ob 82/23g Rz 11); so etwa, wenn eine Klägerin das Fahrzeug so selten benützt hat, dass es die durchschnittlich zu erzielende Gesamtlaufleistung erst nach einem unrealistischen Betrieb über 45 Jahre erreichen würde (8 Ob 76/23v Rz 37). Denn durch das Benützungsentgelt soll der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verschaffte Nutzen, primär also die Transportleistung, angemessen ausgeglichen werden (2 Ob 241/22p Rz 38; RS0019850). Dieser lässt sich am ehesten anhand der tatsächlich gefahrenen Kilometer im Verhältnis zur Gesamtlaufleistung abbilden. Bloß erzielbare, tatsächlich aber nicht erfolgte Nutzungen (wie hier der weitgehend unterlassene Gebrauch des Fahrzeugs) sind vom Bereicherungsschuldner nicht abzugelten, solange ihm nicht iSv § 335 ABGB Unredlichkeit zur Last fällt (vgl 5 Ob 231/98a; 3 Ob 190/04v Mader in Schwimann/Kodek, ABGB 4 IV § 1437 Rz 35; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.09 § 1437 Rz 6 ff). Bei einer nur zum Eigengebrauch bestimmten Sache besteht auch keine Obliegenheit, sie wirklich zu benutzen (vgl auch Almeroth in Reinking/Eggert, Der Autokauf 15 [2024] Kap 9 Rz 339).

3.2. Die Ansicht des Berufungsgerichts läuft im Ergebnis hingegen darauf hinaus, den mittleren Wertverlust zu erstatten, indem die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs auf Basis der vom Kläger durchschnittlich pro Jahr zurückgelegten Kilometer ermittelt wird. Dem Berufungsgericht ist dabei zwar zuzustimmen, dass das Fahrzeug aufgrund der konkreten Nutzung die durchschnittliche Gesamtlaufleistung dieses Fahrzeugtyps wahrscheinlich nicht erreichen wird. Das rechtfertigt es aber nicht, dem Käufer, der die Wandlung nicht zu vertreten hat, den Wertverlust zuzuordnen. Schon zu 10 Ob 2/23a vom 21. Februar 2023 hat der Oberste Gerichtshof betont, dass der abzugeltende konkrete Nutzen mit dem zeitablauf-abhängigen Wertverlust eines Fahrzeugs in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht (Rz 108). Der Wertverlust des Fahrzeugs bleibt zwar nicht gänzlich außer Betracht, weil er über den wertbildenden Faktor der Laufleistung mittelbar in die lineare Berechnungsmethode einfließt (so auch BGH VI ZR 252/19 Rz 82). Damit ist er aber auch im Fall von Wenigfahrern ausreichend berücksichtigt.

4. Darauf aufbauend ist das Benützungsentgelt so wie vom Erstgericht zu berechnen: Gebrauchsvorteil = vereinbarter Kaufpreis (25.000 EUR) x gefahrene Kilometer in der Nutzungsphase (29.500) : erwartete Restlaufleistung zum Kaufzeitpunkt (250.000 km), was 2.950 EUR ergibt. Da der Kläger bereits ein Benützungsentgelt von 2.950,30 EUR (auf Basis einer Nutzung vom 29.503 km) angerechnet hat, steht der Beklagten aus diesem Titel daher keine weitere (Gegen‑)Forderung mehr zu.“

[11] 2. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Überzeugende Argumente, die eine gegenteilige Beurteilung zuließen, vermag die Revisionsbeantwortung nicht aufzuzeigen.

[12] 3. Das Benützungsentgelt errechnet sich daher im Anlassfall wie folgt: Gebrauchsvorteil = vereinbarter Kaufpreis (15.900 EUR) x gefahrene Kilometer in der Nutzungsphase (63.700) : erwartete Restlaufleistung zum Kaufzeitpunkt (250.000 km) = 4.051,32 EUR. Die von der Klägerin ihrer (schon) in der Klage vorgenommenen Berechnung des Nutzungsentgelts zugrunde gelegte erwartbare (Rest‑)Gesamtlaufleistung von 250.000 km, die im Übrigen auch der dem Verfahren beigezogene Sachverständige annahm, wurde von den Beklagten im Verfahren erster Instanz nicht substantiiert bestritten. Dieser Wert kann daher als im Sinne der §§ 266, 267 ZPO schlüssig zugestandene Tatsache (vgl RS0039941 [T6]) auch im Rechtsmittelverfahren zugrunde gelegt werden (vgl RS0040101 [T1]).

[13] Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und die Beklagten zur Zahlung von 11.848,68 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu verpflichten. Soweit das Benützungsentgelt von 4.051,32 EUR jenen Betrag übersteigt, den sich die Klägerin auf ihren Rückforderungsanspruch im Verfahren bereits durch Abzug vom Kaufpreis angerechnet hat (2.989,20 EUR), verbleibt eine zu Recht bestehende Gegenforderung der Beklagten von 1.062,12 EUR.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 4150 ZPO. Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Klägerin mit rund 90 % obsiegt. Die Anregung zur Unterbrechung des Verfahrens vom 28. 9. 2018, der das Erstgericht nicht nachkam, war nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Für die Klage gebührt mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 23 Abs 6 RATG lediglich der einfache Einheitssatz. Der Streitwert für die Berufung vom 21. 3. 2024 beträgt richtig (wie im Revisionsverfahren) 6.680,08 EUR. Der ERV‑Zuschlag nach § 23a RATG beträgt 2,60 EUR, da es sich bei Rechtsmittelschriftsätzen nicht um verfahrenseinleitende Schriftsätze handelt (RS0126594).

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