European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00131.24V.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 602,54 EUR (darin 100,42 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die 1997 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners und lebt im Haushalt ihrer Mutter. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 18. 1. 2022 wurde der Verein VertretungsNetz Erwachsenenvertretung zum gerichtlichen Erwachsenvertreter zur (unter anderem) Einkommens‑ und Vermögensverwaltung für die Antragstellerin bestellt.
[2] Die Antragstellerin leidet an einer Intelligenzminderung und an einer depressiven Störung. Sie bezieht vom Land Kärnten eine Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 8 des Kärntner Chancengleichheitsgesetzes (K-ChG) in Form von laufenden Geldleistungen seit 1. 1. 2023 in Höhe von monatlich 807,21 EUR.
[3] Der Antragsgegner verpflichtete sich in einer mit der Antragstellerin am 5. 6. 2021 schriftlich geschlossenen Vereinbarung zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 120 EUR.
[4] Die Antragstellerinbegehrt für die Zeit von August bis Dezember 2021 monatlich 390 EUR, für die Zeit von Jänner bis Dezember 2022 monatlich 420 EUR und ab Jänner 2023 monatlich 475 EUR an Unterhalt.
[5] Der Antragsgegner hielt dem entgegen, dass er seiner Unterhaltsverpflichtung von monatlich 120 EUR immer nachgekommen sei. Er habe für eine weitere Tochter und seine Ehefrau, die aufgrund einer Herzerkrankung mit körperlichen Einschränkungen zu kämpfen habe, zu sorgen. Er könne keine höheren Unterhaltsbeiträge leisten.
[6] Das Erstgericht setzte den Unterhalt für die Zeit vom 1. 8. bis 31. 12. 2021 mit monatlich 372 EUR, für die Zeit vom 1. 1. bis 31. 12. 2022 mit monatlich 400 EUR und den laufenden Unterhalt ab 1. 1. 2023 mit monatlich 450 EUR fest. Die der Antragstellerin zukommende Sozialhilfe nach dem K‑ChG stelle kein Eigeneinkommen dar, weil diese mit einer möglichen Regressforderung durch das Land Kärnten behaftet sei.
[7] Das Rekursgerichtgab dem Rekurs des Antragsgegners keine Folge und ließ den Revisionsrekurs zur Frage zu, ob und inwieweit Leistungen nach dem K‑ChG als Eigeneinkommen eines Kindes zu werten seien.
Rechtliche Beurteilung
[8] Da der Antragsgegner in seinem Revisionsrekurs das Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußstrG nicht zu begründen vermag, ist der Revisionsrekurs entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußstrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG):
[9] 1. Der gerügte Mangel des Rekursverfahrens wurde geprüft; er liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[10] 2.1. Eine Person, deren Unterhaltsbedürfnisse aufgrund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt werden, kann schon deswegen keine Unterhaltsansprüche gegen einen zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen stellen, weil ihr kein Anspruch auf Doppelversorgung zusteht (RS0080395).
[11] 2.2. Diese Grundsätze können aber dort nicht angewendet werden, wo der Gesetzgeber durch Anordnung einer aufgeschobenen (also erst mit Verständigung des Unterhaltsverpflichteten durch den Sozialhilfeträger bewirkten) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat (RS0063121). Nur wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine den Sozialhilfeempfänger betreffende Rückzahlungs-verpflichtung und auch keine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) zurückgefordert werden kann, ist diese als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhalts-berechtigten anzusehen (4 Ob 29/14i; 3 Ob 201/20k; 9 Ob 25/23a; RS0118565 [T2]; RS0063121 [T2]; RS0080395 [T25]; Stefula in KBB7 § 231 ABGB Rz 8). In den übrigen Fällen bleibt der volle Unterhaltsanspruch bestehen. Insoweit ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Unterhaltspflichtige durch die Gewährung solcher Leistungen nicht entlastet werden soll (3 Ob 201/20k; RS0063121 [T5]).
[12] 2.3. § 19 Abs 3 des Kärntner Chancen-gleichheitsgesetzes (K‑ChG) bestimmt, dass eine Kostenersatzpflicht gegenüber Eltern von Menschen mit Behinderung für Leistungen, die der Mensch mit Behinderung nach seiner Volljährigkeit bezogen hat, nicht besteht. § 19 Abs 4 K‑ChG sieht aber eine aufgeschobene Legalzession vor (vgl 5 Ob 112/19k zur inhaltlich gleichlautenden Fassung des damals gültigen § 19 Abs 4 K‑ChG): Danach kann die Behörde oder der Träger durch schriftliche Anzeige an den Dritten bewirken, dass der Anspruch bis zur Höhe der Aufwendungen auf das Land übergeht, wenn ein Mensch mit Behinderung für die Zeit, in der Leistungen nach diesem Gesetz gewährt werden, Rechtsansprüche zur Deckung eines Bedarfs gegen einen Dritten hat. Daran hat auch die Änderung des K‑ChG durch die Novelle LGBl Nr 72/2020 nichts geändert.
[13] Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof erst kürzlich zu den insoweit vergleichbaren Bestimmungen des Tiroler Mindestsicherungsgesetzes ausgesprochen, dass dieses eine aufgeschobene Legalzession vorsehe, was die Anrechnung der dem Unterhaltsberechtigten gewährten Sozialleistungen als dessen Eigeneinkommen ausschließe (5 Ob 213/22t; 9 Ob 110/22z). Auch im TMSG ist nämlich vorgesehen, dass die Eltern des (früheren) Mindestsicherungsbeziehers hinsichtlich jener Leistungen, die dieser nach dem Erreichen seiner Volljährigkeit bezogen hat, nicht zum Kostenersatz verpflichtet sind (§ 23 Abs 3 lit b TMSG) und dass für den Fall, dass der Mindestsicherungsbezieher gegenüber einem Dritten im Bezugszeitraum Ansprüche auf Leistungen nach § 17 Abs 1 TMSG hat, das für die Gewährung der betreffenden Leistung zuständige Organ, sofern sich aus § 42 TMSG nichts anderes ergibt, durch schriftliche Anzeige an den Dritten bewirken kann, dass dieser Anspruch bis zur Höhe der Aufwendungen für die Mindestsicherung auf den Rechtsträger der Mindestsicherung übergeht (§ 24 Abs 1 TMSG).
[14] 2.4. Zusammengefasst findet die Rechtsansicht des Rekursgerichts, wonach bei Bezug von Leistungen gemäß § 8 K-ChG der volle Unterhaltsanspruch bestehen bleibt und daher die von der Antragstellerin vom Land Kärnten bezogenen Geldleistungen bei Bemessung des Unterhalts im Verhältnis zum Antragsgegner nicht als Eigeneinkommen zu berücksichtigen sind, Deckung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[15] 3. Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.
[16] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 AußStrG. Die Antragstellerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Antragsgegners hingewiesen.
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