European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00075.24D.0725.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang eines Zuspruchs von 148.589,25 EUR an die erstklagende Partei und jeweils 99.059,50 EUR an die zweit- und drittklagende Partei in Rechtskraft erwachsen sind, werden im verbliebenen Umfang (196.981,42 EUR erstklagende Partei; jeweils 131.320,95 EUR zweit- und drittklagende Partei) aufgehoben.
Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der beklagte Sohn ist der testamentarisch eingesetzte, rechtskräftig eingeantwortete Alleinerbe des 2020 verstorbenen Erblassers. In seinem Testament hielt dieser fest, der Beklagte solle das Erbe der Fischerfamilie weiterführen, das nie geteilt oder verkauft werden dürfe. Teil des Nachlasses waren zahlreiche, im jeweiligen Hälfteeigentum des Erblassers und seiner Ehefrau, der Erstklägerin, stehende land- und forstwirtschaftlich genutzte Liegenschaften. Auf diesen befindet sich auch eine Hofstelle und ein Campinglatz. Der Verkehrswert des nachlasszugehörigen Hälfteanteils der land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften beträgt einschließlich der Hofstelle 1.233.698 EUR. Der dem Hälfteanteil entsprechende Ertragswert der Liegenschaften beläuft sich auf 120.743 EUR. Der sonstige (unstrittige) Reinnachlass betrug 761.610,02 EUR.
[2] Ende 2022 kündigte die Erstklägerin dem Beklagten den mit diesem 2004 abgeschlossenen Pachtvertrag über den landwirtschaftlichen Betrieb.
[3] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Bewertung der Liegenschaften.
[4] Die erstklagende Witwe und diezweit- und drittklagenden Kinder des Erblassers begehren unter Zugrundelegung des Verkehrswerts der Liegenschaften die Zahlung ihres Pflichtteils. Das AnerbenG sei nicht anwendbar, weil der Erblasser nicht Alleineigentümer der Liegenschaften gewesen sei. Der Campingplatz sei als Unternehmen nachlasszugehörig und als solches ebenfalls mit dem Verkehrswert zu bewerten.
[5] Der Beklagte wendet ein, die Liegenschaften seien lediglich mit dem Ertragswert zu bewerten. Das Testament des Erblassers verbiete eine Veräußerung, sodass er diese im Rahmen seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Landwirt auch lediglich landwirtschaftlich nutzen könne. Die Ertragsfähigkeit des erhaltenswerten Betriebs reiche aus, eine erwachsene Person zu versorgen. Der Campingplatz falle als Unternehmen des Pächters gar nicht in den Nachlass. Die vom Campingplatz erfassten Flächen seien ebenfalls nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten. Bei Einstellung des Unternehmens seien sie in den landwirtschaftlichen Betrieb zu integrieren.
[6] Das Erstgericht verneinte die Anwendbarkeit des AnerbenG, weil der Erblasser lediglich sein Hälfteeigentum am landwirtschaftlichen Betrieb dem Beklagten testamentarisch vererbt habe. Es habe daher eine Bewertung nach dem LBG zu erfolgen. Obwohl es sich um landwirtschaftlich genutzte Liegenschaften handle, sei nicht deren Ertragswert maßgeblich, weil der hypothetische Reinertrag des gesamten Betriebs zu gering sei, um zwei erwachsene Personen zu erhalten. Es liege daher kein erhaltenswerter Hof vor. Auch stehe das Testament einer Veräußerung der Liegenschaften bzw des vom Beklagten geerbten Hälfteanteils nicht entgegen, weil – sofern es sich insoweit nicht ohnehin um einen bloßen Wunsch des Erblassers gehandelt habe – eine aufgrund der schon erfolgten (ideellen) Teilung wirkungslose Bedingung vorliege, die als nicht beigesetzt gelte. Beim Campingplatz handle es sich nicht mehr um ein lebendes Unternehmen, sodass ebenfalls der mittlere Bodenwert als Verkehrswert maßgeblich sei.
[7] Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an, wonach die Liegenschaften mit dem Verkehrswert der Pflichtteilsermittlung zu Grunde zu legen seien. Einerseits sei das AnerbenG nicht anwendbar. Andererseits liege der hypothetisch erzielbare Reinertrag unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz für pensionsberechtigte Alleinstehende. Aufgrund eines Verfahrensverstoßes des Erstgerichts im Zusammenhang mit der Feststellung des Werts der den Campingplatz umfassenden Grundstücke hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts im Umfang der davon betroffenen Pflichtteilsansprüche auf. Gegen das bestätigende Teilurteil (Erstklägerin: 345.570,67 EUR; Zweit- und Drittkläger: jeweils 230.380,45 EUR) ließ es die ordentliche Revision nicht zu.
[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren der Erstklägerin, soweit es 148.589,25 EUR und das Klagebegehren der Zweit- und Drittkläger soweit es jeweils 99.059,50 EUR übersteigt, abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Kläger beantragen in den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil den Vorinstanzen bei Bewertung der Liegenschaften eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[11] 1. Das Streitgericht hat auch die vor Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens zwingend dem Verlassenschaftsgericht obliegenden Entscheidungen über die Erbhofeigenschaft und die Höhe des Übernahmspreises zu treffen, wenn sich (nachträglich) herausstellt, dass auf den Streitfall die anerbenrechtlichen Vorschriften Anwendung zu finden haben (RS0050217). Da im Verlassenschaftsverfahren keine Entscheidung über die Erbhofeigenschaft ergangen ist, ist zunächst die Anwendbarkeit des AnerbenG zu prüfen.
2. Anwendbarkeit des AnerbenG
[12] 2.1 Der Anwendungsbereich des Anerbengesetzes, das im Kern auf eine besondere Form der Erbteilung (III. Abschnitt) bei Vorhandensein eines Erbhofs (I. Abschnitt) abzielt, ist nach dessen II. Abschnitt grundsätzlich in drei Fällen eröffnet: erstens bei gesetzlicher Erbfolge (§ 3 AnerbenG), zweitens bei gewillkürter Erbfolge (§ 8 AnerbenG) und drittens im Fall einer Verfügung über den Erbhof durch Vermächtnis (§ 9 AnerbenG; vgl 2 Ob 107/23h Rz 17).
[13] 2.2 Die Vorinstanzen sind im Einklang mit der bisherigen – von den Streitteilen im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogenen – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0120538 = 6 Ob 317/05v) davon ausgegangen, dass bei bestehendem Miteigentum zwischen Ehegatten oder einem Elternteil und einem Kind das AnerbenG bei der gewillkürten Erbfolge nur dann zur Anwendung kommt, wenn – anders als im vorliegenden Fall – der überlebende Miteigentümer als Alleineigentümer verbleibt.
[14] 2.3 Mangels Anwendbarkeit der höferechtlichen Bestimmungen des AnerbenG auf die hier zu beurteilende Rechtsnachfolge von Todes wegen, kommt es entgegen der Revision auch nicht auf die Erbhofeigenschaft des landwirtschaftlichen Betriebs an. Die Ausführungen zur ausreichenden Ertragsfähigkeit der landwirtschaftlich genutzten Liegenschaften im Sinn des § 1 Abs 1 AnerbenG gehen daher ins Leere.
[15] 2.4 Soweit der Beklagte aus 6 Ob 12/76 die Berücksichtigung des Wohlbestehensgrundsatzes bei der Bewertung bäuerlicher Liegenschaften auch außerhalb des Anwendungsbereichs der höferechtlichen Bestimmungen ableiten will, ist dies nicht stichhältig. Einerseits betonte der Oberste Gerichtshof auch in dieser Entscheidung, dass dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt zur Anwendung gelangen könne, weil sonst überhaupt kein Unterschied zu den höferechtlichen Bestimmungen über den Übernahmspreis bestünde und auch nicht übersehen werden dürfe, dass in der Verweisung der übrigen gesetzlichen Erben auf den Pflichtteil in einem Fall, der nicht nach Anerbenrecht zu beurteilen sei, in einem gewissen Maß schon durch den Erblasser dem Gedanken Rechnung getragen werde, dass der Übernehmer nicht zu sehr belastet werden soll. Maßgeblich sei, ob eine Ähnlichkeit zu den gesetzlichen Regelungen des Anerbenrechts bestehe. Die Entscheidung betraf einen Fall, in dem der Hof alle Voraussetzungen im Sinn des Tiroler HöfeG aufgewiesen hat, das Gesetz aber nur deshalb nicht anzuwenden war, weil der Hof zu Lebzeiten des Erblassers nicht in die Höferolle eingetragen worden war.
[16] Dies ist mit der vorliegenden Konstellation schon deshalb nicht vergleichbar, weil – unabhängig von der Ertragsfähigkeit des Betriebs – aufgrund der vom Erblasser hier angeordneten Rechtsnachfolge von Todes wegen eine Anwendung des AnerbenG ausscheidet. In § 8 AnerbenG hat der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Höfe und der Testierfreiheit im Sinne des Vorrangs der Testierfreiheit gelöst. Die Absicht des Erblassers, den Übergang des Erbhofs im Sinn anerbenrechtlicher Grundsätze vor sich gehen zu lassen, als Rechtfertigung der Anwendung anerbenrechtlicher Grundsätze ist nur dann anzunehmen, wenn der Erblasser die von § 8 AnerbenG eröffneten Möglichkeiten der Erbeinsetzung wahrnimmt (vgl 6 Ob 317/05v). Dass dies auf den vorliegenden Fall nicht zutrifft, zieht die Revision aber nicht in Zweifel.
3. Verkehrswert – Ertragswert
[17] 3.1 Dennoch weist der Beklagte unabhängig von der Einordnung des Betriebs als Erbhof darauf hin, dass eine Bewertung der Liegenschaften (allein) auf Basis des Verkehrswerts in Widerspruch zu den vom Obersten Gerichtshof aufgestellten Bewertungsgrundsätzen steht.
[18] 3.2 Die Frage, nach welchen Grundsätzen im Allgemeinen landwirtschaftliche Güter zur Bemessung des Pflichtteils zu bewerten sind, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt (RS0099283). Es kommt darauf an, welchen Wert der Gegenstand allgemein für seinen Eigentümer hat. Es ist von der Bestimmung des § 306 ABGB über den gemeinen Wert auszugehen (7 Ob 56/10a mwN; Welser, Erbrechts-Kommentar § 779 ABGB Rz 8).
[19] 3.3 Liegt nach der Verkehrsauffassung der Wert einer Sache vor allem in ihrem Ertrag oder sonstigen Nutzen, dann wird vom Ertragswert, andernfalls aber vom Verkehrswert auszugehen sein. Der Nutzen, den ein landwirtschaftlicher Betrieb allgemein leistet, besteht in erster Linie aus seinem Ertrag. In Zeiten einer starken Nachfrage nach Grundstücken können der Ertragswert und der Verkehrswert aber erheblich voneinander abweichen. In einem solchen Fall muss der Verkehrswert angemessen berücksichtigt werden, und zwar um so stärker, je größer der Verkehr mit derartigen Liegenschaften im Zeitpunkt des Todes des Erblassers tatsächlich war (RS0010080). Bei auffallendem Missverhältnis zwischen dem Verkehrswert und dem Ertragswert ist für die bei der Pflichtteilsberechnung erforderliche Ermittlung des Schätzwerts der Landwirtschaft durch Errechnung des arithmetischen Mittels aus Ertrags- und Verkehrswert unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen (RS0010076). Besteht aber beispielsweise kein wirtschaftlicher und funktioneller Zusammenhang zwischen den Liegenschaften und einem bestehenden Bauerngut, läge der Wert nach der Verkehrsauffassung nicht oder zumindest weniger im Ertrag, sondern im Verkehrswert (3 Ob 272/02z; 4 Ob 46/05a). Bei Grundstücken, die zwar im Zeitpunkt des Todes des Erblassers nur landwirtschaftlich genutzt wurden, aber bereits den Charakter von Bauland oder Bauhoffnungsland haben, müsste auch diesem Umstand bei der Schätzung Rechnung getragen werden (RS0007833).
[20] Mangels näherer Feststellungen zum wirtschaftlichen und funktionellen Zusammenhang zwischen den Liegenschaften und einem bestehenden Bauerngut sowie auch der Nutzung durch den Beklagten kann nicht abschließend beurteilt werden, auf welcher Bewertungsgrundlage unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls die Pflichtteilsbemessung zu erfolgen hat.
[21] Dass (allein) aufgrund der testamentarischen Anordnung des Erblassers, das Erbe der Familie dürfe nie geteilt oder verkauft werden, der Ertragswert maßgeblich sein soll, behauptet die Revision nicht (mehr). Vielmehr teilt sie die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, durch eine derartige Gestaltung könne kein Einfluss auf die Höhe der Pflichtteilsansprüche ausgeübt werden. Die rechtliche Qualifikation der Anordnung des Erblassers kann daher mangels Rechtsrüge zu dieser selbstständig zu beurteilenden Rechtsfrage dahinstehen (vgl RS0043352 [T30, T31]).
[22] 3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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