OGH 9Ob17/24a

OGH9Ob17/24a23.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch die Göbel & Kolar Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E* AG, *, vertreten durch die KS Kiechl Schaffer Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 36.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2023, GZ 5 R 168/23x‑22, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 22. August 2023, GZ 57 Cg 77/22g‑17, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00017.24A.0723.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin wurde im September 2022 Opfer eines Trickbetrugs durch unbekannte Täter, welche sie telefonisch davon überzeugten, dass nach der Festnahme einer Person, die sie betreffende Informationen mitgeführt habe, der Verdacht eines geplanten Einbruchsdiebstahls bestehe und dass Kassiere in drei Filialen der Beklagten darin involviert seien. Der unbekannte Anrufer, der sich als Polizist ausgab, wusste über die genauen Einlagenstände von Spar- und Girokonto der Klägerin Bescheid und riet ihr, seine Anweisungen genau zu befolgen, um der Polizei bei der Ausforschung und Verhinderung der geplanten Einbruchsdiebstähle behilflich zu sein. Aufgrund der Anweisungen des unbekannten Anrufers behob die Klägerin bei drei Filialen der Beklagten am selben Tag Geldbeträge in Höhe von zwei Mal 15.000 EUR und einmal 6.000 EUR und übergab diese außerhalb der Filiale einem weiteren unbekannten Täter, der sich ebenso als Polizist der Spurensicherung ausgab. Nicht festgestellt werden konnte, dass die Klägerin, wäre sie mündlich durch den Kassier oder die Kassierin von in der Vergangenheit wiederholt in dieser Art stattgefundenen Betrugsfällen informiert worden, die Behebungen nicht durchgeführt hätte.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin auf Zahlung von 36.000 EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[4] 1.1 Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RS0042828 [T1]). Die Auslegung des Parteienvorbringens und damit die Beantwortung der Frage, ob eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung vorliegt, geht in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus und begründet daher – vom Fall hier nicht vorliegender krasser Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0044273 [T61]).

[5] 1.2 Die Klägerin unterschied im erstinstanzlichen Verfahren durchgehend zur Frage, wofür die behauptete Aufklärungspflichtverletzung kausal gewesen sei, nicht zwischen der Behebung des Geldes einerseits und der späteren Übergabe des Geldes an die Täter. Sie brachte bereits in der Klage vor, dass sie, wenn die Beklagte den sie treffenden Schutz‑ und Sorgfaltspflichten nachgekommen wäre, die Bargeldbehebung und Übergabe des behobenen Bargeldes an den unbekannten Täter unterlassen hätte. In ihrem vorbereitenden Schriftsatz brachte sie sodann vor, dass der Schaden bei rechtmäßigem Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten nicht eingetreten wäre, weil die Klägerin den Betrugsversuch dann rechtzeitig erkannt und das Bargeld nicht behoben und auch nicht an den Täter ausgefolgt hätte. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die erstmals in der Berufung aufgestellte (differenzierende) Behauptung, dass die unterlassene Aufklärung unabhängig von ihrer Ursächlichkeit für die Geldbehebungen kausal für den Schadenseintritt gewesen sei, weil die Klägerin bei entsprechender Warnung das Geld zwar behoben, dieses aber jedenfalls nicht an die Täter übergeben hätte, einen Verstoß gegen das Neuerungsverbot des § 482 ZPO darstelle, stellt vor diesem Hintergrund keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Der in diesem Zusammenhang behauptete sekundäre Feststellungsmangel liegt mangels entsprechender Prozessbehauptungen in erster Instanz nicht vor (vgl RS0053317).

[6] 2.1 Die Beratungs- und Aufklärungspflichten von Banken sind grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls. Gegenteiliges gilt nur dann, wenn eine grobe Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (RS0106373; vgl auch RS0111165 [T3]). Eine derartige Fehlbeurteilung liegt nicht vor:

[7] 2.2 Ob die Beklagte ihren vertraglichen Schutz‑ und Sorgfaltspflichten in ausreichendem Maße nachgekommen ist, kann dahingestellt bleiben, weil der Klägerin der Beweis der Kausalität einer allfälligen Aufklärungs‑ und Hinweispflichtverletzung nicht gelungen ist, konnte doch gerade nicht festgestellt werden, dass die Klägerin, wenn sie mündlich durch den Kassier oder die Kassierin von in der Vergangenheit wiederholt in dieser Art stattgefundenen Betrugsfällen informiert worden wäre, die Behebungen nicht durchgeführt hätte. Die entsprechende Behauptungs‑ und Beweislast für den Kausalzusammenhang trifft die geschädigte Klägerin (vgl RS0022686). Selbst wenn die entsprechende Negativfeststellung tatsächlich auf Tatsachenebene als non-liquet anzusehen wäre, wäre der Klägerin der Beweis nicht gelungen, dass eine unterlassene Aufklärung durch die Beklagte entsprechenden Einfluss auf ihre Entscheidung, das Bargeld zu beheben, gehabt hätte (vgl dazu 1 Ob 148/14t). Auch ein geringeres Beweismaß für den Kausalitätsbeweis einer Unterlassung ändert nichts an der Beweislast hinsichtlich des Kausalzusammenhangs (6 Ob 36/23x = RS0022900 [T44]).

[8] 3. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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