OGH 10Ob28/24a

OGH10Ob28/24a9.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj L*, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, MA 11, WKJH Rechtsvertretung Bezirke 12, 23, 1230 Wien, Rößlergasse 15), wegen Rückersatz von Unterhaltsvorschüssen und Unterhaltsherabsetzung, infolge des Revisionsrekurses des Vaters D*, vertreten durch Hasch und Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. Oktober 2023, GZ 44 R 393/23d, 44 R 394/23a‑147, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 14. April 2023, GZ 7 Pu 44/19k‑128, bestätigt (44 R 393/23d) und der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 14. Juli 2023, GZ 7 Pu 44/19k‑136, teilweise abgeändert (44 R 394/23a) wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00028.24A.0709.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Dem Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts zu 44 R 393/23d wird Folge gegeben.

Die diesbezüglichen Entscheidungen der Vorinstanzen (die in Ansehung der Abweisung des Antrags, den gesetzlichen Vertreter, die Pflegeperson und die Kinder zum Rückersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse zu verpflichten, unbekämpft in Rechtskraft erwuchsen) werden im angefochtenen Umfang (betreffend den Antrag, den Vater zum Rückersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse zu verpflichten) aufgehoben und die Pflegschaftssache insofern an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

II. Im Übrigen – betreffend den Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts zu 44 R 394/23a – werden die Akten dem Rekursgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, über die vom Vater auch insofern erhobene Zulassungsvorstellung zu entscheiden.

 

Begründung:

[1] Der Vater war aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 26. Juli 2017ab 25. Mai 2017 zur Leistung eines Unterhalts von 208 EUR monatlich verpflichtet.

[2] Dem Kind wurden zuletzt mit Beschluss des Erstgerichts vom 6. September 2017 für die Zeit von 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2022 Unterhaltsvorschüsse von monatlich 208 EUR gewährt.

[3] Am 28. September 2020 beantragte der Vater die Unterhaltsherabsetzung. Bei der Unterhaltsfestsetzung sei von einem fiktiven Arbeitseinkommen von 1.300 EUR und davon ausgegangen worden, dass er arbeitsfähig sei. Es sei jedoch anzumerken, dass er an psychischen Krankheiten leide, die es ihm sehr schwer machten, eine Arbeit zu finden.

[4] Am 23. Oktober 2020 präzisierte er diesen Antrag vor dem Erstgericht dahingehend, dass er die Herabsetzung rückwirkend ab 1. Oktober 2017 beantrage, und zwar im Zeitraum ab 1. Jänner 2020 auf einen Betrag von 72 EUR monatlich.

[5] Gleichzeitig wurde dem Vater Rechtsbelehrung zur Mitteilungspflicht und Ersatzpflicht gemäß den §§ 21, 22 UVG erteilt, woraufhin er die Beigebung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenshilfe beantragte und unter anderem angab, dass der Fall für ihn rechtlich schwierig zu verstehen sei, insbesondere im Zusammenhang mit den Unterhaltsvorschüssen, die bei einer rückwirkenden Unterhaltsherabsetzung zurückgefordert werden könnten. Über Vorhalt des Erstgerichts, dass im Unterhaltsfestsetzungsverfahren nie vorgebracht worden sei, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten könne, gab er überdies an, nicht gewusst zu haben, dass er mit einer nicht vorhandenen Arbeitsfähigkeit argumentieren könne.

[6] In weiterer Folge ordnete das Erstgericht die Innehaltung der Vorschüsse mit Ablauf des Oktober 2020 bis auf einen Betrag von monatlich 72 EUR an.

[7] Mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 15. März 2022wurde die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. Oktober 2017 herabgesetzt, und zwar im Zeitraum von 1. Jänner 2020 bis 31. Dezember 2020 auf einen Unterhaltsbetrag von 164 EUR monatlich und ab 1. Jänner 2021 auf einen Unterhaltsbetrag von 160 EUR monatlich. Es ging davon aus, dass dem Vater eine Vollzeitbeschäftigung medizinisch zumutbar sei, er aber ab 1. Oktober 2017 nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung vermittelbar sei. Eine weitere Anwendung des Anspannungsgrundsatzes sei somit zu verneinen und es sei vom tatsächlichen Einkommen auszugehen.

[8] Mit Beschluss vom 24. Jänner 2023 wurden sodann die dem Kind gewährten Vorschüsse ab 1. Oktober 2017 herabgesetzt, und zwar im Zeitraum von 1. Februar 2020 bis 31. Oktober 2020 auf einen Vorschussbetrag von 164 EUR monatlich.

[9] Im Zeitraum von 1. Februar 2020 bis 31. Oktober 2020 wurde ein Gesamtbetrag von 396 EUR an Unterhaltsvorschüssen zu Unrecht ausgezahlt.

[10] Der Bund beantragt, den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters, die Pflegeperson, den Unterhaltsschuldner und – im Falle der Verneinung der Ersatzpflicht dieser Personen – das Kind gemäß §§ 22, 23 UVG idF FamRÄG 2009 zum Ersatz der für die Zeit von 1. Februar 2020 bis 31. Oktober 2020 in der Höhe von 396 EUR zu Unrecht gewährten Vorschüsse zu verpflichten. Der Übergenuss sei durch die nicht bzw verspätet erfolgte Mitteilung der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Schuldners entstanden.

[11] Weiters beantragte der Vater, seine (mit Beschluss vom 15. März 2022 festgesetzte) Unterhaltspflicht von 1. Februar 2020 bis 31. Dezember 2020 auf monatlich 72 EUR, von 1. Jänner 2021 bis 31. Jänner 2021 auf monatlich 74 EUR, von 1. Jänner 2022 bis (gemeint) 31. März 2022 auf monatlich 76 EUR, von 1. April 2022 bis 30. April 2022 auf monatlich 50 EUR, von 1. Mai 2022 bis 31. Juli 2022 auf monatlich 76 EUR, von 1. August 2022 bis 30. September 2022 auf monatlich 40 EUR herabzusetzen und ab 1. August 2022 zur Gänze auszusetzen, bis er eine Beschäftigung gefunden habe oder ihm wieder die volle Mindestsicherung ausbezahlt werde. Er habe gesundheitliche Beschwerden, die ihn in seiner Leistungsfähigkeit einschränkten.

[12] Das Erstgericht verpflichtete den Vater mit Beschluss vom 14. April 2023zum Ersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse und wies den die Rückersatzpflicht anderer Personen betreffenden Antrag des Bundes (rechtskräftig) ab. Es führte aus, dass die Meldung der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Vaters diesem obliege, jedoch unterlassen worden sei. Er habe erstmals im September 2020 (drei Jahre nach Unterhaltsfestsetzung und Gewährung der Unterhaltsvorschüsse) bekannt gegeben, dass er in der damals festgesetzten Unterhaltshöhe nicht leistungsfähig sei und der Unterhaltsbemessung kein fiktives Einkommen zugrunde zu legen sei.

[13] Mit Beschluss vom 14. Juli 2023wies das Erstgericht überdies den Unterhaltsherabsetzungsantrag für den Zeitraum von 1. Februar 2020 bis 31. März 2022 zurück und für den Zeitraum ab 1. April 2022 ab. Für den Zeitraum von 1. Februar 2020 bis 31. März 2022 sei mit Beschluss vom 15. März 2022 rechtskräftig entschieden worden. Eine Neubemessung ab 1. April 2022 scheitere daran, dass keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Der Unterhaltsbemessung sei bereits der Mindestsicherungsbezug des Vaters zugrunde gelegt worden; eine Anspannung auf ein fiktives Einkommen sei aufgrund der Unvermittelbarkeit des Vaters nicht vorgenommen worden.

[14] Gegen den Beschluss vom 14. April 2023 erhob der Vater zu 44 R 393/23d und gegen den Beschluss vom 14. Juli 2023 zu 44 R 394/23a jeweils Rekurs.

[15] Das Rekursgericht nahm die Entscheidungen über diese Rechtsmittel in eine Ausfertigung auf.

[16] Dem zu 44 R 393/23d erhobenen Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 14. April 2023 gab es nicht Folge. Es bejahte die Haftung des Vaters für die zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse. Die nicht unverzügliche Bekanntgabe seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit begründe ein grobes Verschulden. Der Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung sei zugrunde gelegen, dass der Vater seit 1. Oktober 2017 Mindestsicherung bezogen habe. Diesen Umstand habe der Vater erstmals in seinem Unterhaltsherabsetzungsantrag vom 9. Juni 2020 vorgebracht bzw mitgeteilt, somit nicht unverzüglich ab Bezug der Mindestsicherung, wie es seiner Mitteilungspflicht nach § 21 UVG entsprochen habe.

[17] Dem zu 44 R 394/23a erhobenen Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 14. Juli 2023gab das Rekursgericht teilweise Folge und setzte die Unterhaltsbeiträge des Vaters im Zeitraum ab 1. April 2022 auf näher bezeichnete Beträge herab.

[18] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht jeweils nicht zu.

[19] Dagegen richteten sich die (in einen Schriftsatz aufgenommenen) Zulassungsvorstellungen des Vaters jeweils verbunden mit einem ordentlichen Revisionsrekurs.

[20] Das Rekursgericht änderte den Ausspruch der Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegen die „Rekursentscheidung vom 3. Oktober 2023, 44 R 393/23d“, dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs zugelassen wird. Inhaltlich behandelte es ausschließlich die Frage der Haftung des Vaters für die zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse.

[21] Der Bund hat sich am diesbezüglichen Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[22] Über den (weiteren) Antrag des Vaters den Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses auch hinsichtlich der im Rekursverfahren zu 44 R 394/23a ergangenen Entscheidung (über den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters) abzuändern, sprach das Rekursgericht nicht ab.

Zu I.:

[23] Der Revisionsrekurs gegen die Rekursentscheidung zu 44 R 393/23d ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[24] I.1. Vorauszuschicken ist, dass Ansprüche auf Ersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse gegenüber dem Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters, gegenüber der Mutter und gegenüber dem Kind vom Erstgericht verneint wurden, wogegen kein Rechtsmittel erhoben wurde.

[25] I.1.1. Ansprüche gegenüber dem Kind und dem Rechtsträger seines gesetzlichen Vertreters sind somit nicht Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens. Daraus folgt, dass eine – von der Rechtsprechung angenommene (RS0049021) – Kollision der Interessen des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters mit jenen des Kindes im vorliegenden Revisionsrekursverfahren nicht zum Tragen kommt (10 Ob 21/24x Rz 16).

[26] I.1.2. Da die Frage der Haftung des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters rechtskräftig verneint wurde, ist auch nicht zu prüfen, ob dieser im Verfahren über den Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse nach den §§ 21, 22 UVG durch eine vertretungsbefugte Person vertreten war (vgl 10 Ob 21/24x Rz 18 ff).

[27] I.2. Der Vater macht im Rechtsmittel nicht geltend, dass die Ersatzpflicht (zur Gänze oder zum Teil) nicht bestehe, weil dadurch der laufende Unterhalt gefährdet (§ 22 Abs 3 UVG) oder sie infolge Zeitablaufs erloschen (§ 22 Abs 4 UVG) wäre. Er bekämpft auch die Beurteilung der Vorinstanzen nicht, wonach er die Mitteilungspflicht verletzte. Auf diese Fragen ist daher nicht einzugehen (RS0043338).

[28] I.3. Der Revisionsrekurs wendet sich vielmehr (ausschließlich) gegen die – für eine Haftung des Vaters nach § 22 UVG erforderliche – Bejahung seines groben Verschuldens durch die Vorinstanzen.

[29] I.3.1. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt sowie nach den Umständen die Vermutung des „bösen Vorsatzes“ nahe liegt. Im allgemein gebräuchlichen Sinn kann grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung einer Mitteilungspflicht daher nur angenommen werden, wenn (auch für einen juristischen Laien) die hohe Wahrscheinlichkeit der Unrechtmäßigkeit des Bezugs einsichtig ist und von ihm daher eine Bekanntgabe an das Gericht erwartet werden kann. Die Tatsache einer Rechtsbelehrung mit dem Gewährungsbeschluss reicht für sich alleine nicht aus, jedenfalls grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung einer Mitteilungspflicht zu begründen (RS0124118).

[30] I.3.2. Bei der Beurteilung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, wobei die Sorgfaltsanforderungen dabei nicht überspannt werden dürfen (RV 5 BlgNR 14. GP  20; vgl Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 [2019] § 22 UVG Rz 19, nach dem diese Aussage in der Praxis nicht verhindere, dass die konkreten Sorgfaltsanforderungen insbesondere bei der Verletzung der Mitteilungspflicht von erst- und zweitinstanzlichen Gerichten sehr hochgeschraubt worden seien und zuweilen beträchtliche Kenntnisse der aktuellen Unterhaltsspruchpraxis bei Nichtjuristen voraussetzten).

[31] I.3.3. Die Beweislast für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit begründende Umstände trifft nach allgemeinen Grundsätzen denjenigen, der sich für den Rückersatz darauf beruft, also den Bund (LG Linz und LGZ Wien EFSlg 128.058; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 [2019] § 22 UVG Rz 20 mit Hinweis auf die gegenteilige Literatur; aA 5 Ob 539/94; LGZ Wien EFSlg 87.830, 78.953). Eine Beweislastumkehr (wonach durch die zur Haftung herangezogene Person ein Entlastungsbeweis zu führen wäre) war zwar in der Regierungsvorlage zum UVG 1975 vorgesehen (RV 5 BlgNR 14. GP  3, 20), wurde aber nicht Gesetz (BGBl 1976/250; vgl AB 199 BlgNR 14. GP  10 f).

[32] I.3.4. Die nicht rechtzeitige Bekanntgabe einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, die zur Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse führen könnte, mag unter den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls allenfalls grob fahrlässig erfolgen (vgl grobe Fahrlässigkeit des Unterhaltsschuldners bei geänderten Einkommensverhältnissen bejahend 7 Ob 346/97a; verneinend etwa LGZ Wien EFSlg 128.046, wenn die Unterhaltspflicht unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes, somit entgegen eigenen Angaben, erfolgte). Allgemeingültige Aussagen darüber, in welchen Fällen grobe Fahrlässigkeit vorliegt, können wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Frage regelmäßig allerdings nicht getroffen werden. Eine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender, im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erheblicher Bedeutung setzt vielmehr voraus, dass die Entscheidung des Rekursgerichts den ihm in dieser Frage zukommenden Beurteilungsspielraum verlassen hat.

[33] I.3.4. Dies ist hier, wie der Vater im Revisionsrekurs zutreffend geltend macht, der Fall:

[34] I.3.4.1. Das Rekursgericht ging davon aus, dass der Vater zuletzt aufgrund der Anwendung des Anspannungsgrundsatzes zu einem Unterhaltsbeitrag von 208 EUR monatlich verpflichtet gewesen sei, der Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht zugrunde gelegen sei, dass er seit 1. Oktober 2017 Mindestsicherung bezogen habe, und er diesen Umstand erstmals in seinem Unterhaltsherabsetzungsantrag „vom 9. Juni 2020“ mitgeteilt habe, somit nicht unverzüglich „ab Bezug der Mindestsicherung“.

[35] Diese Beurteilung ist allerdings nicht durch die getroffenen Feststellungen gedeckt und steht auch mit dem sonstigen Akteninhalt in mehrfacher Hinsicht nicht im Einklang:

[36] Erstens gab der Vater nach dem Akteninhalt schon vor der Gewährung der Vorschüsse im Jahr 2017 an, Mindestsicherung zu beziehen, und stellte das Erstgericht etwa im Beschluss vom 26. Juli 2017 fest, dass er bereits seit Jahren in Bezug von Mindestsicherung steht.

[37] Zweitens teilte der Vater in seinem Unterhaltsherabsetzungsantrag vom (richtig) 28. September 2020 nicht (nur) den Bezug von Mindestsicherung mit, sondern er wies auf seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit infolge einer von ihm behaupteten psychischen Erkrankung hin.

[38] Drittens lag der Grund für die Herabsetzung der Unterhaltspflicht nach dem Inhalt des Beschlusses vom 15. März 2022 gar nicht in einem Bezug von Mindestsicherung seit 1. Oktober 2017, sondern darin, dass der Vater seit diesem Zeitpunkt nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar war, sodass die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes nicht (mehr) in Betracht kam.

[39] Viertens lässt sich dem bloßen Referat, dass bestimmte Umstände zu einem bestimmten Zeitpunkt (nicht) gemeldet wurden, nicht entnehmen, inwiefern dem Vater dabei eine grobe Fahrlässigkeit zur Last liegt, insbesondere bleibt offen, warum die zu meldenden Umstände nicht rechtzeitig gemeldet wurden.

[40] I.3.4.2. Auch dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt lassen sich lediglich die jeweiligen aus dem Akt ersichtlichen Verfahrensschritte entnehmen. Nur aus der rechtlichen Beurteilung wird ersichtlich, dass dem Vater vorgeworfen wird, die „eingeschränkte Leistungsfähigkeit“ verspätet (nämlich „drei Jahre später“) gemeldet zu haben. Feststellungen dazu, aus welchen Gründen der Vater welche konkreten Umstände, die zur Herabsetzung der Vorschüsse geführt haben, nicht (rechtzeitig) bekanntgab, wurden hingegen – trotz diesbezüglichen Vorbringens des Vaters (vgl im Protokoll vom 23. Oktober 2020) – nicht getroffen.

[41] I.4.1. Insgesamt lässt sich eine Haftung des Vaters aufgrund des festgestellten Sachverhalts somit nicht abschließend beurteilen, sodass die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben sind und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückzuverweisen ist.

[42] I.4.2. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht daher Feststellungen zum konkreten Grund für die Herabsetzung der Vorschüsse und für die Unterlassung seiner Bekanntgabe zu treffen haben. Nach dem Akteninhalt, insbesondere dem Beschluss vom 15. März 2022, liegt als Grund für die Herabsetzung der Vorschüsse nicht der Bezug von Mindestsicherung oder das Vorliegen einer (erstmals im Herabsetzungsantrag vom 28. September 2020 mitgeteilten) psychischen Erkrankung, sondern die sich aus dem eingeholten berufskundlichen Gutachten ergebende mangelnde Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt wegen langer Arbeitsmarktabsenz, mangelnder Ausbildung und angespannter Arbeitsmarktsituation nahe. Sollte dies zutreffen, wären weitere Feststellungen dazu zu treffen, wann der Vater seine mangelnde Vermittelbarkeit aus einem dieser Gründe dem Gericht erstmals mitteilen hätte können und gegebenenfalls, warum eine Mitteilung nicht schon früher erfolgte.

Zu II.:

[43] Die Vorlage der Akten durch das Rekursgericht entspricht hinsichtlich des Revisionsrekurses des Vaters gegen die zu 44 R 394/23a ergangene Rekursentscheidung nicht dem Gesetz.

[44] II.1. Hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig ist, und übersteigt der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR nicht, ist der Revisionsrekurs – außer im Fall des § 63 Abs 3 AußStrG (Zulassungsvorstellung) – jedenfalls unzulässig.

[45] II.2. Bei Ansprüchen auf den gesetzlichen Unterhalt ist das Dreifache der Jahresleistung als Wert des strittigen Rechts anzunehmen (§ 58 Abs 1 JN; RS0042366). Wird eine Erhöhung oder Herabsetzung eines Unterhaltsbetrags begehrt, so bildet nicht der Gesamtbetrag den Streitwert, sondern nur der dreifache Jahresbetrag der begehrten Erhöhung oder Herabsetzung (RS0046543). Wird auch laufender Unterhalt (die Erhöhung oder Herabsetzung laufenden Unterhalts) begehrt, sind Unterhaltsrückstände für die Ermittlung des Entscheidungsgegenstands irrelevant (RS0042366 [T7]).

[46] II.3. Das Erstgericht hatte den Vater mit Beschluss vom 15. März 2022 zur Leistung eines Betrags von 160 EUR an laufendem Unterhalt ab 1. Jänner 2021 verpflichtet. Der Vater strebte mit seinem Rekurs die Aussetzung der (laufenden) Unterhaltsverpflichtung zur Gänze ab 1. August 2022 an. Der Entscheidungsgegenstand zweiter Instanz übersteigt daher 30.000 EUR nicht.

[47] II.4. Das Rekursgericht wird folglich gemäß § 63 Abs 3 oder 4 AußStrG (auch) über die zu 44 R 394/23a erhobene Zulassungsvorstellung zu entscheiden haben. Nur im Fall der (nachträglichen) Abänderung des Zulassungsausspruchs ergäbe sich die Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofs über den Revisionsrekurs, ansonsten wäre dieser gemäß § 62 Abs 3 AußStrG unzulässig.

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