OGH 7Ob346/97a

OGH7Ob346/97a9.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Cornelia T*****, geboren ***** infolge Revisionsrekurses der Republik Österreich, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27.August 1997, GZ 45 R 392/97y-255, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 7.März 1997, GZ 4 P 1072/95b-250, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er wie folgt zu lauten hat:

"Der Unterhaltsschuldner Robert R*****, ist schuldig, die im Zeitraum vom 1.8.1996 bis 31.12.1996 zu Unrecht ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse von S 6.500,-- in sechs Teilzahlungen jeweils am Ersten eines jeden Monats, beginnend mit dem der Rechtskraft dieses Beschlusses folgenden Monatsersten, und zwar die ersten fünf Raten in Höhe von S 1.100,-- und die letzte Rate in Höhe von S 1.000,--, bei sonstiger Exekution an die Republik Österreich zu Handen des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien zurückzubezahlen."

Text

Begründung

Die mj. Cornelia T***** lebt seit August 1992 in Pflege und Erziehung bei ihrer Mutter (ON 157). Der unterhaltspflichtige Vater der Minderjährigen wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 3.8.1989 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.300,-- verpflichtet (ON 79). Aufgrund dieses Titels wurden dem Kind wiederholt Unterhaltsvorschüsse gewährt, unter anderem auch mit Beschluß vom 29.9.1994 über monatlich S 2.300,-- (ON 193), die zufolge nicht gemeldeter zwischenzeitig eingetretener Arbeitslosigkeit des unterhaltspflichtigen Vaters mit Beschluß vom 2.3.1995 rückwirkend für die Zeit vom 1.3.1995 auf monatlich S 900,-- herabgesetzt werden mußten (ON 203). Der damals vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien namens der Republik Österreich gestellte Antrag, den unterhaltspflichtigen Vater zum Rückersatz zuviel bezahlter Unterhaltsvorschüsse in Höhe von S 1.400,-- zu verpflichten, wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluß des Erstgerichtes vom 21.7.1995 abgewiesen (ON 208).

Mit Beschluß vom 25.3.1996 (ON 230) wurde wegen zwischenzeitig wieder eingetretener Berufstätigkeit des Vaters der Unterhaltsvorschuß für das Kind auf monatlich S 2.300,-- angehoben. Der unterhaltspflichtige Vater hat aber in der Folge es neuerlich unterlassen, dem Erstgericht rechtzeitig bekanntzugeben, daß er ab 15.7.1996 wiederum nur mehr Kranken- bzw Arbeitslosenentgelt erhält. Aufgrund dieses aus einem anderen Pflegschaftsverfahren bekanntgewordenen Umstandes setzte das Erstgericht die Vorschußhöhe für die Zeit vom 1.8.1996 bis 30.9.1997 auf monatlich S 1.000,-- herab (ON 241). Der in der Folge vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gestellte Antrag, das Kind, seinen gesetzlichen Vertreter, seine Mutter bzw den Unterhaltsschuldner zur Rückzahlung der zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von S 6.500,-- zu verpflichten, wies das Erstgericht ab. Das Verschulden an der zu hoch erfolgten Bevorschussung treffe allein den unterhaltspflichtigen Vater, weil es dieser schuldhaft verabsäumt habe, den Verlust seines Arbeitsplatzes bzw den Bezug von Arbeitslosen- bzw Krankengeld dem Gericht mitzuteilen. Eine dem Vater aufzuerlegende Rückersatzverpflichtung würde aber den laufenden Unterhalt des Kindes gefährden.

Das Rekursgericht gab dem vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien namens der Republik Österreich erhobenen Rekurs mit dem Antrag, allein den Vater als Unterhaltsschuldner zur Rückzahlung von S 6.500,-- zu verpflichten, keine Folge. Es erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Daß der Vater seine Mitteilungspflicht nach § 21 UVG verletzt habe, ergebe sich aus der Aktenlage, Gegenteiliges sei vom Vater anläßlich seiner Vernehmung auch nicht behauptet worden. Die Belehrungen, wonach Änderungen des Einkommens meldepflichtig seien, fänden sich auf der Rückseite der Beschlußausfertigungen nach AußStrF 181 und 180/2, welche dem Vater aktenkundig auch zugegangen seien. Eine Nichtzurkenntnisnahme dieser Belehrung oder ihre Nichtbeachtung stelle eine grobe Fahrlässigkeit nach § 1324 ABGB dar. Eine Rechtfertigung für die Nichterstattung der Mitteilung nach § 21 UVG sei vom Kindesvater nicht dargetan worden. Gemäß § 22 Abs 2 UVG entfalle die Rückersatzverpflichtung, wenn durch sie der laufende Unterhalt des Kindes gefährdet werde. Wenn auch das Kind laufend Unterhaltsvorschüsse beziehe, sei allein maßgeblich, ob ungeachtet dessen der Unterhaltsschuldner durch die Rückersatzverpflichtung gehindert werden könnte, seiner Unterhaltsverpflichtung nachzukommen. Da Voraussetzung einer Unterhaltsbevorschussung sowohl die Leistungsfähigkeit des Alimentationspflichtigen als auch die Uneinbringlichkeit der Unterhaltsbeträge sei, müsse eine durch die Rückersatzverpflichtung hervorgerufene Beeinträchtigung oder Aufhebung der Leistungsfähigkeit zu einer Reduzierung oder Versagung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG führen. Eine Rückersatzpflicht des Vaters bestehe sohin aufgrund der Gefährdung des laufenden Kindesunterhaltes nicht.

Der gegen diese Entscheidung vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob eine Gefährdung des laufenden Kindesunterhaltes auch bei fortlaufender Gewährung von Unterhaltsvorschüssen eintreten kann, fehlt. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 22 UVG haftet für den Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse das Kind, sein gesetzlicher Vertreter, die Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, und hilfsweise auch der Unterhaltsschuldner, sofern er die Gewährung der Vorschüsse durch Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 21 UVG vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlaßt hat. Die Ersatzpflicht besteht nach dem Abs 2 insoweit nicht, als dadurch der laufende Unterhalt des Kindes gefährdet wird. Diese Haftung beruht auf dem Titel des Schadenersatzes und entsteht nicht auch bei leichter Fahrlässigkeit (Knoll, UVG, Rz 6 zu § 22). Der Beurteilung der Vorinstanzen, daß das Unterlassen der Mitteilung über die geänderten Einkommensverhältnisse grobe Fahrlässigkeit des Vaters begründet, ist beizupflichten, zumal die Belehrungen über die Mitteilungspflicht nach § 21 UVG dem Kindesvater aktenkundig zugekommen sind und das Außerachtlassen der zugekommenen Rechtsbelehrung als grobe Fahrlässigkeit zu werten ist (vgl Knoll, UVG, Rz 8 zu § 22 UVG). Zu prüfen bleibt also, ob eine Einschränkung der Ersatzpflicht nach dem Abs 2 leg cit im vorliegenden Fall Anwendung findet.

Bei der Ermittlung, ob bei Auslegung der Worte "Gefährdung des laufenden Unterhalts des Kindes" allein auf die momentane wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Rückersatzpflichtigen abzustellen ist oder in die Beurteilung auch gesetzlich garantierte Zuwendungen Dritter auf den Unterhalt des Kindes miteinzubeziehen sind, ergibt sich schon nach der grammatikalischen Auslegungsmethode bereits ein Vorzug für die letztere Variante, weil dem Wortlaut des Gesetzes keine ausschließliche Determinierung auf die subjektive wirtschaftliche Situation des Rückersatzverpflichteten zu entnehmen ist und daher auf die objektiv wirtschaftliche Situation des unterhaltsberechtigten Kindes abzustellen ist. Die systematisch-logische Auslegung blickt auf den expliziten Inhalt anderer Normen der Rechtsordnung, die in Verbindung mit den Regeln der Logik und mit allgemeiner Erfahrung über das menschliche Verhalten bei der Erlassung von Anordnungen Schlüsse auf die auszulegende Norm zulassen (Bydlinski in Rummel ABGB2 § 6, Rz 18). Die Zielsetzung des Gesetzesvorhabens - die Sicherung des Unterhaltes minderjähriger Kinder - soll nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß der Bund Vorschüsse, die er einmal zu Unrecht gewährt hat, mit aller Strenge eintreibt. Nach den Materialien ordnet die auszulegende Bestimmung an, daß die Ersatzpflicht - gleich ob es sich um die des Kindes, seines gesetzlichen Vertreters, der Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet und des Unterhaltsschuldners in einer Art "Härteklausel" dann nicht Platz zu greifen hat, wenn durch die Hereinbringung dieser Beträge der laufende Unterhalt des Kindes gefährdet wird (vgl EB RV 5 BlgNR, 14.GP, 20). Folgt man diesen Auslegungsregeln, so ist bei der Frage nach dem richtigen Bedeutungsgehalt insbesondere auf die Konzeption des Abs 2 leg cit als Härteklausel Rücksicht zu nehmen. Zieht man nun die systematisch-logische Auslegung heran, wird die Intention des Gesetzgebers deutlich, daß die Befreiung von der Ersatzpflicht eine (eng auszulegende) Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden Schadenersatzpflicht sein soll. Diese Ausnahme besteht nur zugunsten des Kindes. Die Annahme des Rekursgerichtes, daß die Einbringlichmachung der Rückersatzverpflichtung gemäß § 7 UVG zu einer Reduktion der Vorschüsse führen müsse, trifft nicht zu. Eine Vorschußherabsetzung wegen zwischenzeitiger Einkommensreduktion des Unterhaltspflichtigen wegen Arbeitsplatzverlustes und Arbeitslosenentgeltbezuges stünde in keinem kausalen Zusammenhang mit der Rückersatzverpflichtung. Nach der herrschenden Rechtsprechung können Unterhaltsschulden nicht von der Bemessungsgrundlage für die Errechnung der konkreten Unterhaltsverpflichtung in Abzug gebracht werden (Schwimann, Unterhaltsrecht, 52), sodaß sie auch auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nach § 7 UVG ohne Auswirkung bleiben. Zwar handelt es sich beim Rückersatz zu Unrecht gezahlter Unterhaltsvorschüsse - wie bereits oben dargelegt - um eine schadenersatzrechtliche Verpflichtung und nicht um eine Unterhaltsschuld im engeren Sinn, jedoch steht diese schadenersatzrechtliche Verpflichtung in einem so engen Konnex zu den Unterhaltszahlungen bzw der Unterhaltsverpflichtung an sich, daß für diesen Fall ein Analogieschluß gerechtfertigt erscheint. Wenn nun aber die Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zum Rückersatz nach § 22 UVG keine Verminderung der Bemessungsgrundlage für den zu leistenden Unterhalt zur Folge hat, ist nicht einzusehen, worin die Gefährdung des laufenden Kindesunterhaltes bestehen könnte. Aufgrund der Konzeption des § 22 UVG als schadenersatzrechtliche Forderung hat auch ein allfälliges Unterschreiten der exekutionsrechtlichen Pfändungsfreigrenzen außer Betracht zu bleiben, zumal die Festsetzung eines Schadenersatzanspruches immer unabhängig davon erfolgt, ob seine Durchsetzung das Existenzminimum des Schuldners gefährden könnte.

Im übrigen ist es für die Rückzahlungsverpflichtung unbeachtlich, ob der Vater aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage dieser Verpflichtung tatsächlich nachkommen kann (EFSlg 81.928; vgl auch Knoll, UVG, Rz 11 zu § 22 mwN). Folgte man der gegenteiligen (rechtsirrigen) Meinung, eine Gefährdung des laufenden Kindesunterhaltes sei trotz laufender Unterhaltsbevorschussung gegeben, so wäre bei der Beurteilung allein auf die derzeit nicht erfüllte, sohin notleidend gewordene gesetzliche Unterhaltsverpflichtung abzustellen. Diese errechnet sich unter anderem auf Grundlage der Leistungsfähigkeit des Schuldners, sodaß letzten Endes die wirtschaftliche Lage des Unterhaltspflichtigen für die Frage des Rückersatzes ausschlaggebend wäre. Eben dies lehnten die herrschende Lehre und Rechtsprechung, wie bereits oben dargelegt, ab. Des weiteren brächte diese Rechtsansicht praktisch einen Verlust der Sanktionsmöglichkeit (§ 22 Abs 1 UVG) mit sich, weil nach der Gerichtserfahrung die (Weiter-)Gewährung von Unterhaltsvorschüssen meistens nur dann erfolgt, wenn der Unterhaltsschuldner aufgrund seiner meist selbstverschuldeten wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, seiner Unterhaltsverpflichtung nachzukommen. Damit würde in der überwiegenden Anzahl der Fälle die Prüfung, ob eine Ersatzverpflichtung den laufenden Kindesunterhalt gefährden könnte, im Ergebnis zu einem Entfall der Ersatzverpflichtung führen. Dieses Ergebnis widerspräche wiederum der Konzeption des Abs 2 als Härteklausel als Ausnahmeregelung.

Für den Rückersatz der zu Unrecht ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse konnten Teilzahlungen gewährt werden - die Zulässigkeit ist überwiegend anerkannt (Knoll, UVG, Rz 11 zu § 22) - da dies mit Rücksicht auf die finanzielle Situation des Unterhaltsschuldners geboten erschien.

Der Meinung der Rechtsmittelwerberin ist aus all diesen Gründen beizutreten, dem Revisionsrekurs war Folge zu geben und der Beschluß des Rekursgerichtes antragsgemäß abzuändern.

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