OGH 3Ob93/24h

OGH3Ob93/24h3.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1) F* K*, geboren am * 2012, und 2) E* K*, geboren am * 2015, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter N* K*, vertreten durch Mag. Roland Heindl, Rechtsanwalt in Oberwart, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 15. März 2024, GZ 20 R 24/24i‑47, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00093.24H.0703.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, mit der ausgesprochen wurde, dass die Obsorge für die Kinder weiterhin bei beiden Eltern verbleibt und der hauptsächliche Aufenthalt beim Vater festgelegt wird.

[2] Mit dem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs, der sich gegen die Festlegung des hauptsächlichen Aufenthalts beim Vater wendet, zeigt die Mutter keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1 Gemäß § 177 Abs 4 ABGB haben die Eltern, wenn sie – wie hier – beide mit der Obsorge betraut sind, aber nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, festzulegen, bei welchem Elternteil sich das Kind hauptsächlich aufhalten soll (vgl 6 Ob 8/19y). Besteht keine derartige Vereinbarung und stellt ein Elternteil einen darauf gerichteten Antrag, so ist der hauptsächliche Aufenthalt vom Pflegschaftsgericht festzulegen.

[4] Maßstab für die Entscheidung über die Obsorge und dementsprechend auch für die Frage, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird, ist das Kindeswohl (§ 180 Abs 2 ABGB). Entscheidend ist, auf welche Weise die Interessen des Kindes am Besten gewahrt werden können (vgl RS0130247; 10 Ob 8/19b; vgl auch RS0047928 [T2 und T17]; 5 Ob 106/20d).

[5] 1.2 Die Mutter lehnt es aus religiösen Gründen ab, dass die beiden Kinder eine öffentliche Schule oder eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht besuchen.

[6] Gemäß § 5 Abs 1 SchulpflichtG 1985 ist die allgemeine Schulpflicht durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen zu erfüllen. Nach § 11 Abs 2 leg cit kann die Schulpflicht auch durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllt werden, sofern dieser jenem an einer in § 5 leg cit genannten Schule mindestens gleichwertig ist. Der zureichende Erfolg eines häuslichen Unterrichts ist gemäß § 11 Abs 4 leg cit jährlich vor Schulschluss durch eine Externistenprüfung nachzuweisen. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat die Schulbehörde nach § 11 Abs 6 leg cit anzuordnen, dass das Kind die Schulpflicht im Sinn des § 5 leg cit zu erfüllen hat (vgl 2 Ob 136/18s).

[7] Die Erfüllung der Schulpflicht und die Erbringung des Nachweises darüber sind für die Förderung der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes und die Wahrung des Kindeswohls essentiell (vgl § 138 Z 4 ABGB; 2 Ob 136/18s). Einer nachhaltigen Verletzung der Schulpflicht und/oder der Nachweispflicht kommt bei Abwägung der Interessen der Eltern, ihre Erziehungsmethoden entsprechend ihrer Weltanschauung zu wählen, einerseits und dem Recht des Kindes auf eine ordentliche Ausbildung (vgl Art 2 des 1. EMRK-Zusatzprotokolls) andererseits besonderes Gewicht zu (vgl 6 Ob 45/23w).

[8] 1.3 Ausgehend von den bindenden Feststellungen, wonach die Mutter die Eingliederung der Kinder in den Regelunterricht beharrlich verweigert und behördliche Anordnungen zum Schulbesuch der Kinder missachtet, wodurch die Kinder bereits einige Schuljahre versäumt haben, begründet die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die schulische Förderung und das Fortkommen der Kinder durch den Vater besser wahrgenommen werden kann, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[9] 1.4 Die von der Mutter geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angeführten gesetzlichen Bestimmungen über die Schulpflicht und die Externistenprüfung werden vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt und bieten keinen Anlass für eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof (vgl VfGH 10. 3. 2015, E 1993/2014; 6. 3. 2019, G 377/2018; 29. 11. 2022, E 2766/2022; vgl auch 6 Ob 45/23w).

[10] 1.5 Zu beachten ist zudem, dass der geäußerte Wunsch der Kinder, sich hauptsächlich beim Vater aufhalten zu wollen, ein beachtliches Kriterium begründet, wobei jedenfalls bei Kindern im Alter von F* von der Urteilsfähigkeit in Bezug auf Obsorgeregelungen auszugehen ist (vgl RS0048820; 5 Ob 10/18h; 5 Ob 106/20d).

[11] 2. Insgesamt gelingt es der Mutter mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Auch der von ihr gerügte Verfahrensmangel betreffend die Erziehungsfähigkeit des Vaters liegt nicht vor. Der Stellungnahme des Jugendwohlfahrtsträgers sind in dieser Hinsicht keine Einschränkungen zu entnehmen. Auf die vom Jugendwohlfahrtsträger angesprochenen beengten Wohnverhältnisse hat der Vater bereits reagiert.

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