European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00042.24B.0626.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revisionen der klagenden und beklagten Partei werden zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.221,90 EUR (darin 203,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist Rechtsanwalt und Partner in einer Rechtsanwaltskanzlei. Am 21. 2. 2017 wurde er vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien zum mittlerweiligen Substituten des Beklagten, damals selbständiger Rechtsanwalt, bestellt.
[2] Am 14. 3. 2017 wurde der Kläger zum Kammerkommissär für den Beklagten bestellt und am 28. 3. 2017 als mittlerweiliger Substitut enthoben. Seine Tätigkeit endete mit Bescheid vom 3. 12. 2019 mit seiner Enthebung und dem Auftrag zur weiteren Aktenaufbewahrung.
[3] In seinen Funktionen als mittlerweiliger Substitut und Kammerkommissär des Beklagten verrichtete der Kläger zahlreiche Tätigkeiten, für die er dem Beklagten Honorarnoten auf einer Bemessungsgrundlage von 16.000 EUR ausstellte. Der Kläger erfüllte seine Aufgaben als mittlerweiliger Substitut und als Kammerkommissär ordnungsgemäß. Der Beklagte bezahlte diese Rechnungen nicht.
[4] Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von 52.512,52 EUR sA, resultierend aus einem Betrag von 15.490,20 EUR an Entgelt für seine Tätigkeiten als mittlerweiliger Substitut, 36.679,32 EUR als Kammerkommissär und 343 EUR für die Aktenverwahrung.
[5] Der Beklagte bestritt die Forderungen des Klägers sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach.
[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 20.000 EUR samt 8,58 % Zinsen seit 22. 5. 2020 unter Anwendung des § 273 ZPO statt und wies das Mehrbegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Parteien in der Hauptsache nicht, jedoch im Zinsenbegehren teilweise Folge und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 4 % Zinsen seit 15. 1. 2019 aus 20.000 EUR. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts zur Anwendung des § 273 ZPO auf den Entlohnungsanspruch des Klägers. Nach § 34b Abs 3 RAO habe der Kammerkommissär gegenüber dem Rechtsanwalt Anspruch auf Ersatz der notwendigen Barauslagen und auf angemessene Entlohnung für seine Mühewaltung. Was eine „angemessene Entlohnung“ sei, lasse sich weder den AHK noch dem RATG entnehmen und könne daher gar nicht festgestellt werden, weshalb insoweit die Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO geboten sei. Dessen Anwendung erweise sich auch unter Berücksichtigung einer Kosten-Nutzen-Analyse insoweit als zutreffend, als das Erstgericht nicht zu jeder einzelnen Leistung des Klägers ein unverhältnismäßig umfangreiches Beweisverfahren durchgeführt habe, um zu beurteilen, welche Leistungen erforderlich gewesen seien, um die in § 34a Abs 1 und 2 RAO vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen. Auch wenn die Rechtsrüge des Klägers nicht gesetzmäßig ausgeführt sei, bestünden keine Bedenken gegen die Festsetzung der angemessenen Entlohnung durch das Erstgericht. Insbesondere habe das Erstgericht dabei berücksichtigt, dass es sich bei den verrichteten Tätigkeiten des Klägers großteils um Leistungen in sonstigen Zivil- und Verwaltungssachen sehr einfacher Natur und von geringer Bedeutung im Sinne des § 5 Z 34 lit a AHK gehandelt habe, für die nach derzeitiger Rechtslage eine Bemessungsgrundlage von lediglich 4.400 EUR angenommen werde.
[8] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Anspruch auf Entlohnung eines zum mittlerweiligen Stellvertreter und anschließend zum Kammerkommissär bestellten Rechtsanwalts fehle.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die dagegen gerichteten Revisionen beider Parteien sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
I. Zur Revision des Klägers:
[10] 1.1. Die sachliche Erledigung einer verspäteten Berufung durch das Berufungsgericht begründet Nichtigkeit, die mit dem Revisionsgrund des § 503 Z 1 ZPO geltend gemacht werden kann (RS0041842; RS0062118). Dass der Kläger die Behauptung, die Berufung des Beklagten sei verspätet gewesen, unter dem Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO geltend macht, gereicht ihm nicht zum Nachteil, weil seine Rechtsmittelausführungen den Beschwerdegrund deutlich erkennen lassen (vgl RS0041851).
[11] 1.2. Gemäß § 505 Abs 2 ZPO ist auf die Revisionsfrist die Regelung des § 464 Abs 3 ZPO sinngemäß anzuwenden. Danach unterbricht ein innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellter, die Beigebung eines Rechtsanwalts einschließender Verfahrenshilfeantrag diese Frist; sie beginnt mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses neuerlich zu laufen (RS0117835). Nach der Rechtsprechung unterbricht nur ein (inhaltlich zu erledigender) unberechtigter Verfahrenshilfeantrag, nicht aber auch ein prozessual unzulässiger Antrag den Fristenlauf (RS0117835 [T4]; 5 Ob 256/08w). Ein neuerlicher Verfahrenshilfeantrag, der nach Abweisung eines früheren derartigen Antrags gestellt wird, ist nur zulässig, wenn zumindest die maßgebliche Veränderung entscheidender Umstände dargelegt wird (RS0117835 [T6]; RS0123516). Der Antrag muss ein Vorbringen enthalten, das vom bisherigen abweicht und nicht von vornherein als für eine Bewilligung ungeeignet erkennbar ist (M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 65 ZPO Rz 6).
[12] 1.3. Sowohl das Erstgericht als auch das Rekursgericht haben den zweiten Verfahrenshilfeantrag des Beklagten insofern meritorisch behandelt, als sie diesen im Umfang des Antrags auf Beigebung eines Rechtsanwalts gemäß § 64 Abs 1 Z 3 ZPO abgewiesen haben. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe in seinem zweiten, die Berufungsfrist neuerlich unterbrechenden Verfahrenshilfeantrag geänderte Umstände behauptet, ist nicht zu beanstanden. Richtig ist zwar, dass der Beklagte keine Änderung seiner Vermögensverhältnisse behauptet hat. Mit seinem neuen, für eine Bewilligung seines Verfahrenshilfeantrags nicht von vornherein als ungeeignet anzusehenden Vorbringen, ihm fehlten mangels Zugangs zur RDB und weil er lange keine Rechtsmittel mehr verfasst habe, die notwendigen Informationen und erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Abfassung einer Berufung, hat er aber ein Vorbringen erstattet, dass von seinem im ersten (im Übrigen im Erkenntnisverfahren gestellten) Verfahrenshilfeantrag abwich.
[13] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Senat geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[14] 3.1. Der Kläger greift in seiner Revision die vom Berufungsgericht bezeichnete Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nur insofern auf, als er meint, die Frage der angemessenen Entlohnung des Kammerkommissärs lasse sich anhand der Bestimmungen des RATG bzw der AHK lösen, weshalb die Vorinstanzen zu Unrecht die Höhe der angemessenen Entlohnung unter Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO festgesetzt hätten.
[15] 3.2. Nach herrschender Rechtsprechung ist die Entscheidung des Gerichts darüber, ob es den § 273 ZPO anwenden darf, eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung (RS0040282). Soweit das Berufungsgericht die Anwendung des § 273 ZPO billigte, ist eine nochmalige Überprüfung im Revisionsverfahren daher nicht mehr möglich (RS0040282 [T6, T8]).
[16] Andere Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO werden vom Kläger nicht geltend gemacht (im Übrigen siehe Pkt II.2.). Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
II. Zur Revision des Beklagten:
[17] 1. Dieses Rechtsmittel setzt sich nicht mit der vom Berufungsgericht bezeichneten Rechtsfrage auseinander, sondern releviert lediglich die Unangemessenheit der von den Vorinstanzen vorgenommenen Ausmittlung der Entlohnung des Klägers im konkreten Einzelfall. Die nach § 273 ZPO erfolgte Betragsfestsetzung ist zwar nach herrschender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als revisible rechtliche Beurteilung zu qualifizieren (RS0111576), wozu auch die Frage zählt, welche maßgeblichen Faktoren zur Bemessung heranzuziehen sind, weil davon ihr Ergebnis abhängt (vgl 4 Ob 129/21f Rz 5 mwN). Für die Ausübung des richterlichen Ermessens sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl RS0040494; vgl RS0040341 [T12]). Es können daher nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung auch noch in dritter Instanz an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0007104). Dass die Vorinstanzen bei ihrer Ausmittlung die Grenzen des gebundenen Ermessens überschritten hätten, zeigt die Revision des Beklagten (im Übrigen auch jene des Klägers) aber nicht auf.
[18] 2. Aufgrund welcher fallkonkreten Umstände unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zu § 34b Abs 3 RAO für die Tätigkeiten des Klägers als Kammerkommissär nur eine Entlohnung in Höhe eines Pauschalbetrags „von ca 1.000 EUR“ angemessen wäre, stellt die Revision nicht nachvollziehbar dar. Die bloße Behauptung, die vom Kläger verzeichneten Tätigkeiten seien nutzlos gewesen, zeigt – ausgehend vom festgestellten Sachverhalt – keine vom Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit bzw der Einzelfallgerechtigkeit wahrzunehmende Ermessensüberschreitung des Berufungsgerichts auf. Ebenso verhält es sich im Übrigen mit der bloßen – nicht näher substantiierten – Behauptung des Klägers, in Erfüllung seiner Aufgaben als Kammerkommissär habe er nicht sehr einfache, sondern komplexe Tätigkeiten verrichtet.
[19] Insgesamt wird in den Revisionen daher keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt, weshalb diese zurückzuweisen sind.
[20] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]). Der Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
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