OGH 4Ob95/24k

OGH4Ob95/24k25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei * GmbH & Co KG, *, vertreten durch Mag. Harald Strasser, Rechtsanwalt in Vorchdorf, wegen 37.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 11. April 2024, GZ 4 R 26/24g‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00095.24K.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb 2022 von der beklagten Autohändlerin ein gebrauchtes Fahrzeug um 37.000 EUR. Im Kaufvertrag bewerteten die Parteien den Zustand des Fahrzeugs mit „Klasse 3 – Genügend fahrbereit“. Bei der vor Abschluss des Kaufvertrags vorgenommenen Besichtigung sicherte der Vertreter der beklagten Partei dem Kläger ua zu, dass das damals nicht funktionierende Reifendruckkontrollsystem noch repariert werde. Die Beklagte reparierte das schadhafte System aber weder vor noch nach der Übergabe, sodass das Reifendruckkontrollsystem nach wie vor nicht funktioniert. Die Beklagte übernahm zwar zunächst Reparaturkosten für andere Mängel, weigerte sich aber, die Kosten von weiteren Reparaturen (auch hinsichtlich des Reifendruckkontrollsystems) zu tragen.

[2] Der Kläger begehrt ua aus dem Titel der Gewährleistung die Auflösung des Vertrags und die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw; hilfsweise die Zahlung von 2.302,72 EUR als Minderung des Kaufpreises. Als Mangel machte er – soweit für das drittinstanzliche Verfahren noch relevant – den Defekt am Reifendruckkontrollsystem geltend. Entgegen ihrer ausdrücklichen Zusage verweigere die Beklagte hier eine Reparatur bzw die Übernahme der entsprechenden Reparaturkosten.

[3] Die Beklagte wandte ein, dass allfällige Defekte (ua) am Reifendruck nur geringfügige Mängel seien und keine Vertragsauflösung rechtfertigten.

[4] Das Erstgericht gab der Klage nur hinsichtlich eines Teils des Eventualbegehrens (Preisminderung) statt und wies das Hauptbegehren (Vertragsauflösung) ab. Es lägen nur geringfügige Mängel vor, sodass der Kläger kein Recht zur Auflösung des Vertrags habe und ihm nur eine angemessene Preisminderung zustehe.

[5] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass es dem Hauptbegehren stattgab, somit den Vertrag aufhob und die Beklagte zur Rückzahlung des (um ein Benützungsentgelt verminderten) Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw verurteilte. Es handle sich beim nicht funktionierenden Reifendruckkontrollsystem schon wegen der hier ausdrücklich zugesicherten Eigenschaft um keinen bloß geringfügigen Mangel. Abgesehen von der Zusage falle auch die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers aus, der die Vertragsauflösung anstrebe.

Rechtliche Beurteilung

[6] In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die beklagte Partei keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

[7] 1.1 Nach dem im Anlassfall unstrittig anzuwendenden § 12 Abs 5 VGG kann der Verbraucher den Vertrag nicht auflösen, wenn der Mangel nur geringfügig ist; Zweifel über die Geringfügigkeit des Mangels gehen dabei zu Lasten des Unternehmers. Diese Bestimmung entspricht – mit Ausnahme der Zweifelsregel – der Rechtslage vor Inkrafttreten des VGG, sodass auf die dazu vorhandene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zurückgegriffen werden kann (9 Ob 41/23d mwN).

[8] 1.2.1 Es steht fest, dass dem klagenden Käufer von der beklagten Verkäuferin ein funktionierendes Reifendruckkontrollsystem ausdrücklich zugesagt wurde. Sowohl zu § 12 Abs 5 Satz 1 VGG (9 Ob 41/23d) als auch zum inhaltlich entsprechenden § 932 Abs 4 3. HS ABGB (RS0120610) liegt gesicherte Rechtsprechung vor, wonach das Fehlen einer ausdrücklich vereinbarten Eigenschaft so bedeutsam ist, dass nicht mehr von einer Geringfügigkeit des Mangels gesprochen werden kann.

[9] 1.2.2 Der Oberste Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang darauf ab, dass der Käufer ausdrücklich oder zumindest schlüssig ein besonderes Interesse an gerade dieser Eigenschaft deutlich gemacht hat (RS0120610 [T6]). Es kommt nicht darauf an, was der Erklärende wollte, sondern was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte (2 Ob 78/15g [Pkt 2.1.]). Damit ist für die Klärung der Frage, ob ein geringfügiger Mangel vorliegt die Bekundung des rechtlichen Interesses an der zugesagten Eigenschaft (9 Ob 41/23d) und nicht – wovon aber die Beklagte ausgeht – das tatsächliche Bestehen des rechtlichen Interesses entscheidend.

[10] 1.2.3 Das Berufungsgericht ist von den referierten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht abgewichen.

[11] 1.3 Die Auslegung der in diesem Zusammenhang getroffenen Urteilsfeststellungen begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RS0118891). Wenn das Berufungsgericht die Feststellungen einschließlich der beweiswürdigenden Erwägungen dahin auslegte, dass der Kläger im Sinn der aufgezeigten Rechtsprechung jedenfalls ein besonderes Interesse an einem funktionierenden Reifendruckkontrollsystem deutlich gemacht hat, ist darin keine korrekturbedürftige Fehlentscheidung zu erblicken.

[12] 2.1 Entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel hat das Berufungsgericht – zusätzlich zum Umstand, dass das Funktionieren des Reifendruckkontrollsystems von der Beklagten ohnedies ausdrücklich zugesichert wurde – auch eine Interessenabwägung durchgeführt. Abgesehen davon, dass die von den Umständen des Einzelfalls geprägte Frage, zu wessen Gunsten eine Interessenabwägung ausschlägt, im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage begründet (zB RS0008990 [T6]; RS0111733 [T5]), ist das Berufungsgericht auch hier von den Grundsätzen der Rechtsprechung (siehe dazu RS0119978) nicht abgewichen.

[13] 2.2 Das Berufungsgericht hat etwa nachvollziehbar betont, dass es sich beim Reifendruckkontrollsystem um eine Fahrsicherheitseinrichtung handle, die der Vorbeugung von Unfällen diene (vgl 9 Ob 41/23d). Die für die Reparatur dieses Systems anfallenden Kosten von rund 940 EUR seien nicht vernachlässigbar (vgl auch 9 Ob 46/14a mwN). Das Berufungsgericht berücksichtigt weiter, dass der Kläger nur wenige Kilometer mit dem Fahrzeug gefahren sei und die Beklagte noch die Möglichkeit habe, das zurückgestellte Fahrzeug an Dritte zu verkaufen.

[14] 2.3 Selbst wenn man den Umstand ausblendet, dass dem Fahrzeug eine ausdrücklich vereinbarte Eigenschaft fehlte, ist das Berufungsgericht dabei jedenfalls vertretbar und im Sinne der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall (auch) eine Abwägung der Interessen nicht zu einer Beurteilung des Mangels als nur geringfügig führt (vgl zuletzt 9 Ob 41/23d zu § 12 Abs 5 VGG).

[15] 3. Nach Ansicht der Beklagten seien die Radsensoren, deren Austausch zur Herstellung eines funktionierenden Reifendruckkontrollsystems erforderlich ist, lediglich reine Verschleißteile, die nicht als Mangel im Sinne der Gewährleistung zu qualifizieren seien. Auch darauf kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht gestützt werden.

[16] 3.1 Normale Verschleißerscheinungen und Abnützungserscheinungen sind keine Fehler im Rechtssinn. Beim Gebrauchtwagenkauf müssen Mängel innerhalb eines gewissen Rahmens hingenommen werden, insbesondere dem Alter und den gefahrenen Kilometern entsprechende Verschleißmängel und Abnützungsmängel, weil die gewöhnliche Beschaffenheit normale Verschleißerscheinungen und das Risiko auch größerer Reparaturen nicht ausschließt (RS0018466). Diese Judikatur bezieht sich darauf, dass beim Gebrauchtwagenkauf das konkrete Fahrzeug (mit allen Abnützungen) Vertragsinhalt ist (vgl etwa 6 Ob 240/19s). Der Anlassfall ist aber davon geprägt, dass die Beklagte dem Kläger die Reparatur des Reifendruckkontrollsystem ausdrücklich zugesagt hat, wobei nach einer Reparatur immerhin von einer (bis zu) fünfjährigen Lebenserwartung des Systems auszugehen ist.

[17] 3.2 Weder aus der referierten Rechtsprechung noch aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut (§§ 4 ff VGG) lässt sich ansatzweise ableiten, dass ein Käufer die zum Kaufzeitpunkt aktuell bestehenden Verschleiß- und Abnützungserscheinungen auch dann „hinnehmen“ muss, wenn deren Behebung ausdrücklicher Vertragsinhalt wurde. Schon wegen der ausdrücklichen Zusage der Beklagten bedarf damit die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach das nicht funktionierende Reifendruckkontrollsystem als Mangel zu qualifizieren sei, keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

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