OGH 5Ob230/23v

OGH5Ob230/23v28.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Dr. Schneider Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Bludenz, gegen die beklagte Partei G*, Deutschland, vertreten durch Mag. Thomas Meier, Mag. Martin Gürtler, Rechtsanwälte in Bludenz, wegen 4.820 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 22. Juni 2023, GZ 3 R 118/23k‑21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bludenz vom 14. März 2023, GZ 2 C 174/22h‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00230.23V.0528.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

I. Die Stellungnahme der klagenden Partei zur Revisionsbeantwortung der beklagten Partei vom 11.12. 2023 wird zurückgewiesen.

II. Die Revision und die Revisionsbeantwortung werden zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Am 6. 2. 2022 kam es im Schigebiet Silvretta Montafon im Bereich der Talstation der Schwarzköpfle-Bahn zu einem Unfall, an dem der Kläger als Skifahrer und der Beklagte als Snowboarder beteiligt waren. In diesem Bereich verläuft die Piste flach und mit Gegenverkehr, weil sie nicht nur von Skisportlern genutzt wird, die von den Pisten Nr 42 und Nr 43 zur Einstiegsstelle fahren, sondern auch als Verbindungstrasse zur Nova-Bahn dient. Der Kläger näherte sich auf der Piste Nr 42 mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h der späteren Unfallstelle und wollte zur Nova-Bahn. Dabei reihte er sich links neben drei weiteren Skifahrern ein und fuhr mit einem Abstand von 1,5 bis 2 m zu einem (aus seiner Fahrtrichtung links befindlichen) Zaun. Der Beklagte fuhr mit einer Geschwindigkeit von mehr als 20 km/h von der Piste Nr 43 kommend in Richtung Schwarzköpfle-Bahn und hielt sich dabei knapp rechts neben diesem Zaun. Als der Kläger den ihm entgegenkommenden Beklagten wahrnahm, reagierte er mit einem Ausweichversuch nach links in Richtung Zaun und damit in die Fahrspur des Beklagten, der trotz eines Ausweichversuchs die Kollision nicht mehr vermeiden konnte. Dem Beklagten wäre es möglich gewesen, eine andere Fahrlinie zu wählen, um zur Einstiegsstelle der Talstation zuzufahren.

[2] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe sich durch das Nebeneinanderfahren mit drei weiteren Skifahrern jede Möglichkeit genommen, um effizient ausweichen und gefahrlos anhalten zu können. Zudem sei er in die Fahrlinie des Beklagten gefahren, womit ihm das Verschulden am Zustandekommen des Unfalls anzulasten sei. Ein Sorgfaltsverstoß des Beklagten habe demgegenüber nicht nachgewiesen werden können.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision über Antrag des Klägers gemäß § 508 ZPO zu, weil „höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der auch im Gesetz und den FIS-Regeln unbeantworteten Frage“ fehle, „wie sich ein Skifahrer, der einen Gegenverkehrsbereich entgegen der Hauptfahrrichtung befahre, zu verhalten habe, insbesondere ob der Wintersportler die sicherste Fahrspur zu benützen habe bzw bereits aus der Wahl der gefährlicheren Fahrspur eine Rechtswidrigkeit abzuleiten sei“.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

[4] Eine Replik auf einen als Revisionsbeantwortung anzusehenden Schriftsatz ist im Gesetz nicht vorgesehen (RS0041666 [T38; T49]). Die Stellungnahme der klagenden Partei zur Revisionsbeantwortung, mit der sie auf deren Verspätung hinweisen will, ist daher zurückzuweisen.

Zu II.:

[5] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Die Revisionsbeantwortung ist verspätet.

[6] 1. Die Vorinstanzen haben zutreffend österreichisches Recht angewendet (Art 4 Abs 1 Rom II-VO).

[7] 2. Die von verschiedenen Institutionen und Autoren ausgearbeiteten Verhaltensvorschriften für Skifahrer wie die FIS-Regeln sind keine gültigen Rechtsnormen, insbesondere auch nicht Gewohnheitsrecht. Als Zusammenfassung der Sorgfaltspflichten, die bei der Ausübung des alpinen Skisports im Interesse aller Beteiligten zu beachten sind, und bei der Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass sich jeder so verhalten muss, dass er keinen anderen gefährdet, kommt diesen Regeln jedoch erhebliche Bedeutung zu (RS0023410 [T2]; RS0023793).

[8] 2.1. Vorgaben zur Wahl der Fahrspur enthält FIS‑Regel 3. Danach hat der von hinten kommende Skifahrer seine Fahrspur so zu wählen, dass er vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet. Diese Regel ist schon nach ihrem Wortlaut nicht auf den Begegnungsverkehr anwendbar.

[9] 2.2. Nach der FIS‑Regel 5 muss jeder Skifahrer und Snowboarder, der in eine Abfahrt einfahren, nach einem Halt wieder anfahren oder hangaufwärts schwingen oder fahren will, sich nach oben und unten vergewissern, dass er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann. FIS-Regel 5 ist Ausdruck des Gedankens, dass denjenigen, der sich in atypischer Weise entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung bewegt – oder sich erst in den Pistenverkehr einordnet – und so eine Gefahr begründet, die andere Pistenbenützer häufig überrascht, besondere Sorgfaltspflichten treffen (RS0120377).

[10] 2.3. Auch die FIS‑Regel 5 ist nicht einschlägig, weil die Piste im Unfallsbereich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten grundsätzlich in beide Richtungen zu befahren war, sodass sich weder der Kläger noch der Beklagte gegen die allgemeine Fahrtrichtung bewegte (vgl 5 Ob 11/18f mwN). Daraus lässt sich daher ebenfalls nicht ableiten, dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, von vornherein eine andere Fahrlinie zu wählen, um zur Einstiegsstelle der Talstation zu gelangen, wie der Kläger in der Begründung zur Zulässigkeit sowie in Ausführung der Revision meint, und daraus die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten allein schon aufgrund der von ihm tatsächlich gewählten Fahrlinie am Pistenrand entlang des dort vorhandenen Zauns ableiten will. Aus welchen Geboten oder sonst allgemein gültigen Grundsätzen sich eine solche Verpflichtung für den Beklagten ergeben hätte sollen, kann der Kläger auch nicht anführen.

[11] 3. Wenn eine Norm eine klare Regelung trifft und im Auslegungsweg ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen ist, liegt auch dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn zu einer konkreten Fallgestaltung ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt (RS0042656). Das gilt auch für die Anwendung von FIS-Regeln (5 Ob 11/18f).

[12] 3.1. Nach der FIS‑Regel 1 und auch schon nach allgemeinen Grundsätzen muss sich jeder Skifahrer und Snowboarder so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt. In neuralgischen Pistenbereichen, wie etwa einem Gegenverkehrsbereich, besteht daher eine Verpflichtung zur besonderen Vorsicht und Aufmerksamkeit sowie zur Beobachtung des „entgegenkommenden Verkehrs“ (1 Ob 16/12b: Annäherung an Pisteneinmündungen und dadurch bedingter Gegenverkehr; 5 Ob 11/18f). Dieser Grundsatz wird durch die weiteren FIS-Regeln, insbesondere Regel 2 präzisiert (10 Ob 21/23w Rz 25). Danach besteht für jeden Skifahrer und Snowboarder das Gebot des Fahrens auf Sicht und zur kontrollierten Fahrweise. Daraus wird das allgemeine Gebot abgeleitet, dass ein Skifahrer auf einer Piste einen so großen Raum vor sich beobachten muss, dass er bei auftretenden Kollisionsgefahren in der Lage ist, dem Hindernis rechtzeitig auszuweichen oder vor diesem anzuhalten (RS0023544).

[13] 3.2. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Wahl einer bestimmten Fahrlinie in Annäherung an die Einstiegsstelle der Talstation kann auch daraus nicht abgeleitet werden. Sowohl der Kläger als auch der Beklagte haben die Piste in der jeweils entgegengesetzten Richtung zulässigerweise benützt. Sie befanden sich im echten Gegenverkehr und waren damit gleichermaßen zur Vorsicht und Aufmerksamkeit sowie zur Beobachtung des entgegenkommenden Verkehrs verpflichtet. Damit bleibt kein Raum für die Annahme, es gäbe in einem solchen Fall eine „Hauptfahrrichtung“ mit der Konsequenz einer erhöhten oder herabgesetzten Sorgfaltsverpflichtung des einen oder anderen Teils. Der in der Revision gezogene Vergleich der Fahrlinie des Beklagten mit einer „Geisterfahrt“ auf einer Autobahn ist schon deshalb nicht nachvollziehbar. Von einem unfallsursächlichen Queren der Fahrlinie des Klägers durch den Beklagten kann nach den Feststellungen keine Rede sein. Damit ist es auch unerheblich, ob eine andere Fahrlinie des Beklagten „sicherer“ (aber unpraktischer, so der Sachverständige) gewesen wäre, weil er dann nicht zum (aus seiner Sicht) rechten Pistenrand wechseln hätte müssen.

[14] 3.3. Nach den Feststellungen wäre es dem Kläger vielmehr möglich gewesen, am entgegenkommenden Beklagten kollisionsfrei vorbeizufahren, wäre er nicht nach links in dessen Fahrspur ausgewichen. Da der Vertrauensgrundsatz auch beim Skifahren gilt (RS0023645), durfte der Beklagte auch darauf vertrauen, dass der Kläger seine Fahrlinie beibehält. Demgegenüber konnte der Beklagte trotz eines Ausweichversuchs die Kollision nicht mehr vermeiden. Damit bedarf es aber auch keiner Korrektur, dass ihm die Vorinstanzen keinen relevanten Sorgfaltsverstoß anzulasten vermochten.

[15] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[16] 5. Zur Rechtzeitigkeit der Revisionsbeantwortung:

[17] 5.1. Findet das Prozessgericht erster Instanz keinen Anlass zur Zurückweisung einer Revision oder eines Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO, der mit einer ordentlichen Revision verbunden ist, so hat es die Zustellung einer Ausfertigung der Revisionsschrift beziehungsweise des Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit der Revisionsschrift an den Gegner des Revisionswerbers (Revisionsgegner) zu verfügen (§ 507 Abs 2 ZPO). Die Frist zur Revisionsbeantwortung beginnt bei einem Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit einer ordentlichen Revision mit der Zustellung der Mitteilung des Berufungsgerichts, dass dem Revisionsgegner die Beantwortung der Revision freigestellt werde (§ 507a Abs 2 Z 2 ZPO).

[18] 5.2. Die Fristenregelung des § 507a ZPO hat den Normalfall der bereits erfolgten Zustellung (hier relevant) des Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit der Revisionsschrift an den Gegner des Revisionswerbers (Revisionsgegner) durch das Prozessgericht erster Instanz vor Augen. Wird dagegen dem Revisionsgegner die Revisionsschrift (irrtümlich) nicht zugestellt, beginnt für ihn der Lauf der Frist für die Revisionsbeantwortung jedoch dann erst mit deren Zustellung zu laufen, wenn er diese Zustellung im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht unverzüglich urgiert (RS0123701 [T1; T2]; vgl Lovrek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 507a ZPO Rz 4).

[19] 5.3. Das Berufungsgericht hat zwar seinen Beschluss vom 14. 9. 2023, mit dem es die ordentliche Revision über Antrag des Klägers doch für zulässig erklärte und dem Beklagten die Rechtsmittelbeantwortung freistellte, dem Beklagten mit Wirkung vom 19. 9. 2023 zugestellt. Die Zustellung des Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit der Revisionsschrift an den Beklagten unterblieb jedoch. Erstmals mit Schriftsatz vom 16. 10. 2023 und damit nahezu vier Wochen nach Zustellung des Beschlusses vom 14. 9. 2023 hat der Beklagte die Zustellung der Revisionsschrift urgiert. In einem solchen Fall kann nicht mehr von unverzüglichem Urgieren ausgegangen werden (dazu Pkt 5.2.). Da der Beklagte seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nicht entsprochen hat, ist seine Revisionsbeantwortung, in der auch nicht darauf hingewiesen wird, dass das Rechtsmittel des Klägers nicht zulässig ist, verspätet.

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