OGH 2Ob74/24g

OGH2Ob74/24g28.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Martina Jäger, Rechtsanwältin in Reutte, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Mag. Harald Rossmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 8.597,90 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Jänner 2024, GZ 5 R 219/23a‑38, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Reutte vom 2. August 2023, GZ 3 C 228/22i‑32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00074.24G.0528.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, derbeklagten Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Klägerin und Beklagte sind Töchter des am 15. 11. 2020 verstorbenen Erblassers, der insgesamt sieben Kinder hinterließ. Die Kinder wurden zu jeweils 1/7‑tel Anteilen in den Nachlass eingeantwortet. Der Reinnachlass betrug 15,80 EUR. Der Erblasser schenkte zu Lebzeiten sein Liegenschaftsvermögen dreien seiner Kinder, unter anderem der Beklagten. Den übrigen vier Kindern schenkte der Erblasser in Teilbeträgen bis etwa zum Jahr 1995 jeweils 200.000 ATS (zum Todeszeitpunkt aufgewertet 22.978,25 EUR).

[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten ihren Pflichtteil unter (anteilsmäßiger) Hinzu- und Anrechnung der Liegenschaftsschenkungen.

[3] Die Beklagte wendet – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – ein, die jeweils 200.000 ATS seien ebenfalls hinzu- und der der Klägerin zugekommene Teil auf ihren Pflichtteil anzurechnen.

[4] Das Erstgericht rechnete das geschenkte Liegenschaftsvermögen und vier Schenkungen von jeweils 22.978,25 EUR hinzu und der Klägerin ua die von ihr erhaltenen 22.978,25 EUR an. Es sprach der Klägerin daher 1.232,12 EUR an anteilig von der Beklagten zu tragendem Pflichtteilzu.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der von der Klägerin ins Treffen geführte § 784 ABGB, der Schenkungen ohne Schmälerung des Stammvermögens von der Hinzu- und Anrechnung ausnehme, sei bereits aufgrund der Gesamthöhe der in Teilbeträgen zugewendeten Geldschenkungen nicht anwendbar. Im Übrigen habe die insoweit beweispflichtige Klägerin kein Vorbringen zum Einkommen des Erblassers erstattet.

[6] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, inwieweit über einen längeren Zeitraum in kleinere Beträge aufgeteilte Schenkungen einer Ansparung beim Erblasser – und damit einem Übergang in dessen Stammvermögen – gleichzuhalten seien.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision,die sich offensichtlich (trotz unrichtiger Anführung des Revisionsinteresses) gegen die Klagsabweisung im Ausmaß von 7.365,78 EUR richtet, ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[8] Im Revisionsverfahren strittig ist ausschließlich die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestands der Schenkung ohne Schmälerung des Stammvermögens gemäß § 784 1. Fall ABGB auf die vier Geldgeschenke von insgesamt jeweils 22.978,25 EUR.

[9] 1. Aufgrund des Todeszeitpunkts des Erblassers ist gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB auf den Sachverhalt § 784 ABGB in der Fassung des ErbRÄG 2015 anzuwenden. § 784 1. Fall ABGB soll „in Anlehnung an den bisherigen § 785 Abs 3 erster Satz“ (vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  35) Schenkungen, die durch Einkünfte ohne Eingriff ins Stammvermögen gedeckt sind, von der Anrechnung ausnehmen. Durch das ErbRÄG 2015 trat insoweit keine inhaltliche Änderung ein, weshalb auf bisherige Lehre und Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann (uaUmlauft in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 784 ABGB Rz 4).

[10] 2. § 784 1. Fall ABGB nimmt Schenkungen, die der Erblasser aus Einkünften ohne Schmälerung des Stammvermögens gemacht hat, von der Hinzu- und Anrechnung aus, sofern der Verstorbene und der Geschenknehmer nichts anderes vereinbart haben. Einkünfte sind die (Netto‑)Erträgnisse aus Arbeit oder Früchte und Nutzungen aus Vermögen, reduziert um die für den Lebensunterhalt, die laufenden Verbindlichkeiten und die erforderliche Vorsorge notwendigen Beträge. Der Stamm des Vermögens wird auch durch das Ansparen dieser verbleibenden Einkünfte gebildet. Als Beobachtungszeitraum ist im Allgemeinen das letzte Jahr vor der Schenkung heranzuziehen (RS0127008; 9 Ob 48/10i). Entscheidend für die Frage, ob eine anrechnungsfreie Schenkung vorliegt ist, ob abhängig von der Höhe der Einkünfte das Stammvermögen unangetastet bleibt (vgl 9 Ob 48/10i mwN).

[11] 3. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Ausnahme des § 784 1. Fall ABGB liegt beim Beschenkten (RS0037797 [T55] = 9 Ob 48/10i). Hier hätte daher die Klägerin vorbringen und beweisen müssen, dass die Schenkungen durch die Nettoeinkünfte (minus Lebenshaltungskosten) gedeckt waren. Sie hat allerdings weder zum Einkommen des Erblassers, noch zu den von ihm zu tragenden Lebenserhaltungskosten ein Vorbringen in erster Instanz erstattet, obwohl die sie treffende Beweislast Thema in 1. Instanz war.

[12] 4. Das Berufungsgericht hat die Anwendung der in § 784 1. Fall ABGB vorgesehenen Ausnahme von der Hinzu- und Anrechnung der Geldgeschenke an die Klägerin (auch) mit dem Argument mangelnder Behauptungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des § 784 1. Fall ABGB verwehrt. Die Klägerin habe für das Vorliegen der Ausnahmebestimmung die Beweislast getroffen, dennoch habe sie kein Vorbringen zur Einkommenssituation des Erblassers erstattet. Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Berufung erstmals Vorbringen zur Höhe der Pension des Erblassers erstattet habe, habe es sich um eine unzulässige Neuerung gehandelt.

[13] 5. Da die Klägerin diese selbständig tragfähige Hilfsbegründung in der Revision unbeanstandet lässt, gelingt es ihr nicht, in diesem Kontext eine für die Entscheidung präjudizielle erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen (vgl RS0118709 [insbes T12]).

[14] 6. Die Revision war damit zurückzuweisen.

[15] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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