OGH 1Ob33/24w

OGH1Ob33/24w27.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 107.193,30 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2024, GZ 33 R 154/23v‑84, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. August 2023, GZ 43 Cg 28/20w‑75, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00033.24W.0527.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 23. 1. 2017 ein gebrauchtes Elektrofahrzeug des Models T* um einen Gesamtpreis von 128.940 EUR. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 10. 2. 2017 übergeben und wies damals einen Kilometerstand von 10.905 auf.

[2] Bei einer stärkeren Beschleunigung des Fahrzeugs ist von einer der beiden vorderen Antriebswellen ein höherfrequentes, krachendes oder polterndes Geräusch zu hören. Nimmt ein vernünftiger Fahrzeugbesitzer dieses Geräusch wahr, muss er ihm nachgehen und die Antriebswellen aufschneiden und tauschen lassen. Dabei handelt es sich um ein konstruktiv bedingtes Problem.

[3] Am 30. 6. 2017 tauschte die Beklagte auf Betreiben des Klägers die vorderen Antriebswellen bei einem Kilometerstand von 21.485. Am 19. 12. 2019 bei einem Kilometerstand von 91.047 tauschte die Beklagte die Antriebswellen erneut. Der Austausch der Antriebswellen führte anfangs jeweils zu einer Besserung des Geräusches, das zunächst nicht zu hören war, mit zunehmender Laufleistung aber hörbar und immer lauter wurde. Darüber hinaus waren bei stärkerer Geräuschentwicklung am Lenkrad Vibrationen spürbar. Das Geräusch stört den Kläger beim Fahren und verunsichert ihn, insbesondere was die Fahrsicherheit betrifft.

[4] Bis zum Schluss der Verhandlung nutzte der Kläger das Fahrzeug für insgesamt 167.033 km.

[5] Mit der am 9. 4. 2020 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Wandlung des Kaufvertrags und die Zahlung von 107.193,30 EUR sA. Dabei handle es sich um den von ihm geleisteten Kaufpreis abzüglich eines angemessenen Benutzungsentgelts. Das Fahrzeug weise eine Vielzahl von Mängeln auf, die bereits bei der Übergabe vorhanden gewesen seien. Problematisch seien insbesondere die Antriebswellen. Obwohl diese bereits zwei Mal getauscht worden seien, seien weiterhin Vibrationen und Geräusche vorhanden, wobei es sich dabei um keinen geringfügigen Mangel handle.

[6] Die Gewährleistungsansprüche seien nicht verjährt, weil jede Verbesserungszusage und jeder Verbesserungsversuch die Frist unterbreche.

[7] Die Beklagte wandte ein, sämtliche Gewährleistungsansprüche seien seit 23. 1. 2019 verjährt. Soweit an den Antriebswellen ein Mangel vorliege, sei dieser behebbar und berechtige nicht zur Wandlung. Sollte das Wandlungsbegehren zu Recht bestehen, mache die Beklagte eine Gegenforderung von 80.042,21 EUR an Benutzungsentgelt geltend und erhebe die Einrede der Leistung Zug um Zug.

[8] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag auf, erkannte die Klageforderung mit 107.193,30 EUR und die Gegenforderung mit 58.288,83 EUR als zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte daher zur Zahlung von 48.904,47 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Das Mehrbegehren von 58.288,83 EUR wies es ab.

[9] Die Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt, weil Verbesserungsversuche die bereits laufende Verjährungsfrist unterbrechen würden. Aufgrund des zweimaligen Austauschs der Antriebswellen durch die Beklagte sei die Gewährleistungsfrist jeweils unterbrochen worden, zuletzt am 19. 12. 2019, weshalb die Klage rechtzeitig gewesen sei.

[10] Bei den von den Antriebswellen ausgelösten Geräuschen handle es sich um einen Mangel, weil bei einem Fahrzeug davon ausgegangen werden dürfe, dass auch bei höheren Geschwindigkeiten und bei stärkeren Beschleunigungen keine bedenklichen Geräusche auftreten. Da es bereits zu mehreren Verbesserungsversuchen gekommen sei, die Verbesserung aufgrund des konstruktiv bedingten Mangels unmöglich sei und auch kein bloß geringfügiger Mangel vorliege, sei das Wandlungsbegehren berechtigt. Im Übrigen würden aber keine (relevanten) Mängel vorliegen.

[11] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[12] Werte man den Tausch der vorderen Antriebswellen am 30. 6. 2017 als (erfolglosen) Verbesserungsversuch, so habe mit Abschluss der auf die Verbesserung gerichteten Tätigkeit die Gewährleistungsfrist neu zu laufen begonnen und damit spätestens am 1. 7. 2019 geendet. Der weitere Tausch am 19. 12. 2019 sei daher bereits außerhalb der Verjährungsfrist erfolgt und habe sie daher nicht neuerlich unterbrechen können. Allerdings könne eine Schuld auch nach Eintritt der Verjährung anerkannt werden. Ein solches Anerkenntnis beinhalte in der Regel den Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede. Durch den neuerlichen Tausch der Antriebswellen im Dezember 2019, den das Erstgericht als Verbesserungsversuch gewertet habe, habe die Beklagte ihre Gewährleistungspflicht anerkannt und konkludent auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichtet, weshalb das Erstgericht diese im Ergebnis zutreffend verworfen habe.

[13] Jedenfalls nicht geringfügig sei ein Mangel, der die (gefahrlose) Benutzung der Sache stark beeinträchtige oder gar verhindere. Im vorliegenden Fall störe das durch die Antriebswellen verursachte („höherfrequente, krachende oder polternde“) Geräusch den Kläger beim Fahren und verunsichere ihn insbesondere in Bezug auf die Fahrsicherheit.

[14] Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil zur Verjährungsproblematik aktuelle höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege und die Frage, ob ein Mangel geringfügig sei, eine des Einzelfalls sei.

[15] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die auf eine Klageabweisung abzielt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16] Der Kläger beantragt in der (ihm freigestellten) Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[17] Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht ein korrekturbedürftiger Verfahrensfehler unterlaufen ist. Sie ist im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

1. Zur Verjährung und zum Verstoß gegen das „Verbot der Überraschungsentscheidung“

[18] 1.1. Das Recht auf Gewährleistung musste nach der hier noch anzuwendenden Rechtslage binnen zwei Jahren gerichtlich geltend gemacht werden (§ 933 Abs 1 ABGB idF BGBl I 2001/48). Die Frist beginnt mit dem Tag der Ablieferung (Übergabe) der Sache.

[19] 1.2. Nach § 1497 ABGB wird die Verjährung unter anderem dann unterbrochen, „wenn derjenige, welcher sich auf dieselbe berufen will, vor dem Verlaufe der Verjährungszeit [...] ausdrücklich oder stillschweigend das Recht des andern anerkannt hat“.

[20] Nach Rechtsprechung und Literatur ist – schon aufgrund der verba legalia „vor dem Verlaufe der Verjährungszeit“ – die Unterbrechung einer bereits abgelaufenen Verjährungsfrist nicht denkbar; die „Unterbrechung“ setzt begrifflich immer eine noch im Gang befindliche Verjährung voraus (RS0032401 [T7]).

[21] Gleichwohl kann eine Schuld auch nach Eintritt der Verjährung anerkannt werden. Ein solches Anerkenntnis beinhaltet in der Regel den Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede (RS0032386). Dieser Verzicht ist auch stillschweigend möglich. Macht ein Verkäufer oder Werkunternehmer eine Verbesserungszusage oder nimmt er die Verbesserung (sei es erfolgreich oder erfolglos) tatsächlich vor, so anerkennt er dadurch nach der Rechtsprechung in der Regel konkludent im Sinn des § 863 ABGB jenen Mangel, der mit der Verbesserung – nach dem Eindruck eines redlichen Käufers oder Werkbestellers – beseitigt werden soll, und damit seine diesbezügliche Gewährleistungspflicht (RS0018921 [T7, T8]; RS0032401 [T8]; 8 Ob 40/23z).

[22] 1.3. Der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ist von dem zu beweisen, der sich darauf beruft. Dagegen obliegt dem, der die Forderung geltend macht, die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass eine Unterbrechung der Verjährung durch Anerkenntnis eingetreten ist (RS0034456 [T1]; 5 Ob 184/23d). Das hat auch für den Einwand zu gelten, es liege ein einen Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede enthaltendes Anerkenntnis vor.

[23] 1.4. Die Beklagte hat in erster Instanz Verjährung eingewandt. Daraufhin hat sich der Kläger darauf gestützt, dass die Beklagte den Mangel anerkannt und zweimalig einen Verbesserungsversuch durchgeführt habe, der die Gewährleistungsfrist unterbrochen habe.

[24] Das Erstgericht ist dieser Argumentation gefolgt. Es hat dabei aber, wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, übersehen, dass der zweite Tausch der Antriebswellen erst außerhalb der Verjährungsfrist stattfand und diese nicht neuerlich unterbrechen konnte.

[25] Die vom Berufungsgericht anlässlich der Berufung der Beklagten vertretene Ansicht, dass im „Verbesserungsversuch“ ein Anerkenntnis liege, das als Verzicht auf die Verjährungseinrede zu beurteilen sei, wurde bis dahin allerdings weder von den Parteien noch vom Erstgericht thematisiert.

[26] Auch wenn das Vorbringen des Klägers dahin verstanden werden kann, dass die Beklagte den Mangel durch die Verbesserungsversuche anerkannt habe, hat er daraus keinen Verzicht auf den Verjährungseinwand abgeleitet. Die Beklagte musste darauf (im erstinstanzlichen Verfahren noch) nicht replizieren.

[27] Den Parteien hätte nach § 182a ZPO schon deshalb Gelegenheit gegeben werden müssen, sich zu diesem (offenkundig von beiden Seiten und dem Erstgericht nicht bedachten) rechtlichen Gesichtspunkt zu äußern, weil selbst ein Anerkenntnis des Mangels eben nur „in der Regel“, aber nicht jedenfalls einen Verzicht auf die Verjährungseinrede beinhaltet (RS0032401).

[28] Daran ändert nichts, dass in der vom Revisionsgegner angeführten Entscheidung 5 Ob 71/12w „das Vorbringen der [dortigen] Klägerin über den vermeintlich missbräuchlichen Verjährungseinwand der Beklagten im [dort] vorliegenden Zusammenhang zwanglos als Einwand des Verjährungsverzichts“ gewertet wurde.

[29] Zu Recht macht die Beklagte daher als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, dass sie von der Rechtsansicht des Berufungsgerichts überrascht wurde (vgl RS0037300).

[30] 1.5. Der Beklagten gelingt es in ihrer Revision auch, die Erheblichkeit dieses Verfahrensmangels darzulegen:

[31] Nach ihren Ausführungen hätte sie, wenn ihr die Gelegenheit gegeben worden wäre, vorgebracht, dass der Austausch der Antriebswellen – wie der Kläger selbst ausgesagt habe – „auf Garantie“ und gerade nicht auf Grundlage von Gewährleistung erfolgt sei. Dieser „Verbesserungsversuch“ sei daher nicht ihr, sondern allenfalls der (bereits aus einer vorgelegten Urkunde hervorgehenden) Garantiegeberin – einer niederländischen Gesellschaft – zuzurechnen. Bei dem „Verbesserungsversuch“ könne es sich daher nicht um ein Anerkenntnis eines gewährleistungspflichtigen Mangels durch die Beklagte, schon gar nicht um einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung betreffend die Gewährleistungspflicht handeln.

[32] Da dieses Vorbringen zu einer abweichenden Beurteilung der Verjährungsfrage führen könnte, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren nach Erörterung mit den Parteien Feststellungen zu den Umständen des Austauschs der Antriebswellen zu treffen haben, um deren objektiven Erklärungswert beurteilen zu können.

[33] Dabei wird zu beachten sein, dass zwar den Kläger – wie bereits ausgeführt – die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen eines (stillschweigenden) Anerkenntnisses trifft, das einen Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede enthält. Für die Erkennbarkeit, dass die Verbesserungsversuche der Beklagten ihr nicht zurechenbare Garantieleistungen waren, ist als Ausnahme von der Regel allerdings die Beklagte behauptungs‑ und beweispflichtig.

2. Zur behaupteten Geringfügigkeit des Mangels

[34] 2.1. Bei der Prüfung, ob ein die Wandlung ausschließender geringfügiger Mangel iSd § 932 Abs 4 ABGB vorliegt, ist eine auf den konkreten Vertrag und die Umstände des Einzelfalls bezogene objektive Abwägung der Interessen der Vertragspartner vorzunehmen. Dabei ist sowohl die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Aufhebung des Vertrags im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die Parteien, aber auch die „Schwere“ des Mangels zu berücksichtigen (RS0119978).

[35] 2.2. Ein bei einer stärkeren Beschleunigung von einer der Antriebswellen des Fahrzeugs ausgehendes höherfrequentes, krachendes oder polterndes Geräusch, dem ein vernünftiger Fahrzeugbesitzer nachgehen muss, indem er die Antriebswellen aufschneiden und tauschen lässt, stellt keinen bloß geringfügigen Mangel dar. Da dieses Geräusch (schon) für die objektive Maßfigur Handlungsbedarf indiziert, kommt es nicht darauf an, dass es den Kläger auch subjektiv – insbesondere in Bezug auf die Fahrsicherheit – verunsichert. Insofern ist der Sachverhalt auch nicht mit den der Entscheidung 1 Ob 14/05y zugrundeliegenden „vom [dortigen] Kläger subjektiv als störend empfundenen, nur bei bestimmten (wenigen) Konstellationen bzw Schaltvorgängen auftretenden Vibrations‑ bzw Raunzgeräuschen“ vergleichbar. Ebenso wenig ist hier die Intensität der mit dem Geräusch einhergehenden Vibrationen, die nach Ansicht der Beklagten bloß leicht sein sollen, von ausschlaggebender Bedeutung.

[36] 2.3. Der Einwand der Geringfügigkeit des Mangels ist damit für das weitere Verfahren abschließend geklärt.

[37] 3. Der außerordentlichen Revision der Beklagten ist Folge zu geben, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts mit einem Verfahrensfehler behaftet ist, der zu Feststellungsmängeln führt, die die Zurückverweisung der Rechtssache in die erste Instanz erfordern, zumal die Weiterungen des Verfahrens nicht abschließend absehbar sind.

[38] 4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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