OGH 4Ob36/24h

OGH4Ob36/24h23.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Schmidauer-Steindl-Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger und Dr. Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, sowie die Nebenintervenientin beklagtenseits * GmbH, *, vertreten durch die Gassauer‑Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 40.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 8. Jänner 2024, GZ 2 R 168/23b‑41, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00036.24H.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Bei derKlägerinkam es am 24. 3. 2021 nach einer von der beklagten Arbeitsmedizinerin verabreichten und von der Nebenintervenientin hergestellten Impfung gegen COVID-19 zu einer anaphylaktischen Reaktion im Schweregrad I (von IV). Grund dafür war der Zusatzstoff Polysorbat-80, der etwa auch in Lebensmitteln und Kosmetikprodukten als Emulgator eingesetzt wird. Daten über die Häufigkeit allergischer Reaktionen gegen diesen Stoff lagen damals nicht vor. In der der Beklagten zur Verfügung gestandenen Fachinformation des Präparats wurde als Kontraindikation ua eine Überempfindlichkeit gegen Polysorbat-80 (E433) angeführt. Weder der Klägerin noch der Beklagten war zum Zeitpunkt der Impfung jedoch die erst später diagnostizierte Allergie der Klägerin gegen Polysorbat‑80 bekannt. Hätte die Klägerin gewusst, wie sie auf die Impfung reagiert, hätte sie sich nicht impfen lassen; die im Aufklärungsbogen angeführten Nebenwirkungen nahm sie hingegen in Kauf.

[2] Die Beklagte informierte die Klägerin vor der Impfung – unter anderem – darüber, dass der Impfstoff „freigegeben“ ist und Impfreaktionen möglich sind wie Schmerzen an der Einstichstelle und Ähnliches, nicht aber, dass allenfalls noch andere Nebenwirkungen auftreten können, weil noch keine Studien dazu vorlagen. Die seinerzeitige „bedingte Zulassung“ des Impfstoffs ist ein gängiges Verfahren und unterliegt strengen Reglements; unter diesen Rahmenbedingungen war der Impfstoff wie ein vollständig zugelassenes Medikament einsetzbar. Zwischen dem bedingten und dem endgültigen Zulassungsstatus besteht aufgrund der sehr starren und strengen Reglements kein wesentlicher Unterschied.

[3] Die Vorinstanzen wiesen die auf Schmerzengeld und Feststellung gerichtete Schadenersatzklage der Klägerin ab, weil der Beklagten weder ein Behandlungsfehler noch eine Aufklärungspflichtverletzung vorgeworfen werden könne.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin, in der sie eine Änderung der Entscheidungen in eine Klagsstattgebung, hilfsweise eine Aufhebung und Rückverweisung beantragt, ist mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1. Die Klägerin führt als solche ins Treffen, dass Rechtsprechung fehle, inwieweit ein Arzt über einen bloß bedingten Zulassungsstatus und die daraus resultierenden Risiken aufklären müsse sowie darüber, dass eine Impfung nicht vor einer späteren Ansteckung schütze.

[6] Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist jedoch eine Frage des Einzelfalls, die von den jeweiligen Umständen abhängt und daher – abgesehen von auffälligen Fehlbeurteilungen – nicht revisibel ist (vgl RS0026529 [insb T18, T31]; RS0026763 [T2, T5]).

[7] 2. Zum Zeitpunkt der Impfung wurde bereits in der Fachinformation des Präparats darauf hingewiesen, dass eine Überempfindlichkeit gegen Polysorbat-80 (E433) eine Kontraindikation darstellt. Da jedoch die Allergie der Klägerin auf diesen Inhaltsstoff unbekannt war, hätten weder eine (detailliertere als nach den Feststellungen ohnehin erfolgte) Aufklärung über Art und Wirkungsweise der Impfung sowie ihren vorläufigen Zulassungsstatus, noch deren endgültige Zulassung etwas an der anaphylaktischen Reaktion ändern können. Nach den Feststellungen war diese Unverträglichkeit für die Beklagte auch aus der Krankengeschichte der Klägerin nicht erkennbar.

[8] 3.1 Der Revisionswerberin ist zwar zuzugestehen, dass sich die Vorinstanzen nicht mit ihrem Vorbringen auseinandersetzten, wonach sie nicht nur einen anaphylaktischen Schock erlitten habe, sondern in weiterer Folge Schlafstörungen, eine „schwächereduzierte“ Belastbarkeit, ein Restless-Leg-Syndrom, Schwindel sowie eine ausgeprägte Angststörung, die zum Einen aus der traumatischen Erfahrung sowie zum Anderen „aus der verabreichten Substanz selbst“ resultieren würden.

[9] Selbst wenn man jedoch zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen auftraten, die nicht vonder Unverträglichkeit gegen Polysorbat-80 verursacht wurden, sondern durch andere Bestandteile des Impfstoffs, lässt die Revision offen, warum die Beklagte insoweit ihre Aufklärungspflicht schuldhaft verletzt hätte.

[10] 3.2 Zum einen haben Ärzte keinen Erfolg, sondern nach § 1299 ABGB nur den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird. Dieser Maßstab gilt auch bei der Beurteilung, ob der Arzt in der Lage ist, seiner Aufklärungspflicht nachzukommen; abzustellen ist auf den jeweiligen zumutbaren Erkenntnisstand (RS0038202 [insb T2]; vgl auch RS0123136). Zum anderen muss ein Arzt nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen (vgl RS0026529; RS0026230). Und schließlich beschränkt sich die Haftung des Arztes nach stRsp bei einer Aufklärungspflichtverletzung auf die Verwirklichung jenes Risikos, auf das er hinweisen hätte müssen (RS0026783 [T4, T9]).

[11] All diese Grundsätze gelten sinngemäß ebenso bei Impfungen (vgl 5 Ob 1524/94; 2 Ob 197/97b; 1 Ob 84/08x).

[12] 3.3 Die Klägerin stützt sich nicht darauf, dass die konkreten, von ihr behaupteten Spätfolgen relevante oder typische Risiken einer oder dieser Schutzimpfung sind, über die gesondert aufzuklären gewesen wäre, und die Beklagte diese ex ante auch erkennen hätte können und müssen.

[13] Sie will die Beklagte vielmehr wegen der unterlassenen Aufklärung über die bloß bedingte Zulassung für jegliche negative Folge der Impfung verantwortlich machen. Ungeachtet der Frage, ob im konkreten Einzelfall überhaupt eine dahingehende Aufklärung erforderlich gewesen wäre, kann dem aber schon deswegen nicht gefolgt werden, weil sich aus dem Vorbringen und den Feststellungen gerade nicht ergibt, dass sich ein aus der vorläufigen Zulassung resultierendes Risiko verwirklicht hätte, wie etwa eine erst im weiteren Zulassungsverfahren entdeckte Nebenwirkung.

[14] 3.4 Vertretbar ist schließlich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, laut der die von der Klägerin behaupteten Schäden auch nicht aus dem Umstand resultieren, dass die Impfung keine Ansteckung mit COVID-19 verhindert, weswegen es insofern ebenfalls eine Haftung aufgrund einer Aufklärungspflichtverletzung verneinte und nicht auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Beweisrügen einging.

[15] 4. Der Revision gelingt es somit nicht, eine erhebliche Rechtsfrage oder eine relevante Mangelhaftigkeit bzw Aktenwidrigkeit des Verfahrens zweiter Instanz aufzuzeigen (vgl RS0116273; RS0043027; RS0043265), weswegen sie als unzulässig zurückzuweisen ist.

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