OGH 6Ob32/24k

OGH6Ob32/24k26.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1. S* mbH, 2. F*, beide *, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte und gefährdende Partei * S*, vertreten durch Völk Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf (hier wegen einstweiliger Verfügung), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. Jänner 2024, GZ 2 R 192/23d‑16, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 6. November 2023, GZ 11 Cg 87/23s‑4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00032.24K.0426.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Persönlichkeitsschutzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss lautet:

„Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des mit am 16. 10. 2023 eingebrachter Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs der gefährdeten Parteien wird der gefährdenden Partei bis zur Rechtskraft des über den Unterlassungsanspruch ergehenden Urteils verboten, die wörtlichen und/oder sinngleichen Behauptungen aufzustellen und zu verbreiten, die Berichterstattung der gefährdeten Parteien habe lediglich der Diffamierung freiheitlicher Mandatare gedient und/oder in der Berichterstattung der gefährdeten Parteien werde keinerlei Wert auf Richtigkeit gelegt und/oder die gefährdeten Parteien hätten einmal mehr eine bösartige Verleumdungskampagne hochgezogen.

Der darüber hinausgehende Sicherungsantrag, der gefährdenden Partei zu verbieten, die wörtlichen und/oder sinngleichen Behauptungen aufzustellen und zu verbreiten, die gefährdeten Parteien hätten eine 'Negativ-Kampagne' gegen den FPÖ‑Abgeordneten * G* gefahren und/oder die gefährdeten Parteien hätten * G* durch ihre Berichterstattung vorverurteilt und/oder die zweitgefährdete Partei würde sich in der Berichterstattung der erstgefährdeten Partei als politischer Aktivist betätigen, wird abgewiesen.“

Die gefährdeten Parteien haben die Hälfte ihrer Kosten des Sicherungsverfahrens vorläufig und die weitere Hälfte davon endgültig selbst zu tragen und sind schuldig, der gefährdenden Partei die Hälfte ihrer Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen, das sind 2.260,90 EUR (darin 376,82 EUR an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die erstgefährdete Partei (Erstantragstellerin) ist Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „Der Standard“ und der Website „www.der-standard.at “. Die zweitgefährdete Partei (Zweitantragsteller) ist angestellter Journalist bei der Erstantragstellerin und dort als leitender Redakteur tätig.

[2] Die gefährdende Partei (Antragsgegner) ist Landesparteisekretär und Landespressesprecher einer Landesgruppe der FPÖ. Am 11. 10. 2023 erschien folgende, nach wie vor abrufbare APA-OTS-Aussendung:

„FPÖ – S*: Negativ-Kampagne des 'Standards' gegen FPÖ Abgeordneten G* ging ins Leere

Sämtliche Ermittlungen gegen G* wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt

Wien (OTS) – Als haltlos haben sich die Vorwürfe gegen den freiheitlichen Landtagsabgeordneten G* wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz herausgestellt, weshalb die Staatsanwaltschaft nun sämtliche Ermittlungen gegen ihn eingestellt hat.

'G* war im vergangenen halben Jahr Opfer einer bösartigen Verleumdungskampagne, die einmal mehr von Standard-Redakteur F* hochgezogen wurde. G*, der nun offiziell in allen Punkten entlastet wurde und gegen den damit rechtlich nichts vorliegt, wurde durch die Berichterstattung im Standard öffentlich vorverurteilt. Dieses schäbige Vorgehen des F* hat G*s Ruf massiv geschadet. Ich fordere an dieser Stelle umgehend eine Entschuldigung', so der * FPÖ Landesparteisekretär * S*.

Zudem mahnt S* Sorgfalt bei Recherche und Berichterstattung in den Redaktionsstuben ein: 'Die effekthaschende Berichterstattung, wie sie der Standard und andere linke Medien betreiben, ist ein leicht durchschaubares Spiel, das lediglich der Diffamierung freiheitlicher Mandatare dient. Auf Richtigkeit wird dabei kein Wert gelegt. Das ist für eine vermeintlich unabhängige Presse beschämend und macht deutlich, welche Agenda in den Redaktionen verfolgt wird. Ein Journalist sollte sich nicht als politischer Aktivist betätigen.'“

Dieser Aussendung gingen folgende Artikel in der Zeitung der Erstantragstellerin vorher:

[3] Am 25. 5. 2023:

Ein alter Nazi auf dem Dachboden

 

Gegen den FPÖ‑Politiker * G* laufen Ermittlungen wegen Verdachts auf Wiederbetätigung. Er wurde von einer Frau angezeigt, die er in die Bude der Burschenschaft A* eingeladen hatte.

Fotos von uniformierten Nazis mit NS-Symbolen im Kaminzimmer, Erzählungen über einen 'alten Nazi', der heimlich auf dem Dachboden lebe und sich so der Strafverfolgung entziehe, sowie ein Buch mit Hakenkreuz auf dem Einband: So schilderte eine Frau ihre Erlebnisse bei der Burschenschaft A*, die sie mit dem FPÖ‑Politiker * G* besucht habe.

 

Ihre Aussagen bei der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienste (DSN), die dem STANDARD vorliegen, haben nun zu einer Hausdurchsuchung bei der Burschenschaft geführt. Gegen G* wurde ein Verfahren wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung eingeleitet. Das bestätigt die Staatsanwaltschaft Wien auf STANDARD-Anfrage. Außerdem werde noch gegen eine weitere Person sowie unbekannte Täter ermittelt.

 

Die Frau, die G* angezeigt hat, erzählt, sie habe den FPÖ‑Politiker zufällig kennengelernt, und es habe sich eine Freundschaft entwickelt. Er habe ihr gegenüber immer wieder Kritik an der Corona‑Politik der FPÖ geäußert, was sie heute als Masche sehe, und er habe versprochen, keine rassistischen oder hetzerischen Äußerungen mehr zu tätigen, solange er mit ihr befreundet sei. Mehrere Male habe er sich mit ihr in der A* getroffen, dort habe er sich als 'Hausherr' vorgestellt, auch wenn er keine offiziellen Funktionen bei der Burschenschaft habe. Bei einem der Besuche habe G* der Frau Liederbücher gezeigt und gemeint, da sei 'sicher auch was Verbotenes dabei', allerdings wolle die Bücher in Österreich niemand begutachten. G* habe ihr auch erzählt, dass in der Burschenschaft geflüchtete Ukrainerinnen leben würden. 'Ich bin mir nicht sicher, was mit diesen Frauen passiert' und ob sie ausgenützt würden, gab die Frau gegenüber den Ermittlern an.

 

Sie soll nach dem Einbringen ihrer Anzeige wiederum von G* angezeigt worden sein, nämlich wegen Stalkings. Das weist die Frau strikt von sich, die Ermittlungen dazu wurden eingestellt. Die entsprechende Einstellungsbegründung liegt dem STANDARD vor.

 

Ex-Abgeordnete als Zeugin

 

Darüber hinaus wird G* in dieser Sache auch von der Ex‑Abgeordneten M* B* belastet, die mit der Frau, die die Anzeige eingebracht hat, befreundet ist. Ihre Aussage bei der DSN liegt dem STANDARD ebenfalls vor. B*, die zuletzt wilde Abgeordnete und zuvor bei der Liste Pilz engagiert war, gab an, G* im Rahmen einer TV-Konfrontation kennengelernt und daraufhin losen Kontakt zu ihm gepflegt zu haben.

 

Auch B* schilderte, sich mit G* zweimal in der Burschenschaft getroffen zu haben. 'Er hat gemeint, ich kann mir das einmal anschauen.' Auch sie habe dort Fotos gesehen, auf denen Männer Jacken mit Hakenkreuzen trugen. Dieser habe ihr erzählt, dass auf dem Dachboden des Hauses ein alter Mann wohnen würde, der ein ehemaliger SS‑Funktionär sei. 'Auf meine Frage, ob sich der Mann (...) dem Gesetz entzieht oder versteckt, kam keine Antwort.' G* soll ihr auch erzählt haben, dass NS-Liederbücher 'oder ähnliche Gegenstände, welche definitiv heute nicht mehr besessen werden dürfen und vom Verbotsgesetz verboten sind, als ´Geschichtsdokumentation` aufbewahrt werden'. 'Für ihn sei der Besitz kein Verbrechen', schließlich könne 'man die Geschichte ja nicht auslöschen'.

 

G*, der Akademikerball-Organisator und auch Vorsitzender des Österreichischen Pennälerrings (ÖPR) ist, ließ eine Anfrage des STANDARD von seinem Anwalt * F* beantworten. Die Ermittlungen würden sich 'als haltlos herausstellen', sein Mandant habe 'überhaupt kein strafbares Verhalten gesetzt', sagte dieser. Die Anschuldigungen seien frei erfunden, von der Anzeigerin habe es 'ein massives Fehlverhalten gegeben', so der Anwalt mit Blick auf die Stalking-Ermittlungen, die 'im Zweifel eingestellt' worden seien.

 

Anwalt: Vorwürfe 'haltlos'

 

Zu den einzelnen Vorwürfen gab [Anwalt] F* an, dass es in den Räumlichkeiten der A* keine Liederbücher gebe, die Verbotenes enthielten – so 'dumm ist nach den bekanntgewordenen Liederbuch-Affären' niemand mehr. Auch Bücher mit Hakenkreuz auf dem Cover gebe es bei der A* nicht, so etwas sei bei der Hausdurchsuchung auch nicht gefunden worden. Weder wohnten Ukrainerinnen noch ein hundertjähriger Kriegsverbrecher dort, es gebe auch keine Fotos, sagte F*.

 

Es handle sich um G*s persönlichen Lebensbereich, nicht um sein politisches Wirken, weshalb auch keine Aufhebung der Immunität beantragt worden sei, sagte [Anwalt] F*. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass keine Aufhebung der Immunität nötig sei, weil es keinen Zusammenhang zu dessen politischem Wirken gebe. Ein Antrag auf Aufhebung der Immunität an den Wiener Landtag ist somit nur nötig, wenn etwa eine Hausdurchsuchung bei dem Politiker durchgeführt werden müsste – das war nicht der Fall.“

 

Bild: Gegen den FPÖ‑Politiker und Akademikerball‑Chef * G* laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung.

 

[13] Am 26. 5. 2023:

„Burschenschaft als Schauplatz einer Razzia

 

Als Redner traten etwa der Identitäre S* und Ex-Kammerpräsident L* auf

 

Ermittlungen nach dem Verbotsgesetz gegen den FPÖ‑Politiker * G* samt Hausdurchsuchung bei seiner Burschenschaft A*: Diese Meldung des STANDARD hat am Mittwoch für helle Aufregung gesorgt. Gefunden worden sei aber nichts, behauptete G*s Anwalt * F*: weder NS-Devotionalien noch Fotos mit NS‑Symbolen, wie von einer Bekannten G*s in einer Anzeige behauptet. Und auf dem Dachboden wohne auch kein ehemaliger SS‑Funktionär, wie eine zweite Zeugin, die Ex-Abgeordnete M* B*, laut ihrer Aussage vor den Ermittlern von G* erzählt bekam.

 

Dokumente aus dem Ermittlungsakt, die das bestätigten, wollten F* und G* allerdings nicht übermitteln. Und auch der Ablauf der Ermittlungen sorgt für einige Verwunderung. So verging zwischen der Anzeige der Frau, die mehrfach von G* auf die Bude der A* eingeladen worden sei, und der Razzia viel Zeit: Die Erstmeldung der Frau ging am 27. Juli 2022 bei der NS‑Meldestelle des Verfassungsschutzes ein, vernommen wurde die Frau dann im Dezember 2022 – die Razzia erfolgte aber erst im Frühling 2023.

 

In dieser Zeit hatte wiederum G* Anzeige gegen seine frühere Bekannte eingebracht und angegeben, diese habe ihn 'im Zeitraum von 11. Juni 2022 bis 29. Juli 2022 beharrlich verfolgt', also gestalkt. Dafür habe die Frau auch Fake‑Profile benutzt. Hier ermittelte das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz, das zuständig ist, wenn ein Abgeordneter bedroht wird. Das Verfahren wurde im November 2022 allerdings eingestellt: Ein strafbares Verhalten der Beschuldigten sei 'im Zweifel nicht ausreichend erweislich' gewesen.

 

Hinter den Kulissen weisen Freiheitliche darauf hin, dass die zweite Zeugin, M* B*, mit der ehemaligen Bekannten G*s eng befreundet sei – ein Umstand, den die frühere Nationalratsabgeordnete vor den Ermittlern offengelegt hat. In ihrer Einvernahme erwähnte sie auch die Anwesenheit des ehemaligen Wirtschaftskammerpräsidenten C* L* in der Burschenschaft A*. Einem Foto auf Facebook zufolge habe sich auch L* in besagtem Kaminzimmer aufgehalten.

 

Vom STANDARD darauf angesprochen, bestätigt L*, dass er im November 2022 einen Vortrag in den Räumlichkeiten der Burschenschaft gehalten habe. Auf die Frage, ob ihm Porträts von Männern in SS-Uniformen samt Hakenkreuzen auf den Wänden aufgefallen seien, sagt L*: 'Nein, das ist mir nicht aufgefallen, ich werde regelmäßig von Vereinen oder auch Studentenverbindungen eingeladen, da achte ich eigentlich nicht auf die Rahmenbedingungen.' Zu welchem Thema er sprach, wisse er aber noch: 'Immer über Europa, seine Zukunftsperspektiven und Stellung in der Welt', sagt L* und reiht noch ein paar Schlagworte aneinander: 'Humanismus, Toleranz UND gegen Nationalismus.' Es sei sein erster Auftritt bei der A* gewesen. Seine Zuhörer seien 'junge, aber auch ältere Männer gewesen'.

 

Wer vor ihm als Vortragende auf die Bude kamen, weiß das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: 2017 waren es etwa M* S*, Mitbegründer der neofaschistischen Identitären, und der als Theologe firmierende W* S*, der im selben Jahr bei der A* über 'Europas Weg in den Untergang' referierte und Anfang 2023 auf einer Demo von sogenannten Maßnahmenkritikern gegen Impfungen und Abtreibungen wetterte. Dort meinte er, Abtreibungen seien Teil der 'Impfstoffgewinnung' und 'Leichenteile der ungeborenen Kinder' würden industriell verarbeitet werden.

 

Dominante Rolle

Burschenschaften spielen in der FPÖ eine dominante Rolle. Parteichef H* K* ist keiner von ihnen und fremdelt eher mit der Szene. In seinem unmittelbaren Umfeld werken allerdings mehrere Korporierte, etwa sein enger Vertrauter R* T* oder S* A* H*. K* blieb im Februar auch dem Akademikerball, dessen Organisator G* ist, fern. Zu den aktuellen Ermittlungen gegen G* gibt es von ihm und auch von der Wiener FPÖ auf Anfrage keinen Kommentar.

 

In der FPÖ schütteln jedenfalls viele den Kopf über die nun bekannt gewordenen Ermittlungen gegen G*. Zwei prononciert Linke in die Räumlichkeiten der Burschenschaft einzuladen könne kein schönes Ende nehmen, meinen die einen. Andere wiederum stellen sich hinter G* und bewerten die Angelegenheit als eine private Fehde ohne jeden Wahrheitsgehalt. Konsequenzen innerhalb der Partei sind jedenfalls nicht zu erwarten.

Bild: Gegen FPÖ‑Politiker * G* laufen Ermittlungen.“

 

[14] Am 27. 5. 2023 (Anm: stark gekürzt):

 

Die Partypartei

 

In den Umfragen hat sich die FPÖ zwar erholt, im Hintergrund sorgen aber großflächige Ermittlungen gegen Spitzenpersonal für Unruhe.

Die Rede ist von Partys im Lockdown und einem zu laschen Umgang mit Spesengeld.

[...]

N* ehemaliger Leibwächter K. wirft seinem Ex-Chef beispielsweise vor, […] N*: 'Rechtlich haltlos'

[...]

Party im Lockdown

[…] So soll während des ersten Corona‑Lockdowns im Frühjahr 2020 […] mindestens eine 'Party' gefeiert worden sein [...]

Für diese Feier habe der Landtagsabgeordnete * G* 'sechs Mädels organisiert', behauptete N* einstiger Sicherheitsmann. Er selbst sei an diesem Abend 'vor der Tür' gesessen, um die Veranstaltung zu bewachen. Die 'Mädels' seien Russinnen gewesen. N* Anwalt sagt dazu, das sei 'nicht zutreffend', die FPÖ Wien antwortete selbst nicht.

 

Gegen G* wird wiederum wegen Wiederbetätigung ermittelt, seit eine frühere Bekannte ihn angezeigt hat. Sie behauptet, von dem FPÖ‑Abgeordneten in die Bude der Burschenschaft A* eingeladen worden zu sein und dort NS-Symbole beobachtet zu haben. G* weist das strikt von sich. Auch mutmaßliche Ukrainerinnen, Kriegsflüchtlinge, wie die Bekannte es erzählt bekommen haben will, sollen auf engstem Raum und teils mit Kindern im Haus der Burschenschaft gewohnt haben.

 

Leibwächter K. schweigt öffentlich bislang zu seinen brisanten Aussagen [...]“

 

[15] Am 12. 10. 2023:

Ermittlungen gegen G* eingestellt

KURZ GEMELDET Wien – Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen wegen Wiederbetätigung gegen den Akademikerball-Chef und Wiener Landtagsabgeordneten * G* (FPÖ) eingestellt. Die Vorwürfe waren von einer Bekannten G*s und der Ex-Abgeordneten M* B* erhoben worden. Die beiden hatten bei der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ausgesagt, dass es in den Räumen von G*s Burschenschaft A* mehrere Nazi-Devotionalien gebe. Es kam in diesem Zusammenhang auch zu einer Hausdurchsuchung. (APA)“

 

[4] Die Antragsteller begehren im Provisorialverfahren die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung ihres Anspruchs auf Unterlassung der im Spruch genannten Behauptungen als unwahr und diffamierend.

[5] Der Antragsgegner wendete ein, die Äußerungen seien wahr bzw handle es sich um wertende politische Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert habe.

[6] Die Vorinstanzen wiesen den Provisorialantrag ab. Das Rekursgericht sah die Äußerungen als zulässige Kritik an der als einseitig beurteilten Berichterstattung an und setzte sich in seiner Begründung eingehend mit den drei im Mai 2023 erschienen Artikeln auseinander. Es sei ausführlich und reißerisch über die Verdachtsmomente gegen den Abgeordneten berichtet worden, über die Ergebnislosigkeit einer Hausdurchsuchung und die Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft dagegen aber nur in einer wenige Zeilen umfassenden Kurzmeldung. Die Aussendung des Antragsgegners erwecke für einen unbefangenen Durchschnittsleser den Gesamteindruck, dass den Antragstellern vorgeworfen werde, nicht ausgewogen, sondern politisch gefärbt berichtet zu haben. Vor dem Hintergrund der verdichteten Berichterstattung über die Vorwürfe und die Art der Berichterstattung über die Verfahrenseinstellung bewegten sich die – mit durchwegs scharfer Wortwahl artikulierten – Vorwürfe noch im Rahmen zulässiger Kritik, weil ein ausreichender Tatsachenkern vorliege.

[7] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller ist – zur Klarstellung der Rechtslage – zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.

[9] 1. Der Revisionsrekurs releviert, es erblicke das Durchschnittspublikum in der APA-OTS-Aussendung den Vorwurf einer politisch motivierten Aktion (Kampagne) gegen den Abgeordneten, die die Antragsteller durch (wissentlich) falsche Berichterstattung verfolgt hätten. Diesen Vorwurf empfinde das Durchschnittspublikum als viel gravierender als den (darin auch enthaltenen) Vorwurf einer unausgewogenen Berichterstattung. Die Grenzen zulässiger Kritik seien überschritten, weil offenkundig kein ausreichendes Tatsachensubstrat für die inkriminierten Vorwürfe vorliege. Es fehle Rechtsprechung zur Frage, inwieweit Diskreditierungen und Diffamierungen von (Investigativ‑)Journalisten und Qualitätsmedien von der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 EMRK gedeckt seien.

[10] 2. Die Revisionsrekursbeantwortung entgegnet, es setze sich, wer sich publizistisch betätige, freiwillig öffentlicher Kritik aus und müsse diese auch akzeptieren. Politische Parteien seien keineswegs Freiwild. Sie hätten Anspruch auf Schutz ihres guten Rufs und ihrer Äußerungsfreiheit. Auch sie hätten das Recht, Kritik an Medien zu äußern. Die Äußerungen seien vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Es gehe hier auch nicht um Einschüchterungsversuche, sondern um Reputationsverteidigung, sodass ein abschreckender Effekt auf die Pressefreiheit nicht zu befürchten sei. Die Berichte hätten suggeriert, die Verdächtigungen träfen zu. Diese Beurteilung liege aber bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten, nicht bei den Medien.

[11] 3. Eingangs ist klarzustellen, dass – was die Antragsteller zutreffend hervorstreichen – den Medien eine wichtige Rolle in einer demokratischen Gesellschaft zukommt. Es ist insbesondere ihre Funktion als „public watchdog“, politische Vorgänge kritisch zu beleuchten und verschiedene Positionen zu wesentlichen Vorgängen wiederzugeben (vgl RS0123667). Deswegen billigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Vertragsstaaten nur einen sehr engen Beurteilungsspielraum für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses zu (RS0123667 [T5]).

[12] 4. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Frage, ob den Antragstellern aufgrund der in ihrer Tageszeitung erschienenen Artikel Behauptungen untersagt werden sollen, sondern darum, ob (und wie weit) sie sich Kritik an ihrer Berichterstattung gefallen lassen müssen.

[16] Ähnlich wie Politiker betreten auch Medien und Journalisten mit ihren Artikeln, die oftmals überzeichnet oder – weil sie häufig auch meinungsbildend wirken wollen – bewusst provokant formuliert sind, die „politische Arena“. So wie sich auf der „politischen Bühne“ Politiker nach ständiger Rechtsprechung gefallen lassen müssen, dass sie erhöhter Kritik unterworfen sind (RS0127027), und zwar im Speziellen dann, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (RS0115541; 6 Ob 250/03p; vgl auch 6 Ob 159/06k; 6 Ob 62/09z), gilt dieser Grundsatz auch für Medieninhaber, Herausgeber und Chefredakteure eines diese Kritik provozierenden Mediums. Auch von ihnen ist auf der politischen Bühne ein höherer Grad an Toleranz gegenüber der Kritik des Angegriffenen abzuverlangen (6 Ob 168/01a; 6 Ob 245/04d; 6 Ob 123/08v [ErwGr 3.2]; vgl auch 6 Ob 162/12k; 6 Ob 235/18d [ErwGr 1.1.6.]; Danzl/Karner in Bydlinski/Perner/Spitzer, KBB7 [2023] § 1330 ABGB Rz 3; Reischauer in Rummel, ABGB3 [2004] § 1330 Rz 7b, 51; zur Geltung dieses Grundsatzes auch im Verhältnis zu Privatpersonen und Vereinigungen, sobald sie die politische Bühne betreten, siehe RS0054817 [T21]; 6 Ob 100/20d [ErwGr 2.4.2.]). Der Revisionsrekurs kann nicht nachvollziehbar machen, warum für die Erstantragstellerin als Medieninhaberin einer auflagenstarken Zeitung, die fester Bestandteil der österreichischen Tagespresse ist, oder den Zweitantragsteller, der bei ihr als leitender Redakteur angestellt ist, anderes gelten sollte. Die „Gegenseite“ hat nicht zum Mittel einer Slapp-Klage gegriffen, sondern der Antragsgegner hat seine Ansicht über die Artikel (mittels einer Presseaussendung) geäußert.

[17] 5. Unzweifelhaft handelt es sich bei den in den Artikeln (und in der Reaktion darauf) behandelten Themen um solche, an denen großes öffentliches Interesse besteht. Wegen der zuvor erörterten Wichtigkeit an einer möglichst uneingeschränkt geführten politischen Debatte (in deren Rahmen auch schockierende oder verstörende Ansichten diskutiert werden können sollen [vgl RS0123667]) genügt, insbesondere bei – wie hier – Themen von großem öffentlichen Interesse bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung (RS0127027, zuletzt 6 Ob 32/21f; RS0082182; RS0075552; RS0115541; RS0075696 [T7]; RS0054817 [T10]; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 [2021] 436; vgl auch RS0032201). Art 10 EMRK schützt nicht nur stilistisch hochwertige, sachlich vorgebrachte und niveauvoll ausgeführte Bewertungen, sondern jedes Unwerturteil, das nicht in einem Wertungsexzess gipfelt (RS0054817 [T19]).

[18] 6. Der Wertungsexzess bildet aber – ebenso wie die unrichtige Tatsachenbehauptung – eine Grenze, deren Überschreitung (auch) der auf der politischen Bühne agierende Angegriffene nicht mehr hinnehmen muss (RS0054817 [T3, T7]). Auf unwahren Tatsachenbehauptungen beruhende negative Werturteile oder Wertungsexzesse fallen nämlich nicht unter den Schutzbereich des Art 10 EMRK und sind daher nicht zulässig (RS0107915; RS0075601; RS0032201; RS0054817 [T3]; Kissich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1330 Rz 41). Selbst Provokationen des Verletzten und Revanche hiefür heben die Rechtswidrigkeit einer etwa exzessiven Kritik nicht auf (siehe RS0032317).

[19] Zusammenfassend ist das Spannungsverhältnis zwischen den betroffenen Rechten (hier: das Recht auf freie Meinungsäußerung und das auf Schutz der Ehre) im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu lösen (vgl 6 Ob 100/20d MR 2021, 241 – Gesinnungsverirrung).

[20] 7. Ob bestimmte Behauptungen als Tatsache oder als Werturteil aufzufassen sind und welchen Bedeutungsinhalt eine Aussage hat, hängt nicht allein von den verwendeten Worten, sondern vor allem vom Bedeutungsgehalt ab, den der unbefangene Durchschnittsadressat (des angesprochenen Publikums) der Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck entnimmt (vgl RS0031883 [insb T1]; 6 Ob 194/16x [ErwGr 3.1.]).

[21] Beispielsweise kann das Wort „Betrug“ einmal als Fachausdruck für die Umschreibung des Vorliegens eines strafrechtlichen Tatbestands verwendet worden sein und ein andermal erkennbar bloß als wertende Kritik, die sich an einem vom Äußernden als irreführend oder täuschend empfundenen Verhalten entzündet hat (siehe dazu 6 Ob 32/21f [ErwGr 2.2. ff]). Ebenso kann die Bezeichnung „Nazi“ einmal als (historische) Tatsache oder als Gesinnungsvorwurf bzw auch als reine Beschimpfung verwendet werden (vgl Anderl/Woltran in Zankl, Rechtshandbuch der Digitalisierung [2021] Rz 20.25).

[22] 8.1. Klarzustellen gilt es, dass für die vom Rekursgericht vorgenommene Beurteilung mit dem Ergebnis einer „Unausgewogenheit“ der Berichterstattung nicht auf den dafür (auch) herangezogenen Vergleich zwischen der ausführlichen und reißerischen Darbietung der Verdachtsmomente und jener über die Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft („nur in einer wenige Zeilen umfassenden Kurzmeldung“) abzustellen ist. Die Äußerungen des Antragsgegners fielen zeitlich schon vor der Kurzmeldung über die Einstellung des Verfahrens durch die Antragsteller. Letztere kann dessen Reaktion daher nicht im Nachhinein rechtfertigen. Beurteilungsgrundlage, ob zulässige Kritik oder Wertungsexzess vorliegt, ist daher allein die Berichterstattung in der Zeitung bis zur Presseaussendung des Antragsgegners am 11. 10. 2023.

[23] 8.2. Das Rekursgericht setzt sich in seiner Entscheidung sehr ausführlich mit dem Gesamteindruck und auch mit einzelnen Passagen und konkreten Formulierungen, wie sie in den Artikeln in der Tageszeitung enthalten waren, auseinander.

[24] Richtigerweise sind, wo dem Publikum der Hintergrund von Äußerungen bekannt ist, die Äußerungen naturgemäß vor diesem Hintergrund zu deuten. Dazu führt Reischauer aus, dies könne vor allem bei politischen Auseinandersetzungen der Fall sein, so etwa wenn eine Zeitung eine politische Partei oder deren Funktionäre dauernd angreift oder ins schlechte Licht stellt und die so Betroffenen verbal zurückschlagen (Reischauer in Rummel, ABGB3 [2004] § 1330 Rz 8b, unter Hinweis auf den Beschluss zu 6 Ob 149/01g MR 2001, 370, in welcher Entscheidung umfassende Kenntnisse der Leser der Auseinandersetzungen zwischen der Zeitschrift NEWS und der FPÖ vorausgesetzt wurden). Der „Hintergrund“ in jenem Beispiel war damit einer, der als ein Dauerzustand erfasst wird und dem Durchschnittsadressaten daher präsent ist.

[25] 8.3. Zwar liegt in gewisser Weise ein durchaus ähnlicher Fall vor, weil als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann, dass die Zeitung der Erstantragstellerin (sehr) häufig kritisch über die politischen Ansichten der FPÖ berichtet. Es darf allerdings für die Beurteilung im vorliegenden Verfahren nicht unberücksichtigt bleiben, dass zwischen der Berichterstattung in der Zeitung und der „Reaktion“ des Antragsgegners darauf ein Zeitraum von fast einem halben Jahr vergangen ist. Selbst politisch interessierte Leser werden aufgrund dieses Zeitabstands nur noch in Erinnerung haben, dass in der Zeitung über die gegen den Abgeordneten erhobenen Vorwürfe und die daraufhin geführten Ermittlungen berichtet wurde. Sie werden zwar noch einen Gesamteindruck aus dem Gedächtnis abrufen können, nicht mehr aber den genauen Inhalt vor Augen haben.

[26] Bei der bis zur Kritik an der Berichterstattung verstrichenen Zeit von nahezu einem halben Jahr muss sich der Äußernde vergegenwärtigen, dass mit seinen Behauptungen eine Reaktion auf nur mehr schemenhaft in Erinnerung gebliebene Artikel erfolgt. Er kann nicht erwarten, dass ein – auch nicht der politisch interessierte – Leser akribisch recherchiert und die Artikel aus dem Archiv erneut aufruft und nachliest. Seine Äußerungen stehen daher über weite Strecken für sich bzw nur mehr dem verbliebenen Gesamteindruck gegenüber und können vom Leser nicht oder kaum mehr in Bezug zu einzelnen Abschnitten und Wortwendungen gesetzt werden.

[27] 8.4. Auf der anderen Seite müssen sich die Antragsteller entgegenhalten lassen, dass gerade im Rahmen der politischen Debatte einzelne verwendete Worte geradezu häufig nicht im Sinne ihres Begriffskerns verwendet werden, sondern übertreibende, die eigene Meinung unterstreichende Wertungen sind.

[28] 9.1. Die Ausdrücke Negativ‑Kampagne und Vorverurteilung sind – trotz der eher schlagwortartigen und kurzen Darstellung in der Aussendung – leicht erkennbar als Werturteile des Äußernden, der nach der Einstellung der gegen einen Parteifreund geführten Ermittlungen diesen „verteidigt“ und die für diesen nachteilige Berichterstattung als überzogen und einseitig kritisiert.

[29] Angesichts des ersten Artikels, in dem schwerwiegende – aber etwa hinsichtlich des „alten Nazis“ auf dem Dachboden (der also fast um die 100 Jahre alt sein müsste) von vorneherein unwahrscheinlich erscheinende – Vorwürfe unkritisch und breit dargestellt wurden, ist der Ausdruck „Negativkampagne“ als Kritik im Sinne des Vorhalts einer unausgewogenen Berichterstattung über die Sachlage, die durch das mehrfache Aufgreifen der Ermittlungen in weiteren Artikeln (in einer Art „Artikelserie“) verdichtet war, zulässige Meinungsäußerung auf Basis eines ausreichenden Tatsachensubstrats (auf Basis des Gesamteindrucks). Soweit die Antragsteller zu dem von ihnen mehrmals verwendeten und (auch über einen längeren Zeitraum hinweg) einprägsamen Begriff (im Übrigen: „alter“) „Nazi“ argumentieren, es könne damit auch ein Neonazi gemeint sein, können sie ihre Deutung angesichts der Bezugnahme auf die Schilderung einer Zeugin, in der von einem alten Mann, der ein ehemaliger SS‑Funktionär sei, die Rede ist, nicht nachvollziehbar erklären.

[30] Auch in der geäußerten Wertung der Artikel als eine Vorverurteilung des Abgeordneten liegt kein Wertungsexzess, zumal – wie schon erwähnt – die Verdachtslage in den Artikeln reißerisch veranschaulicht wurde, die Entgegnung (des Abgeordneten und seines Anwalts) aber sogar in Zweifel gezogen wurde („laut“ dem Anwalt des Abgeordneten). Mit der Beschreibung der „Razzia“ als nicht zeitnah („Ablauf […] sorgt für einige Verwunderung“, „viel Zeit“) wird diese entlastende Tatsache (die Ergebnislosigkeit der Hausdurchsuchung) im Verhältnis zur großdimensionierten Darstellung der Vorwürfe heruntergespielt und deutlich in Zweifel gezogen; so etwa auch mit dem Hinweis darauf, dass der Abgeordnete und sein Anwalt Dokumente aus dem Ermittlungsakt, die die Ergebnislosigkeit bestätigten, „allerdings“ nicht übermitteln „wollten“. Leser mögen zwar im Zeitpunkt der Presseaussendung des Antragsgegners diese einzelnen Formulierungen nicht mehr vor Augen und parat gehabt haben, insgesamt vermittelte aber die Artikelserie eine dichte, die Glaubwürdigkeit der Vorwürfe nicht hinterfragende Darstellung der gegen den Abgeordneten geäußerten Vorwürfe, während die Darstellung der Gegenäußerungen des Betroffenen „distanziert“ gehalten und entlastende Umstände sogar bezweifelt wurden. Dass diese „Artikelserie“ in zusammenfassender und wertender Betrachtung vom Antragsgegner als „Negativkampagne“ gegen den Abgeordneten und als dessen „Vorverurteilung“ empfunden wurde, ist unter Berücksichtigung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht zu untersagen.

[31] Die Äußerung, „ein Journalist sollte sich nicht als politischer Aktivist betätigen“, vermittelt den Bedeutungsgehalt, die – zumindest im Kern und Schwergewicht noch erinnerliche – Berichterstattung wolle einer bestimmten politischen Richtung (hier der Partei, der der Abgeordnete und der Antragsgegner angehören) gerade nicht nützen oder sie fördern, sondern ihr entgegenwirken. Darin liegt ebenso kein Wertungsexzess, weil sich die Zeitung der Antragsteller bekanntermaßen wiederholt und gehäuft gegen die politischen Ansichten der Beklagten wendet und ihre Ansichten weit überwiegend nicht unterstützt (was sich gerade im Gesamteindruck des letzten [langen] Artikels deutlich widerspiegelt, in dem diese Partei als „Partypartei“ bezeichnet, etliche Vorfälle und Umstände innerhalb der Partei [etwa angeblich lockerer Umgang mit Spesengeld] kritisiert und erneut die Ermittlungen wegen Wiederbetätigung gegen den Abgeordneten erwähnt werden).

[32] 9.2. Überzogen und als Wertungsexzess sieht der erkennende Senat allerdings – anders als das Rekursgericht – die Behauptungen, die Medieninhaberin und ihr Redakteur hätten „einmal mehr eine bösartige Verleumdungskampagne hochgezogen“, die Berichterstattung habe „lediglich der Diffamierung freiheitlicher Mandatare gedient“ und in ihrer Berichterstattung werde „keinerlei Wert auf Richtigkeit gelegt“, an.

[33] Selbst wenn der Begriff „Verleumdung“ für den vorliegenden Fall zwar nicht streng im strafrechtlichen Sinn zu verstehen sein wird, unterstellt dessen Verwendung bei redlichem Verständnis des Empfängerkreises insbesondere in Verbindung mit dem Adjektiv „bösartig“, die Wertung, es seien absichtlich und gezielt Unwahrheiten über eine Person verbreitet worden, was sich für die Artikel nicht auf einen wahren Tatsachenkern zurückführen lässt. Der Umstand, dass (siehe zuvor zur Auslegung des Werturteils politischer Aktivist) ein Medium und Journalisten bei ihrer Berichterstattung einer bestimmten politischen Ausrichtung nicht nützen oder sie hintanhalten wollen, geht nicht zwanglos damit einher, dass dabei bewusst zum Mittel der Verbreitung von Unwahrheiten über eine Person gegriffen wird.

[34] Die in diesen Äußerungen liegende Wertung, es sei mit der Berichterstattung nicht bloß auf das Bestehen angeblicher Missstände aufmerksam gemacht worden, sondern mit den – wenn auch in der Berichterstattung in den Vordergrund gestellten – Verdächtigungen durch bestimmte Personen, die in den Artikeln auch als Quelle der Verdächtigungen genannt sind, völlig Unwahres berichtet worden („kein Wert auf Richtigkeit gelegt“), hier noch dazu getragen von Absicht („leicht durchschaubares Spiel, das lediglich der Diffamierung […] dient“), beruht nicht auf einem (auch nur dünnen) Tatsachenkern. Diese Qualifikation der Artikel durch den Antragsgegner ist nicht mehr durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt und wegen des darin liegenden Wertungsexzesses als Eingriff in die Reputation der Antragsteller zu untersagen.

[35] 10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Parteien haben annähernd gleichteilig obsiegt.

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