European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00014.24D.0423.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * P* je eines Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 2 fünfter Fall StGB (A/1/) und nach § 217 Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB (A/2/), „eines Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 erster, zweiter und dritter Fall StGB“ (B/1/; zur Auslegung dieser Bestimmung als kumulatives Mischdelikt vgl aber 14 Os 151/11d; 12 Os 119/20x, 120/20v [Rz 1]; Philipp in WK² StGB § 216 Rz 26), der Verbrechen der Zuhälterei nach § 216 Abs 4 StGB (B/2/) sowie des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, [„2“], Abs 3, Abs 3a Z 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB (C/) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in I* und an anderen Orten
A/ die rumänische Staatsangehörige * A* mit dem Vorsatz, dass sie in Österreich, sohin in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, der Prostitution nachgehe,
1/ im Jahr 2020 unter Ausnützung ihres durch P* hervorgerufenen Irrtums über dieses Vorhaben, nämlich ihrer Annahme (US 5), P* werde mit ihr in Österreich eine Beziehung führen und eine Familie gründen und sie könne als Reinigungskraft arbeiten, in einen anderen Staat, nämlich von Rumänien nach Österreich, befördert;
2/ Anfang 2021 in Rumänien mit Gewalt und durch gefährliche Drohung genötigt, sich (erneut) in einen anderen Staat, nämlich nach Österreich, zu begeben, indem er sie schlug und ihr mit der Tötung ihrer Familie drohte, sollte sie der Aufforderung nicht nachkommen;
B/ von Mitte 2020 bis Februar 2023
1/ mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution der * A* eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese durch Wegnahme von mehr als der Hälfte des durch die Prostitution erwirtschafteten Entgelts ausgebeutet, „durch das zu Punkt C/ dargestellte Verhalten“ (lt US 6 ff, 34 erkennbar gemeint: zu C/ dargestellte, im gesamten Tatzeitraum gesetzte Handlungen, die aber erst ab Mai 2021 in Häufigkeit, Intensität und Dauer auch den Tatbestand des § 107b StGB erfüllten) eingeschüchtert und ihr die Bedingungen der Ausübung der Prostitution vorgeschrieben, indem er die Kunden für sie auswählte und die Art der Prostitutionshandlungen sowie die Höhe des zu verlangenden Entgelts vorschrieb;
2/ * A* durch „infolge des zu Punkt C/ dargestellten Verhaltens“ bewirkte Einschüchterung in mehreren Angriffen davon abgehalten, die Prostitution aufzugeben, wobei er insbesondere dann Gewalt ausübte, wenn A* ihm mitteilte, nicht mehr als Prostituierte arbeiten zu wollen;
C/ von Mai 2021 bis Februar 2023, sohin eine längere Zeit hindurch, gegen * A* fortgesetzt Gewalt ausgeübt, dadurch eine erhebliche Einschränkung ihrer autonomen Lebensführung bewirkt (a/) und im Rahmen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 3 StGB (US 11) wiederholt Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität begangen (b/), wobei die Gewalt nach § 107b Abs 3 StGB länger als ein Jahr ausgeübt wurde (US 12), indem er
a/i/ ihr ein bis zwei Mal wöchentlich – unter anderem anlässlich im Urteil im Einzelnen beschriebener Vorfälle – Schläge, teilweise mit Gegenständen oder mit der Faust, Ohrfeigen und Fußtritte versetzte, wodurch sie Prellungen im Gesicht und am Körper und in einem Fall eine Beschädigung eines Backenzahns mit nachfolgendem Zahnverlust erlitt;
a/ii/ sie in einer Vielzahl von Angriffen mit der Zufügung zumindest einer Körperverletzung oder mit der Körperverletzung einer Sympathieperson bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar durch die Äußerungen, er werde sie und ihre Familie schlagen oder umbringen, sie dazu bringen, sich aufzuhängen, sie anzünden, den Kopf ihres Vaters abschneiden und ihre Beine und Kniegelenke verletzen, sodass sie ihr ganzes Leben im Rollstuhl verbringen müsse;
a/iii/ ihr (widerrechtlich) die persönliche Freiheit entzog, und zwar indem er sie am 18. Februar 2023 für etwa eine Stunde und am 19. Februar 2023 kurzzeitig (US 11: vor Durchführung eines Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des Tatopfers) im Badezimmer „einsperrte“;
b/ nach vorangegangener Einschüchterung durch die zu C/ (a/i/ bis a/iii/) beschriebenen Taten zumindest drei Mal mit * A* gegen ihren Willen den Beischlaf vornahm.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugin * L* zum Beweis dafür, „dass die Zeugin A* sich dieser Zeugin anvertraut und dieser mitgeteilt habe, dass ihre Aussagen unrichtig seien, ebenso zum Beweis dafür, dass die Vorfälle sich nicht so zugetragen haben, wie von der Zeugin A* beschrieben“, sowie zum Beweis der „Glaubwürdigkeit“ des Tatopfers (ON 82 S 25) Verteidigungsrechte nicht verletzt.
[5] Dieser ersichtlich auf die Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Opfers abzielende Beweisantrag war zwar grundsätzlich auf erhebliche Tatsachen gerichtet, weil die Beweisführung zur Beweiskraft von – wie hier – schulderheblichen Beweismitteln ihrerseits für die Schuldfrage von Bedeutung ist (RIS-Justiz RS0028345). Berechtigt wäre ein solcher Antrag aber nur dann, wenn sich aus dem Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergäben, die betreffende Zeugin habe in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (RIS‑Justiz RS0120109 [T3]). Ein solcher Inhalt ist dem gegenständlichen Antrag, der nicht erläutert, welche „Aussagen“ angesprochen sind und welche „Vorfälle“ in welcher Hinsicht anders stattgefunden haben sollen, nicht zu entnehmen.
[6] Überdies wäre angesichts des Umstands, dass die begehrte Zeugin durch den betreffenden, kurz vor Ende des zweiten Hauptverhandlungstermins gestellten Antrag im Verfahren erstmalig erwähnt wurde, nach dem Vorbringen keine Tatzeugin war und neben der Aussage des Tatopfers auch weitere diese Angaben des Opfers bestätigende Verfahrensergebnisse vorlagen (US 22 ff, 26 ff, 30 f), eine eingehendere Begründung dahingehend erforderlich gewesen, warum zu erwarten sei, dass die Durchführung des begehrten Beweises das vom Antragsteller behauptete Ergebnis haben werde (vgl RIS‑Justiz RS0107040).
[7] Im Rechtsmittel nachgetragene Ausführungen zur Antragsfundierung sind aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0099618&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).
[8] Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht dabei jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubhaftigkeit oder Unglaubhaftigkeit (die ihrerseits eine erhebliche Tatsache darstellt), sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119422 [T2 und T4]). Erheblich sind insoweit demnach Tatumstände, welche die – von den Tatrichtern als notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache bejahte (vgl RIS‑Justiz RS0116737; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 410) – Überzeugungskraft der Aussage (eines Zeugen oder Angeklagten) in Bezug auf diese entscheidende Tatsache ernsthaft in Frage stellen (vgl RIS-Justiz RS0120109 sowie Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 29).
[9] Entsprechend dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ist das Gericht aber weder verpflichtet, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen von Zeugen im Urteil zu erörtern und daraufhin zu untersuchen, inwieweit jede einzelne Angabe für oder gegen diese oder jene Darstellung spricht, noch ist es dazu verhalten, sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0098778 [insbesondere T6]).
[10] Die von der Mängelrüge relevierten Abweichungen in den Aussagen der * A* in Bezug auf die exakte Bezeichnung von Zeitpunkten oder Zeiträumen und die Bezifferung der Anzahl der einzelnen Übergriffe des Angeklagten hat der Schöffensenat dem Vorbringen zuwider ohnehin einer Würdigung unterzogen, jedoch nicht auf eine mangelnde Glaubwürdigkeit der Zeugin, sondern auf den langen Tatzeitraum und die Vielzahl der Übergriffe zurückgeführt (US 18 ff, 25 f). Dass diese Erwägungen den Beschwerdeführer nicht überzeugen, begründet keine Nichtigkeit (vgl RIS‑Justiz RS0099455 [T9]).
[11] Ebenso wenig gelingt es dem Beschwerdeführer, anhand der weiteren gegen die Überzeugungskraft der Depositionen der Zeugin A* ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse eine im Sinn der Z 5 zweiter Fall relevante Unvollständigkeit aufzuzeigen, ist doch in mehreren Punkten (vgl etwa ON 89 S 5 f Punkte e, g, h, i und k) ein erörterungspflichtiger Widerspruch in den Aussagen der Zeugin entweder nicht ersichtlich (vgl RIS‑Justiz RS0098377 [T10]) oder lediglich in deren verkürzter Wiedergabe begründet, tatsächlich aber nicht gegeben (vgl etwa die – entgegen der Beschwerdebehauptung [ON 89 S 6 Punkt l] – in Übereinstimmung mit der Aussage vor der Polizei [ON 4.2 S 5 f] erfolgte Schilderung, dass der letzte Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten im Bett und nicht im Badezimmer stattgefunden hat [ON 53 S 29 ff]); in den übrigen Fällen fehlt es schon am Bezug zu einer entscheidenden Tatsache (vgl etwa den Umstand, dass die Telefonnummer des Angeklagten im Mobiltelefon der Zeugin nicht eingespeichert war [ON 89 S 5 Punkt h]).
[12] Mit der (weiteren) Kritik (nominell Z 5 vierter Fall) an der Begründung für die Annahme der Glaubwürdigkeit des Tatopfers wird bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld beanstandet (RIS‑Justiz RS0106588).
[13] Der Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Konstatierungen zum objektiven Tatgeschehen (betreffend sämtlicher Schuldsprüche) lässt prozessordnungswidrig jene Erwägungen außer Acht (vgl jedoch RIS-Justiz RS0119370), wonach der Schöffensenat diese primär auf die – im Urteil teils wiedergegebenen – Angaben der Zeugin * A* (vgl US 18 ff) und darüber hinaus auf jene des Zeugen * H* (vgl US 22 ff) und weitere Beweisergebnisse (vgl US 27 ff) stützte (US 33). Dass einzelne Feststellungen in den betreffenden Verfahrensergebnissen keine Deckung finden würden, wird nicht behauptet.
[14] Soweit den Angaben des Zeugen * H* und den im Urteil erörterten Chat-Nachrichten (US 27 ff) ein Beweiswert abgesprochen wird, wird einmal mehr unzulässige Beweiswürdigungskritik geübt.
[15] Die gegen die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 107b Abs 3a Z 3 StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) argumentiert, die dreimalige Verwirklichung des Tatbestands des § 205a Abs 1 StGB sei noch nicht als im Sinn des § 107b StGB „wiederholte“ Begehung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität (vgl dazu RIS‑Justiz RS0132318) anzusehen.
[16] Sie verkennt jedoch, dass Delikte, die – wie § 205a Abs 1 StGB – nicht von der Subsidiaritätsklausel des § 107b Abs 5 StGB umfasst sind, vom jeweiligen Tatbestand des § 107b StGB verdrängt werden (Spezialität; RIS-Justiz RS0128942; vgl im Übrigen auch die Subsidiaritätsklausel des § 205a Abs 1 StGB) und der angestrebte Wegfall der in Rede stehenden Qualifikation demnach zur Folge hätte, dass die betreffenden Taten stattdessen mehreren – mit dem (verbleibenden) Verbrechen nach § 107b Abs 1, Abs 3, Abs 4 zweiter Fall StGB echt konkurrierenden – Vergehen nach § 205a Abs 1 StGB zu unterstellen wären, ohne dass der nach § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB zu bildende Strafrahmen dadurch vermindert würde. Da die Beschwerde demnach eine – in der Annahme mehrerer zusätzlicher strafbarer Handlungen gelegene – ungünstigere Subsumtion anstrebt, mangelt es ihr an der erforderlichen Beschwer (instruktiv: 11 Os 99/18w; RIS‑Justiz RS0128942 [T4], RS0118274 [T2]).
[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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