OGH 7Ob42/24p

OGH7Ob42/24p17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D* T*, vertreten durch Dr. Martin Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2024, GZ 39 R 240/23t‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00042.24P.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Vermieterin, die Beklagte ist infolge Eintritts in die Mietrechte nach ihrem Vater Mieterin der Wohnung in 1100 Wien, *. Die Wohnung besteht aus einem Zimmer und Küche und ist 20,76 m² groß. Das zur Wohnung gehörige WC befindet sich am Gang.

[2] Im Haus waren zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung im April 2023 nur mehr drei Wohnungen bewohnt. Die restlichen Wohnungen standen leer. Das Schloss des Haustors war seit mehr als zwei Jahren defekt, weil es immer wieder manipuliert wurde. Da das Haustor aufgrund des defekten Schlosses Tag und Nacht offen war, hielten sich häufig fremde Personen im Haus auf, darunter Schüler einer in der Nähe liegenden Schule, unterstandslose Personen und Drogenabhängige, die im Stiegenhaus Alkohol tranken, rauchten und lärmten. Diese hausfremden Personen sowie die in den leerstehenden Wohnungen untergebrachten Arbeiter tranken auch in der Nacht in den Gängen Alkohol und lärmten. In einer Nacht klopfte es an der Wohnungstür der Beklagten, was bei ihr Angst auslöste. Bei den Nachbarinnen der Beklagten wurde in deren Abwesenheit versucht, in die Wohnungen einzubrechen. Diese Umstände führten dazu, dass die Beklagte sich dort nicht wohl fühlt und vor allem in der Nacht Angst hatte; insbesondere hatte sie Angst, das zu ihrer Wohnung gehörige Gang-WC in der Nacht zu benutzen. Im Juni 2023 wurde auch versucht, dieses WC aufzubrechen. Am 13. Juni 2023 wurde das Schloss des Haustores ausgetauscht. Das Haustor ist weiterhin nicht versperrbar, es kann aber nur mit dem Haustorschlüssel geöffnet werden.

[3] In der aufgekündigten Wohnung gibt es keine funktionierende Heizung, weshalb es im Winter sehr kalt ist. Seit Juni 2023 ist das Gas im Haus abgedreht, weil eine undichte Gasleitung erneuert werden muss. Der Vater der Beklagten hatte ihr aufgrund dieser Zustände „verboten“, weiter in der aufgekündigten Wohnung zu nächtigen und ihr angeboten, in seiner Wohnung zu übernachten, bis die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind. Im Haus finden seit zumindest Mai 2023 Renovierungsarbeiten im Stiegenhaus statt. Die Beklagte plant, nach Abschluss der Renovierungsarbeiten wieder in die aufgekündigte Wohnung einzuziehen.

[4] Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtsunwirksam und wies das Klagebegehren ab, das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Beide Instanzen verneinten den Kündigungsgrund der Nichtbenützung (§ 30 Abs 2 Z 6 MRG).

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin.

[6] 1. § 30 Abs 2 Z 6 MRG normiert einen Kündigungsgrund, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen regelmäßig verwendet wird, es sei denn, dass der Mieter zu Kur‑ oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist. Dem liegt erkennbar die Erwägung des Gesetzgebers zugrunde, dass es dem Vermieter möglich sein soll, die Verfügung über das Bestandobjekt wiederzuerlangen, wenn der Mieter aus in seine Sphäre fallenden Gründen über einen nicht unerheblichen Zeitraum von der Benützung Abstand nimmt und auf die Wohnung auch nicht mehr angewiesen ist (1 Ob 166/15s).

[7] 2.1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines Kündigungsgrundes ist im Allgemeinen der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Kündigungsgegner (RS0070282 [T12, T13]).

[8] 2.2. Die regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken setzt voraus, dass die gekündigte Wohnung vom Gekündigten wenigstens während eines beträchtlichen Zeitraums im Jahr (bzw einige Tage in der Woche) zumindest in mancher Beziehung als wirtschaftlicher oder familiärer Mittelpunkt (RS0079240; RS0068679) bzw als Mittelpunkt seiner Lebenshaltung benützt wird (RS0079240 [T1]). Dass die Beklagte die Wohnung zum Zeitpunkt der Aufkündigung nicht regelmäßig zu Wohnzwecken verwendet hat, ist im Revisionsverfahren nicht strittig.

[9] 2.3. Ist der Mieter allerdings wegen der Unbenützbarkeit der Wohnung genötigt, sein Wohnbedürfnis bis zu deren Beseitigung anderswo zu befriedigen, liegt kein in seiner Sphäre liegender Umstand vor, der den Vermieter zur Kündigung wegen Nichtbenützung berechtigen würde (1 Ob 166/15s; vgl auch 1 Ob 594/88; 6 Ob 122/00k). Es ist dabei nicht erforderlich, dass diese Unbenützbarkeit auf ein vertragswidriges Verhalten des Vermieters zurückzuführen ist (1 Ob 166/15s). Einem Mieter, der durch eine von ihm nicht zu vertretende Unbrauchbarkeit des Bestandsgegenstands veranlasst wurde, sich eine andere Unterkunft anzuschaffen, kann das dringende Wohnbedürfnis am bisherigen Objekt nicht abgesprochen werden (1 Ob 166/15s; 1 Ob 594/88; 6 Ob 122/00k). In solchen Fällen ist eine Rückkehrabsicht des Mieters zu vermuten (1 Ob 166/15s).

[10] 2.4. Nach den Feststellungen führtedas nicht versperrbare Haustor zu den eingangs ausgeführten, gravierenden Missständen im Haus. Hinzu kommt, dass auch die Heizung der Wohnung zum Zeitpunkt der Aufkündigung defekt war, was sich entgegen der Ansicht der Revision jedenfalls aus einer Gesamtbetrachtung der Entscheidung ergibt.

[11] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach es sich dabei keinesfalls um in Altbauten übliche und von einem Mieter hinzunehmende Umstände handle, sondern dies massive Missstände seien, die der Beklagtendie Benützung der Wohnung unzumutbar machen, ist nicht korrekturbedürftig, zumal der Bestandgeber umfassend dafür zu sorgen hat, dass der bedungene Gebrauch des Bestandnehmers nicht durch Dritte beeinträchtigt wird (vgl § 1096 ABGB; RS0020979; Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 Rz 51). Die Ausführungen der Klägerin, wonach die Beklagte die Wohnung nur deshalb nicht benütze, weil der Vater ihr das (grundlos) verboten habe bzw ihr „die Klientel im Haus und in der Gegend nicht genehm sei“, entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt und zeigt, dass die Vermieterin ihre Bestandgeberpflichten offenkundig nicht ernst nimmt. Soweit die Revision meint, es fehle die Rückkehrabsicht der Beklagten, ist ihr schon die Feststellung entgegenzuhalten, dass die Beklagte plant, nach Abschluss der Renovierungsarbeiten wieder in die aufgekündigte Wohnung einzuziehen.

[12] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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