OGH 8Ob85/23t

OGH8Ob85/23t22.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann-Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J* und 2. T*, beide vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. F* S.p.A., *, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. F* Industrial S.p.A., * vertreten durch die Thurnher, Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 18.120 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Juni 2023, GZ 11 R 15/22p‑42, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 13. Mai 2022, GZ 5 Cg 13/21t‑36, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00085.23T.0322.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 1.788,90 EUR (darin 322,59 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Im Übrigen haben die Parteien die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger erwarben am 19. 4. 2018 bei einem österreichischen Händler das Wohnmobil „Sunlight T66“. Beim Fahrzeug handelt es sich um einen von der Erstbeklagten hergestellten Fiat Ducato 2,3 DS 130. Die mechanischen Komponenten des im Fahrzeug verbauten Motors wurden von der Zweitbeklagten geliefert. Der im Fahrzeug verbaute Motor ist mit einer Vorrichtung ausgestattet, welche die Abgasrückführung nach einer Betriebszeit von 22 Minuten erheblich reduziert oder überhaupt unterbindet. Darüber hinaus wird die Abgasrückführung bei sinkenden Außentemperaturen erheblich reduziert.

[2] Das Erstgericht wies die auf Schadenersatz in der Höhe von 30 % des Kaufpreises gerichtete Klage ab. Den Beklagten könne kein vorsätzliches, listiges oder sittenwidriges Verhalten nachgewiesen werden. Außerdem sei den Klägern bislang kein Schaden entstanden.

[3] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Die Erstbeklagte habe durch die Verwendung der zeitabhängigen Abschalteinrichtung gegen die RL 2007/46 iVm Art 5 der VO 715/2007/EG verstoßen, wonach auch das Vertrauen des Käufers eines Fahrzeugs auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung geschützt sei. Infolge der Verletzung eines Schutzgesetzes sei der Schädiger dafür beweispflichtig, dass ihn an dieser Übertretung kein Verschulden treffe. Ob die Erstbeklagte diesen Entlastungsbeweis erbringen konnte, müsse aber vorerst nicht beantwortet werden, weil nicht festgestellt worden sei, ob die Kläger das Wohnmobil auch bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung erworben hätten. Da die Übereinstimmungsbescheinigung vom Fahrzeughersteller auszustellen sei, würde eine Haftung der Zweitbeklagten nach § 874 bzw § 1295 Abs 2 ABGB vorsätzliches Handeln erfordern, wozu ebenfalls Feststellungen fehlten. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu zeitbezogenen Abschalteinrichtungen und zur Haftung des Motorenherstellers fehle.

[4] Dagegen richtet sich der Rekurs der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Aufhebungsbeschluss zu beheben und in der Sache selbst zu entscheiden, hilfsweise die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[5] Die Erstbeklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben, die Zweitbeklagte den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Rekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[7] 1. Die VO 715/2007/EG , auf die sich die Kläger berufen, regelt die Anforderungen, welche die Hersteller von Neufahrzeugen erfüllen müssen, um eine EG‑Typengenehmigung zu erhalten. Der EuGH hat zu C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, ausgesprochen, dass diese Regelungen neben den allgemeinen Rechtsgütern auch die Interessen des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs trifft eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung wegen Verstoßes gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG deshalb ausschließlich den Fahrzeughersteller als Inhaber der EG‑Typengenehmigung und Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung, sodass eine Haftung des Motorenherstellers nur nach § 1295 Abs 2 und § 875 ABGB denkbar ist und vorsätzliches Handeln voraussetzt (6 Ob 161/22b; 3 Ob 40/23p; 2 Ob 139/23i; 6 Ob 114/23t ua).

[8] 2. Wird ein Schadenersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes gestützt, dann hat der Geschädigte den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solche zu beweisen (RS0112234). Der Oberste Gerichtshof hat zu 10 Ob 16/23k darauf hingewiesen, dass ein Schadenseintritt ungeachtet des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu verneinen wäre, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach. Das Fehlen diesbezüglicher Feststellungen bedeutet, dass nicht beurteilt werden kann, ob ein Schaden eingetreten ist, was einer Entscheidung über den geltend gemachten Schadenersatzanspruch entgegensteht (10 Ob 16/23k; 5 Ob 159/23b).

[9] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist daher von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt, sodass der Rekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.

[10] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO (RS0123222 [T4]). Die Zweitbeklagte hat die in Italien abzuführende Umsatzsteuer von 22 % bescheinigt (RS0114955). Ein Kostenersatzanspruch nach Zurückweisung eines Rekurses nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO setzt allerdings voraus, dass der Rechtsmittelgegner auf die Unzulässigkeit hingewiesen hat (RS0123222 [T14]). Der Erstbeklagten war daher kein Kostenersatz zuzusprechen.

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