OGH 8ObA3/24k

OGH8ObA3/24k22.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Arnaud Berthou (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI N*, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund – Bundesministerium für *), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 2.913,87 EUR brutto und Feststellung (15.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. November 2023, GZ 10 Ra 46/23t‑21.2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00003.24K.0322.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. § 15f Abs 1 MSchG („Sonstige gemeinsame Vorschriften zur Karenz“) in der durch BGBl I 2019/68 geänderten Fassung lautet (Hervorhebung durch den Senat):

„Die Dienstnehmerin behält den Anspruch auf sonstige, insbesondere einmalige Bezüge im Sinne des § 67 Abs. 1 des Einkommenssteuergesetzes 1988 in den Kalenderjahren, in die Zeiten einer Karenz fallen, in dem Ausmaß, das dem Teil des Kalenderjahres entspricht, in den keine derartigen Zeiten fallen. Für die Dienstnehmerin günstigere Regelungen werden dadurch nicht berührt. Zeiten der Karenz werden bei Rechtsansprüchen, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, für jedes Kind in vollem in Anspruch genommenen Umfang bis zur maximalen Dauer gemäß den §§ 15 Abs. 1 und 15c Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 angerechnet.

 

[2] Karenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts nach §§ 15 Abs 1 und 15c Abs 2 Z 3 und Abs 3 MSchG stand einer Dienstnehmerin grundsätzlich bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes zu, wenn sie mit diesem im gemeinsamen Haushalt lebt.

[3] Diese Fassung des § 15f Abs 1 MSchG trat gemäß § 40 Abs 29 MSchG mit 1. 8. 2019 in Kraft und galt für Mütter (Adoptiv‑ oder Pflegemütter), deren Kind ab diesem Zeitpunkt geboren (adoptiert oder in unentgeltliche Pflege genommen) wird.

[4] 1.2. Bis 31. 7. 2019 hatte § 15f Abs 1 MSchG gelautet ( Hervorhebung durch den Senat):

„Die Dienstnehmerin behält den Anspruch auf sonstige, insbesondere einmalige Bezüge im Sinne des § 67 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 in den Kalenderjahren, in die Zeiten einer Karenz fallen, in dem Ausmaß, das dem Teil des Kalenderjahres entspricht, in den keine derartigen Zeiten fallen. Für die Dienstnehmerin günstigere Regelungen werden dadurch nicht berührt. Soweit nicht anderes vereinbart ist, bleibt die Zeit der Karenz bei Rechtsansprüchen der Dienstnehmerin, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, außer Betracht. Die erste Karenz im Dienstverhältnis wird für die Bemessung der Kündigungsfrist, die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (Unglücksfall) und das Urlaubsausmaß jedoch bis zum Höchstausmaß von insgesamt zehn Monaten angerechnet.“

 

[5] 1.3. Der Initiativantrag vom 26. 9. 2018 (IA 338/A BlgNR 26. GP ), auf den BGBl I 2019/68 zurückgeht, hatte ein generelles Inkrafttreten des neuzufassenden § 15f Abs 1 MSchG mit 1. 1. 2019 und nach seiner Begründung eine Geltung für „70 % aller derzeit unselbständig erwerbstätigen Frauen[, die] entweder Kinder haben, oder (voraussichtlich) noch Kinder bekommen werden, rund 1,26 Mio“ vorgesehen.

[6] Im Plenum des Nationalrates wurde jedoch am 2. 7. 2019 ein Abänderungsantrag eingebracht (und das Gesetz in dieser Form einstimmig beschlossen), zu dessen Begründung angegeben worden war (AA‑97 BlgNR 26. GP ), es solle

„… klargestellt werden, dass Karenzzeiten in jenem Umfang angerechnet werden, in dem sie auch in Anspruch genommen wurden beziehungsweise, dass Karenzzeiten bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes angerechnet werden.

Das Inkrafttreten wird auf 1. August 2019 geändert und für alle Frauen, deren Kind ab diesem Zeitpunkt geboren (adoptiert oder in unentgeltliche Pflege genommen) wird.“

 

[7] 2. Die Vorinstanzen wiesen das Zahlungs‑ und Feststellungsbegehren der * 1982 geborenen und seit * 2021 als Vertragsbedienstete des Bundes beschäftigten Klägerin ab, die auch noch in ihrer Revision jeweils ein Jahr Karenzzeiten infolge der Geburt ihrer beiden Kinder 2014 und 2016 als Vordienstzeiten für ihr Besoldungsdienstalter als Basis ihrer besoldungsrechtlichen Einstufung berücksichtigt wissen will, weil sie die Regelung des § 40 Abs 29 MSchG in der Fassung BGBl I 2019/68 als geschlechter‑ und altersdiskriminierend sowie verfassungs‑ und unionsrechtswidrig ansieht.

[8] Die Revision zeigt jedoch keine Rechtsfrage der in § 502 Abs 1 genannten Qualität auf.

[9] 3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 12. 6. 2023 zu G 182/2023 die Behandlung des Normenkontrollantrags der Klägerin abgelehnt, weil vor dem Hintergrund seiner ständigen Rechtsprechung (VfSlg 16.370/2001, 17.238/2004, 19.308/2011, 19.884/2014, 20.145/2017, 20.180/2017, 20.298/2018; G 63/2022; konkret zu § 40 Abs 29 MSchG G 318/2022) das Vorbringen des Antrags die behauptete Verfassungswidrigkeit des § 40 Abs 29 MSchG als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

[10] Schon zu G 318/2022 hatte der Verfassungsgerichtshof auf seine ständige Rechtsprechung hingewiesen, dass es grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege, festzulegen, wann eine neue, den Normadressaten begünstigende Bestimmung in Kraft treten solle und für welche Fälle sie zu gelten habe. Dabei bleibe es ihm im Prinzip überlassen, den Stichtag festzulegen, ohne dass es für die Wahl des Stichtags einer Rechtfertigung bedürfe. In diesem Sinn weise jede Stichtagsregelung auch ein gewisses Maß an Beliebigkeit auf. Es müsste besondere Gründe geben, warum gerade ein bestimmter Stichtag unsachlich sei. Dass der Gesetzgeber bei der Festsetzung des Stichtags in § 40 Abs 29 MSchG die Grenzen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums überschritten hätte, sei nicht ersichtlich.

[11] 3.2. Auch der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung grundsätzlich nicht gegen das Gleichheitsgebot verstößt (vgl RS0053393; RS0117654).

[12] 3.3. Auch der Senat hegt im Lichte der dargelegten Rechtsprechung gegen die Verfassungskonformität der hier anzuwendenden Bestimmungen keine Zweifel und sieht keine Veranlassung, den Verfassungsgerichtshof neuerlich zu befassen.

[13] 4. Soweit die Revision nunmehr eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne ihres Rechtsstandpunktes wünscht, genügt der Hinweis, dass auch eine solche Auslegung ihre Grundlage im Gesetz selbst haben muss (RS0008798); der äußerst mögliche Wortsinn des Gesetzes steckt dabei die Grenze jeglicher Auslegung ab (vgl RS0008796; RS0031382).

[14] Die völlig klare gesetzliche Regelung lässt eine Interpretation dahin, dass sie auch auf Frauen wie die Klägerin anzuwenden wäre, deren Kind(er) vor dem 1. 8. 2019 geboren (adoptiert oder in unentgeltliche Pflege genommen) wurde(n), keinesfalls zu.

[15] 5. Auch die in der Revision ins Treffen geführte Unionsrechtswidrigkeit ist nicht erkennbar:

[16] 5.1. Eine Differenzierung zwischen Männern und Frauen treffen die hier fraglichen gesetzlichen Regelungen nicht: Unter anderem für Rechtsansprüche des Arbeitnehmers, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, gilt § 15f Abs 1 MSchG auch für Väter (§ 7c VKG; vgl dazu auch schon EuGH 8. 6. 2004, C‑220/02 , ÖGB/WKÖ, Rn 58).

[17] Inwiefern das Gesetz selbst eine unsachliche geschlechtsspezifische Differenzierung vornähme, legt die Revision auch nicht konkret dar.

[18] 5.2. Auch eine Altersdiskriminierung ist nicht erkennbar; Stichtagsregelungen waren bereits Gegenstand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur RL 2000/78/EG vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf:

[19] Nach dem Urteil vom 14.2.2019, C‑154/18 , Horgan/Keegan, ist eine Regelung, wonach bei der Einstellung neuer Lehrkräfte ab einem bestimmten Zeitpunkt eine ungünstigere Entgeltskala und Einstufung zur Anwendung kommen als die, die gemäß den vor dieser Maßnahme geltenden Vorschriften bei vor diesem Zeitpunkt eingestellten Lehrkräften zur Anwendung gekommen sind, keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne des Art 2 Abs 2 lit b der Richtlinie.

[20] Dies ist zwanglos auf eine Konstellation wie die vorliegende zu übertragen, wonach die Besserstellung auf die Verwirklichung eines Tatbestands vor oder nach dem Stichtag als einziges Kriterium abstellt, womit an ein vom Alter unabhängiges, objektives und neutrales Element angeknüpft wird. So wie der parallele Bestand unterschiedlicher vertraglicher Systeme nicht bedeutet, dass ältere Regelungen, die für andere Gruppen von vornherein nicht gelten, in Zukunft einzementiert bleiben müssen und keiner verschlechternden Veränderung mehr unterliegen können (vgl 8 ObA 55/19z), gilt dasselbe, wenn stichtagsbezogen ein neues Besoldungssystem geschaffen wird, das in einzelnen Punkten nicht nur Verschlechterungen, sondern auch Verbesserungen vorsieht (vgl 9 ObA 86/20t Rz 10). Eine Differenzierung der Anrechnung von Karenzzeiten als Vordienstzeiten nach Maßgabe unterschiedlicher Geburtsdaten stellt hier auch keine Diskriminierung aufgrund des Alters oder eines an das Alter anknüpfenden Ereignisses dar (vgl auch 9 ObA 87/22t Rz 23).

[21] 4.3. Auch wenn man den Anwendungsbereich des Unionsrechts als eröffnet ansieht (vgl dazu 9 ObA 29/21m Rz 38 mwH), bedarf es angesichts dieser geklärten Unionsrechtslage keiner neuerlichen Befassung des Europäischen Gerichtshofs.

[22] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO in Verbindung mit § 2 Abs 1 ASGG).

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