OGH 8ObA55/19z

OGH8ObA55/19z25.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien (1. S***** A*****) 2. K***** S*****, vertreten durch Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Nationalbank OeNB, 1090 Wien, Otto-Wagner-Platz 3, vertreten durch Burgstaller & Preyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Interesse 43.600 EUR), über die außerordentliche Revision der zweitklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juni 2019, GZ 10 Ra 41/19a‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00055.19Z.0825.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 2 ASGG, § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der ursprünglichen Erst- und der Zweitklägerin, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten nach den Dienstbestimmungen I („DB I“) stehen, auf Feststellung ihres zukünftigen Pensionsanspruchs nach Maßgabe der vertraglich vereinbarten Pensionsantrittsvoraussetzungen und der Bemessungsgrundlage gemäß der Pensionsordnung der Beklagten in der Fassung vom 1. 7. 2010, ohne Berücksichtigung der Änderungen der Pensionsordnung durch das 2. StabG 2012, BGBl I 35/2012 idF des SpBegrG BGBl I 46/2014.

Die Zweitklägerin hätte vor Inkrafttreten des SpBegrG aufgrund der DB I bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres Anspruch auf direkte Pensionsleistungen in Höhe von 85 % ihres letzten Aktivbezugs gehabt. Das Inkrafttreten des SpBegrG hat für sie zur Folge, dass ihr frühestes Pensionseintrittsdatum um fünf Jahre, auf die Vollendung des 60. Lebensjahres, hinausgeschoben wird und ihre Pensionshöhe um etwa 5 % geringer sein wird als nach der alten Rechtslage.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren (hinsichtlich der Erstklägerin rechtskräftig) ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Zweitklägerin keine Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels einer von den Höchstgerichten noch nicht geklärten erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.

In ihrer außerordentlichen Revision macht die Zweitklägerin zusammengefasst geltend, die durch das SpBegrG eingeführten Änderungen seien unionsrechtswidrig. Sie würden unzulässig in die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbank eingreifen und seien geeignet, das durch die Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRC) geschützte Eigentumsrecht der Zweitklägerin zu verletzen.

Rechtliche Beurteilung

Damit zeigt die Revision im Anlassfall keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Der Oberste Gerichtshof hat zu den angesprochenen Fragen bereits in der Rechtssache 9 ObA 82/19b, die ebenfalls Auswirkungen des SpBegrG auf die Pensionsansprüche von Dienstnehmern der Österreichischen Nationalbank zum Gegenstand hatte, über eine (fast wortidente) Revision in seinem Beschluss vom 17. 12. 2019 (gekürzt) ausgeführt:

„1. Die Kläger leiten die Unionsrechtswidrigkeit von Art 81 2. StabG 2012 idF BGBl I 2014/46 aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ab. Diese sei hier anzuwenden, weil es sich bei der Beklagten um eine 'sonstige Stelle der Union' im Sinn des Art 51 Abs 1 Satz 1 erster Satzteil GRC handle. Hierfür führen die Kläger ins Treffen, dass die Beklagte als nationale Zentralbank 'unionsrechtlich determiniert' sei, zumal sie gemeinsam mit den anderen nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten und der Europäischen Zentralbank (EZB) Bestandteil des im primären Unionsrecht verankerten Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) sei.

1.1. Die GRC gilt nach ihrem Art 51 Abs 1 Satz 1 erster Satzteil, auf den sich die Revisionswerber stützen, 'für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips'. Die Organe der Union sind in Art 13 Abs 1 EUV angeführt. 'Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union' meint alle durch die Verträge oder durch sekundäre Rechtsakte geschaffenen Einrichtungen (...).

1.2. Die EZB ist gemäß Art 13 Abs 1 EUV ein Organ der Union. Demgegenüber bezeichnet der AEUV in seinem Art 123 (und in nachfolgenden Artikeln) die Zentralbanken der Mitgliedstaaten als nationale Zentralbanken. Richtig ist, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken gemäß Art 282 Abs 1 Satz 1 AEUV das ESZB bilden. Art 14.1. der – dem AEUV gemäß dessen Art 129 Abs 2 als Protokoll (Nr 4) angehängten – Satzung des ESZB und der EZB verpflichtet jeden Mitgliedstaat sicherzustellen, 'dass seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung seiner Zentralbank mit den Verträgen und dieser Satzung im Einklang stehen'. Dem Unionsrecht ist daher zu entnehmen, dass die Zentralbanken der Mitgliedstaaten nicht Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, sondern (weiterhin) Einrichtungen der Mitgliedstaaten sind (...).

1.3. Die Beklagte fällt somit nicht unter Art 51 Abs 1 Satz 1 erster Satzteil GRC (...).

2. Die Kläger halten die Bestimmung des Art 81 2. StabG 2012 idF BGBl I 2014/46 aber auch wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen der Art 130 f AEUV über die Unabhängigkeit der Zentralbanken für unanwendbar.

2.1. Sinn und Zweck der in Art 130 AEUV verankerten Unabhängigkeitsgarantie der EZB bzw des ESZB ist die Sicherung des Freiraums für eine Geldpolitik abseits von kurzfristigen Erwägungen der Politik. Das ESZB und seine Beschlussorgane sollen vor externen Einflussnahmen, die mit der Wahrnehmung der Aufgaben, die der AEUV und das Protokoll über das ESZB und die EZB dem ESZB übertragen, in Konflikt geraten könnten, geschützt werden. Die Vorschrift soll damit im Wesentlichen vor jedem politischen Druck schützen (...).

Die Unabhängigkeit des ESZB und seiner Beschlussorgane ist aber kein Selbstzweck (...). Deshalb hat auch bereits der EuGH in der Rechtssache C‑11/00 ausgesprochen, dass die Verfasser des EG-Vertrags die EZB ersichtlich keineswegs jeder Form normativen Handelns des Gemeinschaftsgesetzgebers entziehen wollten (Rn 135).

2.2. (...)

2.3. Art  130 (und 131) AEUV führt – wie bereits vom VfGH in seinem Erkenntnis G 478/2015 [Pkt IV.2.2.3.2.2] ausgesprochen – nicht zu einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einer bestimmten Ausgestaltung von Pensionsregelungen für die Mitarbeiter und Organe nationaler Notenbanken. Die inhaltliche Ausgestaltung gesetzlicher Versorgungssysteme obliegt allein den Mitgliedstaaten. ...

2.4. (...) Zumal Art 81 2. StabG 2012 ein zulässiges Ziel verfolgt und nicht einmal im Ansatz ersichtlich ist, dass durch die betreffende Maßnahme des – durch freie Wahlen legitimierten – österreichischen Gesetzgebers auf die Beklagte politischer Druck ausgeübt und damit unzulässig in deren Unabhängigkeit eingegriffen würde, liegt eine Verletzung von Art 131 f AEUV offenkundig nicht vor.

2.6. Wenn sich die Kläger ergänzend auf Art 36.1 der Satzung des ESZB und der EZB berufen, wonach der EZB-Rat auf Vorschlag des Direktoriums die Beschäftigungsbedingungen für das Personal der EZB festlegt, so genügt der Hinweis, dass die Beklagte – wie bereits ausgeführt – keine Einrichtung und sonstige Stelle der Union und auch keine Untergliederung der EZB ist.

Im Unterschied zum der Entscheidung 9 ObA 82/19b zugrundeliegenden Sachverhalt steht die Zweitklägerin hier noch in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis. Der erkennende Senat sieht jedoch aufgrund der Revisionsausführungen, die letztlich keine über die behandelten Aspekte hinausgehenden Argumente aufzeigen, auch unter diesem Aspekt keinen Anlass für ein Abgehen von dieser rechtlichen Beurteilung.

Die Klägerin releviert zwar einen Verstoß gegen Art 2 RL 2000/78/EG wegen mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Alters, weil die später eingetretenen und in der Regel jüngeren Mitarbeiter der Beklagten, für die andere Vertragsschablonen gelten, keinen vergleichbaren Beschränkungen unterworfen seien, zeigt aber auch damit keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Bei der Beklagten wurden in der Vergangenheit wiederholt mit jeweils auf den Eintrittstag bezogenen Änderungen der Dienstbestimmungen Gruppen von Arbeitnehmern geschaffen, die unterschiedlichen Regelungen unterliegen und deren Lage aus diesem Grund, worauf bereits das Berufungsgericht verwiesen hat, nicht unmittelbar vergleichbar ist (zur Zulässigkeit stichtagsbezogener Verschlechterungen im Spannungsfeld der Diskriminierung wegen Alters vgl EuGH Rs C‑154/18). Der parallele Bestand unterschiedlicher vertraglicher Systeme bedeutet nicht, dass ältere Regelungen, die für andere Gruppen von vornherein nicht gelten, in Zukunft einzementiert bleiben müssen und keiner verschlechternden Veränderung mehr unterliegen können.

Im Übrigen wäre selbst ausgehend von der Anwendbarkeit der Grundrechtecharta unter Beachtung des weiten Spielraums der Mitgliedstaaten bei der Verfolgung der Ziele im Bereich der Arbeits‑ und Sozialpolitik (so etwa EuGH Rs HK Danmark C‑476/11 EU:C:2013:590 Rn 60) mit den Ausführungen der Revision nicht nachgewiesen, dass der Gesetzgeber bei den der Rechnungshofkontrolle unterliegenden staatsnahen Unternehmen unter Berücksichtigung der begleitenden Regelungen seinen Gestaltungsspielraum überschritten hätte (zusammenfassend etwa VfGH G 478/2015 ua Punkt 2.4.2.8.; zu den Schranken der mit der Grundrechtecharta eingeräumten Rechte allgemein etwa Rumler‑Korinek/Vranes in Holoubek/Lienbacher GRC‑Kommentar Art 52 Rz 10 ff; zur Beurteilung durch die nationalen Gerichte Rs Hk Danmark aaO Rn 68).

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