European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00012.24K.0312.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * C* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie in der Zeit von April 2020 bis 20. Juli 2022 in D* gegen den am * 2013 geborenen * S* und damit gegen eine unmündige Person länger als ein Jahr hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie ihn regelmäßig und wiederholt – zumindest zweimal in der Woche – mit der flachen Hand oder der Faust gegen die Schulter, die Arme, den Rücken oder ins Gesicht schlug, ihn zum Teil an den Ohren zog oder ihm einen Tritt versetzte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, „9“, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
[4] Entgegen der Kritik der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) sind die Feststellungen zur Dichte der Gewaltausübung (vgl RIS‑Justiz RS0127377), wonach die Angeklagte S* im Zeitraum von April 2020 bis 20. Juli 2022 „zumindest zwei Mal wöchentlich“ schlug (US 2 f), nicht undeutlich (RIS-Justiz RS0117995, RS0099425).
[5] Der in der Beweiswürdigung angesprochene Umstand, die Angeklagte habe vor der Polizei selbst ausgeführt, dass sie mit den Tätlichkeiten gegen S* angefangen hätte, „als er sechs oder sieben Jahre alt gewesen sei“ (US 9), ist – der Beschwerde zuwider – nicht aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall; siehe ON 7.5 S 4; RIS‑Justiz RS0099547).
[6] Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider begegnet die Ableitung der Urteilsaussagen zur inneren Tatseite aus der teilweise geständigen Verantwortung der Angeklagten sowie dem– detailliert beschriebenen (US 2 f) – äußeren Tatgeschehen (US 9) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken (RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882).
[7] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) unter Anstellung eigener beweiswürdigender Erwägungen eine Verletzung der Unschuldsvermutung (§ 8 StPO; siehe dazu Grabenwarter, WK‑StPO § 8 Rz 5) sowie des Zweifelsgrundsatzes (§ 14 StPO; Art 6 Abs 2 MRK) reklamiert, verfehlt sie den gesetzlichen Anfechtungsrahmen (RIS‑Justiz RS0117445, RS0102162). Mit dem Hinweis auf einzelne (im Rechtsmittel isoliert hervorgehobene und zum Teil unrichtig wiedergegebene) Passagen in Aussagen der Angeklagten sowie der Zeuginnen F*, T*, H*, Fr* und B*, auf einen Aktenvermerk der BH D* und auf die fehlende Dokumentation von in Österreich zugefügten Verletzungen (vgl nämlich ON 3.2, 4 und die Lichtbildbeilage ON 3.11) gelingt es der Beschwerde auch nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu erwecken.
[8] Die Geltendmachung materiell-rechtlicher Nichtigkeit erfordert unbedingtes Festhalten am konstatierten Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810). An diesen Anfechtungsvoraussetzungen scheitern die Rechts- und die Subsumtionsrüge (Z 9 [lit a] und 10) mit der Behauptung fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite. Denn nach den Feststellungen kam es der Angeklagten bei ihren Tätlichkeiten jeweils (also erkennbar bei jeder einzelnen Gewalthandlung) darauf an, S* am Körper zu misshandeln. Sie hielt es dabei jeweils ernstlich für möglich und fand sich damit ab, in der Zeit von April 2020 bis 20. Juli 2022 dem Unmündigen gegenüber regelmäßig und über einen längeren Zeitraum fortgesetzt Gewaltakte zu setzen. Dabei nahm sie es im gesamten Tatzeitraum und bereits von Beginn an bei sämtlichen beschriebenen Tathandlungen jeweils billigend in Kauf (vgl RIS‑Justiz RS0088934 [T8]), länger als ein Jahr Gewalt gegen das unmündige Opfer auszuüben (US 3). Weshalb diese Feststellungen keinen ausreichenden Sachverhaltsbezug aufweisen sollten und welche darüber hinausgehenden Feststellungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich sein sollten, lässt die Beschwerde nicht erkennen.
[9] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) ist das Opfer als Sohn des Lebensgefährten der Angeklagten (US 2) deren Angehöriger (§ 72 Abs 2 StGB), sodass der Heranziehung des Erschwerungsgrundes des § 33 Abs 2 Z 2 (erster Fall) StGB (US 12) keine Fehlbeurteilung zugrunde liegt.
[10] Die Wertung des langen – die Qualifikationsgrenze des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB um mehr als das Doppelte übersteigenden – Tatzeitraums als erschwerend verstößt der weiteren Beschwerdekritik zuwider nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB; RIS‑Justiz RS0091126 [T8]).
[11] Gleiches gilt für die aggravierende Berücksichtigung der Tatbegehung als Volljährige gegen eine minderjährige Person (§ 33 Abs 2 Z 1 StGB; vgl dazu 15 Os 138/20p Rz 15) sowie des Missbrauchs einer Autoritätsstellung (§ 33 Abs 2 Z 3 StGB; US 2), weil keiner der angeführten Umstände Tatbestandsmerkmal des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB ist (RIS‑Justiz RS0130193).
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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