European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00013.24I.0229.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Ausfertigung des Unzuständigkeitsurteils des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 17. Oktober 2023, GZ 17 U 190/23i‑27, in gekürzter Form verletzt § 270 Abs 4 StPO.
Gründe:
[1] Mit zu AZ 17 U 190/23i des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien eingebrachtem Strafantrag vom 11. Juli 2023 legte die Staatsanwaltschaft Wien N* K*, D* K* und Ni* K* jeweils ein als Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten zur Last. Dem Anklagetenor zufolge hätten die Genannten am 19. Mai 2023 in W* an einer Schlägerei tätlich teilgenommen, wodurch S* A* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) erlitt, nämlich einen verschobenen Nasenbeinbruch mit Nasenbluten, eine Prellung des rechten Brustkorbs sowie eine Verletzung des Zahns 33, indem sie ihn mehrmals stießen und mit den Fäusten auf ihn einschlugen. (ON 7).
[2] Aufgrund der von N* K* in der Hauptverhandlung am 17. Oktober 2023 getätigten Angaben, wonach Ni* K* dem Opfer auf die Nase geschlagen und letzteres nach diesem Schlag dort geblutet habe (ON 26, 5), erklärte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, den Strafantrag dahingehend „auszudehnen, dass bzgl. des Drittangeklagten Ni* K* noch der Vorwurf der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1 und 84 Abs 1 StGB kommt“ (ON 26, 6; siehe auch US 1).
[3] Daraufhin sprach das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit Unzuständigkeitsurteil vom selben Tag seine sachliche Unzuständigkeit aus (ON 26, 7).
[4] Dieses Urteil erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Die Urteilsausfertigung (ON 27) erfolgte in gekürzter Form. Sie enthält bloß einen Hinweis auf den „ausgedehnten“ Strafantrag, jedoch weder die als wahrscheinlich angenommenen Tatsachen noch eine Beweiswürdigung.
Rechtliche Beurteilung
[5] Die Ausfertigung des Urteils des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 17. Oktober 2023 (ON 27) steht – wie die Generalprokuratur in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes treffend aufzeigt – mit diesem nicht im Einklang:
[6] Die Strafprozessordnung enthält drei Arten von Urteilen: Freispruch (§ 259 [Z 1 bis 3] StPO), Schuldspruch (§ 260 StPO) und Unzuständigkeitsurteil (§§ 261, 488 Abs 3 StPO; Lendl, WK‑StPO Vor §§ 259, 260 Rz 4; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 5.171, 8.165).
[7] Nach § 270 Abs 4 StPO (iVm § 458 zweiter Satz) StPO kann das Urteil – wie hier im bezirksgerichtlichen Verfahren – in gekürzter Form ausgefertigt werden, wenn die Beteiligten des Verfahrens auf ein Rechtsmittel verzichten oder nicht innerhalb der dafür offen stehenden Frist ein Rechtsmittel anmelden, sofern keine zwei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe verhängt wird oder eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme oder ein Tätigkeitsverbot angeordnet worden sind. Die gekürzte Urteilsausfertigung hat zu enthalten:
1. die im Abs 2 leg cit genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe;
2. im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung sowie die für die Strafbemessung maßgebenden Umstände;
3. im Fall eines Freispruchs eine gedrängte Darstellung der dafür maßgebenden Gründe.
[8] Nach § 270 Abs 2 Z 4 StPO muss die Urteilsausfertigung – soweit hier von Bedeutung – den Ausspruch des Schöffengerichts über die Schuld des Angeklagten enthalten.
[9] Bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes geht hervor dass – ohne explizite Ausnahmeregelung für den Geltungsbereich (vgl zum geschworenengerichtlichen Verfahren § 342 erster Satz StPO) – das Regime des § 270 Abs 4 StPO auf das Unzuständigkeitsurteil nach § 261 StPO nicht anzuwenden ist, weil ein solches gerade keinen Ausspruch über die Schuld in Form eines Endurteils, das die Anklage erledigt, sondern bloß eine formale Zwischenerledigung ohne Klärung der Tatfrage in einem noch laufenden Verfahren darstellt (zum Formalurteil vgl RIS‑Justiz RS0125315; Lendl, WK‑StPO Vor §§ 259, 260 Rz 4, Lewisch, WK‑StPO § 261 Rz 7; zum Bezugspunkt eines Endurteils für die Ausfertigung in gekürzter Form vgl RIS‑Justiz RS0101750, RS0106580).
[10] Unzuständigkeitsurteile sind vielmehr zu begründen (Lewisch, WK‑StPO § 261 Rz 12 f; Schwingenschuh in Schmölzer/Mühlbacher, StPO§ 261 Rz 12). Dabei ist die Verdachtslage in Form eines Anschuldigungsbeweises festzustellen und die Beweiswürdigung hinsichtlich der für wahrscheinlich gehaltenen entscheidenden Tatsachen aufzunehmen (RIS‑Justiz RS0124012, RS0124013; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 37, 40/2).
[11] Die Ausfertigung des Unzuständigkeitsurteils des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien in gekürzter Form verletzt solcherart das Gesetz in der genannten Bestimmung.
[12] Da die zitierten Beweisergebnisse der Hauptverhandlung vom 17. Oktober 2023 in Zusammenschau mit dem im Strafantrag (ON 7) beschriebenen, verschobenen Nasenbeinbruch die Annahme einer in die Kompetenz des Einzelrichters des Landesgerichts fallenden strafbaren Handlung (§§ 83, 84 Abs 1 StGB) im Sinn eines Anschuldigungsbeweises tragen und die Verfahrensbeteiligten kein Rechtsmittel erhoben haben, wirkt die Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil der Angeklagten. Es hat damit mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 vorletzter Satz StPO).
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