OGH 13Os123/23x

OGH13Os123/23x21.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Februar 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Flickinger in der Strafsache gegen J* B* und eine Angeklagte wegen Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen sowie im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung der * G* in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten J* B* sowie die Berufungen der Angeklagten * G* und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 9. August 2023, GZ 30 Hv 36/23d‑129, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter‑Longitsch LL.M., der Angeklagten J* B* und * G* sowie deren Verteidiger Rechtsanwalt Mag. Schirnhofer und Rechtsanwältin Mag. Scheed zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00123.23X.0221.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch des J* B* (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

J* B* wird für die ihm zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich die Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach §§ 2, 12 dritter Fall, 107b Abs 1 und 3a Z 1 StGB und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 2, 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 86 Abs 2 StGB zu einer

Freiheitsstrafe von zehn Jahren

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die vom 26. Oktober 2022, 10:55 Uhr, bis zum 28. Oktober 2022, 17:00 Uhr, und vom 22. November 2022, 21:56 Uhr, bis zum 9. August 2023, 16:17 Uhr, erlittene Vorhaft auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte J* B* und die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Genannten auf die Strafneubemessung verwiesen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten * G*, nicht jedoch jener der Genannten wird Folge gegeben und die über * G* verhängte Freiheitsstrafe auf achtzehn Jahre erhöht.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden * G* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3a Z 1 StGB (A I) und des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (A II) sowie J* B* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach §§ 2, 12 dritter Fall, 107b Abs 1 und 3a Z 1 StGB (B I) und des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 2, 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB (B II) schuldig erkannt und hiefür zu Freiheitsstrafen verurteilt.

[2] Unter einem wurde die strafrechtliche Unterbringung der * G* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

 

[3] Danach haben in S*

A) * G*

I) ab Ende September 2022 bis zum 21. Oktober 2022 gegen eine unmündige Person, nämlich gegen ihren am 4. September 2022 geborenen Sohn E* B*, eine längere Zeit hindurch dadurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, dass sie den Säugling mehrmals am Körper misshandelte und am Körper verletzte, indem sie ihm Schläge mit der flachen Hand in das Gesicht versetzte, ihn schüttelte und ihn wiederholt mit der Hand am Hals erfasste, ihm die Luftzufuhr abschnitt, bis sich sein Gesicht bläulich verfärbte, dann losließ und den Vorgang mehrmals wiederholte, wodurch E* B* Schmerzen, ein Hämatom im Bereich des Auges und Blutungen unter die harte Hirnhaut und in die weichen Hirnhäute sowie durch den Sauerstoffmangel bedingte Hirnschädigungen erlitt, und

II) am 22. Oktober 2022 E* B* vorsätzlich (RIS‑Justiz RS0089093, RS0089114 [T4] und RS0113270 [T1]) getötet, indem sie den Säugling sieben bis zehn Mal heftig schüttelte und ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, wodurch dieser massive multiple Verletzungen der Hirnhäute und des Gehirns mit Einblutungen in wesentlichen Anteilen des Schädels mit terminaler Sauerstoffmangelschädigung erlitt, die seinen Tod zur Folge hatten, und

B) J* B*

I) ab Ende September 2022 bis zum 21. Oktober 2022 zu der unter A I und

II) am 22. Oktober 2022 zu der unter A II

dargestellten strafbaren Handlung der * G* durch Unterlassen deren ihm möglicher Verhinderung entgegen der ihm als Vater des Opfers zukommenden Erfolgsabwendungspflicht (§ 2 StGB) beigetragen, wobei zu B II sein Vorsatz darauf gerichtet war, dass die Genannte seinen Sohn E* B* verletzt und er hinsichtlich der Todesfolge fahrlässig handelte.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten J* B*, die zutreffend einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot geltend macht.

[5] J* B* wird die Begehung der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3a Z 1 StGB und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB jeweils als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) durch Unterlassung (§ 2 StGB) angelastet.

[6] Beitragstäterschaft durch Unterlassung im Sinn des § 2 StGB setzt voraus, dass dem Beitragstäter Garantenstellung zukommt (Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 91). Die Garantenstellung, aus der die Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung (Garantenpflicht) folgt, ist objektives Tatbestandsmerkmal der Unterlassungsdelikte nach § 2 StGB (Leukauf/Steininger/Stricker, StGB4 § 2 Rz 14 f; Lehmkuhl in WK² StGB § 2 Rz 68 mwN).

[7] Die Garantenstellung des Angeklagten J* B* basiert nach dem Wahrspruch der Geschworenen allein auf seiner Vaterschaft (US 6 und 9) und der daraus gemäß § 137 ABGB resultierenden Personenfürsorgepflicht gegenüber seinem Kind (vgl Lehmkuhl in WK² StGB § 2 Rz 86 f).

[8] Solcherart bestimmte seine Vaterschaft bereits die Subsumtion, weshalb die erschwerende Berücksichtigung der – durch die Vaterschaft begründeten (§ 72 Abs 1 StGB) – Angehörigeneigenschaft (§ 33 Abs 2 Z 2 StGB, US 19) gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB verstößt (RIS‑Justiz RS0130193 [insbesondere T11]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 711).

[9] Das angefochtene Urteil war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – wie aus dem Tenor ersichtlich aufzuheben und es war in diesem Umfang in der Sache selbst zu erkennen (§ 351 StPO).

[10] Bei der Strafneumessung wertete der Oberste Gerichtshof als mildernd, dass sich J* B* lediglich dadurch strafbar gemacht hat, dass er es in Fällen, in denen das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolgs mit Strafe bedroht, unterlassen hat, den Erfolg abzuwenden (§ 34 Abs 1 Z 5 StGB), sich selbst gestellt hat, obwohl er leicht hätte entfliehen können (§ 34 Abs 1 Z 16 StGB), und dass er (hinsichtlich der von den Schuldsprüchen A I und B I umfassten Taten) wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB), als erschwerend hingegen das Zusammentreffen von zwei Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), die Vorverurteilungen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) und die vorsätzliche Begehung je einer strafbaren Handlung nach dem ersten und dem dritten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB als Volljähriger gegen eine minderjährige Person (§ 33 Abs 2 Z 1 StGB).

[11] Im Rahmen der Gewichtung der Schuld nach § 32 StGB war das äußerst geringe Alter des Opfers (vgl RIS‑Justiz RS0090958) zum Nachteil in Rechnung zu stellen, zum Vorteil die – wenn auch nicht als reumütiges Geständnis im Sinn des § 34 Abs 1 Z 17 StGB zu wertende – Schuldeinsicht.

[12] Davon ausgehend (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der dargestellten besonderen Erschwerungs- und Milderungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich die verhängte Strafe als angemessen.

[13] Die Anrechnung der Vorhaftzeiten beruht auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB. Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in der Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 StPO die Vorsitzende des Erstgerichts mit Beschluss zu entscheiden.

[14] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte J* B* und die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Genannten auf die Strafneubemessung zu verweisen.

 

[15] Mit den Berufungen der Angeklagten * G* und der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Genannten strebt Erstere eine Reduktion, Zweitere eine Erhöhung der Freiheitsstrafe an. Nur der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu:

[16] Das Erstgericht verurteilte die Angeklagte * G* unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 19 Abs 4 Z 1 JGG nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren. Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen zweier Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), die einschlägige Vorstrafe (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB), das Ausnützen der Wehr- und Hilflosigkeit des Opfers (§ 33 Abs 1 Z 7 StGB) und die vorsätzliche Begehung je einer strafbaren Handlung nach dem ersten und dem dritten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB als Volljährige gegen eine minderjährige Person (§ 33 Abs 2 Z 1 StGB) sowie gegen einen Angehörigen im Sinn des § 72 Abs 1 StGB (§ 33 Abs 2 Z 2 StGB) als erschwerend. Als mildernd berücksichtigte es die Einschränkung der Dispositionsfähigkeit durch die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung und die Begehung der Taten nach Vollendung des achtzehnten, jedoch vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB).

[17] Im Rahmen der Gewichtung der Schuld nach § 32 StGB stellte es das äußerst geringe Alter des Opfers (vgl RIS‑Justiz RS0090958) zum Nachteil in Rechnung.

[18] Dem Rechtsmittelvorbringen der Angeklagten * G* zuwider hat das Erstgericht schon aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Univ.‑Doz. Dr. H*, wonach die Angeklagte immer gewusst habe, was Unrecht ist, und sich entscheiden konnte, „das zu tun oder nicht zu tun“, und wonach ihr aufgrund der Impulsivität und der Gesamtstörung „eine gewisse Herabminderung der Steuerungsfähigkeit zuzubilligen“ wäre (ON 120 S 22 ff, insbesondere S 27), den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 11 StGB zu Recht nicht in Anschlag gebracht.

[19] Zutreffend zeigt hingegen die Staatsanwaltschaft auf, dass die Tatbegehung auf eine grausame und für das Opfer qualvolle Weise (§ 33 Abs 1 Z 6 StGB) aggravierend zu berücksichtigen ist.

[20] Ausgehend vom außerordentlich hohen Schuldgehalt (§ 32 Abs 1 StGB), der sich in der wochenlangen, äußerst brutalen Tatbegehung gegenüber dem eigenen Säugling manifestiert (§ 32 Abs 2 und 3 StGB) sowie unter Berücksichtigung der – zum Nachteil der Angeklagten korrigierten – besonderen Eschwerungs‑ und Milderungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich die vom Erstgericht ausgesprochene Sanktion einer Reduktion keinesfalls zugänglich, sondern war sie wie im Tenor ersichtlich angemessen zu erhöhen.

 

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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