European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00007.24X.0220.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption
Spruch:
Das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 2. Mai 2023, GZ 48 Hv 99/22d‑88.4, verletzt in Punkt A/I/ des Schuldspruchs § 302 Abs 1 StGB.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im (gesamten) Punkt A/ des Schuldspruchs, demgemäß auch im Dr. S* betreffenden Strafausspruch aufgehoben, und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Gründe:
[1] Mit (gemäß § 270 Abs 4 StPO) gekürzt ausgefertigtem Urteil wurde – soweit hier relevant – Dr. * S* des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (A/I/) und des Vergehens der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB (A/II/) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] Nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat er
A/ am 20. Juli 2021 in H*
I/ „als Schlachttier- und Fleischuntersuchungsorgan bzw als behördlich beauftragter amtlicher Tierarzt (§ 8 Tierschutz‑Schlachtverordnung iVm § 6 TierschutzKontrollverordnung)“, mithin als Beamter im strafrechtlichen Sinn, mit dem Vorsatz, (zu ergänzen: dadurch) „den Staat an dessen Recht auf ordnungsgemäße Prüfung auf Einhaltung der Bestimmungen der Tierschutz‑Schlachtverordnung, insbesondere im Hinblick auf rituelle Schlachtungen im Sinne von § 11 Tierschutz‑Schlachtverordnung sowie von § 32 Abs 5 Tierschutzgesetz sowie des Anhanges A der Tierschutz-Schlachtverordnung iVm § 8 Tierschutz‑Schlachtverordnung, zu schädigen“, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich die Aufsicht über rituelle Schächtungen, vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er abweichend vom einschlägigen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 29. Juni 2021 und „von den bezeichneten Rechtsgrundlagen“ nicht während der gesamten Schlachtung sämtlicher Schafe (213 Tiere) anwesend war, sich keinen Identitätsnachweis von den den Schächtschnitt vornehmenden Personen vorzeigen ließ, nicht dafür Sorge trug, dass der Schächtschnitt tatsächlich nur von den im Bescheid genannten Personen durchgeführt wird, das Vorliegen eines entsprechenden Zertifikats oder eines Sachkundenachweises oder Prüfungsnachweises bei den jeweils die Schächtung oder die Betäubung durchführenden Personen nicht kontrollierte, die Einhaltung der Vorschriften der Tierschutz-Schlachtverordnung einschließlich deren Anhanges A sowie des § 32 Abs 5 TierschutzG nicht überwachte und einen tierschutzkonformen Ablauf der Schächtungen nicht sicherstellte, nicht Sorge für eine ordnungsgemäße Fixierung der Schlachttiere und unmittelbar nach dem Schächtschnitt folgende Betäubung sowie einen ordnungsgemäßen Schächtschnitt trug, selbst die Schafe erst mit zum Teil erheblicher Verzögerung betäubte, in keinem einzigen Fall den Betäubungserfolg überprüfte und zum Teil bei offensichtlich erfolglosen Betäubungen keine weiteren Betäubungsmaßnahmen setzte;
II/ durch die zu Punkt I/ genannte Tat Tiere, nämlich Schafe, die im Rahmen des muslimischen Opferfestes einer rituellen Schächtung (ohne vorangegangene Betäubung) zugeführt wurden, roh misshandelt und ihnen unnötige Qualen zugefügt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dieses Urteil steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Wahrungsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[4] Ein Schuldspruch nach § 302 Abs 1 StGB setzt hinreichende Feststellungen zum Schädigungsvorsatz des Beamten voraus. Bezieht sich der Schädigungsvorsatz auf ein Recht des Staates, darf sich dieses nicht in dem Anspruch erschöpfen, dass sich der Beamte den Vorschriften entsprechend verhält, somit keinen Befugnismissbrauch begeht (10 Os 117/77 [verst Senat]; RIS‑Justiz RS0096270 [T9, T10, T12, T14 ua]; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 159 ff). Genau dies bringt das oben wiedergegebene Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) des angefochtenen Urteils (bloß) zum Ausdruck. Denn das Unterlassen einer ordnungsgemäßen (also im Einklang mit Gesetz und Verordnungen stehenden) Kontrolle der Einhaltung einschlägiger (Tierschutz‑)Vorschriften ist einerseits Teil des inkriminierten Befugnisfehlgebrauchs, während der auf Durchführung dieser Kontrolle bezogene staatliche Anspruch andererseits den (ausschließlichen) Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes bildet.
[5] Auch die Darstellung der als erwiesen angenommenen Tatsachen (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) verweist insoweit bloß auf deren Referat im Erkenntnis (US 9), weshalb der Schuldspruch zu A/I/ mit einem Rechtsfehler (mangels Feststellungen) behaftet ist und demgemäß § 302 Abs 1 StGB verletzt.
[6] Da diese Gesetzesverletzung geeignet ist, zum Nachteil des Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
[7] Die Aufhebung (auch) des Schuldspruchs zu A/II/ erfolgte in Ausübung des dem Obersten Gerichtshof von § 289 StPO eingeräumten Ermessens, um dem Erstgericht im weiteren Verfahren die umfassende strafrechtliche Prüfung des einheitlichen Geschehens zu ermöglichen und inhaltliche Nachteile für den Angeklagten Dr. S* im weiteren Verfahren hintanzuhalten (RIS‑Justiz RS0120632).
[8] Von der aufgehobenen Entscheidung rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).
Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein:
[9] Ist kein anderes (subjektives) Recht als Bezugspunkt des von § 302 Abs 1 StGB vorausgesetzten Schädigungsvorsatzes betroffen, wird zu prüfen sein, ob dieser auf die Beeinträchtigung des staatlichen Anspruchs, bestimmte Regelungszwecke (durch hoheitlichen Gesetzesvollzug) zu erreichen, gerichtet war (17 Os 24/17h; RIS‑Justiz RS0096141; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 163). Im Fall eines Schuldspruchs wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt werden solcherart vom Schädigungsvorsatz erfasste Regelungszwecke im Rahmen der Feststellungen konkret zu bezeichnen sein. In Betracht kommen hier ein den einschlägigen (durch Befugnisfehlgebrauch verletzten) Vorschriften entsprechender Tierschutz (vgl 17 Os 25/12y), und insbesondere der Schutzzweck, den geschächteten Tieren unnötige Schmerzen, Leiden, Schäden und schwere Angst zu ersparen (vgl § 32 Abs 3 TierschutzG).
[10] Im Fall einer neuerlichen Subsumtion des (tat-)einheitlichen Geschehens nach § 302 Abs 1 StGB kommt ein Schuldspruch (auch) nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB nicht in Betracht. Erfüllt nämlich das als Missbrauch der Amtsgewalt zu qualifizierende Verhalten auch den Tatbestand einer allgemein strafbaren Handlung, wird diese von Ersterem verdrängt, wenn dieses Verhalten wenigstens phasenweise den Befugnisfehlgebrauch im Sinn des § 302 Abs 1 StGB darstellt und (wie hier) die allgemein strafbare Handlung nicht strenger strafbedroht ist (RIS-Justiz RS0096344; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 214 [mwN und Hinweis auf die Annahme unterschiedlicher Scheinkonkurrenztypen in Rechtsprechung und Lehre]).
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