OGH 11Os143/23y

OGH11Os143/23y13.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. De Rijk als Schriftführerin in der Strafsache gegen * S* wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über 1. die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 18. September 2023, GZ 19 Hv 74/23y‑82.5, und 2. den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00143.23Y.0213.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz – des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er sich in Österreich ein ihm anvertrautes Gut in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich einen zuvor bei der A* GmbH erworbenen, jedoch noch nicht bezahlten Traubenvollernter im Wert von 124.950 Euro, den er nach Abschluss eines „Sale-and-Mietkauf-Back“-Vertrags mit der ab* GmbH „übereignet“ erhielt, zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2022 mit dem Vorsatz zugeeignet, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, und zwar dadurch, dass er diese Maschine für sich behielt, in sein Vermögen überführte (US 5: ihren Standort verheimlichte, sie veräußerte und den Verkaufserlös für andere Zwecke verwendete) und erklärte, sie sei von Mitarbeitern der AV* Ges.m.b.H abgeholt worden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses – dem vom Gericht bestellten Verfahrenshilfeverteidiger (ON 60) am 27. Oktober 2023 zugestellte – Urteil richtet sich die vom Verteidiger am 23. November 2023 ausgeführte und auf § 281 Abs 1 Z 1, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten (ON 91).

[4] Eine vom Angeklagten selbst (handschriftlich) am 20. Dezember 2023 angekündigte (ON 99) und am 27. Dezember 2023 (handschriftlich) ausgeführte „Ergänzung“ der Nichtigkeitsbeschwerde vom 27. Dezember 2023 langte am 8. Jänner 2024 beim Obersten Gerichtshof ein (ON 115.2).

[5] Weiters liegen – ebenfalls jeweils vom Angeklagten selbst handschriftlich verfasst – ein Antrag vom 20. Dezember 2023 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur neuerlichen Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (ON 99 S 2) sowie eine Äußerung vom 26. Dezember 2023 und eine Äußerung vom 27. Dezember 2023 zur Stellungnahme der Generalprokuratur (ON 7 und 8 der Os‑Akten) vor.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde (ON 91):

[6] Die Besetzungsrüge (Z 1) moniert, mangels Anführung der Namen der Schöffen „im Hauptverhandlungsprotokoll“ (offenbar gemeint: in der Übertragung der Ton- und Videoaufzeichnung der ohne Beiziehung eines Schriftführers abgehaltenen Hauptverhandlung [§ 271 Abs 4 zweiter Satz StPO]; ON 71.5 und ON 82.4) „könne nicht überprüft werden, ob die zugezogenen Schöffen aus der aktuellen Schöffenliste entnommen wurden und somit zum Richteramt berufen waren“ und „inwieweit hier gegebenenfalls Befangenheitsgründe auf der Seite der Schöffen vorliegen“.

[7] Dem ist zunächst zu entgegnen, dass aus dem jeweiligen Vermerk gemäß § 271 Abs 4 erster Satz StPO (ON 71.1 und ON 82.1) ebenso klar hervorgeht, welche (Ersatz-)Schöffen der Verhandlung am 28. August 2023 beiwohnten, wie der Umstand, dass am 18. September 2023 wegen der Verhinderung einer Hauptschöffin die Ersatzschöffin * H* an die Stelle der erwähnten Hauptschöffin trat (vgl auch ON 82.4 S 1 und ON 92; § 14 Abs 4 GschG). Dass vom gesetzlich determinierten Prinzip der Besetzung der Schöffen tatsächlich willkürlich und damit in sachlich unvertretbarer Weise abgewichen worden sein könnte (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 108; Fabrizy/Kirchbacher StPO14 § 281 Rz 21) oder dass die Schöffen befangen gewesen sein könnten, ist reine Spekulation des Beschwerdeführers (RIS‑Justiz RS0109958). Abgesehen davon kann grundsätzlich jedermann Einsicht in die Dienstlisten für Geschworene und Schöffen nehmen, sodass darauf bezogene (angebliche) Fehler spätestens am Beginn der Hauptverhandlung zugänglich und daher zu diesem Zeitpunkt zu rügen gewesen wären (vgl RIS‑Justiz RS0106091 [T2], RS0097452 [T15]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 93; Fabrizy/Kirchbacher StPO14 § 281 Rz 24). Wodurch der Angeklagte an einer solchen Rüge schon in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sein sollte, legt die Beschwerde im Übrigen nicht dar (RIS‑Justiz RS0119225).

[8] Dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter die vom Angeklagten vorgelegten Kontoauszüge und Rechnungsblöcke, die Angaben der Zeugin Sc* sowie die leugnende Verantwortung des Angeklagten und die der ON 5 angeschlossenen Urkunden gar wohl in ihre Überlegungen einbezogen (US 6 ff). Dass aus den Beweisergebnissen nicht die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlussfolgerungen gezogen wurden, ist als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nicht bekämpfbar (RIS‑Justiz RS0098400).

[9] Entgegen der weiteren Beschwerdekritik (Z 5 vierter Fall) ist die Ableitung der Feststellungen zum Verkauf der Erntemaschine (US 5) aus der prekären finanziellen Lage des Angeklagten, dessen wiederholter Weigerung, den Standort der Maschine preiszugeben, der Verschweigung der (angeblich erfolgten) Abholung der Maschine und den Angaben des Angeklagten zur Kontaktierung durch konkrete Kaufinteressenten (US 7 ff) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

[10] Der Einwand von Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) scheitert schon daran, dass eine unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln gar nicht behauptet wird, sondern bloß die daraus gezogenen Schlussfolgerungen (vgl US 7 ff [zu der ON 5 angeschlossenen Urkunden]) kritisiert werden (RIS‑Justiz RS0099431).

[11] Indem der Beschwerdeführer die beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter bekämpft und diesen eigene Überlegungen gegenüberstellt, argumentiert er bloß nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, ohne Nichtigkeit in der Bedeutung der Z 5 (oder Z 5a) aufzuzeigen.

[12] Die Tatsachenrüge (Z 5a) bringt vor, im Zuge einer Verlegung des Angeklagten während der Untersuchungshaft seien Unterlagen (etwa ein weiterer Rechnungsblock zur Dokumentation „einer guten Auftragslage“) verloren gegangen (vgl auch ON 82.4 S 14 f und 18 f), welche der Angeklagte in der Hauptverhandlung letztlich nicht mehr zur Entkräftung der (vom Erstgericht als erheblich für die Feststellung entscheidender Tatsachen beurteilten) Annahme einer „tristen finanziellen Lage“ (US 3, 5; vgl zur Gesamtschau hinsichtlich zahlreicher Beweisergebnisse unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der Urteilsfällung vorhandenen Unterlagen: US 7) habe vorlegen können.

[13] Der Nichtigkeitsgrund nach Z 5a greift seinem Wesen nach jedoch erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder hätten vorkommen können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Nur über dieser Schwelle liegende Bedenken sind Maßstab dieses Nichtigkeitsgrundes, dessen prozessordnungskonforme Darstellung den konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiserwägungen erfordert (RIS‑Justiz RS0119583, RS0118780).

[14] Auf – schon nach dem Beschwerdevorbringen –  im Urteilszeitpunkt nicht bei den Akten befindliches Beweismaterial kann die Tatsachenrüge hingegen nicht gestützt werden (vgl RIS‑Justiz RS0117516). Unter dem Aspekt einer allenfalls intendierten Aufklärungsrüge wird im Rechtsmittel nicht dargetan, wodurch der von einem Verteidigter vertretene Angeklagte an geeigneter Antragstellung gehindert gewesen wäre (vgl RIS‑Justiz RS0114036).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Auf Ergänzungen des Vorbringens in den erwähnten Eingaben des Angeklagten war nicht Bedacht zu nehmen, weil das Gesetz nur die einmalige Ausführung der Beschwerdegründe vorsieht (RIS‑Justiz RS0100152, RS0097061). Aus der Zurückweisung folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[16] Mit Blick auf das Vorbringen, (aus Sicht des Angeklagten) entlastende Unterlagen seien nach der Hauptverhandlung (und Urteilsfällung) wieder aufgefunden worden (siehe dazu auch ON 1.44, 1.66, 1.67, ON 86, 87), sei hinzugefügt, dass das Vorbringen neuer Tatsachen oder Beweismittel nur zum Gegenstand eines Wiederaufnahmeantrags gemacht werden kann (§ 353 StPO).

 

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

[17] Da die Nichtigkeitsbeschwerde vom Verteidiger des Angeklagten rechtzeitig angemeldet und auch ausgeführt wurde, war der vom Angeklagten nachträglich persönlich gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – mangels Fristversäumung – als gegenstandslos zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0101189; Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 7, 9 mwN).

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf den Antrag auf Wiedereinsetzung, weil es dadurch zu keinem Rechtsmittelverfahren im Sinn des § 390a Abs 1 StPO gekommen ist (RIS-Justiz RS0101552; Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 19).

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