OGH 6Ob38/23s

OGH6Ob38/23s17.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revisionen beider Parteien gegen dasUrteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. November 2020, GZ 3 R 128/20v‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 14. August 2020, GZ 4 Cg 67/19w‑9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00038.23S.0117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Datenschutzrecht, Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Das Verfahren wird, soweit es mit Beschluss vom 6. August 2021, AZ 6 Ob 48/21h, unterbrochen wurde, das ist hinsichtlich Punkt 4. des Urteilsspruchs des Berufungsgerichts, fortgesetzt.

II. Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang von Punkt 4. des Urteilsspruchs des Berufungsgerichts (Punkt 3.2. des Urteilsspruchs des Erstgerichts) aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

In diesem Umfang sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die klagende Partei ist ein klageberechtigter Verein im Sinn des § 29 KSchG.

[2] Die Beklagte ist ein österreichweit tätiges Versandhandelsunternehmen, das laufend mit Verbrauchern Verträge abschließt.

 

Bisheriger Verfahrensgang:

[3] Der klagende Verband begehrte die Unterlassung der Verwendung zweier Klauseln sowie die Unterlassung zweier Geschäftspraktiken.

[4] Mit Teilurteil vom 6. 8. 2021 (6 Ob 48/21h JBl 2022, 100 [Heinrich‑Pendl]) bestätigte der Oberste Gerichtshof die von der Beklagten bekämpfte Klagestattgebung betreffend die Klausel 1, gab der Revision der Beklagten betreffend die Geschäftspraktik 1 Folge und stellte insofern die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts wieder her und behielt die Entscheidung über die von beiden Parteien gestellten Veröffentlichungsbegehren der Endentscheidung vor.

[5] Hinsichtlich der Geschäftspraktik 2 (Punkt 4. des Urteilsspruchs des Berufungsgerichts) wurde das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 25. 11. 2020 zu 6 Ob 77/20x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

 

Zu I.:

[6] Mit Beschluss vom 18. 5. 2022 (6 Ob 77/20x) zog der Oberste Gerichtshof diesen Antrag auf Vorabentscheidung, der beim EuGH zu C‑701/20 anhängig war, zurück. Die Zurückziehung erfolgte, weil der EuGH im Verfahren C‑319/20 (Meta Platforms Ireland, ECLI:EU:C:2022:322) mit Urteil vom 28. 4. 2022 die vom deutschen Bundesgerichtshof ident gestellte Frage beantwortet hatte. Das Verfahren über die Revision der Klägerin ist daher fortzusetzen.

 

Zu II.:

[7] Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist das Klagebegehren, der Beklagten gemäß § 28a KSchG zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern im Zusammenhang mit Verbraucherkreditverhältnissen die Bonitätsprüfung bei der Kreditvergabe anhand eines Scoring vorzunehmen, ohne dem Verbraucher das Recht einzuräumen, seinen eigenen Standpunkt darzulegen und seine Einstufung anzufechten (Geschäftspraktik 2).

[8] In der Datenschutzinformation der Beklagten (www.*.at/datenschutz) finden sich die Informationen zur Bonitätsprüfung. Diese lauten auszugsweise:

„3.2.2.2. Bonitätsprüfungen:

Wenn Sie im Rahmen einer Bestellung eine sogenannte unsichere Zahlungsart (Rechnungs- oder Ratenkauf) ausgewählt haben, gilt das Folgende:

[Die Beklagte] und andere Versandhandels unternehmen der O*-Group räumen ihren Kunden grundsätzlich die Möglichkeit ein, Waren unter Anspruchnahme unsicherer Zahlungsarten (z.B. Rechnungskauf, Finanzierungskauf) zu erwerben.

[...]

Wir sind in den Fällen, in denen ein Kunde auf eine unsichere Zahlungsart bestellen möchte, dazu berechtigt, im Rahmen der Bestellung erhaltene Informationen zur Berechnung einer Ausfallswahrscheinlichkeit zu nutzen (internes Scoring). Die Berechnung der Ausfallswahrscheinlichkeit mittels des internen Scoring basiert auf einem anerkannten mathematisch statistischen Verfahren. Die im Rahmen des internen Scoring genutzten Daten resultieren insbesondere aus einer Kombination der folgenden Datenkategorien (nicht abschließend): Adressdaten, Alter, gewünschte Zahlungskonditionen, Bestellweg und Sortimentsgruppen. Im Rahmen des internen Scoring werden nur solche Daten genutzt, die der Kunde uns gegenüber selbst angegeben hat. Anhand der benannten Datenkategorien können auf Grund des eingesetzten mathematisch statistischen Verfahrens Rückschlüsse auf die Zahlungsausfallswahrscheinlichkeit getroffen werden. So kann beispielsweise ein bestimmter Wohnort des Bestellenden, kombiniert mit einer bestimmten Warenkategorie, zu einer erhöhten Zahlungsausfallwahrscheinlichkeit und somit einer Zahlarteneinschränkung führen. Es erfolgt keine Zahlungsarteneinschränkung alleinig auf Basis des Wohnorts des Bestellenden. Darüber hinaus ist es z.B. statistisch nachgewiesen, dass bei der Nutzung eines kostenpflichtigen E-Mail-Providers ein geringeres Zahlungsausfallrisiko besteht als dies bei der Nutzung eines kostenlosen Anbieters der Fall ist. Im Rahmen der Prüfung, ob eine unsichere Zahlungsart (Raten‑/Rechnungskauf) eingeräumt werden kann, sind wir auch dazu berechtigt, Bonitätsinformation über Sie bei einer externen Auskunftei einzuholen. Wir arbeiten mit der folgenden Auskunftei zusammen [...].

[...]

Wir können im Rahmen der Bonitätsprüfung mittels des Einsatzes eines automatisierten Prozesses entscheiden, ob Ihnen die gewünschte unsichere Zahlungsart (Raten‑/Rechnungskauf) eingeräumt wird. So kann z.B. bei der Übermittlung einer negativen Bonitätsauskunft durch eine Auskunftei oder bei der Berechnung eines nicht ausreichenden Scorewertes im Rahmen des internen Scoring automatisiert eine Ablehnung der gewünschten Zahlungsart erfolgen. Sie können uns gegenüber das Recht geltend machen, dass wir eine manuelle Überprüfung der automatisierten Entscheidung vornehmen. Darüber hinaus haben Sie das Recht auf Darlegung des eigenen Standpunktes sowie das Recht auf Anfechtung der Entscheidung.

Die Verarbeitung ihrer Daten im Rahmen der Bonitätsprüfung erfolgt auf Basis von Artikel 6 Abs 1b DSGVO und Artikel 6 Abs 1f DSGVO. Wir haben grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Vornahme einer Bonitätsprüfung bei der Auswahl einer unsicheren Zahlungsart (Raten‑/Rechnungskauf) durch Sie.“

[9] Unter dem Schlagwort „Datenschutzhinweis“ und dem Text „Auskunft zu Zahlungsarteinschränkungen: Sie möchten wissen, warum Sie nicht alle Zahlungsarten bei uns nutzen können? Wir geben Ihnen gerne hier Auskunft.“ gelangt der Kunde zu einem Link mit dem Titel „Auskunft anfordern“.

[10] Über 90 % der Bestellungen bei der Beklagten erfolgen online, die restlichen 10 % telefonisch. Der Durchschnittsbestellwert liegt bei 650 EUR.

[11] Im Fall einer Online-Bestellung ist die Zahlungsart „Kauf auf Rechnung“ voreingestellt. Wenn ein Kunde Teilzahlung will, muss er die Zahlungsmöglichkeit von sich aus ändern.

[12] Bei einer Erstbestellung limitiert die Beklagte im Fall eines Raten- oder Rechnungskaufs den Bestellwert mit 500 EUR. Dieses Limit wird bei Folgebestellungen sukzessive erhöht, wenn es zu keinen Zahlungsausfällen gekommen ist.

[13] Im Fall eines Neukunden, der auf offene Rechnung oder Teilzahlung bestellt, erfolgt automatisch eine Anfrage bei der Auskunftei mit den vom Kunden bekannt gegebenen Daten. Wenn der Kunde dort unbekannt ist, lehnt die Beklagte eine Geschäftsbeziehung mit Teilzahlung oder auf offene Rechnung ab und verständigt den Kunden, dass er über Kreditkarte oder PayPal beliefert würde. Wenn der Kunde bekannt ist, gibt es drei Möglichkeiten, Scorings mit drei verschiedenen Farben. Wenn die Farbe rot ist, wird ebenfalls die unsichere Zahlungsart abgelehnt, bei gelb prüft ein Mitarbeiter der Beklagten und bei grün wird die Bestellung angenommen. Im Fall eines gelben Scoring nimmt der Mitarbeiter selbst Einsicht in die Datenbank und entscheidet, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen der Auftrag freigegeben wird.

[14] Wenn ein Kunde von der Möglichkeit der Auskunftsanforderung Gebrauch macht, kommt es zu weiteren Informationseinholungen, beispielsweise der Aufforderung nach Einkommensnachweisen.

[15] Der klagende Verband begehrte, der Beklagten aufzutragen, es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern im Zusammenhang mit Verbraucherkreditverhältnissen zu unterlassen, die Bonitätsprüfung bei der Kreditvergabe anhand eines Scoring vorzunehmen, ohne dem Verbraucher das Recht einzuräumen, seinen eigenen Standpunkt darzulegen und seine Einstufung anzufechten (Geschäftspraktik 2).

[16] Er brachte vor, die Beklagte verstoße bei der Vergabe von Teilzahlungskrediten an Verbraucher systematisch gegen Art 22 DSGVO. Diese Bestimmung sei anzuwenden, wenn Entscheidungen mittels automatischer Verarbeitung getroffen würden, ohne dass ein Mensch den Entscheidungsgehalt überprüfe. Die menschliche Einflussnahme müsse zudem über eine bloß nachprüfende Kontrolle hinausgehen. Die Beklagte habe das Entscheiden ausschließlich mittels automatisiert generierter Daten zugestanden, indem sie vorgebracht habe, im Fall der Rückmeldungen der Auskunftei, dass über eine angefragte Person keine Informationen vorlägen oder dass diese mit einem „roten Score“ bewertet werde, einen Ratenkauf generell abzulehnen. Auch die Vorgangsweise bei Bewertung einer Person mit einem „gelben Score“ durch die Auskunftei begründe einen Verstoß gegen Art 22 DSGVO, weil die bloß finale Überprüfung der „Computerentscheidung“ durch einen Menschen nicht genüge. Unter den Begriff des Scoring falle auch das Profiling iSd Art 4 Z 4 DSGVO. Ein Scoring zur Bonitätsprüfung falle unter Art 22 DSGVO, wenn es die ausschließliche Grundlage für den Verbraucherkreditabschluss sei; das sei hier der Fall. Die automatisierte Ablehnung eines Online-Kreditantrags oder ein Kreditscoring wie das verfahrensgegenständliche bewirkten eine erhebliche Beeinträchtigung der Verbraucher iSd Art 22 Abs 1 DSGVO, weil Verbraucherkreditverhältnisse wie die hier zu beurteilenden in der Regel von Personen eingegangen würden, die keinen Bankkredit für die jeweilige Anschaffung erhielten.

[17] Die automatisierte Entscheidung sei nicht erforderlich im Sinn der Ausnahme des Art 22 Abs 2 lit a DSGVO, weil die Beklagte Ratenkredite ohnehin nur bestehenden Kunden, nicht Neukunden anbiete und bei Stammkunden „sehr wohl andere effiziente Maßnahmen“ zielführend seien. Die Beklagte betreibe auch kein Massengeschäft unter Zeitdruck.

[18] Selbst wenn die automatisierte Entscheidung für den Abschluss oder die Erfüllung des Vertrags notwendig sei, müsse „das Profiling“ angemessenen Schutzmaßnahmen gemäß Art 22 Abs 3 DSGVO unterliegen. Erforderlich seien eine spezifische Unterrichtung der betroffenen Person sowie Ansprüche auf direktes Eingreifen einer Person auf Seiten des Verantwortlichen, auf Darlegung des eigenen Standpunkts und auf Erläuterung der nach einer entsprechenden Bewertung getroffenen Entscheidung sowie das Recht auf Anfechtung der Entscheidung. Darüber hinaus sei die von der Beklagten dargestellte Vorgangsweise bei Erteilung der Zustimmung zu den Datenschutzbestimmungen nicht ausreichend, weil sie sich nicht ausdrücklich auf die automatisierte Entscheidungsfindung beziehe. Es liege auch ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot des Art 7 DSGVO vor, weil den AGB und den Datenschutzbestimmungen nur gemeinsam zugestimmt werden könne.

[19] Die Beklagte wandte ein, der klagende Verband sei betreffend datenschutzrechtliche Informationspflichten nicht aktiv legitimiert.

[20] Aus Punkt 3.2.2.2. ihrer Datenschutzbestimmungen ergebe sich, dass sie keine lückenlose automatisierte Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der Bonitätsprüfung betreibe. Selbst wenn eine automatisierte Entscheidungsfindung vorläge, sei sie gemäß Art 22 Abs 2 lit a DSGVO zulässig, weil sie für den potentiellen Vertragsabschluss erforderlich sei. Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung der Beklagten sei Art 6 Abs 1 lit b DSGVO (potentieller Vertrag) sowie lit f, weil die Beklagte ein berechtigtes Interesse an einer Bonitätsprüfung zur Minimierung von Zahlungsausfällen habe. Sie weise darauf ebenso hin wie auf die dem Betroffenen zustehenden Rechte. Sie ermögliche auch die Erwirkung des Eingreifens einer Person, die Darlegung des eigenen Standpunkts und die Anfechtung der Entscheidung. Ein Verbot gegen das Koppelungsverbot liege nicht vor.

[21] Das Erstgericht wies das Klagebegehren hinsichtlich der Geschäftspraktik 2 ab, weil die Vorgangsweise der Beklagten im Einklang mit Art 22 DSGVO stehe.

[22] Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung mit der Begründung, dem klagenden Verband fehle die Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Datenschutzverstößen.

Rechtliche Beurteilung

[23] Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und hinsichtlich der Geschäftspraktik 2 auch berechtigt.

II.1. Zur Aktivlegitimation des klagenden Verbands

[24] II.1.1. In dem vom deutschen Bundesgerichtshof angestrengten Vorabentscheidungsersuchen C‑319/20 sprach der EuGH mit Urteil vom 28. 4. 2022 aus:

„Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten ohne entsprechenden Auftrag und unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte betroffener Personen Klage mit der Begründung erheben kann, dass gegen das Verbot der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken, ein Verbraucherschutzgesetz oder das Verbot der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen verstoßen worden sei, nicht entgegensteht, sofern die betreffende Datenverarbeitung die Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher Personen aus dieser Verordnung beeinträchtigen kann.“

[25] II.1.2. Aufgrund dieser Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH hat der Oberste Gerichtshof in Verfahren über Unterlassungsansprüche nach § 28 KSchG wegen unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Unionsrecht in Gestalt der DSGVO der Klagebefugnis des (auch hier) klagenden Vereins nicht entgegensteht (vgl 6 Ob 106/22i [Rz 10 f]; 6 Ob 215/22v [Rz 24 f]; 7 Ob 112/22d [Rz 13 f]).

[26] Das trifft auch auf die Aktivlegitimation für Klagen nach § 28a KSchG auf Unterlassung unzulässiger Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit den in § 28a Abs 1 KSchG angeführten verbraucherschutzrechtlichen Rechtsverhältnissen zu. Diese Beurteilung folgt daraus, dass der EuGH eine Verbandsklagebefugnis nicht nur im Hinblick auf die Verwendung unwirksamer AGB, sondern auch zur Geltendmachung von Verstößen gegen Verbraucherschutzgesetze als mit dem Rechtsschutzsystem der DSGVO vereinbar ansah.

[27] II.1.3. Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 4 Ob 84/19k steht der Aktivlegitimation des im vorliegenden Fall klagenden Verbands nicht entgegen, weil in jenem Verfahren nicht ein nach § 29 KSchG klagebefugter Verband, sondern die Interessenvertretung einer bestimmten Berufsgruppe als Klägerin aufgetreten war. Darüber hinaus ist die Entscheidung 4 Ob 48/19k am 26. 11. 2019, somit vor der Entscheidung des EuGH C‑319/20 ergangen, sodass aus der genannten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs keine der Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH zuwider laufenden Schlüsse gezogen werden können. Die Ausführungen Klausers zur mangelnden Klagebefugnis der in § 29 KSchG bezeichneten Verbände im Zusammenhang mit Datenschutzverstößen (Klauser, Rechtsdurchsetzung im Datenschutz nach der DSGVO und dem DSG 2018 idF des DS‑RegulierungsG 2018, VbR 2018/48, 89 [93]) sind durch die Rechtsprechung des EuGH mittlerweile überholt.

[28] II.1.4. Zweck der Verbandsklage nach § 28a KSchG ist es, Verhaltensweisen zu unterbinden, die im Widerspruch zum geltenden innerstaatlichen Recht stehen (10 Ob 13/17k [ErwGr I.4.1]; 4 Ob 74/22v [Rz 23]). Eine Aufzählung der gesetzlichen Gebote oder Verbote innerhalb der einzelnen Schutzbereiche ist in § 28a Abs 1 KSchG nicht enthalten, sodass alle gesetzlichen Maßnahmen von der Klagebefugnis erfasst sind, die dem Schutz der Verbraucher in den einzelnen Schutzbereichen des § 28a Abs 1 KSchG dienen (vgl 10 Ob 13/17k [ErwGr I.4.1]).

[29] Die vorliegende Verbandsklage betrifft den Schutz personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Verbraucherkreditverhältnissen, somit einen der in § 28a Abs 1 KSchG genannten Schutzbereiche. Die Aktivlegitimation des hier klagenden Verbands ist daher zu bejahen.

[30] II.1.5. Das vom deutschen Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 10. 11. 2022, I ZR 186/17 zur Verbandsklagebefugnis gestellte, beim EuGH zu C‑757/22 anhängige Vorabentscheidungsersuchen ist nicht einschlägig, weil ihm die Rechtsfrage zugrunde liegt, ob die Nichterfüllung von Informationspflichten über den Zweck der Datenverarbeitung und den Empfänger der personenbezogenen Daten als Verletzung von Rechten „infolge einer Verarbeitung“ im Sinn von Art 80 Abs 2 DSGVO anzusehen ist (vgl BGH I ZR 186/17 [Rz 10]).

[31] Das im vorliegenden Fall zu beurteilende Unterlassungsbegehren betrifft hingegen den behaupteten Verstoß gegen die Regelung der automatisierten Entscheidungsfindung gemäß Art 22 DSGVO, sodass die Aktivlegitimation des klagenden Verbands nicht von der dem EuGH vorgelegten Auslegungsfrage abhängt.

II.2. Zur Fassung des Unterlassungsbegehrens

[32] II.2.1. Die Berechtigung des Klagebegehrens lässt sich erst dann mit Erfolg beurteilen, wenn die in ihm genannte Rechtsfolge so bestimmt bezeichnet ist, dass sie mit den Tatsachenbehauptungen in der Klage in einen eindeutigen rechtlichen Konnex gebracht werden kann. Insofern besteht eine Wechselwirkung zwischen Unbestimmtheit und mangelnder Schlüssigkeit des Klagebegehrens (vgl 8 Ob 672/89).

[33] II.2.2. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Ist dies nicht möglich, ist es unschlüssig.

[34] Ein Klagebegehren ist in der Regel unbestimmt, wenn ein stattgebendes Urteil nicht Grundlage einer Exekution sein könnte (RS0000799 [T3]; RS0037452 [T3]). Welche Anforderungen an die Bestimmtheit des Klagebegehrens zu stellen sind, hängt auch von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts ab (4 Ob 118/12z [ErwGr 1.2.]).

[35] Bei der Formulierung von Unterlassungsbegehren muss beachtet werden, ob das Begehren hinreichend bestimmt ist, aber auch, ob es angesichts der behaupteten Rechtsverletzungen (materiell) zu weit geht (9 ObA 104/07w; vgl RS0037518). So geht die allgemeine Fassung des Unterlassungsbegehrens nicht so weit, dass etwa allgemeine Behauptungen verboten werden könnten; das Unterlassungsbegehren muss vielmehr konkretisiert werden (vgl RS0037634).

[36] II.2.3. Im vorliegenden Fall genügt das auf die Unterlassung der Geschäftspraktik 2 abzielende Klagebegehren den Anforderungen an die Bestimmtheit und Schlüssigkeit nicht, weil es sowohl an der erforderlichen Konkretisierung der zu unterlassenden Handlungen der Beklagten als auch an einem ausreichenden Bezug zur Verbotsnorm mangelt.

[37] II.2.4. Nach Art 22 Abs 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, die ihr gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt.

[38] Nach Art 22 Abs 2 lit a DSGVO – worauf sich die Beklagte stützt – gilt Abs 1 dieser Bestimmung nicht, wenn die Entscheidung für den Abschluss oder die Erfüllung eines Vertrags zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen erforderlich ist.

[39] Nach Art 22 Abs 3 DSGVO trifft der Verantwortliche in den in Abs 2 lit a und c genannten Fällen angemessene Maßnahmen, um die Rechte und Freiheiten sowie die berechtigten Interessen der betroffenen Person zu wahren, wozu mindestens das Recht auf Erwirkung des Eingreifens einer Person seitens des Verantwortlichen, auf Darlegung des eigenen Standpunkts und auf Anfechtung der Entscheidung gehört.

[40] Die Anwendung des Art 22 DSGVO – und damit eine Verletzung der darin normierten Rechte des Betroffenen bzw Pflichten des Verantwortlichen – setzt somit zunächst das Vorliegen einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung voraus. Nach der Struktur des Art 22 DSGVO normiert Abs 1 das Recht des Betroffenen, einer solchen Entscheidung (so sie ihm gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder er in ähnlicher Weise davon betroffen ist) nicht unterworfen zu sein, Abs 2 sieht Ausnahmen von diesem Recht vor. Abs 3 normiert Pflichten des Verantwortlichen für den Fall des (unter anderem) Abs 2 lit a, also für Fälle, in denen zwar eine automatisierte Entscheidungsfindung vorliegt, aber die Ausnahmebestimmung des Abs 2 lit a greift.

[41] II.2.5. Der klagende Verband begehrt das Verbot, „die Bonitätsprüfung anhand von Scoring vorzunehmen, ohne dem Verbraucher das Recht einzuräumen, seinen eigenen Standpunkt darzulegen und seine Einstufung anzufechten“.

[42] Die Verwendung des Wortes „Scoring“ lässt nicht erkennen, welche tatsächlichen Verhaltensweisen die Beklagte nach dem Klagebegehren unterlassen soll. Aus dem in erster Instanz erstatteten – allerdings über weite Teile primär Rechtsausführungen enthaltenden – Vorbringen des klagenden Verbands geht hervor, dass dieser eine automatisierte Entscheidungsfindung iSd Art 22 Abs 1 DSGVO insoweit beanstandet, als die beigezogene Auskunftei einen Neukunden der Beklagten nicht kennt oder ihn mit der Farbe (dem „Scoring“) Rot bewertet; bei einer Bewertung mit der Farbe Gelb erachtet der klagende Verband die von einer Person bei der Beklagten vorgenommene Prüfung als ungenügend. Diese Tatsachenkomplexe sind allerdings im Klagebegehren nicht abgebildet. Das im Unterlassungsbegehren gebrauchte Wort „Scoring“ beschreibt keine konkreten, im Fall der Klagestattgebung einer Exekution zugänglichen Verhaltensweisen.

[43] Das Klagebegehren ist auch insofern unschlüssig, als es auf die (bloße) Vornahme der Bonitätsprüfung abstellt, während die Klageerzählung die Verweigerung bestimmter Zahlungsarten in den Mittelpunkt stellt.

[44] Soweit das Klagebegehren auf die Verletzung des Rechts der Verbraucher auf Darlegung ihres Standpunkts und Anfechtung der Entscheidung abstellt, ersetzt das nicht die Konkretisierung jener tatsächlichen Umstände, aus denen der klagende Verband eine automatisierte Entscheidungsfindung ableitet, weil erst daraus die Rechte nach Art 22 Abs 3 DSGVO entstehen können.

[45] Das Unterlassungsbegehren zur Geschäftspraktik 2 in seiner derzeitigen Fassung erweist sich daher als sowohl unbestimmt als auch unschlüssig.

[46] II.2.6. Nach ständiger Rechtsprechung hat das Gericht, bevor es ein unbestimmtes oder unschlüssiges Begehren abweist, dessen Verbesserung anzuregen (RS0037166 [T1, T2, T5, T8]). Es darf die Parteien nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). Dies gilt auch für das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof (RS0037300 [T9]).

[47] Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung sind daher die Urteile der Vorinstanzen im Umfang der Entscheidung über das Unterlassungsbegehren zur Geschäftspraktik 2 (Spruchpunkt 4. des Berufungsgerichts, Spruchpunkt 3.2. des Erstgerichts) aufzuheben. Dem klagenden Verband wird die Gelegenheit einzuräumen sein, sein Klagebegehren in diesem Punkt zu verbessern.

II.3. Zu den Unterlassungsbegehren

[48] Da ein Teilurteil über die von beiden Parteien gestellten Veröffentlichungsbegehren nicht zweckmäßig ist, wurde die Entscheidung darüber bereits im Teilurteil vom 6. 8. 2021 der Endentscheidung vorbehalten (6 Ob 48/21h [Rz 90]).

II.4. Kostenentscheidung

[49] Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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