OGH 11Os135/23x

OGH11Os135/23x16.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Jänner 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Drach als Schriftführerin in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. August 2023, GZ 36 Hv 5/23a‑84.2, weiters über die Beschwerde des Angeklagten gegen einen zugleich gefassten Beschluss nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00135.23X.0116.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die verbleibenden Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB (1/) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 1. Jänner 2023 in Wien * B*

1/ mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafs und zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihr eine Pistole gegen die Schläfe hielt und zu ihr sagte „Keiner wird dich hören!“, sie mit beiden Händen würgte, sodann mit seinem Penis vaginal in sie einzudringen versuchte und sie anschließend zur Vornahme des Oralverkehrs an ihm zwang, wodurch * B* zahlreiche Kratzwunden bzw Hautabschürfungen, insbesondere im Gesicht sowie am Gesäß erlitt, und die Tat überdies eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich eine schwere psychoreaktive Störung, zur Folge hatte;

2/ am Körper verletzt, indem er ihr im Anschluss an die zu 1/ beschriebene Handlung einen Tritt ins Gesicht versetzte, wodurch sie einen unverschobenen Nasenbeinbruch samt ausgeprägter Schwellungen über dem Nasenbein mit Beeinträchtigung der Atmung erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Unvollständig ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0098646).

[5] Entgegen der Kritik der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) wurden die Angaben der Zeugen Em*, D*, Z* und Ey* nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern von den Tatrichtern in ihre Erwägungen einbezogen (US 7 f). Mit Blick auf das Gebot zur gedrängten Darstellung der Urteilsgründe waren die Tatrichter auch nicht dazu verhalten, den vollständigen Inhalt dieser Aussagen zu erörtern, zumal diese im Hinblick darauf, dass sich die Genannten während des zu 1/ inkriminierten Übergriffs gerade nicht im selben Zimmer wie der Angeklagte und das Opfer aufgehalten hatten (US 5, 7), den getroffenen Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen nicht in erörterungsbedürftiger Weise entgegenstehen.

[6] Mit der leugnenden Verantwortung des Angeklagten hat sich das Erstgericht der Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) zuwider gleichfalls auseinandergesetzt (US 6, 9) und dargetan, weshalb es dieser nicht zu folgen vermochte (US 6 ff). Ebenso berücksichtigt wurden das Gutachten der Sachverständigen Dr. St* und der Umstand, dass im Vaginal‑ und im Mundbereich des Opfers keine DNA‑ bzw Spermaspuren des Angeklagten festgestellt werden konnten (US 7 f).

[7] Keineswegs übergangen (Z 5 zweiter Fall) wurden die Angaben der Zeugen D* und Z* zu 2/. Ebensowenig die Depositionen jener Zeugen (darunter erkennbar auch jene von * Em* [ON 25.6 S 4; ON 84 S 20]), die von einem Schlag mit der Hand berichtet hatten (US 8).

[8] Dass aus den angeführten Beweisergebnissen nicht die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlussfolgerungen zum objektiven Tathergang zu 1/ (in Bezug auf die Bedrohung des Opfers mit einer echt aussehenden „Schusswaffe“ und die Ausübung von Gewalt gegen das Opfer) und zu 2/ (Fußtritt ins Gesicht) gezogen wurden, ist als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nicht bekämpfbar (RIS‑Justiz RS0098400).

[9] Soweit die Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) behauptet, das Erstgericht sei zu 1/ von einer Nötigung (auch) mittels Freiheitsentzugs ausgegangen, argumentiert sie nicht auf Basis der Entscheidungsgründe (US 5; vgl auch die auf die Nötigungsmittel bezogene Bezeichnung der entscheidenden Tatumstände im Urteilstenor – US 2 f; § 260 Abs 1 Z 1 StPO; RIS‑Justiz RS0116587).

[10] Nach dem bisher Erörterten gelingt es dem – nicht zwischen den Nichtigkeitsgründen der Z 5 und Z 5a unterscheidenden (RIS‑Justiz RS0115902, RS0100183) – Beschwerdeführer auch nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken (Z 5a) gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu erwecken.

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Ebenso war mit der (zwar nicht ausgeführten, aber angemeldeten [ON 84 S 24]) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu verfahren (§ 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO), weil eine solche im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist (§ 283 Abs 1 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0099894).

[12] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (verbleibenden) Berufungen und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte