European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00135.23A.1214.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Schlepperei/FPG
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * A* des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (I./) und zweier Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in D* und an anderen Orten Österreichs und Ungarns im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit unbekannten Auftraggebern (* As*), Organisatoren und Fußschleppern als Mittäter (§ 12 StGB) als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Ein- bzw Durchreise von jeweils mindestens drei Fremden, die nicht zum Aufenthalt in der Europäischen Union oder im Schengenraum berechtigt waren, in und durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er
I./ am 4. März 2023 für ein Entgelt von 1.050 Euro zumindest 13 Fremde mit einem Mercedes Vito in Ungarn aufnahm und nach Österreich sowie davon sieben Fremde weiter nach Deutschland transportierte;
II./ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB)
1./ am 17. März 2023 für ein Entgelt von 1.050 Euro sieben Fremde in Ungarn mit einem Fahrzeug aufnahm und nach Österreich sowie davon vier Fremde für ein Entgelt von 600 Euro weiter nach Deutschland transportierte;
2./ am 20. März 2023 zwölf Fremde nahe der serbisch-ungarischen Grenze mit seinem Fahrzeug Mercedes aufnahm und nach Österreich transportierte, wofür ihm ein Entgelt von 1.800 Euro zugesagt worden war.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen die Nichtannahme der Gewerbsmäßigkeit nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG iVm § 70 Abs 1 Z 1 StGB zu I./ wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.
[4] Die Mängelrüge (Z 5) spricht mit dem Vorbringen, das Erstgericht hätte feststellen müssen, dass der Auftraggeber * As* dem Angeklagten das Smartphone IPhone 14 Pro zwecks Kommunikation und Nutzung des GPS als Arbeitshandy für die in der Folge durchzuführenden Schleppungen übergab, keine Anfechtungskategorie des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes an.
[5] Im Übrigen bezieht sich die Rüge auf keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0106268): Das gegenständliche Smartphone ist nämlich nicht als besonderes Mittel im Sinn des § 70 Abs 1 Z 1 StGB anzusehen. Ein Mittel legt eine „wiederkehrende Begehung“ nahe, wenn es von der Professionalität des Täters zeugt. Es ist „besonders“ im Sinn der erwähnten Vorschrift, wenn sein „Mitführen“ situationsbezogen ungewöhnlich und mit geübter oder wohlüberlegter Herangehensweise des Täters zu erklären ist. In diesem Sinn kann auch ein leicht erhältliches oder allgemein gebräuchliches Werkzeug unter Abs 1 Z 1 leg cit fallen, wenn es in der konkreten Situation normalerweise nicht mitgeführt wird. § 70 Abs 1 Z 1 StGB erfordert den Einsatz besonderer Mittel, somit deren bloße Verwendung bei der Tat. Ob sie eigens für die Tatbegehung angeschafft wurden, ist hingegen nicht relevant (RIS‑Justiz RS0132006, RS0130766; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 70 Rz 6; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 13/2).
[6] Ausgehend davon legt die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht dar, weshalb ein Smartphone der Marke IPhone 14 Pro (US 5) sowie das Fahrzeug Mercedes Vito (vgl US 2 iVm US 4) besondere Mittel im Sinn des § 70 Abs 1 Z 1 StGB darstellen sollten (RIS‑Justiz RS0116565).
[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwalt-schaft war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Über deren Berufung wird das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 285i StPO).
[8] Die Generalprokuratur weist schließlich zutreffend darauf hin, dass die rechtliche Unterstellung der zu Punkt II.1./ des Schuldspruchs genannten Tat (auch) unter § 114 Abs 3 Z 1 FPG rechtlich verfehlt ist, weil es sich bei ihr erst um die zweite „solche“ Tat des Angeklagten handelt und somit diesbezüglich die für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit maßgeblichen Voraussetzungen des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB nicht vorliegen. Die Berücksichtigung der am 9. Februar 2023 begangenen Tat (US 3; Schleppung von Ungarn in die Slowakei) als Vortat iSd § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB kommt mangels Feststellungen zum Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung durch ein ausländisches Gericht nicht in Betracht (Jerabek/Ropper in WK² StGB § 70 Rz 13/9).
[9] Dieser Subsumtionsfehler (Z 10) blieb allerdings fallbezogen angesichts der nach § 114 Abs 4 FPG erfolgten Strafrahmenbildung sowie des Umstands, dass er die vom Erstgericht angenommenen besonderen Erschwerungsgründe nicht tangiert (US 9), für den Angeklagten ohne Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO. Bei Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof ist das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung über die Berufung nicht an den im aufgezeigten Sinn fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).
[10] Eine Kostenersatzpflicht des Angeklagten war nicht auszusprechen, weil die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gänzlich erfolglos blieb (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 8).
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