OGH 8ObA31/23a

OGH8ObA31/23a13.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Andreas Schlegel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S* M*, vertreten durch Doschek Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G* GmbH *, vertreten durch Barnert Egermann Illigasch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Entlassungsanfechtung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. März 2023, GZ 8 Ra 61/22g‑97, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 30. März 2022, GZ 9 Cga 43/19z‑88, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00031.23A.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird in der Hauptsache dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, binnen 14 Tagen der beklagten Partei die mit 2.388,96 EUR (darin 398,16 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die 1965 geborene Klägerin war bei der Beklagten, die ein Speditions‑ und Logistikunternehmen betreibt, seit 6. 11. 2004 zunächst in der Buchhaltung und dann in wechselnden Positionen als Angestellte beschäftigt. Sie war seit 2005 oder 2006 als Ersatzmitglied des Angestelltenbetriebsrats gewählt. Kurz danach wurde sie vom Betriebsrat zum ordentlichen Mitglied „hochgereiht“, um eine von der Beklagten in der Zwischenzeit ausgesprochene Kündigung abzuwenden.

[2] Im Jahr 2014 wurde die Klägerin verwarnt, nachdem eine ausgeschiedene Mitarbeiterin Mobbingvorwürfe unter anderem gegen sie erhoben hatte, und in eine andere Abteilung versetzt. Ob die Vorwürfe tatsächlich begründet waren, konnte nicht festgestellt werden.

[3] Die Klägerin war eine überaus engagierte Betriebsrätin, die regelmäßig durchs Haus ging, zu Anlässen kleine Geschenke verteilte, sich bei den Mitarbeitern nach allfälligen Problemen erkundigte und gegebenenfalls versuchte, Hilfe zu leisten. Bei Gesprächen lud sie Mitarbeiter fallweise auf Snacks oder Getränke ein, die sie teilweise selbst bezahlte. Sie scheute keine Konflikte mit dem Dienstgeber und involvierte bei Bedarf die Gewerkschaft. Insbesondere der Anspruch auf bezahlte Abwesenheiten nach § 8 Abs 3 AngG war ihr ein Anliegen, weil solche Anträge von der Beklagten nicht immer als notwendig anerkannt und genehmigt wurden.

[4] Die Art der Mandatsausübung der Klägerin unterschied sich deutlich von jener des Vorsitzenden des Arbeiterbetriebsrats, der gegenüber der Geschäftsführung diplomatisch und konsensorientiert vorging und bestrebt war, die Betriebsräte der Arbeiter und Angestellten zusammenzulegen. Dieser Plan wurde von der Klägerin und auch vom gesamten Angestelltenbetriebsrat abgelehnt. Das persönliche Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Vorsitzenden des Arbeiterbetriebsrats verschlechterte sich dadurch massiv.

[5] Die Klägerin verwendete deutlich mehr ihrer Arbeitszeit für Betriebsratsangelegenheiten als andere Betriebsräte. Im Jahr 2015 wurde sie, nachdem es deswegen Beanstandungen ihrer Vorgesetzten gegeben hatte, schließlich zur Hälfte der Normalarbeitszeit für ihre Betriebsratstätigkeit freigestellt.

[6] Der ehemalige Vorsitzende des Angestelltenbetriebsrats hatte unter Mithilfe der Klägerin ein gemeinsames Medikamentenbestellsystem im Betrieb eingeführt. Mit einer Apotheke wurde auf Bestellungen des Betriebsrats ein 20%iger Rabatt vereinbart. Zusätzlich gewährte die Apotheke 3 % Skonto bei Zahlung der vollen Rechnungssumme innerhalb von 30 Tagen. Bei verspäteter Zahlung wären 12 % Verzugszinsen fällig geworden. Den Mitarbeitern der Beklagten wurde die Aktion in einer E‑Mail so kommuniziert, dass sie bei Bestellungen 20 % Rabatt erhalten. Das zusätzliche Skonto wurde nicht kommuniziert und war den Mitarbeitern nicht bekannt.

[7] Die Bestellungen konnten per E‑Mail von den Mitarbeitern bei der Klägerin aufgegeben werden, die sie dann an die Apotheke weitergab, die Ware entgegennahm und – teilweise mit Hilfe des Vorsitzenden des Angestelltenbetriebsrats – an die Mitarbeiter gegen Barzahlung austeilte. Die Klägerin erhielt vom Vorsitzenden in bar den an die Apotheke zu überweisenden Betrag, ohne Skonto, das bei ihm verblieb. Die Klägerin zahlte den erhaltenen Betrag zunächst auf ihr eigenes Konto ein und überwies ihn an die Apotheke weiter. Das Betriebsratskonto wollten beide für die Zahlungen nicht verwenden, um es nicht mit einem allfälligen Manko zu belasten und weil dafür eine Doppelzeichnungsberechtigung galt.

[8] Nach dem Ausscheiden des bisherigen Betriebsratsvorsitzenden im Jahre 2014 übernahm die Klägerin das Medikamentenbestellsystem ganz. Der neue Vorsitzende des Angestelltenbetriebsrats sagte, dass sie das weiter machen solle und es ihn nicht interessiere. Von dem Skonto wusste er nichts.

[9] Die Klägerin führte das System unverändert fort, wobei sie nun das gesamte von den Mitarbeitern kassierte Bargeld auf ihr privates Konto einzahlte und die Skonti nach Überweisung der reduzierten Rechnungen daher bei ihr verblieben. In Summe beliefen sich die einbehaltenen Skontobeträge auf rund 7.000 EUR, wovon rund 3.200 EUR bis zu ihrem Ausscheiden bei der Klägerin verblieben.

[10] Das Medikamentenbestellsystem war bei monatlich 40 bis 80 Mitarbeiterbestellungen für die Klägerin mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand verbunden. Wenn Mitarbeiter ihre Bestellungen manchmal nicht innerhalb der 30‑tägigen Zahlungsfrist abholten, trat sie für diese in Vorleistung, sodass nie Verzugszinsen fällig wurden. Manchmal kam es vor, dass Mitarbeiter die Abnahme trotz Bestellung verweigerten oder nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt waren. In diesen Fällen übernahm die Klägerin freiwillig den Ausfall. Der Aufwand dafür lag jedenfalls unter den Skontobeträgen.

[11] Die Klägerin verrichtete die Arbeit für das Medikamentenbestellsystem teilweise in der Zeit ihrer Freistellung, teils auch in der Freizeit, etwa am Wochenende. Zumindest einmal erhielt sie dafür 1,95 Sonntagsüberstunden ausbezahlt. Für die Fahrten zur Apotheke verrechnete sie der Beklagten Kilometergeld.

[12] Sie machte sich keine Gedanken über die Zulässigkeit des Systems der Medikamentenbestellung und handelte nicht mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig durch die Skonti zu bereichern, obwohl sie 2015 bei der Beklagten einen Kurs zum Thema Compliance absolvieren musste, der unter anderem verbotene Zahlungen, Geschenkannahme und persönliche Zahlungen im Namen der Beklagten zum Inhalt hatte.

[13] Im Oktober 2018 erfuhr der Vorsitzende des Arbeiterbetriebsrats, dass die Klägerin Skonti für die Bestellungen für sich behielt. Aufgrund seiner persönlichen Differenzen mit der Klägerin wandte er sich nicht an sie, sondern sofort an einen Sicherheitsmann und ein Vorstandsmitglied der Beklagten. Die drei Personen begaben sich zum Büro des Angestelltenbetriebsrats und verschafften sich Zugang zu den Unterlagen über die Bestellungen, die die erteilte Information bestätigten. Die Klägerin wurde in den Betrieb gerufen und mit dem Vorwurf konfrontiert. Sie verantwortete sich mit ihrer aufgewendeten Arbeitszeit, dem Risiko und Einladungen für Mitarbeiter. Die Klägerin wurde daraufhin dienstfrei gestellt und die Beklagte brachte umgehend Klage auf Zustimmung zu ihrer Entlassung ein. Ein gegen die Klägerin über Betreiben des Arbeiterbetriebsrats eingeleitetes Strafverfahren wurde eingestellt.

[14] Vor dem 16. 10. 2018 war die Tatsache, dass die Klägerin Skontoabzüge einbehielt, anstatt sie den Mitarbeitern weiterzugeben, bei der Beklagte niemandem bekannt. Nachdem dies publik wurde, fühlten sich manche Mitarbeiter dadurch geschädigt bzw fanden dies nicht in Ordnung, andere störte es nicht. In der Folge wurde das System dahin geändert, dass die Mitarbeiter weiter 20 % Rabatt erhielten, aber selbst zur Apotheke fahren mussten.

[15] Nachdem das Betriebsratsmandat der Klägerin noch während des anhängigen Verfahrens auf Zustimmung zur Entlassung geendet hatte, erhielt sie am 30. 4. 2019 ein Schreiben der Beklagten, in dem sie ersucht wurde, am 2. 5. 2019 zu einem Gesprächstermin zu kommen. Die Beklagte beabsichtigte, dabei die Entlassung auszusprechen.

[16] Nachdem die Klägerin telefonisch keine Auskunft über den Gesprächszweck bekommen hatte, schickte sie ein E‑Mail an die Beklagte, in dem sie erklärte, aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen zu können. Tatsächlich wäre ihr das Erscheinen gesundheitlich möglich gewesen. Letztlich wurde der Klägerin die Entlassungserklärung per Post übermittelt.

[17] Die Beklagte hatte die Klägerin in der Vergangenheit aufgrund ihrer Art der Ausübung des Betriebsratsmandats als lästig und teilweise sogar disziplinär empfunden, weshalb sie für allfällige Nachsicht weniger bereit war. Ausgesprochen wurde die Entlassung aber nicht wegen dieser Gründe, sondern wegen des Einbehalts der Skonti, was von der Beklagten als unrechtmäßige Bereicherung zum Schaden der Mitarbeiter aufgefasst wurde. Die Beklagte geht in solchen Fällen generell streng vor, da in der Logistikbranche Diebstähle unter Beteiligung von Mitarbeitern häufig verübt werden und deswegen besonderer Wert auf deren Integrität gelegt wird.

[18] Die Klägerin verdiente bei der Beklagten zuletzt 2.550 EUR, 14x jährlich. Sie war bei Entlassung für eine damals maturierende Tochter sorgepflichtig, für die sie vom Kindesvater monatlich 370 EUR Alimente bezog. An Miete hatte sie monatlich 360 EUR zu zahlen, für allgemeine Lebenshaltungskosten und Freizeitaktivitäten rund 700 bis 750 EUR. Weiters hatte sie damals Schulden aus einem Hauskauf in Höhe von 37.000 EUR, die sie in Raten von 370 EUR in der Folge abzahlte.

[19] Nach der Entlassung bezog die Klägerin Arbeitslosengeld und zuletzt Notstandshilfe. Sie bewarb sich bis Februar 2020 auf insgesamt 55 Stellen, davon 35 auf eigene Initiative. Zweimal wurde sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, wobei sie die Beendigungsart ihres Dienstverhältnisses zur Beklagten angab. Die Bewerbungen blieben erfolglos.

[20] Bei zeitintensiver persönlicher Arbeitssuche wie im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung wäre es der Klägerin innerhalb von 8 bis 10 Monaten ab Entlassungstag möglich gewesen, eine Stelle als Büro‑ oder Handelsangestellte mit einem Bruttomonatsgehalt von ca 2.500 EUR zu erlangen.

[21] Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Jahr 2022 war die Klägerin wegen mittlerweiliger Langzeitarbeitslosigkeit und aufgrund ihres Lebensalters de facto auf dem Arbeitsmarkt chancenlos.

[22] Mit ihrer Klage begehrte sie zuletzt, die Entlassung vom 3. 5. 2019 für unwirksam zu erklären, in eventu die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis weiter aufrecht sei. Sie habe keinen Entlassungsgrund verwirklicht. Die Beendigung sei wegen ihrer Betriebsratstätigkeit ausgesprochen worden und außerdem sozialwidrig.

[23] Das Erstgericht wies das Klage‑ und Eventualbegehren ab.

[24] Die verheimlichte Einbehaltung der Skonti für die Medikamentenbestellungen erfülle den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit. Die Klägerin habe fahrlässig gehandelt, habe auch nach der Aufdeckung uneinsichtig reagiert und sich über die Jahre hinweg einen nicht nur geringen Vorteil zugewendet.

[25] Selbst wenn dem Verhalten nicht das Gewicht eines Entlassungsgrundes beigemessen würde, seien weder ein verpöntes Motiv noch Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit e bzw Z 2 ArbVG zu erkennen. Die Betriebsratstätigkeit der Klägerin sei für die Entlassung nicht kausal gewesen, sondern habe ihr nur die Gelegenheit zur Verwirklichung des Beendigungsgrundes geboten. Ihr Verhalten bilde zumindest einen ausreichenden personenbezogenen Kündigungsgrund, der die Auflösung des Dienstverhältnisses ungeachtet der festgestellten Interessenbeeinträchtigung rechtfertige.

[26] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinne der Stattgebung des Anfechtungsbegehrens ab.

[27] Es kam zu dem Ergebnis, es wäre der Beklagten zumutbar gewesen, die Klägerin weiter zu beschäftigen und sie lediglich darüber aufzuklären, dass ihre Abwicklung der Medikamentenbestellungen nicht in Ordnung war und nicht weiter so gehandhabt werden dürfe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Medikamenten-bestellungen nur als von ihrem Vorgänger übernommene Serviceleistung ohne ein Eigeninteresse abgewickelt habe und kein Zusammenhang mit ihrer Arbeitstätigkeit bestanden habe.

[28] Die Entlassung habe die Interessen der Klägerin iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG angesichts einer erwartbaren Arbeitsplatzsuche von 8 bis 10 Monaten gröblich beeinträchtigt. Letztlich habe sie gar keine Arbeit gefunden und sei nunmehr auf dem Arbeitsmarkt chancenlos. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts wiege diese Beeinträchtigung schwerer als die Interessen der Beklagten an einer Beendigung des Dienstverhältnisses.

[29] Die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten strebt die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts an, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin hat die ihr gemäß § 508a ZPO freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[30] Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Sozialwidrigkeit teilweise von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

[31] 1. Der Rechtsmittelwerberin ist zuzugestehen, dass das Berufungsgericht bei seiner rechtlichen Begründung teilweise den Rahmen des zu beurteilenden Sachverhalts überschritten hat.

[32] Angesichts der Feststellung, dass die Klägerin ihre Medikamentenbestellungen zumindest überwiegend in der von der Beklagten bezahlten Arbeitszeit abgewickelt hat, in der sie für ihre Betriebsratstätigkeit freigestellt war, und sie sich dafür Sonntagsüberstunden sowie Kilometergeld für Fahrten zur Apotheke bezahlen ließ, vermag der erkennende Senat die Auffassung, das Medikamentenbestellwesen hätte gar nichts mit ihrer beruflichen Tätigkeit zu tun gehabt, nicht zu teilen.

[33] Der Begründung, die Klägerin habe die Bestellungen nur als Serviceleistung abgewickelt, ohne damit ein Eigeninteresse zu verfolgen, steht entgegen, dass sie sich damit in ihrer von der Beklagten bezahlten Arbeitszeit in insgesamt rund vier Jahren ein durchschnittliches laufendes Zusatzeinkommen von rund 800 EUR jährlich verschafft hat.

[34] Es ist auch dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, dass die Klägerin die bereits vom früheren Betriebsratsvorsitzenden gewählte Vorgangsweise unverändert beibehalten hat. Der Betriebsratsvorsitzende hatte ihr nach den Feststellungen immer nur das zur Überweisung benötigte Bargeld ausgehändigt. Es steht aber nicht fest, dass die Klägerin auch wusste, was der Betriebsratsvorsitzende mit der Skontodifferenz gemacht hat und dass er sie nicht, wie es eher zu erwarten gewesen wäre, dem Betriebsratsfonds zugeführt hat (vgl Löschnigg/Schick, Vermittlungsprovisionen für Betriebsratskredite und Versicherungsverträge, DRdA 2005, 229 [232]).

[35] Nach Übernahme der gesamten Tätigkeit durch die Klägerin kam es jedenfalls insoweit zu einer Änderung der Abwicklung, als sie sich zu diesem Zeitpunkt entschlossen hat, in Hinkunft nicht mehr nur die Überweisungsbeträge, sondern das gesamte Bargeld auf das eigene Konto einzuzahlen und die Differenz zu behalten.

[36] 2. Den Überlegungen des Berufungsgerichts, dass die Weiterverrechnung der Skonti an die Besteller der Medikamente kompliziert gewesen wäre, ist anzufügen, dass es genügt hätte, die Mitarbeiter über die zusätzlich zum Rabatt gewährten Skontobeträge in Kenntnis zu setzen und vorweg eine zulässige Verwendung mit ihnen zu vereinbaren.

[37] 3. Einer privaten Belohnung der Klägerin für ihre Abwicklungstätigkeit stand nicht nur § 1009 ABGB, sondern auch § 115 Abs 1 ArbVG entgegen (RIS‑Justiz RS0051326). Das Betriebsratsmandat ist ein neben den Berufspflichten auszuübendes Ehrenamt, für dessen Ausübung grundsätzlich nur Barauslagenersatz aus dem Betriebsratsfonds beansprucht werden darf. Vorteile aus der Betriebsratstätigkeit dürfen auch von dritter Seite nicht angenommen werden. Ein solches Vorgehen kann den Tatbestand der Geschenkannahme durch Machthaber erfüllen (§ 153a StGB; vgl Resch in Jabornegg/Resch/Födermayr ArbVG § 115 Rz 25; Löschnigg/Schick, DRdA 2005, 237).

[38] 4. In diesem Zusammenhang macht die Revision auch zutreffend geltend, dass das Berufungsgericht die Klägerin nicht, wie in der angefochtenen Entscheidung dargelegt, nur am Maßstab einer mit sehr einfachen Aufgaben betrauten, „gedankenlos handelnden“ Angestellten, sondern am Maßstab eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds zu messen hatte, dem durch seine Wahl besonderes Vertrauen ausgedrückt wird und dem eine gewisse Vorbildfunktion zukommt (vgl 9 ObA 267/98z mwN). In ihrer Funktion als Betriebsratsmitglied war es der Klägerin vorwerfbar, sich nicht mit den zentralen rechtlichen Rahmenbedingungen für das Mandat, insbesondere dem Inhalt des § 115 ArbVG, vertraut zu machen und „gedankenlos“ Vorteile aus der Tätigkeit zu beziehen.

[39] In diesem Zusammenhang weist die Revision auch zutreffend auf die Compliance‑Schulung hin, die von der Klägerin zwar absolviert, aber ebenfalls nicht zum Anlass für eine Überprüfung ihrer Bestellabwicklung genommen wurde. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass auch eine Compliance‑Schulung an der mangelnden Vorwerfbarkeit der Handlungsweise der Klägerin nichts ändere, wurde von ihm nicht weiter begründet.

[40] 5. Von der dargestellten Beurteilung ausgehend ist dem Berufungsgericht nicht zu folgen, wenn es die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Beklagte als zumutbar erachtet hat. Die unbekümmerte – auch nach Entdeckung noch von der Klägerin vehement verteidigte – Vorteilsannahme rechtfertigte iSd § 27 Z 1 AngG die Befürchtung der Beklagten, dass ihre Belange durch die Klägerin gefährdet sind. Auch wenn letztlich keine strafrechtliche Verfolgung stattgefunden hat, hatte die Klägerin zumindest den äußeren Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllt. Der Umstand, dass sie dabei auch nach der Entdeckung kaum Unrechtsbewusstsein zeigte, konnte die Befürchtung eines künftigen Vertrauensmissbrauchs nicht beseitigen, sondern nur bestärken.

[41] Die Ansicht des Berufungsgerichts, eine Gefährdung der Interessen der Beklagten wäre deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin auf einem „unbeliebten“ Arbeitsplatz tätig war, an dem sie lediglich einfahrende Fahrzeuge zuweisen und Dokumente weiterzuleiten hatte, ist ohne nachvollziehbare Begründung geblieben. Allein dass ein Angestellter an seinem Arbeitsplatz nicht mit Geld zu hantieren hat, schließt die Möglichkeit treuwidriger Machenschaften noch nicht aus.

[42] 6. In jedem Fall erfüllte der festgestellte Sachverhalt, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, aber einen wichtigen in der Person der Klägerin gelegenen Grund iSd § 105 Abs 2 Z 3 lit a ArbVG für eine Dienstgeberkündigung.

[43] Soweit das Berufungsgericht bei der vorzunehmenden Abwägung dieses Grundes mit den durch die Beendigung beeinträchtigten Interessen der Klägerin auf die festgestellte Lage bei Schluss der Verhandlung Bezug genommen hat, ist es von der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen.

[44] Stichtag für die Prüfung, ob eine Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers iSd § 105 Abs 2 Z 3 ArbVG beeinträchtigt, ist der Beendigungszeitpunkt aufgrund der angefochtenen Kündigung (RS0051772). Zu diesem Zeitpunkt wäre es der Klägerin bei sehr intensiver, einer Vollzeitbeschäftigung entsprechenden Arbeitsplatzsuche möglich gewesen, binnen 8 bis 10 Monaten eine Beschäftigung zu vergleichbaren Konditionen zu erlangen.

[45] Aus der erst im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens wegen des Verstreichens mehrerer Jahre eingetretenen Verschlechterung kann nicht auf eine Unrichtigkeit der ursprünglichen Prognose geschlossen werden (vgl RS0051772 [T5]). Aus den Feststellungen ist – bei durchschnittlich 2,5 Bewerbungen pro Monat – auch nicht erkennbar, dass die Arbeitsplatzsuche der Klägerin tatsächlich die der Prognose zugrundeliegende Intensität erreicht hat.

[46] Bei einer zu erwartenden Suchdauer von 8 bis zu 10 Monaten, moderaten Fixkosten und Einkommensaussichten in etwa der bisherigen Höhe kann von einer Sozialwidrigkeit der Kündigung wenn überhaupt so jedenfalls nur im niedrigsten Bereich der Bandbreite ausgegangen werden (vgl 9 ObA 58/06d; 9 ObA 125/13t). Auch bei einer Abwägung nach § 105 Abs 2 Z 3 lit a ArbVG mit dem gravierenden personenbezogenen Beendigungsgrund kann dem Anfechtungsbegehren daher kein Erfolg beschieden sein.

[47] 7. Soweit die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung weiterhin auch ein verpöntes Beendigungsmotiv ins Treffen führt, nämlich Unzufriedenheit der Beklagten mit ihrem besonderen Engagement als Betriebsrätin, weicht sie unzulässig vom festgestellten Sachverhalt ab.

[48] Das Eventualfeststellungsbegehren wurde im Rechtsmittelverfahren nicht mehr verfolgt.

[49] 8. In Stattgebung der Revision war die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich des Kostenausspruchs wiederherzustellen.

[50] Das Berufungsgericht hatte wegen der Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung über den von der Beklagten erhobenen Kostenrekurs formell nicht zu entscheiden. Es hat jedoch im Rahmen der Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung auch die Kosten neu bestimmt und die im Rekurs erhobenen Einwände gegen die Anwendung des § 58 Abs 1 erster Satz ASGG auf das gesamte erstinstanzliche Verfahren ungeachtet der erfolgten Klagsänderung inhaltlich behandelt. Gegen die Beurteilung, dass hier mit beiden Begehren annähernd das gleiche Ziel verfolgt wurde und der gesamte erstinstanzliche Verfahrensaufwand auch für das ursprüngliche Eventual‑ und zuletzt Hauptbegehren erforderlich war, bestehen keine Bedenken (vgl RS0110839), die eine Neufassung des erstinstanzlichen Kostenausspruchs erfordern würden.

[51] Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 2 und 58 Abs 1 ASGG sowie §§ 41 und 50 ZPO.

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