European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00127.23W.1212.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Verfallsausspruch, soweit dieser 2.000 Euro übersteigt, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe) werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * P* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W* als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zum Zwecke des fortgesetzten Suchtgifthandels durch Überlassen von Suchtgift vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, und zwar
A/ Cannabisharz (Wirkstoff: Delta‑9‑THC in einer durchschnittlichen Reinsubstanz von 0,66 % und THCA in einer durchschnittlichen Reinsubstanz von 8,70 %), und zwar von 28. März 2020 bis 1. April 2020 in mehrfachen Angriffen insgesamt 4.000 Gramm unbekannten Personen zu einem Preis von 17.200 Euro;
B/ Kokain (Wirkstoff: Cocain in einer durchschnittlichen Reinsubstanz von 67,63 %), und zwar
I/ am 14. April 2020 100 Gramm einer unbekannten Person um 4.500 Euro;
II/ am 25. April 2020 13.000 Gramm in vier Angriffen unbekannten Mitgliedern der kriminellen Vereinigung für 2.000 Euro;
III/ am 27. April 2020 1.000 Gramm in mehreren Angriffen unbekannten Personen um 17.500 Euro;
IV/ am 11. Mai 2020 500 Gramm einer unbekannten Person zu einem Preis von 17.500 Euro;
V/ am 14. Mai 2020 500 Gramm einer unbekannten Person zu einem Preis von 16.500 Euro;
VI/ am 20. Mai 2020 1.000 Gramm einer unbekannten Person zu einem Preis von 32.500 Euro;
VII/ am 27. Mai 2020 6.000 Gramm einer unbekannten Person ohne Entgegennahme von Geld;
VIII/ am 30. Mai 2020 500 Gramm einer unbekannten Person zu einem Preis von 19.550 Euro;
C/ Cannabiskraut (Wirkstoff: Delta‑9‑THC in einer durchschnittlichen Reinsubstanz von 0,66 % und THCA in einer durchschnittlichen Reinsubstanz von 8,63 %), und zwar
I/ am 14. April 2020 5.000 Gramm unbekannten Personen zu einem Preis von 21.000 Euro;
II/ am 29.April 2020 17.000 Gramm in mehreren Angriffen unbekannten Personen zu einem Gesamtpreis von 73.100 Euro.
[3] „Gemäß § 20 Abs 1 und 3“ StGB erklärte das Gericht (aus dem Gesamtkontext erkennbar: beim Angeklagten; vgl RIS‑Justiz RS0134391; 11 Os 43/23t [Rz 10 f]) einen Betrag von 221.350 Euro für verfallen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen das Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[5] Soweit die Beschwerde eine zureichende Begründung dafür vermisst (Z 5 vierter Fall), dass der Angeklagte vorschriftswidrig gehandelt habe (US 2, 5 f), lässt sie außer Betracht, dass in Bezug auf dieses Tatbildmerkmal im Regelfall (dh wenn keine für die Annahme der in §§ 5 ff SMG genannten Erlaubnistatbestände sprechenden Verfahrensergebnisse hervorgekommen sind) keine besonderen Begründungserfordernisse bestehen (RIS‑Justiz RS0132363). Die Beschwerde, die auch kein in die Richtung eines Erlaubnistatbestands weisendes Beweisergebnis aufzeigt, bekämpft somit lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter (vgl im Übrigen die auf die Sozialisation des Angeklagten in Kroatien und Österreich und auf die [ua mit Chatprotokollen und dem Geständnis des Angeklagten begründeten Tat‑]Umstände [US 5 ff] verweisenden Erwägungen der Tatrichter [US 13]).
[6] Entgegen dem Vorbringen der gegen den Strafausspruch gerichteten Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verstößt die erschwerende Wertung der „in Verkehr gesetzte[n] Menge“ (US 14; vgl dazu näher US 6 – „in Summe das 1071‑fache der Grenzmenge“; US 15 – „immens hohe Suchtgiftmenge“) nicht gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 32 Abs 2 StGB), weil dieser Umstand weder die Strafbarkeit noch die Strafdrohung bestimmt (RIS‑Justiz RS0088028).
[7] Der den Ausspruch des Verfalls eines Geldbetrags von 221.350 Euro betreffende Teil der Nichtigkeitsbeschwerdebemängelt die Feststellungen zumUmfangder vom Beschwerdeführer im Sinn des § 20 Abs 1 StGB erlangten Vermögenswerte (nominell Z 5, dSn Z 11 erster Fall iVm Z 5; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 391 und 669; Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 57, 60, 63, 65; vgl 11 Os 144/18p; 12 Os 10/21v [Rz 11]). Weiters moniert die Beschwerde eine Überschreitung der Befugnisgrenze des § 20 StGB (Z 11 erster Fall; vgl 11 Os 96/19f; 11 Os 50/17p; 15 Os 129/20i [Rz 6 f]; 13 Os 25/21g [Rz 23]), weil dem Angeklagten auch jener (erhebliche) Teil der entgegengenommenen Beträge „abgenommen“ worden sei, den er nach seinem Vorbringen in der Hauptverhandlung zur Gänze an „Dritte in der Vereinigung“ bzw „weitere Mitglieder der [kriminellen] Vereinigung“ weitergegeben haben will. Zur rechtsrichtigen Beurteilung der Grenzen des Verfalls seien keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden.
Vorweg ist zur Frage des Verfalls festzuhalten:
[8] Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, sind für verfallen zu erklären (§ 20 Abs 1 StGB). Soweit die dem Verfall unterliegenden Vermögenswerte nicht sichergestellt oder beschlagnahmt sind, hat das Gericht einen Geldbetrag für verfallen zu erklären, der den erlangten Vermögenswerten entspricht (§ 20 Abs 3 StGB).
[9] „Erlangen“ iSd § 20 StGB bedeutet, dass der Täter einen Vermögenswert in seine faktische und wirtschaftliche Verfügungsmacht bringt und ihn wirtschaftlich ausnutzen kann. Der Vermögensvorteil muss ihm also wirtschaftlich zu Gute kommen. Nicht erlangt hat ein Täter den Vermögenswert, wenn er ihn nur kurzzeitig und vorübergehend innehat, etwa zu Transportzwecken, oder weil er ihn vereinbarungsgemäß aufgrund der faktischen und wirtschaftlichen Mitverfügungsmacht (zB übergeordneter Kontroll‑ und Dispositionsbefugnis) von anderen Tatbeteiligten (als bloßen Durchgangserwerb) weiterzugeben hat, weil es insofern an einem rechtserheblichen Vermögenszufluss fehlt. Es ist daher zu berücksichtigen, wie eigenständig der Täter mit dem Gut verfahren durfte. Gewahrsam ist nicht mit Erlangen gleichzusetzen (vgl Schmidthuber, Konfiskation, Verfall und Einziehung [2016] 126; zum Verständnis des Begriffs im dStGB vgl Eser/Schuster in Schönke/Schröder 30 § 73 Rn 17 und 20 ff; MüKoStGB4/Joecks/Meißner § 73 Rn 24 ff, 37, 39; SK‑StGB9/Wolters § 73 Rn 22; LK13/Lohse § 73 Rn 28 ff).
[10] Durch die Begehung einer strafbaren Handlung (§ 20 Abs 1 zweiter Fall StGB) hat der Täter einen Vermögenswert erlangt, wenn die Erlangung ursächlich mit dieser Straftat zusammenhängt, wobei die Vermögensverschiebung nicht definitionsgemäß mit der Tatbestandsverwirklichung verbunden sein muss.
[11] Erlangung für die Begehung (§ 20 Abs 1 zweiter Fall StGB) meint den Lohn, den der Täter von dritter Seite für seine Tat erhält (RIS‑Justiz RS0132346).
[12] Der Verfallsbetrag nach § 20 Abs 3 StGB ist nach dem Bruttoprinzip zu berechnen (RIS‑Justiz RS0133117). Der vom Täter für den Zufluss der Vermögenswerte gemachte Aufwand hat demnach bei der Berechnung außer Betracht zu bleiben (11 Os 83/11g; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari StGB14 § 20 Rz 2).
[13] Dass sich der Täter durch das Erlangen der Vermögenswerte auch unrechtmäßig bereichert hat, ist nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0133116).
[14] Dem Verfall unterliegende Vermögens‑ und Ersatzwerte (§ 20 Abs 1 und Abs 2 StGB) sowie der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) dürfen nur dem tatsächlichen Empfänger mittels Verfalls abgenommen werden. Sind daher Vermögenswerte mehreren Personen iSd § 20 Abs 1 StGB zugekommen, so ist bei jedem Empfänger nur der dem jeweils tatsächlich rechtswidrig erlangten Vermögenswert entsprechende Betrag für verfallen zu erklären. Der Ausspruch einer Solidarhaftung mehrerer Angeklagter wäre daher verfehlt (RIS‑Justiz RS0129964). Ebenso wenig wäre einer Person allein der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) für mehreren Personen zugekommene Vermögenswerte aufzuerlegen (vgl 13 Os 55/18i; 13 Os 67/21h [Rz 44]; 11 Os 43/23t [Rz 12 f]; Fuchs/Tipold in WK² § 20 Rz 35).
[15] Nach dem Urteilssachverhalthändigte der Angeklagte das Suchtgift tatplangemäß jeweils als Mitglied einer im Urteil näher beschriebenen, arbeitsteilig agierenden kriminellen Vereinigung „im Auftrag und nach Maßgabe der Anweisungen der Mittäter vorschriftswidrig anderen Personen (seien es andere Gruppenmitglieder zwecks Weiterleitung, seien es Endabnehmer)“ aus, wobei er „je nach Anweisung auch die hiefür anfallenden Beträge einzukassieren, gegebenenfalls zu verwahren und je nach Anweisung des zuständigen Organisators aus der Gruppe wiederum weiterzuleiten“ hatte. Im kriminiellen Verband wurden die mit dem Suchtgifthandel anfallenden Aufgaben arbeitsteilig erledigt. Innerhalb der „Bande“ erledigte Arbeitsschritte waren unter anderem die Vereinbarung eines Preises, die Verwahrung des Geldes, die Transferierung zu der für die Re-Investition oder Rückzahlung eines Darlehens zuständigen Person und die Abrechnung und Entlohnung der einzelnen Beteiligten. Dem Angeklagten fiel als Aufgabe innerhalb dieser Hierarchie das Überlassen von Suchtgift zu (US 5 f), wobei er davor und danach mit seinen „Komplizen“ kommunizierte (US 7 ff, 11 ff), Anweisungen einholte, Berichte erstattete, Kundenkontakte einbrachte, Recherchen betreffend Grenzübertritte durchführte und Entscheidungen betreffend das Verwahren von Geld traf (US 13).
[16] Zu B/VII/ nahm der Angeklagte vom Empfänger des Suchtgifts kein Geld entgegen (US 3, 8). Zu B/II/ übergab er das Suchtgift noch nicht ausgeforschten weiteren „Komplizen“ gegen jeweilige Nennung des Passworts und erhielt dafür als Lohn 2.000 Euro (US 2, 7).
[17] In den übrigen Fällen „nahm“ er von den jeweiligen Abnehmern den jeweils angeführten Kaufpreis für das Suchtgift „entgegen“ (A/, B/I/, B/V/, B/VI/, C/II/), „nahm“ den Kaufpreis „ein“ (B/III/, B/VIII/) oder „vereinnahmte“ ihn (B/IV/, C/I/; US 7 ff), und erstattete in zahlreichen Fällen „Komplizen“ Bericht über das entgegengenommene Geld, fallweise auch über dessen Verwahrungsort.
[18] In Summe „nahm“ er solcherart durch das Überlassen von Suchtgift 221.350 Euro als Kaufpreis oder als Entlohnung für seine Tätigkeit „ein“ (US 9).
[19] Zu A/ reklamierten die Abnehmer die Qualität des Suchtgifts, weshalb man sich kurze Zeit nach der Übergabe auf eine „Rücknahme der beanstandeten Ware“ bzw auf eine „Rückabwicklung“ einigte (US 7).
[20] Soweit sich die Beschwerde gegen den Verfall auch jenes Teilbetrags (von 2.000 Euro) richtet, den der Angeklagte nach den Urteilsaussagen zu B/II/ als Lohn für die Übergabe von Suchtgift an Mitglieder der kriminellen Vereinigung erhalten hat (US 2, 7, 12), lässt sie nicht erkennen, inwiefern die dazu getroffenen Feststellungen undeutlich, unvollständig, widersprüchlich oder aktenwidrig sein sollen (§ 285 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO). Ebenso wenig erklärt sie, aus welchem Grund die Befugnis, unter anderem für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung erlangte Vermögenswerte für verfallen zu erklären, hinsichtlich dieses (Teil‑)Betrags von 2.000 Euro überschritten worden sein soll (RIS‑Justiz RS0116569, RS0116565).
[21] Hingegen zeigt der Beschwerdeführer zutreffend auf, dass im Ersturteil keine ausreichende Entscheidungsbasis für den Ausspruch des Verfalls von mehr als 2.000 Euro geschaffen wurde. Denn in welchem Umfang der arbeitsteilig innerhalb einer kriminellen Vereinigung agierende Angeklagte fallkonkret die von ihm als Kaufpreis für übergebenes Suchtgift entgegengenommenen Geldbeträge (tatplangemäß) an andere Personen (Tatbeteiligte iSd § 12 StGB oder Dritte) weitergab oder ihm diese Beträge (allerdings ohne Abzug seiner eigenen Aufwendungen) auch wirtschaftlich betrachtet zugute kamen, wurde nicht durch Feststellungen geklärt.
[22] DasUrteil war daher im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§ 285e StPO) und es war die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien (als Einzelrichter; siehe RIS‑Justiz RS0100271 [T13, T14]) zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen.
[23] Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
[24] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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