OGH 12Os10/21v

OGH12Os10/21v27.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Pentz in der Strafsache gegen Johann F***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Johann F***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 1. Oktober 2020, GZ 30 Hv 27/19z‑133, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00010.21V.0527.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten Johann F***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuldsprüche des Mitangeklagten Milan J***** enthaltenden Urteil wurde Johann F***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, (richtig:) 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB (A./I./) und „des“ Verbrechens (vgl US 34) des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder zur Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 1 und 2, „jeweils“ iVm Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (A./II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in P***** und an anderen Orten von 2007 bis Ende Februar/Anfang März 2017 gewerbsmäßig unter Einsatz besonderer Mittel, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen, nämlich von „Scheinfirmen“ (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB),

A./I./ in 24 im Urteil näher beschriebenen Fällen (bezogen auf ebensoviele Gesellschaften und auf mehr als 100 Anmeldungen von Dienstnehmern) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Antun G*****, Zvonko S***** und Milan J***** bestimmt und zu bestimmen versucht (Fakten 23./ und 24./), Verfügungsberechtigte der Gebietskrankenkassen (in der Folge GKK) sowie der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (in der Folge BUAK) durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Vorspiegelung, die zur Sozialversicherung angemeldeten Dienstnehmer seien bei den jeweiligen Gesellschaften beschäftigt, obwohl diese tatsächlich zunächst für ihn persönlich und ab 25. August 2007 für die F***** F***** GmbH, somit auf andere Rechnung arbeiteten, zu Unterlassungen, nämlich zur Abstandnahme von Beitragseinhebungen und Zuschlägen zur BUAK beim wirklichen Dienstgeber zu verleiten, die die GKK und die BUAK in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag von zumindest 175.263,12 Euro am Vermögen schädigten und (zu 23./ und 24./) schädigen sollten, und zwar (soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung):

1./–8./ (…)

9./ bei der GG***** GmbH von 2. September 2010 bis 3. November 2010 Gheorghe B*****, Vasile Fa***** und Mihai Ji*****,

10./ bei der L***** e.U. von 21. März 2011 bis 20. Mai 2011 Vasile Fa*****, Janos und Peter K***** sowie weitere Arbeitnehmer;

11./ bei der Ko***** e.U. von 23. Mai 2011 bis 28. Juli 2011 Vasile Fa*****, Janos und Peter K***** sowie zwei weitere Arbeitnehmer,

12./ bei der Bu***** e.U. von 29. Juli 2011 bis 5. August 2011 Vasile Fa*****, Janos und Peter K***** und weitere Arbeitnehmer,

13./ bei der J.***** e.U. von 8. August 2011 bis 30. September 2011 Vasile Fa*****, Mihai Ji*****, Janos und Peter K***** und weitere Arbeitnehmer,

14./ bei der N***** GmbH von 5. Oktober 2011 bis 2. Dezember 2011 Vasile Fa*****, Mihai Ji*****, Janos und Peter K***** und weitere Arbeitnehmer,

15./ bei der M***** GmbH von 2. November 2011 bis 7. Dezember 2011 Vasile Fa*****, Mihai Ji*****, Janos und Peter K***** und einen weiteren Arbeitnehmer,

16./ (…)

17./ bei der Lo***** GmbH von 19. Juni 2012 bis 30. November 2012 Janos und Peter K*****,

18./ bei der D***** GmbH von 15. April 2013 bis 31. Mai 2013 Janos und Peter K*****

19./ bei der Sp***** GmbH von 1. November 2013 bis 31. Dezember 2013 Janos und Peter K*****,

20./ bei der U***** GmbH von 19. August 2014 bis 28. November 2014 Janos K***** und einen weiteren Arbeitnehmer,

21./ bei der FAR***** GmbH von 18. März 2015 bis 31. Juli 2015 Janos K***** und weitere Arbeitnehmer,

22./ bei der V***** GmbH von 3. August 2015 bis 16. Oktober 2015 Janos K***** und weitere Arbeitnehmer;

23./–24./ (…).

A./II./ durch die zu A./I./ dargestellten Tathandlungen Anmeldungen einer größeren Zahl von Personen zur Sozialversicherung in dem Wissen, dass die in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungs-beiträge und die in Folge der Meldung bei der BUAK aufgelaufenen Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz nicht vollständig geleistet werden sollen, in Auftrag gegeben, wobei die in Folge der Anmeldung und Meldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nicht geleistet wurden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen auf Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

[4] Die Mängelrüge (nominell Z 5 erster und vierter Fall) kritisiert zunächst, dass das Erstgericht die den Angeklagten entlastenden Angaben mehrerer Arbeitnehmer (Janos und Peter K*****, Vasile Fa***** und Mihai Ji*****) in Bezug auf deren Anmeldungen bei den jeweiligen Gesellschaften den Glauben versagt hat.

[5] Dieser Argumentation ist in Bezug auf den Schuldspruch A./II./ vorauszuschicken, dass die Tatrichter erkennbar von jeweils einer im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangenen strafbaren Handlung nach § 153d Abs 1 und 2, „jeweils“ iVm Abs 3 erster und zweiter Fall StGB ausgingen (US 2 ff, 12). Mehrere im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene Angriffe stellen aber nur eine einzige Tat dar, weshalb mit der bloßen Bekämpfung einzelner Ausführungshandlungen (vorliegend: Scheinanmeldungen) – soweit (wie hier) dadurch die rechtliche Beurteilung nicht tangiert wird – keine für die Schuld- und Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache angesprochen wird (RIS‑Justiz RS0127374).

[6] Auch mit Blick auf die vom Schuldspruch A./I./ erfassten Taten kommt dem Beschwerdevorbringen von Vornherein nur hinsichtlich jener Gesellschaften Bedeutung zu, bei denen die genannten Zeugen nicht auch noch neben anderen Arbeitnehmern (zum Schein) zur Anmeldung gebracht wurden, weil nur insoweit rechtlich selbständige Straftaten im Rahmen der von den Tatrichtern gemäß § 29 StGB gebildeten Subsumtionseinheit in Frage gestellt werden könnten (vgl RIS-Justiz RS0117996, RS0120980 [T1]). Im Übrigen erstattet die Beschwerde (zu Recht) auch kein Vorbringen dazu, inwieweit sonst die Subsumtion der Taten (etwa die Wertgrenze des § 147 Abs 2 StGB) tangiert sein soll.

[7] Damit spricht das Rechtsmittel in Ansehung der Zeugen Vasile Fa***** und Mihai Ji***** keine und in Ansehung der Zeugen Janos und Peter K***** nur hinsichtlich der Schuldspruchfakten A./I./17./-19./ entscheidende Tatsachen an.

[8] Der Einwand, der Schöffensenat hätte den Angaben des Janos und Peter K***** nur deswegen keinen Glauben geschenkt, weil deren polizeiliche Vernehmung nur über „Vermittlung“ des Angeklagten zustande gekommen sei, trifft nicht zu. Vielmehr blendet der Beschwerdeführer die auf den persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung gestützten Erwägungen der Tatrichter aus (US 21) und beschränkt sich solcherart auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

[9] Gleiches gilt für die Kritik an den Urteilsannahmen, wonach die zeitgleiche Anmeldung der Zeugen Janos und Peter K***** bei zwei (Schein‑)Gesellschaften für eine tatsächliche Beschäftigung im Unternehmen des Angeklagten spreche.

[10] Welchen Geldbetrag der Angeklagte den unmittelbaren Tätern als Gegenleistung für die jeweiligen Scheinanmeldungen entrichtete, ist für die Ermittlung des bei der GKK und der BUAK eingetretenen Vermögensschadens ebenso irrelevant wie die Frage, in welchem Ausmaß sich der Angeklagte bereichern wollte (vgl RIS‑Justiz RS0094092; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 146 Rz 6, § 147 Rz 60 mwN). Das darauf bezogene Vorbringen der Mängelrüge (nominell Z 5 dritter Fall) kann daher auf sich beruhen.

[11] Im Rahmen der gegen den „Verfallsausspruch“ (richtig: gegen die insoweit getroffene Anordnung der Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2010/108) gerichteten – Mängelrüge (der Sache nach Z 11 iVm Z 5 dritter Fall) erblickt der Beschwerdeführer einen Widerspruch zwischen den Konstatierungen, wonach die F***** F***** GmbH den Zeugen Zvonko S***** und Antun G***** für jeweils einen der bei den (Schein‑)Gesellschaften angemeldeten Arbeitnehmer zwischen 200 und 400 Euro pro Monat bezahlte (US 12), und den Annahmen, wonach bis zum 31. Dezember 2010 (Schuldspruchfakten A./I./1./-9./) eine monatliche „Leistung“ des Angeklagten pro zum Schein angemeldetem Arbeitnehmer in Höhe von 250 Euro in Abzug zu bringen sei (US 15 f, 26). Dieser Einwand schlägt – auch entgegen der Auffassung der Generalprokuratur – schon deshalb fehl, weil sich erstere Konstatierung auf sämtliche Schuldspruchfakten bezieht, letztere Präzisierung aber nur auf die Schuldspruchfakten A./I./1./‑9./ (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19). Zu dieser Klarstellung war – wie angemerkt sei – das Erstgericht auch verhalten, weil (nur) gemäß der bis zum 1. Jänner 2011 geltenden (günstigeren) Rechtslage Eigenaufwendungen des Angeklagten zu berücksichtigen waren (zum damals geltenden Nettoprinzip vgl RIS‑Justiz RS0118873).

[12] Der Einwand (Z 11) des Fehlens von Feststellungen dazu, ob Vermögensvorteile dem Angeklagten tatsächlich zugekommen seien oder diese Beträge in dessen Unternehmen verblieben ist, geht an den Konstatierungen vorbei, wonach Johann F***** durch die Tathandlungen bereichert wurde (US 15 f, 26).

[13] Bleibt zu den Ausführungen der Generalprokuratur anzumerken, dass zwar eine Zusammenrechnung von zur Sozialversicherung angemeldeten oder bei der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse gemeldeten Personen mangels Anwendbarkeit des § 29 StGB bei § 153d Abs 3 StGB nicht in Betracht kommt. Die vom Tatbestand geforderte Personenzahl muss durch eine Tat erreicht werden, wobei diese aber auch in Gestalt einer tatbestandlichen Handlungseinheit verwirklicht sein kann (für das FPG vgl RIS‑Justiz RS0130603 [T1]). Letzteres ist hier– wie eingangs ausgeführt – der Fall, womit die Annahme (auch) der Qualifikation nach § 153d Abs 3 zweiter Fall StGB keinen Bedenken begegnet. Richtigerweise wären daher jeweils ein in tatbestandlicher Handlungseinheit verwirklichtes Verbrechen nach § 153d Abs 1 und 3 erster und zweiter Fall StGB sowie nach § 153d Abs 2 und 3 erster und zweiter Fall StGB anzunehmen gewesen. Dass das Erstgericht nur von einem Verbrechen ausging (vgl US 34), gereicht dem Angeklagten nicht zum Nachteil.

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in teilweiser Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[15] Dabei wird zu beachten sein:

[16] Das Erstgericht stellte fest, dass der Angeklagte durch die bis zum 31. Dezember 2010 begangenen Taten Vermögensvorteile in der Höhe von insgesamt 80.226,21 Euro (US 12 iVm US 2 ff; US 15 f) erlangt hat und es zudem zu einer Bereicherung durch die nicht abgeführten BUAK‑Beiträge von zumindest 1.000 Euro „je Tathandlung“ zu A./I./2./‑4./ sowie 8./ und 9./ und einer solchen von 8.141,76 Euro zu A./I./1./ gekommen sei (US 26). Abzüglich des weiters konstatierten Betrags von 250 Euro/monatlich pro jeweilig angemeldetem Arbeiter ist die „errechnete“ unrechtmäßige Bereicherung von 70.242,97 Euro (US 15 f, US 26) nicht nachvollziehbar. Dieser vom Beschwerdeführer nicht gerügten Nichtigkeit (Z 11 erster Fall iVm Z 5 vierter Fall) kann im Rahmen des Berufungsverfahrens Rechnung getragen werden (§ 290 Abs 1 letzter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0114427).

[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte