OGH 2Ob192/23h

OGH2Ob192/23h21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N *, vertreten durch Mag. Ernst Michael Lang, Rechtsanwalt in Hohenems, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Wien 3, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Tramposch & Partner Rechtsanwälte OG in Innsbruck, wegen 370.179,32 CHF sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 163.805,13 CHF sA) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. Juli 2023, GZ 1 R 41/23y‑171, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00192.23H.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin wurde als Beifahrerin in einem PKW mit Schweizer Kennzeichen am 22. Oktober 2012 bei einem Verkehrsunfall auf der A14 im Pfändertunnel verletzt. Der beklagte Verband hat für das Verschulden des am Zustandekommen des Unfalls allein schuldtragenden Lenkers eines Sattelkraftfahrzeugs mit litauischem Kennzeichen einzustehen.

[2] Das Berufungsgericht wies einen Teil des nach Einbringung der Klage am 21. Oktober 2015 erst in der Tagsatzung vom 11. November 2022 ausgedehnten Begehrens auf Ersatz von Verdienstentgang der unselbständig tätigen Klägerin wegen Verjährung ab.

[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf:

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Die Ansprüche der Klägerin sind nach dem HStVÜ (BGBl 1975/387) zu beurteilen. Nach Art 3 HStVÜ ist auf den Schadenersatzanspruch der Klägerin österreichisches Recht als Recht des Unfallorts anzuwenden. Gemäß Art 8 HStVÜ richtet sich daher auch der Umfang der Haftung, das Bestehen und die Art der zu ersetzenden Schäden sowie die Art und der Umfang des Schadenersatzes nach österreichischem Recht.

[5] 2. Die behauptete Nichtigkeit des Berufungsurteils nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (iVm § 503 Z 1 ZPO) liegt nicht vor. Es kann keine Rede davon sein, dass das Berufungsurteil nicht mit Sicherheit überprüfbar wäre.

[6] 3. Die behaupteten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens und dem Berufungsurteil anhaftenden Aktenwidrigkeiten wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[7] 4. Die Behauptungs‑ und Beweislast für die die Verjährung begründenden Umstände trifft denjenigen, der die Verjährungseinrede erhebt (RS0034456 [T4]). Es genügt, wenn die Einwendung der Verjährung allgemein (ohne Anführung von bestimmten Tatsachen) erhoben wird. In einem solchen Fall ist der gesamte Prozessstoff zu berücksichtigen (RS0034198). Es sind nicht stets explizite Tatsachenbehauptungen erforderlich, wenn angesichts des betreffenden Prozessstoffs typischerweise von einer bestimmten Sachverhaltskonstellation ausgegangen werden kann. Bei Schadenersatzansprüchen ist mangels abweichender Behauptungen die Kenntnis vom Ersatzpflichtigen mit dem Unfalldatum gleichzusetzen, sofern nicht im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände Abweichendes zu gelten hat (RS0034198 [T5]).

[8] Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich die nicht näher begründete Verjährungseinrede des Beklagten ausschließlich auf das zum Zeitpunkt von deren Erhebung allein gegenständliche Begehren auf Verdienstentgang beziehen habe können, insoweit eine „typische rechtliche Konstellation“ vorliege und in diesem Zusammenhang keine weiteren Tatsachenbehauptungen erforderlich gewesen seien, ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung nicht korrekturbedürftig.

[9] 5. Mit dem im Revisionsverfahren ohne Weiteres verwertbaren (RS0121557) Schreiben des Beklagten vom 10. Juni 2015 anerkannte dieser „die zukünftigen unfallkausalen Ansprüche der [Klägerin] dem Grunde nach“ an und verzichtete „mit der Wirkung eines Feststellungsurteils auf die Einrede der Verjährung“, wobei er seine Haftung der Höhe nach mit den im Unfallszeitpunkt in Geltung gestandenen gesetzlichen Mindestdeckungssummen begrenzte. Wieso der Klägerin angesichts dieser vor Einbringung der Klage erfolgten, als konstitutives Anerkenntnis zu wertenden Erklärung des Beklagten (ausnahmsweise dennoch) ein rechtliches Interesse an der Erhebung eines Feststellungsbegehrens zukommen sollte (vgl dazu RS0034315; zur auf die gesetzliche Mindestversicherungssumme beschränkten Haftung des „behandelnden Büros“ im Rahmen des Grüne‑Karte‑Systems vgl ausführlich 2 Ob 90/16y), legt sie in der Revision nicht dar.

[10] 6. Ein konstitutives Anerkenntnis der Haftung für künftige Schäden führt grundsätzlich dazu, dass solche Ansprüche erst in 30 Jahren verjähren (RS0034315). Von diesem Grundsatz ausgenommen sind jedoch wiederkehrende Leistungen im Sinn des § 1480 ABGB (RS0034215), die (weiterhin) der dreijährigen Verjährung unterliegen (RS0034202). Zu solchen wiederkehrenden Leistungen gehören auch Ansprüche auf Verdienstentgang (RS0030928).

[11] 7. Ein Entschädigungsbetrag ist global auszumessen. Eine Unterscheidung zwischen einem „Nettoschaden“ und einem aus der Steuerbelastung resultierenden „weiteren Schaden“ widerspräche diesem Grundsatz (RS0109818). Daraus folgt, dass der Anspruch auf Ersatz jener Steuerbelastung, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz für den Kläger zu erwarten ist, drei Jahre nach Ablauf jenes Monats verjährt, in dem die einzelnen Verdienstentgangsrenten fällig wurden. Nur bei Vorliegen besonderer, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht zu erwartender Umstände kann ein gesonderter Lauf der Verjährungsfrist für die Steuerbelastung in Betracht kommen (RS0109819). Solche besonderen Umstände, die ausnahmsweise eine gesonderte Anknüpfung des Verjährungsbeginns rechtfertigen könnten (vgl 8 Ob 66/21w Rz 12), hat die Klägerin nicht behauptet.

[12] 8. Ein ganz allgemein gehaltenes Feststellungsbegehren über die Haftung für alle künftigen Schäden aus einem Schadensereignis reicht zwar grundsätzlich, für eine Unterbrechungswirkung für sämtliche unfallkausalen Schäden – daher auch Ansprüche auf Verdienstentgang – aus (2 Ob 129/09y mwN). Allerdings erfordert die Annahme einer verjährungsrechtlichen Unterbrechungswirkung im Sinn des § 1497 ABGB, dass der Feststellungsklage stattgegeben wird (vgl RS0034771). Das war hier nicht der Fall.

[13] 8.1. Die Verjährung bereits fälliger, mit Leistungsklage einklagbarer Ansprüche wird durch die Feststellungsklage (ohnehin) nicht unterbrochen (RS0034286 [T8]). Daraus folgt, dass die Einbringung einer Feststellungsklage für die bereits bei Einbringung der Klage fälligen Ansprüche auf Verdienstentgang (bis einschließlich September 2015) ohne verjährungsrechtliche Bedeutung ist.

[14] Gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, in der Klage sei nur für den Zeitraum von Juni 2014 bis Oktober 2015 ein mit insgesamt 8.175,53 CHF bezifferter Verdienstentgang geltend gemacht worden, wendet sich die Klägerin in der Revision nicht.

[15] 9. Das Berufungsgericht ist in nicht korrekturbedürftiger Weise davon ausgegangen, dass es der Klägerin im Hinblick auf den nach Einbringung der Klage fällig gewordenen Verdienstentgang vor jeweiligem Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist möglich gewesen wäre, ihr Begehren zu beziffern. So konnte sie beispielsweise in der Aufschlüsselung mit Schriftsatz vom 17. Juli 2018 – also weniger als drei Jahre nach Einbringung der Klage – den Verdienstentgang für den Zeitraum von Einbringung der Klage bis Juni 2018 detailliert beziffern und auch die aus einem einmaligen Zufluss resultierende Steuerbelastung berechnen.

[16] In der Revision leitet die Klägerin die Schwierigkeit der Bezifferung in erster Linie daraus ab, dass sich bei ihrem fiktiven Karriereverlauf während des Prozesses eine entscheidende Änderung ergeben habe, weil sie fiktiv schon ab März 2018 eine Leitungsposition im Finanzbereich, allerdings nicht bei ihrem früheren Arbeitgeber ausüben hätte können. Genau dieser Umstand war der Klägerin aber – wie sich ihrem Schriftsatz vom 14. Mai 2020 entnehmen lässt – bereits weniger als drei Jahre nach März 2018 bekannt. Auch das sich mit dieser Frage beschäftigende ergänzende berufskundliche Gutachten wurde der Klägerin vor März 2021 zugestellt. Sie selbst weist in der Revision darauf hin, dass ihr im Juli 2019 zur Kenntnis gelangt wäre, dass sie bei ihrem früheren Arbeitgeber auch ohne den Unfall keine ihren Vorstellungen entsprechende Karriere gemacht hätte.

[17] Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich damit von jenem, der der Entscheidung 2 Ob 100/10k zu Grunde lag.

[18] 10. Die im Zusammenhang mit der Verjährungsfrage gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.

[19] 11. Ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 179 Satz 2 ZPO im konkreten Fall erfüllt sind ist nicht für das allein angefochtene Teilurteil des Berufungsgerichts, sondern nur dessen – ausdrücklich nicht angefochtenen und mangels Zulassungsausspruchs auch nicht anfechtbaren – Aufhebungsbeschluss von Relevanz.

[20] 12. Insgesamt war die außerordentliche Revision damit zurückzuweisen.

Stichworte