OGH 2Ob193/23f

OGH2Ob193/23f21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Weber Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien 1, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch BEURLE Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, wegen Herausgabe (Streitwert 1.525.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 5. Juli 2023, GZ 2 R 87/23m‑32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 5. April 2023, GZ 8 Cg 9/23a‑22, aufgehoben wurde zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00193.23F.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.066,92 EUR (darin enthalten 1.177,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungs- und die mit 49.786,46 EUR (darin enthalten 848,41 EUR USt und 44.696 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Großvater des Klägers schenkte im Jahr 1993 seinem Sohn (und Onkel des Klägers) mehrere Liegenschaften und Kommanditanteile, beinhaltend den Familienbetrieb. Punkt 6 des Schenkungsvertrags lautet wie folgt, wobei zu Beginn irrtümlich der „Geschenknehmer“ statt „Geschenkgeber“ erwähnt wird:

Sechstens: Der Geschenknehmer spricht den ausdrücklichen Wunsch aus, der Geschenknehmer möge, falls er ohne leibliche Nachkommen sterben sollte, sämtliche Schenkungsobjekte dem Enkel des Geschenkgebers und zwar … [dem Kläger] vermachen. Der Geschenknehmer nimmt diesen Wunsch ausdrücklich zur Kenntnis.

 

[2] Der Großvater verstarb 1998, wobei er 1996 in einem Testament (unter Aufhebung aller früheren letztwilligen Verfügungen) den Vater des Klägers zum Alleinerben einsetzte.

[3] Der Onkel des Klägers übertrug die klagsgegenständlichen Vermögenswerte 2018 mit Einbringungs‑ und Sacheinlagevertrag an die beklagte Gesellschaft. Der Onkel war deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter. 2019 übertrug er seinen Geschäftsanteil an eine von ihm gegründete Privatstiftung. Der Onkel entschied im Jahr 2020, dass nicht der Kläger der Begünstigte der Privatstiftung sein soll und dieser auch nicht die Geschäftsführung des Familienbetriebs in Zukunft übernehmen soll. Der Onkel verstarb 2022 kinderlos.

[4] Der Kläger begehrt die Herausgabe der geschenkten Liegenschaften und Kommanditanteile. Er stützte sich auf den Schenkungsvertrag. Der Kläger sei Begünstigter von Punkt 6 des Schenkungsvertrags, der einen Vertrag zugunsten Dritter darstelle. Er begehre die Herausgabe der klagsgegenständlichen Vermögenswerte als Nachfolgeberechtiger und rechtmäßiger Eigentümer. Der Schenkungsvertrag und die darin enthaltene Auflage, dass die schenkungsgegenständlichen Vermögenswerte im Fall des kinderlosen Ablebens des Geschenknehmers an den Kläger übertragen werden mögen, sei eine Verpflichtung des Geschenknehmers, die Vermögenswerte entweder zu Lebzeiten oder durch letztwillige Verfügung dem Kläger zukommen zu lassen. Diese Passage des Schenkungsvertrags sei nach den Regeln zur Auslegung von letztwilligen Verfügungen vorzunehmen.

[5] Selbst wenn man hier §§ 914 f ABGB anwende, wäre ungeachtet der Verwendung des Wortes „Wunsch“ von einer Verpflichtung auszugehen. Ausdrücke einer Vertragspartei, deren objektiver Wortsinn nicht ihrer Absicht entspricht, seien nicht nach ihrem Wortlaut, sondern nach der Absicht der Parteien zu verstehen. Die Absicht des Großvaters sei es unzweifelhaft gewesen, dass die streitgegenständlichen Liegenschaften und Kommanditanteile im Fall des kinderlosen Ablebens des Onkels an den Kläger fallen. Zu unterstellen, dass man lediglich einen unverbindlichen Wunsch festhalten wollte, der keine Rechtsfolgen auslösen sollte, sei unter Berücksichtigung des Umstands, dass dieser Wunsch in einem Notariatsakt festgehalten wurde, fast schon absurd. Einen rechtsfolgenlosen Wunsch müsse man nicht in Form eines Notariatsaktes festhalten.

[6] Das dem Kläger eingeräumte Besitznachfolgerecht könne auch gegen denjenigen durchgesetzt werden, der die von der Auflage umfassten Vermögenswerte innehabe, hier also die Beklagte. Diese könne sich nicht auf den guten Glauben berufen, weil ihr das Wissen des Onkels, dass er kein uneingeschränktes Eigentum übertragen hätte können, zuzurechnen sei.

[7] Die Beklagte wandte ein, dass es sich bei Punkt 6 des Vertrags um keine Auflage, sondern nur um einen unverbindlichen Wunsch des Großvaters gehandelt habe. Ein Vertrag zugunsten Dritter scheitere schon daran, dass keine Verpflichtung bzw Auflage vorliege. Selbst wenn man von einer Auflage ausginge, sei die Beklagte nicht passiv legitimiert, zumal der Kläger nicht Eigentümer der klagsgegenständlichen Vermögenswerte geworden sei. Er habe allenfalls nur einen obligatorischen Anspruch gegen die Erben des Onkels, zumal die Beklagte nicht seine Gesamtrechtsnachfolgerin sei.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Zwischen den Vertragsparteien des Schenkungsvertrags sei in Punkt 6 mit dem bloßen Wunsch des Großvaters keine rechtliche Verbindlichkeit begründet worden. Weder die Voraussetzungen für eine Nacherbschaft noch jene für einen Vertrag zugunsten Dritter lägen vor.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers im Sinne des hilfsweise gestellten Eventualbegehrens Folge und hob das Ersturteil zur neuerlichen Entscheidung auf. Für die Auslegung des Schenkungsvertrags seien die §§ 914 f ABGB einschlägig. Damit komme dem Empfängerhorizont – anders als bei letztwilligen Verfügungen – Relevanz zu. Es fehlten Feststellungen zur Absicht der Parteien des Schenkungsvertrags bzw zur vom Geschenknehmer (Onkel) erkennbaren Absicht des Geschenkgebers (Großvater). Weiters sei offen, ob der Großvater überhaupt dem Begünstigten selbst ein Recht einräumen wollte. Der Herausgabeanspruch des Klägers hänge von der Vereinbarung der Parteien des Schenkungsvertrags ab, dass das Eigentum des Geschenknehmers bei Eintritt der Bedingung an den Kläger falle.

[10] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs mangels Rechtsprechung zum einen zur Frage zu, ob für ein vertragliches Besitznachfolgerecht die Auslegung nach der Willenstheorie zu erfolgen habe und zum anderen zu den Voraussetzungen eines durch ein Besitznachfolgerecht vermittelten Herausgabeanspruchs gegen einen dritten Erwerber.

[11] Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem sie eine Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils anstrebt.

[12] Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Rekurs ist wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig; er ist auch berechtigt.

[14] 1. Im Zentrum des Verfahrens steht die Auslegung von Punkt 6 des Schenkungsvertrags. Während sich der Kläger primär darauf stützte, dass die Klausel „anhand der Willenstheorie analog der fideikommissarischen Substitution“ auszulegen sei, vertraten die Vorinstanzen die Ansicht, dass die Auslegung nach §§ 914 f ABGB zu erfolgen habe.

[15] 2. Letzterem ist zuzustimmen. Der Kläger stützt seinen Anspruch auf ein ihm vertraglich eingeräumtes Besitznachfolgerecht. Es ist unstrittig, dass die relevante Klausel Teil eines Schenkungsvertrags zwischen dem Großvater und dem Onkel ist. Nach (nunmehr) gesicherter Rechtsprechung (8 Ob 560/90; 1 Ob 551/94; 5 Ob 110/13g; RS0037212; RS0017778; RS0113932; RS0017781 [T8]; RS0014199 [T1]; aA noch RS0014199; RS0017884 [T3]; RS0017440) und herrschender Lehre (P. Bydlinski in KBB7 § 938 ABGB Rz 1; Ertl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 938 ABGB Rz 32 ff; Kellner in Rummel/Lukas/Geroldinger 4 § 938 ABGB Rz 5; Löcker in Kletečka/Schauer 1.03 § 938 ABGB Rz 1; Parapatits in Schwimann/Kodek 5 § 938 ABGB Rz 6) ist auch für unentgeltliche Verträge, daher auch für Schenkungsverträge, die Vertrauenstheorie und nicht die Willenstheorie maßgebend, sodass die Auslegung nach §§ 914 f ABGB zu erfolgen hat.

[16] 3.1 Bei der Auslegung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen der Parteien ist ausgehend vom Wortlaut die Absicht der Parteien unter Berücksichtigung der redlichen Verkehrsübung sowie des Verhaltens und der Erklärungen der Parteien, gemessen am Empfängerhorizont, heranzuziehen (vgl RS0107851; RS0044358).

[17] 3.2 Das Erstgericht hat die Anforderungen an eine Auslegung nach §§ 914 f ABGB ausreichend erfüllt und die dazu nötigen Feststellungen getroffen, wobei dabei auch sogenannte dislozierte Feststellungen zu berücksichtigen waren.

[18] 3.3 Dem Vorwurf des Berufungsgerichts, dass das Erstgericht „am Wortlaut [der Klausel] hängenbleibt, ohne den Willen und die Umstände zu erforschen“, ist Folgendes entgegenzuhalten:

[19] 3.3.1 Für das Erstgericht bildete der Wortsinn „Wunsch“ in der Klausel 6 in seiner gewöhnlichen Bedeutung (als rechtlich unverbindliche Äußerung zu einem erhofften Verhalten) ausdrücklich nur den Ausgangspunkt (siehe RS0017915 [T13]) für die Ermittlung der Absicht der Parteien. Dabei blieb das Erstgericht aber nicht stehen. Vielmehr gelangte es unter Beachtung der weiteren den Vertragsabschluss begleitenden Umstände (RS0017802 [T1, T19, T20, T24]), insbesondere der familiären Situation der Beteiligten, der Intentionen des Großvaters und des Onkels und ihres Verhaltens vor und nach dem Vertragsabschluss (RS0017815) zur (dislozierten) Feststellung, dass das Fehlen eines verbindlichen Charakters von Punkt 6 des Vertrags „dem Willen der Vertragsparteien“ entsprochen habe. Auch unter Bezugnahme auf eine andere Klausel im Vertrag (in der dem Onkel explizit eine Verpflichtung auferlegt wurde) schloss es das Erstgericht aus, dass der Großvater dem Wort „Wunsch“ eine verbindliche Bedeutung zugedeihen wollte. Auch in diesem Teil des Urteils finden sich somit Feststellungen zur (vom Erstgericht verneinten) Frage, ob zwischen den Streitteilen Konsens über eine rechtliche Verpflichtung bestanden hätte.

[20] 3.3.2 Entgegen dem Berufungsgericht ging das Erstgericht in seiner Entscheidung auch auf das Vorbringen des Klägers ein, mit Punkt 6 sei bewusst eine „weiche“ Formulierung einer die Verfügungsmacht des Beschenkten einschränkenden Bestimmung gewählt worden. Das Erstgericht hielt diesem Vorbringen die Beweisergebnisse entgegen, wonach der Großvater es dem Onkel letztlich überlassen habe („sollte dieser in seiner letztlichen Entscheidung darüber frei bleiben“), wie dieser über das geschenkte Vermögen verfügt, sodass die Formulierung der Klausel „ganz gezielt getroffen wurde“.

[21] 4. Die vom Berufungsgericht vermissten Feststellungen liegen damit vor.

[22] 4.1 Es ist zwar dem Obersten Gerichtshof verwehrt, einem Auftrag des Gerichts zweiter Instanz zur Verfahrensergänzung entgegenzutreten, wenn dieses der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist (RS0042179; RS0043414).

[23] 4.2 Das setzt voraus, dass die dem Aufhebungsbeschluss zugrundeliegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden ist (RS0042179 [T14, T17, T21, T22]). Im Anlassfall vertrat das Berufungsgericht die Rechtsansicht, dass weitere Feststellungen erforderlich seien. Es ging dabei von einer unvollständigen Sachverhaltsfeststellung als Folge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, somit von einem sekundärem Verfahrensmangel aus, wonach das Erstgericht § 914 ABGB falsch angewandt habe. Ein sekundärer Verfahrensmangel ist der Rechtsrüge zuzuordnen, seine Beurteilung ist Teil der rechtlichen Beurteilung (RS0042319). Die eine Aufhebung tragende Rechtsansicht kann per definitionem nur dann richtig sein, wenn nicht alle für die Beurteilung des Sachverhalts erforderlichen Feststellungen vorliegen, wenn sie also nicht getroffen oder vom Berufungsgericht wegen eines primären Verfahrensmangels des Erstgerichts nicht übernommen wurden (Musger in Fasching/Konecny 3 § 519 Rz 97). Der Rechtssatz zu 4.1 bezieht sich damit nicht auf die Frage, ob weitere Feststellungen erforderlich sind (Musger aaO).

[24] 4.3 Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts hat das Erstgericht die erforderlichen Feststellungen getroffen, sodass der oben referierte Rechtssatz nicht zur Anwendung kommt, zumal auch kein bejahter primärer Verfahrensmangel vorliegt. Davon abgesehen beruhen die vom Berufungsgericht als erforderlich erachteten Ergänzungen auf aktenwidrigen Überlegungen, wonach sich das Erstgericht mit dem Vorbringen des Klägers zum vom Wortlaut abweichenden Parteiwillen nicht auseinandergesetzt hat (zB „ohne auf das Vorbringen einzugehen, hier sei bewusst eine weiche Formulierung … gewählt worden“ „ohne den Willen und die Umstände zu erforschen“). Auch aus diesem Grund kommt der referierte Rechtssatz nicht zur Anwendung (RS0042179 [T15]).

[25] 5. Ausgehend vom getroffenen Sachverhalt, erweist sich die Rechtssache daher als spruchreif. Mangels rechtlicher Verpflichtung des Onkels, die ihm vom Großvater geschenkten Vermögensgegenstände an den Kläger weiterzugeben, fehlt dem Herausgabeanspruch des Klägers die Grundlage. Dem Rekurs der Beklagten ist dementsprechend Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

[26] 6. Aufgrund der Fällung einer Sachentscheidung ist auch über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens abzusprechen. Diese Entscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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