OGH 2Ob182/23p

OGH2Ob182/23p21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Linke Wienzeile 18, Wien 6, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei L*, vertreten durch Mag. Andreas Sabadello, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Juli 2023, GZ 1 R 50/23i‑18, womit einer Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 22. Februar 2023, GZ 11 Cg 55/22h‑11, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00182.23P.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Klauselentscheidungen, Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.639,04 EUR (darin enthalten 439,84 EUR USt.) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist ein gemäß § 29 Abs 1 KSchG klagebefugter Verband.

[2] Die Beklagte schließt über eine von ihr betriebene Website im Weg einer Registrierung Verträge ab und verwendet dabei Vertragsformblätter mit einer Vielzahl standardisierter Vertragsklauseln. Der ganz überwiegende Großteil der Personen, die ein derartiges Vertragsverhältnis mit der Beklagten eingehen, war zuvor noch nie unternehmerisch tätig, bezog Einkünfte ausschließlich aus unselbstständiger Beschäftigung und verfolgte private Geldanlagezwecke. Vertragsverhältnisse mit derartigen Personen werden von der Beklagten nicht abgelehnt.

[3] DerKläger begehrt – gestützt auf § 28 KSchG in Verbindung mit § 879 Abs 3 ABGB, §§ 6 und 10 Abs 3 KSchG – der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder von ihr verwendeten Vertragsformblättern 47 näher bezeichnete Klauseln oder sinngleiche Klauseln zu verwenden oder sich darauf zu berufen. Zudem erhob er ein Begehren auf Urteilsveröffentlichung.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebehren vollinhaltlich statt.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es das Unterlassungsbegehren auf den geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern mit Wohnsitz in Österreich einschränkte. Die ordentliche Revision ließ es zu, weil insbesondere die im Vergütungsplan enthaltenen Klauseln vom Obersten Gerichtshof noch nicht behandelt worden, diese aber für eine größere Kundenanzahl von Bedeutung seien.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[7] 1. Der Oberste Gerichtshof ist zur Auslegung von AGB-Klauseln nicht „jedenfalls“, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtet hat oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind (RS0121516). Demnach genügt für die Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs nicht schon der Umstand, dass es an einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu gleichen oder ähnlichen Klauseln mangelt (RS0121516 [T4]). Auch der Umstand allein, dass im konkreten Fall mehrere Personen Verträge mit der Beklagten abgeschlossen haben, die gleichartige Klauseln enthalten, bewirkt nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0042816 [T1]).

[8] Die Beklagte behauptet erhebliche Rechtsfragen zu folgenden Themen:

2. Verbrauchergeschäfte – § 1 Abs 1 und 3 KSchG:

[9] Soweit die Beklagte Vertragsabschlüsse (auch) mit Verbrauchern bzw das Vorliegen von Gründungsgeschäften nach § 1 Abs 3 KSchG und daher die Anwendbarkeit des ersten Hauptstücks des KSchG in Frage stellt, entfernt sie sich vom festgestellten (oben zusammengefasst wiedergegebenen) Sachverhalt, sodass in diesem Zusammenhang schon deshalb keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird. Ob auch nur einseitig verbindliche Dauerschuldverhältnisse Gründungsgeschäfte im Sinn des § 1 Abs 3 KSchG sein können, die den Anwendungsbereich des ersten Hauptstücks eröffnen, bedarf schon deshalb keiner Klärung, weil – ausgehend von der festgestellten Sachverhaltsgrundlage – die Vertragsabschlüsse überwiegend „privaten“ Geldanlagezwecken und nicht der Unternehmensvorbereitung dienen.

3. „Vergütungsplan“:

[10] Im Zusammenhang mit dem vom Berufungsgericht bejahten Verstoß der den Vergütungsplan regelnden Klauseln (22 bis 43 sowie 45 und 46) gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG erschöpft sich die Revision in der wortgleichen Wiederholung ihrer Berufungsausführungen ohne auf die Argumente des Berufungsgerichts auch nur mit einem Wort einzugehen, sodass keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorliegt (vgl 1 Ob 51/19k Pkt 7.; 10 Ob 53/22z Rz 38), die eine Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts eröffnen könnte.

[11] 4. Die Intransparenz dieser Klauseln führt aber nach der Rechtsprechung – wie das Berufungsgericht nicht korrekturbedürftig angenommen hat – auch zur Unwirksamkeit der auf den Vergütungsplan verweisenden Klauseln 1, 4, 5, 6 und 10 (RS0122040 [T31]).

[12] 5. Auch im Zusammenhang mit den Regelungen zur Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (Klauseln 8 und 9), die das Berufungsgericht als gröblich benachteiligend gemäß § 879 Abs 3 ABGB eingestuft hat, zeigt die Revision keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf.

[13] Bei der Beurteilung einer gröblichen Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB ist zunächst zu prüfen, ob eine Abweichung vom dispositiven Recht vorliegt (RS0014676). Redlich erlangte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind grundsätzlich nur gegen unlautere Ausbeutung geschützt (vgl §§ 26c und 26d UWG; RS0078348 [T6]). Eine sachliche Rechtfertigung für das allgemeine, über die Vertragsdauer hinausgehende Weitergabeverbot vermag die Beklagte aber nicht darzulegen, ist doch bei kundenfeindlichster Auslegung etwa auch deren unentgeltliche Weitergabe an Familienmitglieder oder die Weitergabe an Rechtsvertreter zur Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen des Kunden erfasst (vgl 4 Ob 184/18i Pkt 3.2 [Klausel e1]). Der vom Berufungsgericht bejahte Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, gegen die die Revision nichts Stichhältiges ins Treffen führt.

[14] 6. Das Berufungsgericht hat im Zusammenhang mit der Klausel 11 (Auflösungsmöglichkeit der Marketervereinbarung wegen wiederholter, bei überdurchschnittlicher Anfechtung, Widerruf oder Kündigung der vermittelten Verträge zum nächstmöglichen Termin indizierter Falschberatung) einen Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB angenommen, weil auch Umstände zu einer außerordentlichen Vertragsauflösung berechtigen würden, auf die der Vertragspartner der Beklagten keinen Einfluss habe und die nicht seiner Sphäre zuzurechnen seien. Überdies sei die Klausel intransparent, weil unklar bleibe, was unter „wiederholter“ Falschberatung und „überdurchschnittlicher“ Anzahl zu verstehen sei.

[15] Die Revision bekämpft die selbstständig tragfähige Hilfsbegründung des Berufungsgerichts, die Klausel verstoße auch gegen § 6 Abs 3 KSchG nicht, sodass schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird (RS0118709 [T3]).

[16] 7. Dass das Berufungsgericht im Zusammenhang mit den übrigen Klauseln die Grundsätze der Transparenzbeurteilung des § 6 Abs 3 KSchG oder die zu § 6 Abs 1, § 10 Abs 3 KSchG bzw § 879 Abs 3 ABGB ohnehin vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs korrekturbedürftig angewendet haben soll, ist der Revision nicht zu entnehmen.

[17] 8. Die geltend gemachten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[18] 9. Ausführungen zur Leistungsfrist und dem Veröffentlichungsbegehren enthält die Revision nicht. Insgesamt wird daher keine erhebliche Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

[19] 10. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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