OGH 10ObS95/23b

OGH10ObS95/23b21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Mag. Martha Gradl, Rechtsanwältin in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr.in Simone Metz, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Waisenpension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. April 2023, GZ 11 Rs 15/23 i‑68, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Juni 2023, GZ 11 Rs 15/23 i‑69, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 28. November 2022, GZ 64 Cgs 6/19f‑59, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00095.23B.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des 1979 geborenen Klägers auf Zuerkennung einer Waisenpension nach dem Tod seiner Mutter am 10. 6. 2018.

[2] Der Kläger ist seit seiner frühesten Kindheit infolge einer schweren Netzhautveränderung durch Frühgeburt (Frühgeborenenretinopathie) auf beiden Augen blind. Ihm ist lediglich ein rudimentäres Restsehvermögen geblieben, das eine grobe Orientierung ermöglicht. In den vergangenen Jahren erkrankte der Kläger zusätzlich an der Hornhaut (Keratokonus). Das Bundessozialamt stellte den Grad der Behinderung des Klägers mit 100 % fest. Der Kläger bezieht Pflegegeld der Stufe 4.

[3] Zum bisherigen Verfahrensgang – und hier insbesondere zu den Feststellungen über die Ausbildung und die bisherige Erwerbstätigkeit des Klägers – ist auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im ersten Rechtsgang, 10 ObS 131/20t SSV‑NF 35/3 DRdA‑infas 2021/112, 217 [Zhang], zu verweisen.

[4] Mit Bescheid vom 27. 11. 2018 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 3. 7. 2018 auf Zuerkennung einer Waisenpension ab, weil der Kläger nicht erwerbsunfähig sei.

[5] Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung einer Waisenpension in gesetzlichem Ausmaß. Er sei aufgrund seiner hochgradigen Sehbehinderung nie erwerbsfähig gewesen und erfülle daher die Kindeseigenschaft im Sinn des § 252 Abs 2 Z 3 ASVG.

[6] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger erwerbsfähig sei und derzeit sogar ein Leistungskalkül für Blindenberufe am allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Erwerbsunfähigkeit habe auch vor dem 18. Lebensjahr nicht bestanden. Der Kläger habe in der Vergangenheit immer wieder einen Verdienst über der Erwerbslosigkeitsgrenze erzielt.

[7] Das Erstgericht wies auch im dritten Rechtsgang das Klagebegehren ab.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen dieses Urteil nicht Folge. Es ging – nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung samt mündlicher Erörterung des Gutachtens des berufskundlichen Sachverständigen – von folgendem – weiteren – Sachverhalt aus:

[9] Der Kläger ist hinsichtlich seiner kognitiven Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt, auch nicht hinsichtlich Leistungsparametern wie Ausdauer und Arbeitstempo. Einschränkungen des Leistungskalküls des Klägers ergeben sich ausschließlich aus der vorliegenden Erblindung. Es bestehen keine Einschränkungen in den Hebe‑ und Trageanforderungen oder in den psychischen Arbeitsanforderungen und es sind keine Haltungswechsel erforderlich. Dem Kläger sind Tätigkeiten zumutbar, die einer erblindeten und nach erfolgten Maßnahmen der Rehabilitation trainierten Person möglich sind. Arbeiten mit erhöhtem Verletzungsrisiko (zB an laufenden Maschinen) sind unzumutbar. Bildschirmarbeit ist zumutbar, wobei diese wegen der Erblindung und damit Notwendigkeit von Hilfsmitteln nur mehr eine auf maximal 25 % reduzierte Arbeitsgeschwindigkeit im Vergleich zu Augengesunden erlaubt. Diese auf „25 % reduzierte Arbeitsgeschwindigkeit“ betrifft bei allen Erblindeten (also auch beim Kläger) aber nur jenen Anteil von Tätigkeiten, für die eine „Visusleistung“ beim Sehen notwendig ist und daher beim Blinden angelernte Kompensationsmechanismen („Visusersatzleistung“) erforderlich macht. Für Arbeiten, die keine solche Visusleistungen bzw bei Blinden keine Visusersatzleistungen erfordern, ist von einer vergleichbaren Arbeitsgeschwindigkeit mit Sehenden auszugehen.

[10] Der Kläger kann einen entsprechend ausgestatteten, klar strukturierten Sehbehindertenarbeitsplatz ganzzeitig und uneingeschränkt nutzen. Seine Arbeitsfähigkeit entsprach stets der einer „gesunden und erblindeten Person“, dies hat sich auch über die Jahre und vor allem nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht geändert. Der beim Kläger später aufgetretene Keratokonus schränkt das Leistungskalkül nicht zusätzlich ein. Alle vom Kläger bisher im Bürowesen verrichteten Tätigkeiten sind ihm weiterhin möglich. Dafür benötigt der Kläger jedoch einen speziell zugerichteten Arbeitsplatz sowie die für die Tätigkeit an einem PC‑Arbeitsplatz erforderliche Hard‑ und Software mit allen Peripheriegeräten und Softwareprogrammen. Alle bisherigen Beschäftigungen des Klägers waren aufgrund der Lohnförderung, die zumindest 50 % des Bruttolohns ausmachte, möglich.

[11] Der Kläger wäre mit Blick auf seine körperliche und geistige Arbeitsfähigkeit – unter Außerachtlassung des bis zum Zeitpunkt des 18. Lebensjahres laufenden Schulbesuchs – grundsätzlich in der Lage gewesen, nach entsprechender Einschulung Tätigkeiten in einem Callcenter oder in einer Telefonhotline auszuüben. Zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter war der Kläger ebenfalls in der Lage, diese Tätigkeiten auszuüben.

[12] Unter Berücksichtigung der Ausbildung des Klägers und seiner Berufserfahrung ist er an typischen Blindenarbeitsplätzen einsetzbar; es sind dies Arbeitsplätze beispielsweise im kaufmännischen Innendienst, im IT‑Bereich, telefonische Beratung, Hotline‑Tätigkeiten, auch kaufmännische Tätigkeiten im Verkauf (Telefonverkauf).

[13] Die beim Kläger bestehenden Leistungsbeschränkungen waren immer schon vorhanden, eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit ist nicht anzunehmen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Leidenszustand des Klägers durch eine Erwerbstätigkeit negativ beeinflusst würde.

[14] Grundsätzlich sind Blinde von den meisten Tätigkeiten am Arbeitsmarkt faktisch ausgeschlossen. Dies gilt jedoch nicht für die dargestellten „Blindenberufe“. Bei allen Tätigkeiten ist eine entsprechende Arbeitsplatzeinrichtung erforderlich. Diese muss grundsätzlich vom Arbeitgeber bereitgestellt werden. Der finanzielle Aufwand eines potentiellen Arbeitgebers für einen Büro‑Computer‑Arbeitsplatz beträgt 15.000 EUR bis 20.000 EUR für die Hard‑ und Softwareausstattung. In etwa der gleiche Aufwand entsteht für die Einrichtung eines blindengerechten Arbeitsplatzes eines Telefonisten. Diesbezüglich gibt es aber zahlreiche Förderungsmöglichkeiten, insbesondere über das Arbeitsmarktservice, die Sozialversicherung und die Wirtschaftskammer. Über diese Förderungsmöglichkeiten werden die Kosten für den jeweiligen Arbeitgeber im Wesentlichen abgedeckt, sodass ihn insofern selbst keine Kostenbelastung trifft.

[15] Als weitere Förderung gibt es die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz. Diese ermöglicht die faktische Tätigkeit, indem beispielsweise Akten zugetragen und weggelegt werden. Diese Kosten werden vor allem von der Sozialversicherung getragen; sie werden aber auch häufig auf den Arbeitgeber abgewälzt. Eine einheitliche Lösung in Österreich gibt es derzeit nicht.

[16] In Österreich gibt es in etwa 1.900 sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnisse mit Blinden. Davon gibt es auch zahlreiche ohne Lohnförderung; deren genaue Anzahl kann nicht festgestellt werden.

[17] Soweit es Lohnförderungen für die Beschäftigung von Blinden gibt, handelt es sich dabei entweder um Entgeltanstoßfinanzierungen oder weitere Entgeltfortzahlungen, letztere in einem Ausmaß bis zu 50 %. Dazu kommt noch eine faktische Förderung insofern, als es eine Beschäftigungspflicht für Behinderte ab einer bestimmten Betriebsgröße gibt und bei Nichterfüllung der Quote nach dem Behinderteneinstellungsgesetz eine Ausgleichstaxe zu zahlen ist. Darüber hinaus gibt es noch eine Kommunalsteuerersparnis sowie eine Ersparnis bei den Dienstgeberbeiträgen.

[18] Beschränkt sich die Tätigkeit eines Blinden im Wesentlichen auf eine telefonische Beratungstätigkeit, so tritt nur eine minimale Verlangsamung der Arbeitsgeschwindigkeit von etwa 10 % ein, dies samt Bedienung der Telefonanlage. Bei anderen Tätigkeitsbildern, in denen die Software viel stärker zum Einsatz kommt, tritt dann eine weitere Verlangsamung bis zu etwa 50 % ein. Leistungen einer persönlichen Assistenz wurden dabei allerdings noch nicht berücksichtigt. Diese ist unbedingt erforderlich, wenn Bücher etc beigeschafft werden müssen (beispielsweise aus Bibliotheken).

[19] Von den insgesamt bestehenden 1.900 Blindendienstverhältnissen besteht bei etwa 10 bis 20 % nur eine marginale behinderungsbedingte Verlangsamung der Arbeitsgeschwindigkeit im Ausmaß von 10 bis 20 %. Bei etwa 10 % der Blindendienstverhältnisse ist auch keine persönliche Assistenz erforderlich.

[20] Blinde weisen grundsätzlich einen Invaliditätsgrad von 100 % auf und zählen damit zu den am schwersten Behinderten. Trotz der insgesamt etwa 1.900 Blindendienstverhältnisse in Österreich fällt es dem jeweiligen Blinden sehr schwer, tatsächlich einen Arbeitsplatz zu finden. Es gibt keine Ausschreibungen für Blindenarbeitsplätze. Tatsächlich einen Arbeitsplatz erreichen kann der Kläger letztlich nur durch Hilfe von Trägereinrichtungen. Bei entsprechendem Zusammenwirken der Trägereinrichtungen müsste es für den Kläger allerdings möglich sein, innerhalb eines Zeitraums von drei bis sechs Monaten eine Arbeitsstelle zu erlangen, die nur mit einer minimalen Verlangsamung seiner Arbeitsgeschwindigkeit verbunden ist.

[21] Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, dass für den Kläger österreichweit jedenfalls deutlich mehr als 100 seinem Leistungskalkül entsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung stünden, bei denen die Arbeitsgeschwindigkeit nur marginal verlangsamt und keine persönliche Assistenz erforderlich sei. Die Arbeitsplätze erforderten zwar eine entsprechende Einrichtung, welche allerdings weitestgehend durch Förderungsmöglichkeiten abgedeckt sei und daher Arbeitgeber nicht belaste. Das darüber hinausgehende direkte und indirekte Förderungssystem (Einstellungsverpflichtung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz, Begünstigungen bei der Kommunalsteuer und bei Dienstgeberbeiträgen) biete zusätzliche Anreize für die Integration begünstigter Behinderter, sei aber nicht Voraussetzung, um überhaupt eine Beschäftigung zu erlangen und diene auch nicht dazu, ein sonst erforderliches besonderes Entgegenkommen zu kompensieren. Die behinderungsbedingte marginale Reduktion der Arbeitsgeschwindigkeit werde im Allgemeinen von der Wirtschaft toleriert. In der Gesamtbetrachtung sei der Kläger daher nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen. Dass der Kläger in der Lage sei, einen nennenswerten Erwerb zu erzielen, ergebe sich daraus, dass österreichweit 1.900 sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnisse für Blinde zur Verfügung stünden. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter sei der Kläger nicht mehr als erwerbsunfähig im Sinn des § 252 Abs 2 Z 3 ASVG anzusehen, sodass seine Kindeseigenschaft nach Vollendung des 18. Lebensjahres nicht fortbestanden habe. Die Revision sei zulässig, weil zur Frage der erforderlichen kostenintensiven Arbeitsplatzeinrichtung samt bezughabender Förderungsmaßnahmen eine klarstellende Stellungnahme des Höchstgerichts angezeigt sei.

[22] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung der Klage anstrebt. Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

[23] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

[24] Der Revisionswerber macht geltend, dass die hier festgestellten Bedingungen, deren Erfüllung für eine Arbeitstätigkeit des Klägers Voraussetzung sei, nicht dem „ersten“, sondern vielmehr dem „zweiten“ Arbeitsmarkt zuzuordnen seien. Daran ändere der Umstand, dass es in Österreich 1.900 bestehende sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnisse gebe, nichts, weil diese Anzahl nichts darüber aussage, ob es sich dabei um Dienstverhältnisse handle, in denen unter den Bedingungen des ersten Arbeitsmarkts gearbeitet werde, oder ob es sich dabei um ein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers handle.

[25] Dem kommt keine Berechtigung zu:

[26] 1. Nach ständiger Rechtsprechung ist erwerbsunfähig im Sinn des § 252 Abs 2 Z 3 ASVG, wer infolge Krankheit oder Gebrechens nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Verdienst zu erzielen (RS0085536). Als nicht nennenswert kann ein Entgelt angesehen werden, das den Betrag nicht übersteigt, bis zu dem nach § 122 Abs 4 ASVG Erwerbslosigkeit anzunehmen ist (10 ObS 84/94 SSV‑NF 8/42 mwH; RS0085556 [T2]). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es dem Kläger möglich wäre, in den festgestellten, ihm zumutbaren Erwerbstätigkeiten einen nennenswerten Verdienst in diesem Sinn zu erzielen, wird in der Revision nicht in Frage gestellt.

[27] 2.1 In der Vorentscheidung 10 ObS 131/20t hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt (Rz 20), dass es bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach § 252 Abs 2 Z 3 ASVG darauf ankommt, ob das Kind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einem Erwerb nachgehen kann. Ausschlaggebend für den Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinn dieser Bestimmung sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte. Darauf, ob und in welchem Umfang das Kind nicht dennoch – etwa auf Kosten seiner Gesundheit oder mit Hilfe anderer Personen – weiterhin ein Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit bezieht, ist nicht Bedacht zu nehmen. Der Gesetzgeber wollte mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit in § 252 Abs 2 Z 3 ASVG ausdrücken, dass beim Kind ein Zustand vorhanden sein muss, der es ihm nicht gestattet, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

[28] 2.2 Nach den Feststellungen sind dem Kläger jedenfalls im Zeitpunkt des Todes seiner Mutter (§ 86 Abs 3 Z 1 ASVG) trotz seiner durch seine Blindheit verursachten medizinischen Leistungseinschränkungen die festgestellten Erwerbstätigkeiten möglich. Dies stellt der Kläger – bezogen auf die maßgeblichen medizinischen Gesichtspunkte – in der Revision auch nicht in Frage. Dass die Ausübung einer dieser dem Kläger möglichen Erwerbstätigkeiten seinen Leidenszustand negativ beeinflussen könnte, steht nicht fest, was zu Lasten des dafür beweispflichtigen Klägers geht.

[29] 3.1 Erwerbsunfähigkeit liegt weiters vor, wenn eine Erwerbstätigkeit nur unter der Voraussetzung möglich ist, dass der Dienstgeber dem Erwerbstätigen über den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Rahmen hinaus entgegenkommt (10 ObS 59/16y SSV‑NF 30/44, Pkt 2.5). Ob der Kläger auf ein solches besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers angewiesen wäre, ist eine Rechtsfrage (vgl zur Möglichkeit der Ausübung einer Verweisungstätigkeit 10 ObS 201/01h SSV‑NF 15/96; 10 ObS 81/15g SSV‑NF 30/14 Pkt 4.).

[30] 3.2 Bereits in der bisherigen Rechtsprechung zum Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist anerkannt, dass die Existenz von „Blindenberufen“ zeigt, dass auch Blinde und ebenso fast Blinde in der Lage sind, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommende Berufe auszuüben, ohne dass durchwegs ein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers erforderlich wäre; gewisse behinderungsbedingte Einschränkungen werden im Allgemeinen in der Wirtschaft toleriert (10 ObS 255/01z [Erwerbsunfähigkeitspension]; 10 ObS 31/02k SSV‑NF 16/17 [Berufsunfähigkeitspension]; 10 ObS 183/02ps SSV‑NF 16/17 [Erwerbsunfähigkeitspension]; RS0086458 [T8]; vgl auch zum Beruf des Telefonisten als „Blindenberuf“ auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 10 ObS 180/99i [Waisenpension]; Födermayr in SV‑Komm [252. Lfg] § 255 ASVG Rz 89; Neumayr, Wann steht ein Versicherter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung – die Judikatur des OGH, ZAS 2003/34, 196, Pkt 4a).

[31] 3.3 Der Revisionswerber zielt mit seinen Ausführungen, er könne die festgestellten Erwerbstätigkeiten nur auf dem „zweiten“, nicht aber auf dem „ersten“ (dem allgemeinen) Arbeitsmarkt ausüben, darauf ab, dass er eines besonderen Entgegenkommens des Dienstgebers zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bedürfe. Damit weicht die Revision aber in unzulässiger Weise von den Feststellungen ab, nach denen die Kosten der Arbeitsplatzeinrichtung über Förderungsmöglichkeiten für den jeweiligen Dienstgeber im Wesentlichen abgedeckt werden, sodass den Dienstgeber insofern selbst keine Kostenbelastung trifft. So weist etwa Widy (BEinstG9, 170) darauf hin, dass die modernen Blindenberufe eines Telefonisten oder Stenotypisten erst durch aufwändige technische Hilfen aus Mitteln des Ausgleichstaxfonds (§§ 10, 10a BEinstG) möglich wurden. Dass diese rechtlichen Förderungsmöglichkeiten einem den Kläger beschäftigenden Dienstgeber nicht zur Verfügung stünden, behauptet er in der Revision nicht. Der bloße von ihm ins Treffen geführte Umstand, dass ein potentieller Dienstgeber des Klägers einen entsprechenden Antrag auf Förderung stellen muss, stellt für sich genommen noch kein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers dar; verpflichtet doch der Gesetzgeber gemäß § 1 Abs 1 BEinstG Dienstgeber, die im Bundesgebiet 25 oder mehr Dienstnehmer beschäftigen, auf je 25 Dienstnehmer mindestens einen begünstigten Behinderten – wie etwa den Kläger – einzustellen.

[32] 3.4 Übt der Kläger eine telefonische Beratungstätigkeit aus, so tritt nur eine minimale Verlangsamung der Arbeitsgeschwindigkeit von etwa 10 % ein, dies samt Bedienung der Telefonanlage. Der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine derartige, bloß gering verringerte Arbeitsgeschwindigkeit im Allgemeinen von der Wirtschaft toleriert wird und mehr als 100 Arbeitsplätze mit diesen Anforderungen zur Verfügung stehen, tritt der Revisionswerber nicht entgegen. Soweit er auf die Notwendigkeit einer persönlichen Assistenz hinweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass mehr als 100 Blindenarbeitsplätze nach den Feststellungen existieren, an denen der Kläger keine persönliche Assistenz benötigt.

[33] 4. Zusammengefasst ist dem Kläger zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, bei der er einen nennenswerten Verdienst erzielen kann, nach medizinischen Gesichtspunkten zumutbar, ohne dass dabei sein Leidenszustand negativ beeinflusst wird und ohne die Notwendigkeit eines Entgegenkommens des Dienstgebers über den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Rahmen hinaus, sodass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Waisenpension zutreffend verneint hat.

[34] Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[35] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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