OGH 10ObS31/02k

OGH10ObS31/02k19.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Thomas Keppert (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günther Degold (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elke Z*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Ulrich O. Daghofer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahrens nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. September 2001, GZ 8 Rs 130/01a-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. März 2001, GZ 42 Cgs 25/01s-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die am 23. 5. 1954 geborene und seit ihrer Kindheit blinde Klägerin, die keinen Berufsschutz genießt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension nach der für die Klägerin maßgebenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG nicht erfüllt, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Das Verweisungsfeld für Versicherte, die - wie die Klägerin - nicht in einem Angestelltenberuf oder auch nicht überwiegend in einem erlernten (angelernten) Beruf tätig war, ist grundsätzlich mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt ident (SSV-NF 6/12, 2/34 ua). Die im § 255 Abs 3 ASVG enthaltene Zumutbarkeitsformel ("durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann ... ") soll die Verweisung auf Tätigkeiten verhindern, zu denen der Versicherte zwar im Stande wäre, die ihm aber unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeit nicht mehr zumutbar wären. Damit soll vor allem ausgeschlossen werden, dass ein Versicherter auf Tätigkeiten verwiesen wird, die einen höheren Bildungsgrad oder eine unzumutbare längere Anlernung oder Umschulung voraussetzen (DRdA 2001/30 mit Anm Ritzberger-Moser; SSV-NF 13/143, 5/45 mwN ua).

Wie der erkennende Senat in der erst jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 255/01z vom 25. 9. 2001 ausgeführt hat, zeigt die Existenz von "Blindenberufen" (Telefonist, Heilmasseur usw), dass auch Blinde und ebenso fast Blinde in der Lage sind, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommende Berufe auszuüben, ohne dass durchwegs ein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers erforderlich wäre. Gewisse behinderungsbedingte Einschränkungen werden im Allgemeinen in der Wirtschaft toleriert. Entscheidende Bedeutung für die Verweisbarkeit der Klägerin kommt somit der Frage zu, ob sie in der Lage ist, eine auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl vorkommende Tätigkeit auszuüben oder nicht, wobei sie sich erforderlichenfalls auch einer entsprechenden zumutbaren Einweisung oder Einschulung unterziehen müsste (10 ObS 255/01z mwN).

Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen kann die Klägerin aufgrund ihres medizinischen Leistungskalküls zwar ihre bisherige Tätigkeit als Heilmasseurin nicht mehr ausüben, sie wäre aber in der Lage, die Tätigkeit einer Telefonistin zu verrichten, wobei in Österreich mehr als 100 Arbeitsplätze für blinde Personen mit entsprechend adaptierten Telefonanlagen bestehen. Beim Beruf der Telefonistin handelt es sich um einen für Blinde gängigen Verweisungsberuf in den Fällen der geminderten Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (vgl SSV-NF 13/97). Warum der Klägerin die Tätigkeit als Telefonistin nicht zumutbar sein soll, ist aufgrund der Aktenlage nicht nachvollziehbar. Die Klägerin räumt selbst ein, dass die Vorlage des Schreibens des Bundes-Blindenerziehungsinstitutes vom 22. 5. 2001 in der Berufung gegen das auch in Sozialrechtssachen geltende Neuerungsverbot verstößt und daher unbeachtlich ist. Im Übrigen bezieht sich dieses Schreiben auf die im Rahmen eines einjährigen Lehrganges erfolgende Ausbildung für Telekommunikation, welche ganz offensichtlich über die für eine betriebliche Einschulung einer Telefonistin notwendigen Anforderungen hinausgeht. So hat der berufskundliche Sachverständige, dessen Ausführungen den Feststellungen der Tatsacheninstanzen zugrunde liegen, ausgeführt, dass die notwendige Einschulung als Telefonistin in der Regel kurzfristig am Arbeitsplatz zum Teil durch den Anlagenhersteller erfolgt. Soweit die Klägerin vermeint, der berufskundliche Sachverständige habe in seinem Gutachten den Umstand ihrer Blindheit nicht berücksichtigt, lässt sie außer Betracht, dass der Sachverständige auch ausdrücklich zu dem für die Ausübung des Verweisungsberufes einer Telefonistin erforderlichen Sehvermögen sowie zur Notwendigkeit entsprechend für blinde Personen adaptierter Telefonanlagen Stellung genommen hat, sodass die Tatsache der Blindheit der Klägerin vom berufskundlichen Sachverständigen bei seiner Gutachtenserstellung sehr wohl berücksichtigt wurde. Nach den weiteren auf dem neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten beruhenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen ist die Klägerin anlernbar sowie unterweisbar und es besteht im Rahmen des bisherigen Ausbildungs- und Tätigkeitsniveaus eine Schulbarkeit bzw Umschulbarkeit der Klägerin bis zur Dauer von sechs Monaten. Damit bestehen aber nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für die Annahme der Klägerin, dass ihr eine betriebliche Einschulung für die Tätigkeit einer Telefonistin nicht zumutbar wäre.

Soweit die Klägerin geltend macht, die Verweisungstätigkeit einer Telefonistin übersteige im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitdruck ihr medizinisches Leistungskalkül, bekämpft sie in unzulässiger Weise die Feststellungen der Tatsacheninstanzen. Schließlich handelt es sich bei der Feststellung der für die Klägerin noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten entgegen der Ansicht der Klägerin schon deshalb um keine überschießende Feststellung, da die beklagte Partei in ihrer Klagebeantwortung ausdrücklich vorgebracht hat, dass die Klägerin trotz ihrer Leidenszustände ihre bisherige Berufstätigkeit bzw eine ähnliche ihr zumutbare Beschäftigung (= Verweisungstätigkeit) noch ausüben könne. Die beklagte Partei war entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verpflichtet, konkrete Verweisungstätigkeiten zu nennen, sondern es hat das Gericht gemäß § 87 Abs 1 ASGG die Verpflichtung, von Amts wegen alle entscheidungsrelevanten Tatsachen (wie beispielsweise das Vorliegen von Verweisungstätigkeiten) zu erheben, für die sich im Verfahren zumindest Anhaltspunkte ergeben haben (RIS-Justiz RS0042477; 10 ObS 293/01p ua).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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