OGH 8Ob80/23g

OGH8Ob80/23g17.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G* M*, 2. I* M*, ebendort, beide vertreten durch Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, gegen die beklagte Partei A* OG, *, wegen 22.679,52 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. Juli 2023, GZ 2 R 76/23b‑55, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 30. März 2023, GZ 29 Cg 98/21z‑49, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00080.23G.1117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.967,48 EUR (darin 327,91 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger hatten in einem Zivilverfahren (in der Folge kurz: „Vorverfahren“) als dort beklagte Parteien mit ihrer Vertretung die hier beklagte Rechtsanwaltskanzlei beauftragt. Siewaren im Vorverfahren als Liegenschaftsmiteigentümer von einem Anrainer auf Entfernung von Böschungsmaterial aus dem mit einer Wegeservitut belasteten Teil ihres Grundstücks und Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen geklagt worden.

[2] Den nunmehrigen Klägern war von der Verkäuferin ihrer Liegenschaft im Kaufvertrag ausdrücklich deren Freiheit von bücherlichen Lasten sowie von Rechten Dritter zugesagt worden. Die Verkäuferin verstand darunter Geldlasten, an eine Dienstbarkeit dachte sie nicht. Der Erstkläger verband mit „Lastenfreiheit“ die Vorstellung, dass kein kontaminiertes Erdreich vorhanden ist und keine Verträge verschwiegen werden.

[3] Die Kläger sahen bei Besichtigung des Grundstücks den darüber verlaufenden Weg. Es war ihnen bewusst, dass dieser Weg über das gegenständliche Grundstück läuft und auch als Zufahrt für die darunter liegenden Häuser genutzt wird, was sie akzeptierten. Auch die Breite des Weges war ihnen mit 3,5 m ungefähr bekannt.

[4] Der bestehende schriftliche Servitutsvertrag, in dem die genaue Lage und Breite der mit dem Wegerecht belasteten Fläche festgelegt war, wurde den Klägern von der Verkäuferin nicht vorgelegt. Er wurde auch nicht inhaltlich erörtert und sie machten sich über allfällige Rechte und Pflichten in diesem Zusammenhang keine Gedanken.

[5] Im Vorverfahren wurde der Klage des zufahrtsberechtigten Anrainers stattgegeben. Es wurde festgestellt, dass die Geländeböschung des klägerischen Grundstücks teilweise in die vereinbarte Dienstbarkeitsfläche hineinragte und den Servitutsweg verengte. Die Kläger (dort Beklagte) ließen dieses Urteil unangefochten in Rechtskraft erwachsen.

[6] Nunmehr begehren die Kläger von der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft den Ersatz der ihnen im Vorverfahren entstandenen eigenen und gegnerischen Kosten. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, der Liegenschaftsverkäuferin den Streit zu verkünden. Hätte sie die Kläger über die Wirkungen einer Streitverkündung aufgeklärt und diese auch vorgenommen, dann wäre die Verkäuferin den Klägern zum Ersatz der Verfahrenskosten des Vorprozesses verpflichtet gewesen, weil sie ihnen wahrheitswidrig die Lastenfreiheit der verkauften Liegenschaft zugesichert habe. Die Unterlassung der Beklagten sei kausal für den geltend gemachten Vermögensschaden an nicht regressfähigen Kosten, sodass sie aus dem Titel der Anwaltshaftung dafür einzustehen habe.

[7] Die Beklagte wandte ein, sie habe aufgrund der von den Klägern erteilten Information davon ausgehen müssen, dass diese die Böschung selbst im Zuge ihres Hausbaus verbreitert hatten. Deshalb und wegen der Offenkundigkeit der Wegeservitut habe keine rechtliche Veranlassung für eine Streitverkündung bestanden. Sollte die Verkäuferin den Klägern gegenüber aber aus einer Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten haften, wären davon ohnedies auch die aufgewendeten Kosten des Vorprozesses umfasst.

[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. In seiner Begründung führte es aus, dass einen Dritten, dem die Hauptpartei den Streit verkündet habe, im Fall ihres Unterliegens eine Kostentragungspflicht treffe. Durch das als pflichtwidrig anzusehende Unterlassen einer Streitverkündung an die Verkäuferin sei den Klägern der Regress gegen diese verwehrt.

[9] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

[10] Eine Streitverkündung an einen möglichen Regresspflichtigen bedeute nicht, dass der Regresskläger die Kosten des Vorprozesses stets und unabhängig von anderen Haftungsgründen auf den Nebenintervenienten bzw eine trotz Aufforderung dem Streit nicht beigetretene Person überwälzen könne. Die Kläger hätten nicht nachweisen können, dass sie im hypothetischen Fall einer erfolgten Streitverkündung gegenüber der Verkäuferin Regressansprüche gehabt hätten. Der Vorprozess sei nicht fremdnützig zu Gunsten der Verkäuferin geführt worden. Wegen der Augenfälligkeit des Mangels im Verkaufszeitpunkt sei ihr keine für das Führen des Vorprozesses kausale Pflichtverletzung vorzuwerfen.

[11] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung nach § 508 ZPO nachträglich für zulässig, weil es von einer fehlenden Haftung der Verkäuferin nach § 928 erster Satz ABGB ausgegangen sei und dabei möglicherweise von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen sein könnte.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Kläger ist zulässig, weil angesichts der Begründung des Berufungsgerichts im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO eine rechtliche Klarstellung geboten ist. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

[13] Die Revisionswerber argumentieren, das Berufungsgericht sei entgegen dem Gesetzeswortlaut und der herrschenden Rechtsprechung davon ausgegangen, dass ein sichtbarer Mangel eines Kaufgegenstands auch dann keine Gewährleistungspflicht des Verkäufers bewirke, wenn er Mängelfreiheit ausdrücklich zugesagt habe. Die Verkäuferin des klägerischen Grundstücks habe aufgrund ihrer Zusage der völligen Lastenfreiheit für Schäden, die den Klägern infolge des Bestehens der Wegeservitut entstanden seien, einzustehen.

[14] Davon abgesehen hafte sie gerade auch deswegen, weil die Böschung schon im Zeitpunkt des Verkaufs in die Servitutsfläche hineingeragt habe. Dieser Mangel sei für die Käufer, denen der Servitutsvertrag nicht offen gelegt wurde, nicht erkennbar gewesen.

[15] Für die Lösung der hier relevanten Rechtsfragen kommt es auf diese Überlegungen jedoch aus den im Folgenden ausgeführten Gründen nicht an.

[16] 1. Die Beklagte hat als ehemalige anwaltliche Vertreterin der Kläger nicht für das grundsätzliche Bestehen oder Nichtbestehen von Ersatzansprüchen der Kläger gegen die Verkäuferin ihres Grundstücks einzustehen. Sie wird für die behaupteten Folgen einer unterlassenen Prozesshandlung in Anspruch genommen.

[17] Ein Rechtsanwalt hat seinen Klienten in rechtlichen Belangen in vollständiger Weise zu belehren und für dessen rechtliche Absicherung Sorge zu tragen. Wenn er seinen Klienten nicht darüber belehrt, dass eine bestimmte Prozesshandlung ratsam und zweckmäßig wäre, kann er schadenersatzpflichtig werden (RIS‑Justiz RS0038682 [T10, T11]). Es ist dann die Vermögensdifferenz zu ersetzen, die bei pflichtgemäßer Beratung nicht eingetreten wäre (6 Ob 131/97a; 5 Ob 38/05g; 8 Ob 17/15f), die also durch die Unterlassung verursacht wurde.

[18] Es ist daher zu klären, ob die Streitverkündung aufgrund der konkreten prozessualen Situation im Vorverfahren lege artis geboten gewesen wäre, um den Klägern einen Anspruch gegen die Verkäuferin zu sichern, den sie gehabt hätten und den sie durch Unterlassung der Streitverkündigung verloren haben.

[19] 2. Es steht fest, dass die Kläger beim Abschluss des Liegenschaftskaufvertrags den Weg kannten, einschließlich seiner Breite in der Natur und den Umstand, dass Anrainer ihn als Zufahrt verwenden durften. Daraus ist abzuleiten, dass die Parteien des Kaufvertrags sich über die Eigenschaft des Kaufobjekts einig waren und sie die formelhafte Zusage der Lastenfreiheit nicht auch auf den Zufahrtsweg bezogen haben. Dieser Weg und sein Zweck war allen Vertragsparteien bekannt und die Käufer waren damit einverstanden. Ein mit dem Bestehen der Dienstbarkeit begründeter Regressanspruch gegen die Verkäuferin wäre daher von vornherein nicht abzuleiten gewesen (vgl zum natürlichen Konsens RS0014167; RS0017741 ua).

[20] Der Verkäuferin war allerdings nach den Feststellungen eine Verletzung von nebenvertraglichen Aufklärungspflichten anzulasten, weil sie den Käufern den schriftlichen Servitutsvertrag, aus dem sich unter anderem die genaue Lage der Servitutsfläche ergeben hätte, nicht ausgehändigt hat.

[21] 3. Die Schlechterfüllung des Vertrags führt hier dann zu einer Ersatzpflicht für Kosten eines Folgeprozesses, wenn die Pflichtverletzung für den anderen Prozess kausal war und im Rechtswidrigkeitszusammenhang steht (vgl RS0045850; 4 Ob 209/19t ua). In der Regel ist der in den Kosten eines – ex ante nicht aussichtslosen – Passivprozesses bestehende Schaden in den Schutzzweck jener Vertragsnormen einzubeziehen, die den Vertragspartner dazu verpflichten, seine vertraglich geschuldete Leistung ordnungsgemäß zu erbringen. Für die Kosten eines solchen Passivprozesses hat der Vertragspartner des im Vorprozess Beklagten dann einzustehen, wenn seine Leistung gemessen an den übernommenen Vertragspflichten mangelhaft war (vgl RS0045850 [T22]; 4 Ob 106/23a; 8 Ob 63/16x mwN; Reischauer in Rummel³ § 1313 Rz 6).

[22] Als Pflichtverletzungen kommen allgemein die Verletzung einer vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht, die Verletzung einer vor‑ oder nachvertraglichen Pflicht, eine Irreführung gegenüber dem Vertragspartner oder sonst eine arglistige Irreführung in Betracht. Die Pflichtverletzung muss für das Vorverfahren (mit‑)ursächlich gewesen sein. Der Dritte muss den Kläger im Vorprozess somit durch sein Verhalten veranlasst und darin bestärkt haben, den Vorprozess zu führen oder sich auf diesen einzulassen (RS0045850 [T24]).

[23] Keine Haftung für die Kosten des Vorprozesses besteht, wenn ein Regressanspruch aus diesem Titel von vornherein nicht in Betracht kam und die Kosten einer aussichtslosen Prozessführung mit der vom Beklagten verletzten Norm nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang stehen (RS0045850 [T14]).

[24] 4. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen mangelt es an der Kausalität der Vertragspflichtverletzung der Verkäuferin für die geltend gemachten Verfahrenskosten.

[25] Die Kläger haben sich auf den Vorprozess nicht deswegen eingelassen, weil sie von dem Dienstbarkeitsweg auf ihrem Grundstück nichts wussten oder weil sie allenfalls der Meinung gewesen wären, dass das Wegerecht entsprechend einer ihnen vertraglich gemachten Zusicherung der Lastenfreiheit nachträglich beseitigt worden wäre.

[26] Sie haben sich im Vorverfahren auf den Einwand der Freiheitsersitzung gestützt, den sie damit begründeten, dass die Böschung mindestens seit dem Jahr 2010 im gegenwärtigen Zustand gewesen sei und dies vom Kläger des Vorverfahrens unbeanstandet geblieben sei, außerdem sei die Klage schikanös. Ihre prozessualen Einwendungen im Vorverfahren bezogen sich somit auf nach dem Kaufvertragsabschluss eingetretene Umstände, die nach ihrem Rechtsstandpunkt zum teilweisen Erlöschen des davor unbestritten bestehenden Rechts geführt hätten.

[27] Von diesen Feststellungen ausgehend besteht aber keine Grundlage für die Annahme, dass die Kläger den Vorprozess nicht genau so geführt hätten, wenn ihr Liegenschaftskaufvertrag die „Lastenfreiheitszusage“ nicht enthalten hätte und ihnen auch der schriftliche Dienstbarkeitsvertrag vorgelegt worden wäre. Die der Verkäuferin vorgeworfenen Verletzungen vertraglicher und nebenvertraglicher Verpflichtungen waren nicht kausal dafür, dass sich die Kläger auf den Vorprozess eingelassen haben. Davon ausgehend wäre ein Regressanspruch gegen die Verkäuferin bezüglich der Kosten dieses Verfahrens aber von vornherein nicht begründet gewesen.

[28] 5. Unter diesen Umständen kann hier dahingestellt bleiben, ob die Beklagten im Vorverfahren zur pflichtgemäßen Wahrung sonstiger rechtlicher Interessen den Klägern zu einer Streitverkündung an die Verkäuferin raten hätten müssen. Weil den Klägern aus der geltend gemachten Vertragsverletzung ein Regressanspruch bezüglich der Kosten dieses Vorverfahrens auch im Fall der Vornahme einer Streitverkündung nicht zugestanden wäre, hat deren Unterbleiben den geltend gemachten Schaden jedenfalls nicht verursacht.

[29] Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist daher im Ergebnis zu bestätigen und der Revision keine Folge zu geben.

[30] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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