OGH 4Ob106/23a

OGH4Ob106/23a27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Mag. Stephanie Zöllner, Dr. Phillip Zöllner BSc, Rechtsanwälte in Mödling, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Dr. Günther Klepp und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen 9.627,50 EUR, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. März 2023, GZ 1 R 29/23z‑20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 25. Jänner 2023, GZ 36 Cg 56/21i‑15, im Umfang der Berufung durch den Beklagten bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00106.23A.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben, und zwar das Ersturteil im Ausmaß des noch bekämpften Zuspruchs von 9.627,50 EUR, das Berufungsurteil zur Gänze. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte 2019 ein Fahrzeug der Marke Mercedes C‑Klasse zu einem Kaufpreis von 9.000 EUR vom Beklagten. Der km‑Stand betrug laut Tachometeranzeige zwischen 177.853 und 180.100 km. Der Kilometerzähler war allerdings manipuliert; der tatsächliche km-Stand betrug weit über 400.000 km. Außerdem lagen weitere Mängel vor; der Marktzeitwert des Fahrzeugs betrug zum Ankaufszeitpunkt lediglich 1.300 EUR. Der Kläger verkaufte dieses Fahrzeug an eine Dritte, die kurz danach eine Klage auf Wandlung erhob. In diesem Verfahren (idF: Vorprozess) verkündete der Kläger nach Vorliegen des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen dem Beklagten den Streit. Der Beklagte trat daraufhin als Nebenintervenient auf Seiten des jetzigen Klägers dem Vorprozess bei. Danach fand noch eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung statt, in der das Verfahren geschlossen und das klagsstattgebende Urteil mündlich verkündet wurde. Weder der dortige Beklagte noch der Nebenintervenienterhoben ein Rechtsmittel. Der Kaufvertrag wurde aufgehoben und der Kläger wurde verpflichtet, den von der Käuferin gezahlten Kaufpreis samt Zinsen zurückzuzahlen sowie ihr die Prozesskosten in Höhe von 5.031,68 EUR zu ersetzen; die Prozesskosten des Klägers betrugen 4.595,82 EUR.

[2] DerKläger begehrte vom Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises und die gesamten Prozesskosten des Vorprozesses gestützt auf Schadenersatz und laesio enormis.

[3] DerBeklagte wendete unter anderem ein, der Zustand des Fahrzeugs sei ihm nicht bekannt gewesen, es habe ihn daher kein Verschulden getroffen.

[4] Das Erstgericht gab dem Aufhebungsbegehren aufgrund laesio enormis Folge; einen Teil des auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichteten Klagebegehrens wies es unbekämpft ab. Es erkannte dem Kläger weiters die gesamten Kosten des Vorprozesses zu, weil die Kosten eines Passivprozesses eine kausale Folge der Schlechterfüllung seien.

[5] Das – vom Beklagten im Umfang der zuerkannten Prozesskosten angerufene – Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu. Der Beklagte habe eine Vertragsverletzung begangen. Da das Erstgericht dem Klagebegehren auf Rückzahlung des Kaufpreises bereits aufgrund des Vorliegens von laesio enormis stattgegeben habe, habe es keine Feststellungen zu einem Verschulden des Beklagten an dieser Vertragsverletzung getroffen. Dass der Beklagte unverschuldet seine Vertragspflicht nicht hätte einhalten können, habe der Beklagte nicht substanziiert vorgebracht. Er habe daher den ihn gemäß § 1298 ABGB treffenden Entlastungsbeweis nicht angetreten. Eine Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung hielt das Berufungsgericht deshalb für entbehrlich, weil der Beklagte jedenfalls ab seinem Streitbeitritt im Vorprozess den Inhalt des Sachverständigengutachtens gekannt und daher mit seinem Anschluss an das Bestreitungsvorbringen des Klägers in diesem Vorprozess (nachträglich) die Weiterführung dieses Verfahrens veranlasst habe. Er hafte daher nach dem kostenrechtlichen Erfolgsprinzip und dem Grundsatz des § 45 ZPO dem Kläger für die Kosten des gesamten Vorprozesses.

[6] Dagegen richtet sich die Revision desBeklagten mit dem Antrag auf Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn.

[7] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist zulässig und im Sinne ihres – implizit enthaltenen – Aufhebungsantrags berechtigt.

[9] 1. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung können Prozesskosten Gegenstand eines Schadenersatzanspruchs sein, wenn sie durch das Verschulden eines Dritten verursacht wurden (RS0023619). Entstehen einer Partei durch die Verletzung vertraglicher Hauptpflichten oder Nebenpflichten Schäden, so hat sie weitreichende Schadenersatzansprüche, wobei insbesondere reine Vermögensschäden grundsätzlich in den schadenersatzrechtlichen Schutzbereich fallen; den Schädiger trifft die Ersatzpflicht, wenn sich durch die rechtswidrige und schuldhafte Handlung das Vermögen seines Vertragspartners verringert hat (RS0023619 [T4]).

[10] 2. Als Pflichtverletzungen kommen vor allem die Verletzung einer vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht, die Verletzung einer vor- oder nachvertraglichen Pflicht, eine Irreführung gegenüber dem Vertragspartner oder sonst eine arglistige Irreführung in Betracht. Die Pflichtverletzung muss für das Vorverfahren (mit‑)ursächlich gewesen sein. Der Dritte muss den Kläger im Vorprozess somit durch sein Verhalten veranlasst und darin bestärkt haben, den Vorprozess zu führen oder sich auf diesen einzulassen (RS0045850; jüngst etwa 7 Ob 205/21d).

[11] 3. In der Regel ist der in den Kosten eines – ex ante nicht aussichtslosen – Passivprozesses bestehende Schaden in den Schutzzweck jener Vertragsnormen einzubeziehen, die den Vertragspartner dazu verpflichten, seine vertraglich geschuldete Leistung ordnungsgemäß zu erbringen. Für die Kosten eines solchen Passivprozesses hat der Vertragspartner des im Vorprozess Beklagten dann einzustehen, wenn seine Leistung gemessen an den übernommenen Vertragspflichten mangelhaft war (vgl 7 Ob 114/15p; 8 Ob 63/16x jeweils mwN).

[12] 4.1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte durch seinen Streitbeitritt im Vorprozess – der unmittelbar nach Streitverkündung vor der letzten mündlichen Streitverhandlung, in der das (in der Folge unbekämpft gebliebene) Urteil mündlich verkündet wurde – erfolgte, diesen Prozess nicht nachträglich veranlasst. Eine vertragliche Pflichtverletzung in Bezug auf diesen Prozess ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen. Damit kann der Beklagte für die Kosten dieses Passivprozesses – als grundsätzlich vom Rechtswidrigkeitszusammenhang umfasst - nur dann haften, wenn ihn an der ursprünglichen Vertragsverletzung ein Verschulden trifft. Dazu hat das Erstgericht keine Feststellungen getroffen.

[13] 4.2. Dem Schuldner obliegt gemäß § 1298 ABGB der Beweis, an der Erfüllung der vertragsmäßigen Verbindlichkeit ohne sein Verschulden verhindert gewesen zu sein. Dafür trifft ihn sowohl die Behauptungs- als auch die Beweislast (RS0018309 [T4]). Der Beklagte hat bereits in seiner Klagebeantwortung vorgebracht, es treffe ihn kein Verschulden, weil ihm der Zustand des Fahrzeugs nicht bekannt gewesen sei und hat dafür unter anderem seine Einvernahme als Partei angeboten.

[14] 4.3. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zum Verschulden des Beklagten an der bereits feststehenden Vertragsverletzung zu treffen haben. Dabei bleibt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Erstgerichts überlassen, ob angesichts des unentschuldigten Nichterscheinens des Beklagten zu seiner Einvernahme als Partei eine Verfahrensergänzung erforderlich ist (§ 381 ZPO).

[15] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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