OGH 15Os99/23g

OGH15Os99/23g8.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * B* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. März 2023, GZ 84 Hv 73/22b‑53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00099.23G.1108.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * B* des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB (I./) und „der Verbrechen“ der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in Ansehung des schweren Betrugs gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorgabe, rückzahlungsfähiger und ‑williger Darlehensnehmer zu sein, Nachgenannte zu Handlungen in Form der Übergabe von Bargeld verleitet, die diese in den angeführten, zusammen 5.000 Euro übersteigenden Beträgen am Vermögen schädigten, und zwar

A./ von 2014 (US 6) bis 2015 * P* in mehreren im Urteil genannten Angriffen im Betrag von 10.270,78 Euro;

B./ von 11. September 2018 bis 1. Oktober 2020 * E* in mehreren im Urteil genannten Angriffen im Betrag von 75.950 Euro;

C./ im Oktober 2020 * L* im Betrag von 800 Euro;

II./ im September 2019 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz * M* durch gefährliche Drohung zu Handlungen genötigt, die diese im Betrag von 1.020 Euro am Vermögen schädigten, indem er sie in drei Angriffen zur Übergabe von Bargeld aufforderte, widrigenfalls er beim Jugendamt anzeigen werde, dass sie ihre achtjährige Tochter mit ins Laufhaus nehme, beim Vermieter melden werde, dass sie zu Unrecht in ihrer Wohnung wohne und sie beim Finanzamt anzeigen werde, weil sie in Österreich (rechtswidrig) mit einem deutschen Kennzeichen fahre.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1, 5, 5a, 8, 9 lit a und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Deren Beantwortung ist voranzustellen, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS‑Justiz RS0115902). Indem die Besetzungsrüge (Z 1) auf das Vorbringen zu § 281 Abs 1 Z 8 StPO und jenes der Mängelrüge (Z 5) verweist, die Mängelrüge „zugleich auch den Nichtigkeitsgrund (Z 5a)“ geltend macht und im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) auf das zur Mängelrüge Vorgebrachte verwiesen wird, wird die Beschwerde diesen Anforderungen nicht gerecht.

[5] Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet die Ausgeschlossenheit des Schöffengerichts nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO. Sie sieht den Anschein der Befangenheit in einer „offenkundigen Überschreitung der Anklage“ und einem Verstoß gegen „eine ganze Reihe von strafprozessualen Grundsätzen“. Dem Verteidiger sei trotz Antragstellung „ein Beweismittel vorenthalten“ worden, das in der Urteilsausfertigung argumentativ herangezogen werde.

[6] Soweit sich die Rüge gegen die Ausfertigung des Urteils wendet, ist die Geltendmachung erst im Rechtsmittel berechtigt, da dem Beschwerdeführer diese Umstände erstmals nach Schluss der Verhandlung zur Kenntnis gelangten (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 143).

[7] Ausgeschlossenheit nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO liegt vor, wenn ein Richter an eine Rechtssache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt, somit eine Hemmung zu unparteiischer Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist. Es genügt schon der entsprechende Anschein (RIS‑Justiz RS0096914).

[8] Eine Überschreitung der Anklage ist Gegenstand der Anfechtung mit – ohnehin erhobener – Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO) und stellt per se keinen Grund für eine Ablehnung des erkennenden Gerichts dar. Gleiches gilt für die Nichterledigung eines Antrags auf Übermittlung eines Beweismittels (vgl zur Abweisung von Beweisanträgen § 281 Abs 1 Z 4 StPO; RIS‑Justiz RS0118445).

[9] Der unsubstantiierte Vorwurf des Verstoßes gegen strafprozessuale Grundsätze nimmt nicht wie geboten Maß am Bestimmtheitsgebot der §§ 285 Abs 1 zweiter Satz,  285a Z 2 StPO.

[10] Die Umstände, wonach der erkennende Senat im Rahmen der Urteilsausfertigung Beweise in einer der Intention des Beschwerdeführers zuwiderlaufenden Weise würdigte (RIS-Justiz RS0096914 [T32]) und eine von dessen Rechtsansicht abweichende (selbst im Fall ihrer Unrichtigkeit RIS-Justiz RS0096993; Lässig, WK-StPO § 43 Rz 15) Meinung vertrat (RIS-Justiz RS0096914 [T20], RS0096880; Lässig, WK-StPO § 43 Rz 12), sind schließlich nicht geeignet, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler dessen volle Unvoreingenommenheit in Zweifel zu ziehen.

[11] Dem Einwand fehlender und offenbar unzureichender Begründung der Mängelrüge (dSn Z 5 vierter Fall) zuwider ist die Ableitung der subjektiven Tatseite zu I./ aus den objektiven Tatumständen, der allgemeinen Lebenserfahrung, dem Verhalten des Angeklagten, seiner prekären Arbeits- und daraus resultierenden Einkommenssituation, den hohen und teilweise zeitgleich herausgelockten Bargeldbeträgen, der fehlenden Rückzahlungswilligkeit und den zahlreichen Ausreden gegenüber den Opfern (US 15 f) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0099413).

[12] Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang (nominell Z 5, dSn Z 9 lit a) die Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu I./ als keinesfalls ausreichend kritisiert, übergeht sie – prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) – die bezughabenden Urteilsannahmen (US 10). Welche darüber hinausgehenden Konstatierungen für eine rechtsrichtige Subsumtion zu treffen gewesen wären, legt sie nicht dar (RIS‑Justiz RS0116569).

[13] Indem der Beschwerdeführer eigene Erwägungen zum Nichtvorliegen der subjektiven Tatseite zu I./ anstellt, beschränkt er sich auf einen Angriff gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld.

[14] Mit der Behauptung, das Erstgericht hätte den Angeklagten zumindest in dubio pro reo von den Betrugs- und Erpressungsvorwürfen freisprechen müssen, zeigt er keine Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 StPO auf (RIS‑Justiz RS0098336).

[15] Soweit die Rüge (nominell Z 5, dSn Z 9 lit a) das Fehlen ausreichender Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal der Täuschung über Tatsachen zu I./ kritisiert, hält sie neuerlich nicht am im Urteil festgestellten Sachverhalt (US 9 f) fest (RIS‑Justiz RS0099810).

[16] Ferner macht die Mängelrüge (dSn Z 5 vierter Fall) nicht deutlich, weshalb die von den Tatrichtern aus den Angaben der Opfer gezogene Schlussfolgerung zur Täuschung (US 11 ff) den Kriterien folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0099413) widersprechen sollte.

[17] Die eigenständigen Erwägungen des Nichtigkeitswerbers zum Nichtvorliegen einer Täuschung stellen neuerlich bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik dar. Rechtsausführungen hiezu sind einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.

[18] Dass es zur rechtsrichtigen Subsumtion zu II./ Feststellungen zu den den Drohungen zugrunde liegenden Tatsachen, nämlich ob das Opfer mit seinem Fahrzeug tatsächlich mit einem deutschen Kennzeichen gefahren sei, zur Unzulässigkeit des Wohnens in ihrer Wohnung und zur Person ihres Vermieters bedurft hätte, wird von der Rüge (nominell Z 5, dSn Z 9 lit a) ohne argumentatives Substrat bloß behauptet (vgl aber RIS-Justiz RS0116569). Sie macht nämlich nicht deutlich, aus welchem Grund die Rechtsfrage, ob die Drohung geeignet ist, begründete Besorgnis auszulösen (vgl RIS-Justiz RS0092448 [T5]), einer weiteren (US 7 f) Klärung durch Tatsachenfeststellungen bedurft hätte.

[19] Die nach Art einer Aufklärungsrüge (nominell Z 5, dSn Z 5a) vorgebrachte Kritik, wonach das Erstgericht seine Pflicht zu amtswegiger Wahrheitserforschung (§ 2 Abs 2 StPO) vernachlässigt habe, verkennt die unter dem Aspekt der Sachverhaltsermittlung bestehende Subsidiarität des der Sache nach angesprochenen Nichtigkeitsgrundes gegenüber jenem der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO (RIS-Justiz RS0114036 [T11]).

[20] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

[21] Die Tatsachenrüge (Z 5a) versucht zunächst ohne direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial bloß aus den Erwägungen der Tatrichter zu den Deponaten der Opfer Bedenken abzuleiten und verfehlt damit den Anfechtungsrahmen des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0119424).

[22] Mit dem Hinweis auf die fehlende Möglichkeit der Täuschung der Betrugsopfer sowie die allgemeine Lebenserfahrung, wonach im Rahmen mehrjähriger Beziehungen durch Ausborgen von Geld weder objektiv noch subjektiv eine Täuschung stattfinde und eigenen Erwägungen zur Unglaubwürdigkeit der Zeugin M* (auch) in Ansehung ihres Aussageverhaltens gelingt es der Rüge nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu wecken.

[23] Die Beschwerde sieht eine Überschreitung der Anklage (Z 8) in dem Umstand, dass das Erstgericht zu II./als Tathandlung die Drohung mit einer Anzeige beim Jugendamt (siehe den einbezogenen Strafantrag ON 13 in ON 22) um eine Drohung mit einer Anzeige beim Finanzamt und eine Meldung beim Vermieter ergänzt hat. Ein Urteil überschreitet die Anklage jedoch nicht, wenn der Schuldspruch in dem dort geschilderten Lebenssachverhalt als historischem Geschehen (prozessualer Tatbegriff; dazuRatz, WK‑StPO § 281 Rz 502 ff) Deckung findet, wobei die unter Anklage gestellte Tat auch andere in den Rahmen des Gesamtverhaltens des Angeklagten fallende Handlungen, die auf denselben strafgesetzwidrigen Erfolg zielen, erfasst (RIS‑Justiz RS0113142 [T17], RS0098484).

[24] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) von Rechtsfehlern mangels Feststellungen in Ansehung der Täuschungshandlung und der subjektiven Tatseite zu I./ ausgeht, die jedoch sehr wohl getroffenen Urteilskonstatierungen (US 9 f) vernachlässigt, verfehlt sie neuerlich die prozessförmige Ausrichtung (RIS‑Justiz RS0099810).

[25] Mit der im Rahmen der Rechtsrüge erhobenen Beweiswürdigungskritik ist der Beschwerdeführer auf die diesbezügliche Erledigung der Mängelrüge zu verweisen.

[26] Weshalb die festgestellten Drohungen zu II./ mit einer Anzeige beim Jugendamt, einer Anzeige beim Finanzamt und einer Meldung gegenüber dem Vermieter und daraus folgendem kostenintensiven Verfahren zu deren Abwehr, einer daraus resultierenden Strafe in einem Finanzstrafverfahren und Umzugskosten (US 7 f), dh (Verfahrens-)Kosten für die Abwehr ungerechtfertigter Ansprüche (RIS-Justiz RS0131845), bei Anlegung eines gebotenen objektiv-individuellen Maßstabs (RIS‑Justiz RS0092753) keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme der Eignung der begründeten Besorgnis in Ansehung der hier in Rede stehenden Verletzung am Vermögen bieten sollten, leitet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565).

[27] Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS‑Justiz RS0124801). Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, weil sie das Erfordernis einer – für die diversionelle Erledigung erforderlichen – von entsprechendem Unrechtsbewusstsein getragenen Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme (RIS‑Justiz RS0126734, RS0116299) des Angeklagten negiert (vgl aber US 20).

[28] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[29] Das Berufungsgericht wird dabei zu beachten haben, dass nach dem Tatsachensubstrat des Ersturteils zu II./ die Drohungen eine von einheitlichem Vorsatz getragene tatbestandliche Handlungseinheit darstellen (vgl RIS-Justiz RS0120233; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 89). Die demnach verfehlte Annahme der Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB bietet jedoch für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO keinen Anlass, weil auch der Wegfall eines Schuldspruchs nach § 144 Abs 1 StGB – mit Blick auf die weiteren, nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB beurteilten Tathandlungen – den vom Erstgericht angenommenen Erschwerungsgrund mehrerer Verbrechen (US 20) unberührt lässt. An die insoweit fehlerhafte Subsumtion ist das Berufungsgericht bei der Entscheidung über die Berufung nicht gebunden (RIS-Justiz RS0118870 [T12]; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 27a).

[30] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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