OGH 10ObS117/23p

OGH10ObS117/23p31.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Susanne Haslinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Mag. Torsten Gierlinger, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. August 2023, GZ 12 Rs 60/23 i‑40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00117.23P.1031.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen verneinten den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Invaliditätspension, in eventu auf Maßnahmen der medizinischen und der beruflichen Rehabilitation, weil der Kläger bereits bei Eintritt in das Erwerbsleben nicht in der Lage gewesen sei, Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest halbzeitig zu verrichten und seine Arbeitsfähigkeit daher nicht durch nachträgliche Entwicklungen herabgesunken sei.

[2] In seiner außerordentlichen Revision sieht der Kläger eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung in der Frage, ob bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eines originär Invaliden auf die sogenannte Lohnhälfte abzustellen sei.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.

[4] 1.1. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit iSd § 255 Abs 1 bis 4 ASVG setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn einer Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert hat (RIS‑Justiz RS0085107; RS0084829). Es ist daher immer auch entscheidungswesentlich, ob der Versicherte ursprünglich arbeitsfähig war und seine Arbeitsfähigkeit durch eine nachträglich eingetretene Verschlechterung beeinträchtigt wurde („herabgesunken“ ist). Ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis eingebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit führen (RS0085107 [T1]; RS0084829 [T1]).

[5] 1.2. Entgegen der vom Kläger in der Revision geäußerten Rechtsansicht ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt, dass die Arbeitsfähigkeit, die vor dem Eintritt in das Erwerbsleben bestanden haben muss, zumindest die Hälfte der einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person erreicht haben muss (RS0084829). Die Arbeitsfähigkeit des Versicherten muss bei Eintritt in das Versicherungsverhältnis nur – wenn auch geringfügig – über der Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson gelegen und dann unter diese Grenze herabgesunken sein (RS0084829 [T20, T23]).

[6] 1.3. Dass die Arbeitsfähigkeit des Klägers bei Eintritt in das Versicherungsverhältnis entsprechend dieser Rechtsprechung über der Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson gelegen wäre, behauptet er in der Revision nicht. Soweit der Kläger releviert, dass für diese Beurteilung ein berufskundliches Sachverständigengutachten einzuholen gewesen wäre, ist dem zu entgegnen, dass die Prüfung, ob zur Gewinnung der erforderlichen Feststellungen noch weitere Beweise notwendig sind, ein Akt der nicht revisiblen Beweiswürdigung ist (RS0043320; RS0043414).

[7] 2. War die vom Kläger behauptete Arbeitsunfähigkeit somit bereits vor dem Eintritt in das Erwerbsleben vorhanden, könnte er nur dann nach § 255 Abs 7 ASVG als invalid gelten, wenn er mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach dem ASVG oder einem anderen Bundesgesetz erworben hätte. Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass er diese Voraussetzungen nicht erfülle, wendet er sich in der Revision nicht.

[8] 3. Soweit der Kläger in der außerordentlichen Revision verfassungsrechtliche Bedenken hegt, ist er auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu verweisen, nach der solche weder gegen die Voraussetzung des § 255 Abs 1 bis 4 ASVG, dass während einer versicherten Tätigkeit Arbeitsfähigkeit bestanden haben muss (RS0085107 [T8]; RS0084829 [T16]), noch gegen die Voraussetzung des Erwerbs von 120 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit in § 255 Abs 7 ASVG (10 ObS 154/17w SSV‑NF 32/7; 10 ObS 13/15g SSV‑NF 29/16; 10 ObS 6/14a SSV‑NF 28/9) bestehen. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO liegt nicht vor, wenn der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt (RS0116943).

Stichworte